Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um ein Essay über Johann Gottfried Herders "Abhandlung über den Ursprung der Sprache" und inwiefern sich der Mensch durch seine Sprache vom Tier unterscheidet.
Essay über Johann Gottfried Herders „Abhandlung über den Ursprung der Sprache, Teil 1“ - Wie unterscheidet sich der Mensch vom Tier?
Die „Abhandlung über den Ursprung der Sprache“ von Johann Gottfried Herder ist der Gewinnertext einer gestellten Preisfrage von der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin von 1769, die nach der ursprünglichen Erfindung der Sprache durch den Menschen fragt.1 Der Text wurde 1770 veröffentlicht und stellt einen bedeutenden Sprung in der Entwicklung der Sprachphilosophie des 18. Jahrhunderts dar, der noch bis heute seine Wirkung zeigt. Herders Ziel seines ersten Teiles ist, den vernünftigen Menschen und seine künstliche Sprache von der Natursprache der Tiere abzugrenzen und den Ursprung der Sprache in der Besonnenheit der Gattung Mensch zu sehen. Er wird somit ein Vertreter der anthropozentrischen Perspektive in Betrachtung der Genese der Sprache. Er versucht insbesondere seine Gegner Johann Peter Süßmilch, einen Vertreter der göttlichen Ursprungstheorie der Sprache sowie den Konventionalisten Étienne Bonnot de Condillac auszuboten.
Herders besondere Hervorhebung des Menschen in der Evolutionsgeschichte soll nun anhand unseres Forschungsstandes geprüft und erweitert werden. Hierbei war mir besonders die Dokumentation „So entstand unsere Sprache“ des Senders ARTE eine große Hilfe, um einen Überblick über die biologischen Zusammenhänge zwischen dem Menschen und dem Tier in Bezug auf den Ursprung der Sprache zu erhalten.2
Herder beginnt seine Ausführungen mit den spontanen Lauten der Empfindung, die den tierischen Instinkten innewohnen. Töne der Kommunikation und des Mitteilungsbedürfnisses unter Tieren, die jedoch genauen Naturgesetzten unterworfen seien. Diese Intonation der Naturtöne sei in Resten auch in unserer Sprache aufgefangen und erhalten worden, bilde jedoch nicht den Ursprung dieser. Er macht deutlich, dass dies ebenfalls in der Entwicklung der metaphysischen Sprache der Menschen eine Rolle gespielt habe, aber eine sehr große Zeitspanne dazwischen liege.
Nach Herder muss es noch einen weiteren Faktor geben, der zur Entwicklung unserer heutigen Sprache geführt hat.
Um die menschliche Sprache von der Natursprache zu separieren, analysiert Herder zunächst die Unterschiede zwischen dem Menschen und den Tieren. Tiere leben nach Herder in ihrem spezifischen „Sphärenkreis“ in dem sie ihre instinktgesteuerten „Kunstfertigkeiten“ ausüben. Darüber hinaus seien sie eingeschränkt und unfähig frei zu handeln. Als Beispiel nennt Herder die Biene und ihre Fähigkeit Waben zu bauen oder die Spinne, die ihr Spinnennetz webt. Außerhalb dieser Fähigkeiten seien diese Tiere in einer ungewohnten Situation nur durch ihre Instinkte gelenkt, wenn zum Beispiel Gefahr lauere. Dem Menschen hingegen liege durch die Ungerichtetheit seiner Sinne die mannigfaltige Natur pur und ungefiltert vor. Seine Sinne seien nicht in eine Richtung besonders ausgeprägt und er sei auch nicht für eine einzige Tätigkeit ausgebildet. Aber genau durch diesen Mangel sei es dem Menschen nach Herder möglich, die Informationen seiner Wahrnehmung besser zu sortieren und zu sondieren. Der Mensch erkenne sich als Person sowie seine Umwelt und nutzt seine Vernunft, um nach seinem Selbstzweck zu handeln und nicht instinktgesteuert einer Kunstfertigkeit nachzugehen. Diese besondere Leistungsfähigkeit nennt Herder Besonnenheit. Sie solle die absolute Eigenschaft des Menschen sein, durch die er sich von den Tieren unterscheide. Herder benennt somit die Gattung des Menschen als eine völlig andere Wesensart im Vergleich zu den Tieren. Die Sprache habe sich demnach bezüglich Herder nicht in einem Entwicklungsprozess aus der Tiersprache herausgebildet, sondern konnte nur von der Gattung Mensch erzeugt werden.
Das Potential der Besonnenheit als spezifische Eigenschaft der Gattung Mensch sei Herder zufolge von Gott gegeben. Sie bestehe aus dem freien Willen sich auf Bestimmtes zu fixieren, der Erkennung des eigenen Selbst und der Erkennung dieser Erkennung; eine Kraft aus Sinnlichkeit, Instinkt, Fantasie und Vernunft. Es sei ihm so möglich die charakteristischen Eigenschaften eines Objektes herauszukristallisieren, um sich hieraus ein inneres Merkwort zu schaffen. Wie kommt nun ein solches Merkwort zustande? Herder zufolge gründe die Natur in ihrer mimetischen Qualität eine hervorragende Voraussetzung für den Menschen. In einem Prozess der Selbstreflexion ahme der Mensch die lautende Natur nach und tritt in einen Dialog mit ihr. Als Beispiel sei Herders Lamm, „das Blökende“ nennenswert. Ein Lamm gibt einen blökenden Laut von sich. Der Mensch nimmt diesen Laut mit seinem Gehör wahr und speichert ihn als inneres Merkwort ab. Wenn er erneut diesen Laut hört, weiß er „das ist das Blökende“ und kann sich an das Wesen erinnern. Ein nicht-menschliches Tier könnte nach Herder nur seinen Instinkten folgen und es töten oder unbeachtet lassen. Diese kreative Nachahmung der Natur sei der Schlüssel zur Sprache. Herder erklärt hierbei jedoch nicht den Übergang vom inneren Merkwort zum endgültigen gesprochenen Wort der Sprache.
Das Gehör spielt bei Herder eine herausragende Rolle. Doch wie sieht es mit der nicht-tönenden Natur aus? Bei Herder schwimmen die Sinne in einem Ozean der Wahrnehmungen. Durch ihre räumliche Verortung im Kopf seien sie eng miteinander verknüpft. Folglich habe das Gehör auch auf alle anderen Sinne einen Einfluss. Somit habe zum Beispiel auch die haptische Eigenschaft weich oder rau eine klangliche Dimension.
Um nun Herders Argumentation zu untermauern bzw. zu revidieren, gehe ich auf ausgewählte Thesen im Folgenden noch einmal ein. Herder beschreibt die tierischen Naturlaute und deren Mitfühlungscharakter. Diese Töne seien laut Herder jedoch nur tönend und nicht schildernd und würden sich damit sehr von unserer heutigen vernunftgeleiteten Sprache unterscheiden. Jedoch sind diese Laute eine Sprache der Empfindungen und drücken die Gefühle des Lautenden aus. Also schildern sie sehr wohl die Gefühlswelt des Lautenden gegenüber seiner Umwelt und diese kann darauf reagieren. Dies war vor allem beim Menschen nötig, um erlerntes Wissen der vorangegangen Generationen weiterzutragen, welche zu komplex waren, um sie wie bei Tieren instinktgeleitet bzw. lediglich durch Nachahmung der Eltern durch die Jungen weiterzugeben. Zum Beispiel das Herstellen von Werkzeug oder das Entzünden eines Feuers . Herder vernachlässigt hier ganz bewusst die Dimension der Kommunikation als entscheidenden Faktor zur Herausbildung einer notwendigen Sprache für den Menschen als ein Herdentier. Seine Behauptung der Mensch, isoliert von seinen Artgenossen hätte sich ebenfalls Sprache erfinden können, indem er für die mimetische Natur innere Merkworte gefunden hätte, ist sinnwidrig. Denn dann wäre es zu keiner akustischen Wortbildung gekommen und es wäre bei inneren Merkwörtern geblieben.
Der Sachverhalt der Nachahmung der tönenden Natur durch den Menschen zu einem inneren Merkwort dient Herder lediglich dazu, dass die Worte nicht willkürlich gewählt worden sind, sondern diese schon von der Natur vorgegeben waren, womit er zum Teil richtig liegen kann. Aber was ist mit den stummen Dingen? Herder versucht hier das Klangliche auf die übrigen Sinne zu übertragen, was nicht ganz nachvollziehbar ist. Die nicht-tönende Natur wurde wohl zunächst eher mit Gesten umschrieben. Anschließend musste gemeinsam ein entsprechendes Wort gefunden werden, um intersubjektiv zu agieren.
Codillac thematisiert in seinen Untersuchungen zum „Ursprung der menschlichen Erkenntnis“ diese Vereinbarung unter den Menschen, die man allgemein als konventionalistische Theorie in der Sprachphilosophie auffasst, und versucht diese anhand eines Beispiels zu erläutern.3 Herder nimmt dieses Beispiel später in seinem Text auseinander und scheint es zu widerlegen. Condillac gibt dem Leser eine Szene vor, in der zwei Kinder in einer Wüste leben ohne jemals einen Kontakt zur Außenwelt gepflegt zu haben. Sie sind also roh und unberührt von unserer heutigen Sprache, dennoch bilden sie zu zweit eine kleine Gemeinschaft. Das eine Kind erinnert sich in einem Zustand des Begehrens an ein Objekt, das dieses stillen konnte. Zum Beispiel an einen Baum mit Äpfeln, der ihn in der Vergangenheit bereits gesättigt hatte. Wenn es nun dieses Objekt wieder vor Augen hat, gibt es einen Laut des Glückes oder der Frustration von sich oder eine Geste, wie das Greifen danach oder Zeichen des Ärgers, wenn es dieses nicht erreichen kann. Diese Laute und Gesten lösen, wenn auch vom ersten Kind unbeabsichtigt, ein Mitgefühl beim zweiten Kind aus, da es dieses von sich selbst her kennt. Es hilft dem ersten Kind aus Instinkt, da es in einer ähnlichen Situation das Gleiche erfahren möchte. Die Geste bzw. der Laut in Zusammenhang mit der Wahrnehmung werden von den Kindern abgespeichert und vervollkommnen nach Condillac deren Verstand durch Übung. Nach einer gewissen Zeit war ihr Verstand so weit ausgebildet, um auch Zeichen zu den Lauten und Gesten zu erfinden.
Herder schreibt hierzu, dass diese Vereinbarung bereits Sprache benötigen würde, um zu funktionieren und Condillac somit einem infiniten Regress unterliege. Jedoch ist hier eher die Verbindung aus Geste bzw. Laut und Wahrnehmung entscheidend, die vom Gegenüber instinktiv gedeutet wurden. Dadurch wurde ihr Verstand geschult und weiterentwickelt.
Die heutige Forschung sagt, dass die Tiere im Vergleich zur menschlichen Gattung nicht in der Lage sind, Gebärden und Laute mit einem Sinn zu verknüpfen, obwohl zum Beispiel die Primaten im biologischen Sprachorgan die selben Voraussetzungen zum Sprechen haben, wie wir Menschen. Verantwortlich hierfür ist das FOXP2-Gen, in den Massenmedien als Sprachgen bekannt, das ebenfalls bei vielen anderen Wirbeltieren vorzufinden ist, aber beim Menschen besonders ausgeprägt sei. Herder war dieses Gen natürlich nicht bekannt und er versucht die Genese der Sprache als besondere Fähigkeit des Menschen in Gott zu sehen. Diese Fähigkeit nannte er Besonnenheit. Die unbestimmten Sinne des Menschen seien fähig zu sondieren und zu sortieren, um sich auf die wesentlichen Eigenschaften eines Dinges zu beschränken, um es zu benennen. Der Mensch formt somit ein Kategoriensystem, um sich die Welt erschließen zu können. Herders Besonnenheit könnte mit unserem heutigen Wissen über das Sprachgen erklärt werden und braucht die unbestimmte Konstante Gott nicht mehr.
Die Fähigkeit zur Sprache der Gattung Mensch hat sich demzufolge aus genetischen Mutationen durch die natürliche Selektion herausgebildet, da dies scheinbar der beste Weg war sich unter den Lebewesen durchzusetzen, indem man sich kommunikativ abspricht und taktisch handelt. Das Gehirn bildete sich so mehr und mehr aus, um auch andere komplexe Sachverhalte zu verstehen. Die Vorstellung von der Zukunft sowie der Vergangenheit, der Willen zur Wissenserweiterung der Wirklichkeit mithilfe anderer Perspektiven, und die damit einhergehende Anerkennung anderer selbstbewusster Wesen wurden somit angeeignet und führten zu dem heutigen vernünftigen Menschen. Der Mensch ist entgegen Herder sehr wohl ein Produkt der Natur und hat sich ohne die Hilfe von Gott durch genetische Zufälle Sprache als Mittel zur Kommunikation mithilfe von Vereinbarungen entwickelt.
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1 Johann Gottfried Herder: Abhandlung über den Ursprung der Sprache, hg. V. Hans Dietrich Irmscher, Stuttgart Reclam 1986.
2 ARTE Dokumentation „So entstand unsere Sprache“, URL: http://www.veoh.com/watch/v18615595MpCk6ABG, Datum: 29.06.2014
3 Étienne Bonnot de Condillac: Versuch über den Ursprung der menschlichen Erkenntnis. Ein Werk, das alles, was den menschlichen Vertand betrifft, auf ein einziges Prinzip zurückführt, Hg. Angelika Oppenheimer, Paris 1746, S.173-177.
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