Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1. Das Leben Walthers von der Vogelweide und seine Sangspruchdichtung
2.2. Der Unmutston
2.2.1. Handschriftliche Überlieferung
2.3. L. 34,34 - Drei-Fürsten-Preis
2.3.1. Übersetzung
2.3.2. Formale Analyse
2.3.3. Inhaltliche Analyse
3. Zusammenfassung
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die frühesten Sangspruchdichter1 sind „Spervogel I (Herger) und Spervogel II",2 zu einer dem Minnesang gleichrangigen Gattung wurde der Sangspruch aber erst durch Walther von der Vogelweide.
Walther gilt als der „erste Berufsdichter"3 und wie es bei vielen mittelalterlichen Autoren der Fall ist, fehlt es auch hier an direkten biographischen Zeugnissen. Dies bietet Anlass für kontroverse Forschungsdiskussionen,4 da sich nur ein ungefährer äußerer Lebensumriss Walthers skizzieren lässt. Trotzdem gehören seine Lieder zu den bekanntesten Werken der mittelalterlichen Literatur, von denen heute noch eine besondere Faszination ausgeht.
Walther wird den meisten wegen seiner Minnelyrik ein Begriff sein, doch sind diese Gesänge nicht die einzige literarische Form, in der er sich ausdrückte und ebenso wenig war die Minne, das freundliche Gedenken, die Erinnerung und die Liebe5 das einzige Thema, mit welchem er sich beschäftigte. Denn anders als seine Zeitgenossen oder Vorgänger umfasst Walthers Werk alle drei lyrischen Genres der mittelhochdeutschen Literatur, „das Minnelied, den Sangspruch und das religiöse Lied (bzw. den Leich)",6 was ihn zu einem außerordentlich vielseitigen Lyriker7 macht. So sind von Walther insgesamt ca. 500 Strophen8 in über 110 Tönen bzw. 90 Minnelieder und 150 Sangsprüche überliefert, hinzukommt ein religiöser Leich.9
Daher ist sein Œuvre bis dahin nicht nur das „umfangreichste in der Literaturgeschichte, es ist auch das vielseitigste"10 und innovativste.
Walther schuf einerseits „ein Instrument großer Schlagkraft: den politischen Spruch"11 und andererseits erprobte er verschiedene Variationen von Sprüchen, „hat den Wechsel von einer in die andere Gattung gewagt, hat Lieder geschrieben, die voller Sangspruchthematik stecken und hat Sangsprüche geschrieben, denen man durchaus den Status eines Liedes zubilligen möchte."12 Zu den formalen Neuerungen gehört einerseits die Vieltonigkeit der verschiedenen Sprüche und andererseits das Einführen der Kanzone als Liedgattung, welche Walther aus dem Minnesang übernommen und zur verbindlichen Strophenform in der Sangspruchdichtung gemacht hat. Dadurch gelang es ihm, den Sangspruch zu einer „gleichwertigen (höfischen) Liedgattung neben dem Minnelied"13 zu entwickeln und ihm zu „eine[r] eigene[n] Dignität"14 zu verhelfen, da er es sogar schaffte, beide Gattungen zum Teil aneinander anzunähern.
Im Folgenden soll deshalb der Fokus auf Walthers Sangspruchdichtung liegen. Für ein besseres Verständnis wird zuerst ein Überblick über Walthers Leben gegeben, bevor im weiteren Verlauf der Arbeit der Unmutston und dessen Überlieferung genauer untersucht werden. Hauptthema der Arbeit stellt die Übersetzung und die formale sowie inhaltliche Analyse der Strophe L. 34,34 (Drei-Fürs- ten-Preis) dar. Abgeschlossen wird die Arbeit mit einem kurzen Resümee.
2. Hauptteil
2.1. Das Leben Walthers von der Vogelweide und seine Sangspruchdichtung.
„Als Spruchdichter hat sich Walther mit den geistigen Problemen seiner Zeit auseinander gesetzt"15 und wurde wohl um das Jahr 117016 geboren.
Zunächst sang Walther unter dem Einfluss Reinmars am Wiener Hof17 und lernte dort, laut einer Selbstaussage, singen unde sagen (Kunstklage II L.32,7). Erst nach dem Tod des Babenbergers Herzog Friedrichs I. im April 1198 verließ er, wie die ,Hofwechselstrophe‘ (L.19,29) dokumentiert, Wien18 und führte in der Folge dessen „das Leben eines fahrenden"19 Sängers. Zur „Sicherung der Erwerbsquelle"20 begab sich Walther in die nähere Umgebung des staufischen Thronkandidaten Philipp von Schwaben, welchen er zum einen zwar kritisierte, jedoch auch wirkungsvolle Propaganda für ihn beziehungsweise gegen den welfischen Kandidaten Otto machte.21 Zu dieser Zeit entstehen Sprüche wie der 1. und 2. Reichston (L.8,4ff), der Kronenspruch (L.18,29) die Magdeburger Weihnacht (L.19,5), sowie wenig später auch der 3. Reichston und die Strophen L.21,25 und L.25,11 aus dem Wiener Hofton.22
Im Jahr 1200 verfasste er anlässlich der Schwertleite Herzog Leopolds VI., des Nachfolgers Friedrichs I., ein Huldigungsgedicht. Walther scheint also, zumindest für kurze Zeit, nach Wien zurückgekehrt zu sein. Ein Hinweis darauf könnte sein Preislied (L.56,14ff) sein, das möglicherweise um diese Zeit entstanden ist23 und in dem er singt, dass er lande vil gesehen und weite Teile Europas bereist hat. Schon 1201 soll sich Walther nach einem neuen Gönner umgesehen haben, da er sich „mit scharfzüngigen Strophen von dem Staufer ab[wandte], als ihm Anerkennung und Lohn im erhofften Ausmaß versagt"24 blieben und fand diesen in dem Landgrafen Hermann I. von Thüringen.
1203 ist Walther anlässlich der Hochzeit des Herzogs Leopold VI. an dessen Hof in Wien zurückgekehrt, „ohne dort offenbar eine gesicherte Erwerbsquelle"25 gefunden zu haben. Am 12. November desselben Jahres hielt er sich nachweislich wieder dort auf, da in den sogenannten Reiserechnungen des Bischofs von Passau, dem späteren Patriarchen von Aquileja, Wolfgang von Erla, am 12. November 1203, dem Tag nach dem Martinstag, in einer Notiz folgendes vermerkt ist: Sequenti die apud Zei[zemurum] Walthero cantori de Vogelweide pro pellicio .v. sol. longos.26
Um das Jahr 1204 ist er „erneut in Thüringen (Atzesprüche), Ende des Jahrzehnts dann nochmal in Wien (Drei Wünsche L.84,1)".27 Es entstehen die Sprüche Verkehrtes Regiment (L.83,14) und Gute und schlechte Werte (L.83,27) aus dem Leopoldston sowie die Strophen an Philipp von Schaben (Philippschelte L.19,17; Alexandermahnung L.16,36 und Spießbratenspruch L.17,11).
Spätestens nach der Ermordung König Philipps im Jahr 120828 scheint sich Walther dem Welfen Otto IV.29 angeschlossen zu haben. Das bedeutendste dichterische Zeugnis der Verbindung mit Otto sind die drei ,Herr Kaiser'-Sprüche aus dem Ottenton anlässlich des Frankfurter Hoftages am 18. März 1212,30 bei welchem Walther möglicherweise im Gefolge des Marktgrafen Dietrich IV. von Meißen war,31 doch da auch dort seine Dienste nicht belohnt wurden, endete dieses Verhältnis bald. Im Jahr 1213 entstehen wahrscheinlich seine berühmten antiklerikalen Sprüche aus dem Unmutston, von denen drei direkt gegen Papst Innozenz III. und seine Kreuzzugspläne gerichtet sind (Innozenz und Gerbreht L.33,21; Erste Opferstockstrophe L.34,4 und Zweite Opferstockstrophe L.34,14). Ebenfalls zu dieser Zeit fand der Frontwechsel Walthers zu dem Staufer Friedrich II., welcher vor allem wegen seiner milte berühmt war und Walther gegen 122032 das lang ersehnte lêhen schenkte und wofür dieser sich ausgiebig bei Friedrich bedankte33 {Lehensdank L.28,31), statt.
„Bis an sein Ende [blieb] Walther nun ein Anhänger und Propagandist der Staufer",34 verließ aber deren Hof immer wieder für kürzere Zeitabschnitte. So sind Aufenthalte in Thüringen, im Jahr 12 14/1535 wieder Wien {Landgrafenpreis L.35,7 und Drei-Fürsten-Preis L.34,34) bekannt. Des Weiteren befand er sich am Hof Herzogs Bernhard II. von Kärnten {Erste und Zweite Kärnterstrophe L.32,17 und L.32,27) und „immer wieder in Wien".36
Im April 1220 war Walther auf dem Hoftag Friedrichs II. in Frankfurt37 {Fürstenrat L.29,15), welcher „Friedrichs Aufbruch nach Italien"38 einleitete. „Danach sind die Lebensstationen Walthers nicht mehr so recht deutlich".39 Er bewegte sich aber weiter im Umkreis der Fürsten, die Friedrichs II. Politik unterstützten. Zu diesen Fürsten gehörten unter anderem der Landgraf Hermann von Thüringen, der Graf von Katzenellenbogen und der Herzog Ludwig I. von Bayern40.
Das letzte datierbare Lied Walthers, die so genannte Elegie (L.124,1) muss vom Herbst 1227 stammen, da es einen Aufruf an die Ritterschaft, am Kreuzzug Friedrichs II. von 1228/1229 teilzunehmen, enthält. „Um 1230 dürfte Walther gestorben sein; zumindest finden sich nach 1228 keine datierbaren Texte mehr".41 Begraben wurde Walther allem Anschein nach im Kreuzgang des neuen Münsters von Würzburg.42
2.2. Der Unmutston:
In älteren Schiften ist dieser Ton noch unter dem Namen ,Zweiter Ottenton'43 bekannt, jedoch ist der direkte Bezug zu Kaiser Otto IV. in nur einer einzigen Strophe (L. 31,23) gegeben und in wenigen weiteren könnten seine Interessen vertreten sein. Vergleicht man aber die kirchenpolitischen Sprüche des Unmutstons mit denen des Ottentons, stellt man fest, dass im Gegensatz zum Ottenton von „einem expliziten Eintreten für die Belange des gebannten Kaisers"44 in den Sprüchen des Unmutstons nicht die Rede ist. Deshalb scheint die Annahme, dass die antiklerikalen Sprüche im Interesse Ottos IV. verfasst45 worden sind, als problematisch und so erhielt der Spruch später zu recht den von Konrad Burdach vorgeschlagenen Namen ,Unmutston'.46 Abgesehen vom 2. Philippston ist kein anderer Spruch so „überwiegend kritisch-polemisch ausgerichtet"47 wie der Unmutston.
Insgesamt sind 18 Strophen in diesem Ton (mhd. dôn) überliefert. Dabei ist mit Ton die Verknüpfung von „wort und wîse, von Text, Textmetrik und Musik".48 also die „Gesamtheit aller auf eine bestimmte Melodie gesungenen Strophen",49 „die sich in Verszahl, Hebungen und Kadenzen sowie im Reimschema gleichen",50 gemeint.
Betrachtet man die handschriftliche Überlieferung des Unmutstons, fällt auf, dass dieser Ton mit anderen Tönen und Strophen von leicht abweichendem Bau gemischt ist.
[...]
1 Der Terminus Sangspruch (Sangspruchdichter) stammt erstmalig von Karl Simrock (1833).
2 Brunner, Horst: Geschichte der deutschen Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Stuttgart: Reclam 2010. S. 239. (Im Folgenden: Brunner: 2010) Vgl. Scholz, Manfred Günter: Walther von der Vogelweide. 2. Auflage. Stuttgart und Weimar: J.B. Metzler (Sammlung Metzler 316) 2005. S. 41. (Im Folgenden: Scholz: 2005)
3 Bumke, Joachim: Ministerialität und Ritterdichtung. Umrisse der Forschung. München: Beck 1976. S. 68. (Im Folgenden: Bumke: 1976)
4 Vgl. Scholz: 2005. S. 1-6.
5 Vgl. Bein, Thomas: Walther von der Vogelweide. Stuttgart: Reclam 1997. S. 99. (Im Folgenden: Bein: 1997)
6 Scholz: 2005. S. 18.
7 Rothmann, Kurt: Kleine Geschichte der deutschen Literatur. Stuttgart: Reclam 2014. S. 24. (Im Folgenden: Rothmann: 2014) „Die Lyrik (von griech. lyrikos >zum Spiel der Leier gehörig<) ist neben Epik und Drama die subjektivste der drei Hauptgattungen in der Dichtung. Mit den Gestaltungsmitteln der gebundenen Rede (Rhythmus, Reim, Vers, Strophe, usw.) formt der Lyriker Erlebnisse, Gedanken, Gefühle und Leidenschaften in spruch- oder liedhaften Texten."
8 Vgl. Scholz, Manfred Günter: Der biderbe patrîarke missewende fri und dominus Waltherus - auch ein Versuch zum Begriff des fahrenden Spruchdichters. Tübingen: S. 301-323. Hier S. 319. In: Boshof, Egon: Wolfger von Erla. Bischof von Passau (1191-1204) und Patriarch von Aquileja (1204-1218) als Kirchenfürst und Literaturmäzen. Heidelberg: Winter 1994. Vgl. Bein: 1997. S. 69.
9 Vgl. Scholz: 2005. S. 18.
10 Ebd. S. 18.
11 Wapnewski, Peter: Walther von der Vogelweide. Gedichte. 4. Auflage. Frankfurt am Main: Fischer 1966. S. 290.
12 Bein: 1997. S. 16.
13 Ehrismann, Otfrid: Einführung in das Werk Walthers von der Vogelweide. Darmstadt: WGB (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 2008. S. 47. (Im Folgenden: Ehrismann: 2008) Vgl. Scholz: 2005. S. 38.
14 Scholz: 2005. S. 33.
15 Rothmann: 2014. S. 25.
16 Vgl. Scholz: 2005. S. 14. Vgl. Bein: 1997. S. 32.
17 Vgl. Rothmann: 2014. S. 24.
18 Vgl. Ehrismann: 2008. S. 40. Vgl. Schweikle, Günther: Walther von der Vogelweide. Werke. Band 1: Spruchlyrik. Stuttgart: Reclam 1994. S. 18. (Im Folgenden: Schweikle: 1994)
19 Brunner: 2010. S. 175.
20 Ehrismann: 2008. S. 40
21 Vgl. Brunner: 2010. S. 175
22 Vgl. Schweikle: 1994. S. 18.
23 Vgl. Schweikle, Günther: Walther von der Vogelweide. Werke. Band 2: Liedlyrik. Stuttgart: Reclam 1998. S. 603f. (Im Folgenden: Schweikle: 1998)
24 Schweikle: 1994. S. 18f.
25 Ehrismann: 2008. S. 41.
26 Vgl. Bein: 1997. S. 27. „Am folgenden Tag bei Zeiselmauer dem Sänger Walther von der Vogelweide für einen Pelzmantel fünf soldi longi [150 Silberpfennige]."
27 Vgl. Schweikle: 1994. S. 19.
28 Vgl. ebd. S. 19.
29 Otto IV. wurde 1209 von Papst Innozenz III. zum Kaiser gekrönt.
30 Vgl. Scholz: 2005. S. 14.
31 Vgl. Schweikle: 1994. S. 19.
32 Vgl. Scholz: 2005. S. 14.
33 Vgl. Brunner: 2010. S. 176.
34 Schweikle: 1994. S. 20.
35 Vgl. Ehrismann: 2008. S. 41.
36 Schweikle: 1994. S. 20.
37 Vgl. ebd. S. 380.
38 Ebd. S. 20.
39 Ebd. S. 20.
40 Vgl. Brunner: 2010. S. 175f.
41 Schweikle: 1994. S. 21. Vgl. Brunner: 2010. S. 176.
42 Vgl. Bein: 1997. S. 25. In den Sammelhandschriften des Michael de Leone (14. Jh.)finden sich „zwei fast identische Nachrichten vom Begräbnisort und vom Grabstein Walthers."
43 Vgl. Simrock, Karl: Walther von der Vogelweide. Bonn: Adolph Marcus 1870. S. 64ff. (Im Folgenden: Simrock: 1870)
44 Nix, Matthias: Untersuchungen zur Funktion der politischen Spruchdichtung Walthers von der Vogelweide. Göppingen: Kümmerle 1993. S. 184. (Im Folgenden: Nix: 1993)
45 Vgl. Burdach, Konrad: Walther von der Vogelweide. Philologische und historische Forschungen. Teil 1. Leipzig: Duncker & Humblot 1900. S. 66. (Im Folgenden: Burdach: 1900) Vgl. Schweikle: 1994. S. 402.
46 Vgl. Burdach: 1900. S. 74f. Vgl. Wilmanns, Wilhelm: Lieder und Sprüche Walthers von der Vogelweide mit erklärenden Anmerkungen. 4. Auflage (besorgt von Victor Michels). Band 2. Halle: Buchhandlung des Waisenhauses 1924. S. 131. (Im Folgenden: Wilmanns: 1924) Vgl. Schweikle: 1994. S. 401.
47 Ebd. S. 401.
48 Bein: 1997. S. 59.
49 Scholz: 2005. S. 20.
50 Bein: 1997. S. 59.
- Arbeit zitieren
- Angelina Mahl (Autor:in), 2015, Walther von der Vogelweide und der Unmutston. Drei-Fürsten-Preis L. 34,34, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/512835
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