Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Minnesang 2.1 Tagelied als Gattung des Minnesangs
3. Otto von Botenlauben: „Singet, vogel, singet“ mit Übersetzung ins Neuhochdeutsche 3.1 Formanalyse 3.2 Analyse des Inhalts, der Hauptfiguren und Zuordnung zur Gattung Tagelied von „Singet, vogel, singet“ 3.3 Vermittlung höfischer Werte als Interpretationsansatz in „Singet, vogel, singet“ in Hinblick auf die Kennzeichen der Liebesbeziehung im Minnesang
4 Fazit
Literatur- und Quellenverzeichnis
1. Einführung
Für die Liebeslyrik im Mittelalter, dem Minnesang, ist es typisch, dass Wertesysteme der höfischen Gesellschaft und ihre Konflikte dargestellt werden. Von Autor zu Autor werden bestimmte Aspekte davon hervorgehoben und beleuchtet.1 Normen der Liebenden und der Gesellschaft wurden dargestellt, miteinander verglichen oder gegeneinander aufgestellt. Werte der ‚höfischen Liebe‘ sind eines der zentralen Themen im Minnesang und durch ihre Vermittlung in damals vorgetragenen Liedern zu Hofe kann man auch oftmals auf die „innere Einstellung des Sprechers hinsichtlich bestimmter höfischer Werte“2 schließen.
In „Singet, vogel, singet“ von Otto von Botenlauben, einem typischen Tagelied, werden diese Werte deutlich und sollen innerhalb dieser Arbeit herausgearbeitet werden. In seinem Werk können Werte in dem Verhältnis zwischen Mann und Frau, aber auch dem Verhältnis von Liebenden und der Gesellschaft erkannt werden. Wie wird in einem Tagelied, das oftmals geheime Liebschaften bei Nacht und ihren schmerzlichen Abschied am Morgen thematisiert3, die Beziehung zwischen Mann und Frau gesehen, die Frau selbst, und Begriffe wie Treue und Dienst aufgegriffen, die zentral für den Minnesang waren? Lässt sich eventuell Aufschluss dazu finden, wie der Autor selbst die geheime Liebschaft in Tageliedern gesellschaftlich wertet?
Diese Fragen sollen in dieser Hausarbeit eine Antwort finden und Einsicht in ein Normsystem zu einer anderen Zeit geben. Mittelalterliche Werte sind zwar heutzutage mit einer negativen Konnotation behaftet, doch im Weiteren wird sich zeigen, dass gesellschaftliche Konventionen, damals wie heute, in der Liebe relevant, aber nicht ausschließlich sein müssen. Die Liebe findet ihren Platz, auch wenn die Gesellschaft es verbietet und die minne findet ebenso mit aktuellen Thematiken heutzutage einen Platz in der Lyrik.
2. Der Minnesang
Minnesang als wichtiger und populärer Teil der mittelhochdeutschen Literatur wird zeitlich von ca. 1150 n. Chr. bis zum beginnenden 14. Jahrhundert eingeordnet.4 ‚Minnesang‘ bedeutet wortwörtlich übersetzt ‚Das Singen über die Minne‘, also die Liebe.5 Während auch heutzutage Lieder über die Liebe allgegenwärtig sind, genauso wie ihre Interpreten, war auch die Figur des Minnesängers im Mittelalter kaum wegzudenken, so zumindest das heutige Mittelalterbild.6 In zahlreichen aktuellen Inszenierungen rund um das Mittelalter sind Minnesänger und das Singen von Liebes- und Tanzliedern zu sehen, da sie Unterhaltung, das zentrale Thema der Liebe und den höfischen Alltag (re)präsentieren sollen.
Zur wirklichen Zeit des Minnesangs waren dies durchaus auch die Funktionen des Minnesängers. Als höfische Liebeslyrik wurden die Lieder an den Höfen des Adels vorgetragen und beschäftigten sich natürlich mit dem Thema Liebe, aber wurden in Zusammenhang mit dem höfischen Lebensstil, den Verhältnissen zwischen Individuum und Gesellschaft und dem Verhältnis zwischen Mann und Frau gesehen.7 Das Singen über die Liebe und die unterschiedlichen Schwerpunkte, wie die eben genannten, variiert nicht nur hierdurch, auch wird von Autor zu Autor die minne unterschiedlich behandelt. Immer wieder aufs Neue wird der Minnesang als „Sprechen eines Ichs über sein Verhältnis zu einem Gegenüber anderen Geschlechts, über seine Empfindungen und seine Erfahrungen“8 variant realisiert. In diesen Themenfeldern wurden Normen der Liebenden und der Gesellschaft dargestellt, miteinander verglichen oder gegeneinander aufgestellt. Durch diese akzentuierte Wertedarstellung im Minnesang wurde ein „vielschichtiges Normensystem“9 etabliert und „die Verbindlichkeit des höfischen Wertesystems gestärkt“10. Dargestellt werden konnten diese Werte der ‚höfischen Liebe‘ als Monolog oder Dialog, um auf die „innere Einstellung des Sprechers hinsichtlich bestimmter höfischer Werte“11 zu schließen.12 Aufbauend zu den „‘inneren Kennzeichen‘, die den ‚höfischen Diskurs über die Liebe‘ bestimmen“13 nach Rüdiger Schnell, modifiziert Katharina Boll diese Klassifikation und stellt folgende Kennzeichen einer Liebesbeziehung im Minnesang vor:
1 Ausschließlichkeit vs. Promiskuität in einer Liebesbeziehung 2. staete vs. unstaete 3. triuwe vs. untriuwe 4. Selbstlose, gegenseitige Liebe vs. egoistische Liebe 5. Freiwilligkeit, Rücksichtnahme vs. Gewalt.14
Untolgenden auch die Liebesbeziehung der Figuren in „Singet, vogel, singet“ von Otto von Botenlauben analysiert werden. Staete meint die Standhaftigkeit der Liebe (eines Mannes), die auch eng mit der triuwe, also der Treue, verbunden ist. Die Treue zu
„einer unverrückbaren, bindenden Verpflichtung, die der Mann ohne Wanken auch dann aufrechterhalten wird, wenn die Dame seine Liebe nicht erwidert und ihn die Aussichtslosigkeit seines Werbens in Trauer, Leid, Wahn, Krankheit oder gar den Tod stürzt.“15.
Staete und triuwe sind zentrale Topoi des Minnesangs und werden in vielen Werken in direkter oder indirekter Form eingebracht. Sie geben mit am stärksten die Eckpfeiler des Wertesystems der mittelalterlichen Liebesbeziehungen an. Treue ist nicht nur von sittlicher oder moralischer Natur im Mittelalter, vielmehr ist sie ein Rechtszwang und eine Verpflichtung für beide ‚Vertragspartner‘, sei es in der Ehe oder in der Gefolgschaft. „Treu zu sein bedeutet, alles zu unterlassen, was dem anderen schaden könnte“16, so die Norm. Der Mann fühlt sich genauso seiner Frau verpflichtet in der Treue wie ein „Gefolgsmann seinem Herrn“17, wobei die höfische Gesinnung als Beweggrund dient.18 Wie hier deutlich wird, geht es zumeist um das Verhalten des Mannes in der Liebesbeziehung, inwieweit er sich aufopfert oder seine Verpflichtungen gegenüber seiner Dame erfüllt. Tatsächlich entspricht das Verhältnis zwischen Mann und Frau vielmehr einem Dienstverhältnis in der Liebe.19 Wird die Frau in der Lyrik als vrouwe, also als Herrin, bezeichnet oder angesprochen, zeigt dies ein Dienstverhältnis zwischen dem Sänger-Ich und der Herrin auf.20 Doch wie bereits bei den Begrifflichkeiten der Treue und Standhaftigkeit zeigt dies eine positive Konnotation an, in der sich der Mann aufopfert für die Dame. Auch im historischen Kontext der Kreuzzüge wurde der Dienst an sich als ehrenvoll gesehen und steigerte das Ansehen.21 Die Bedingungslosigkeit des Dienstes ist mit der Bedingungslosigkeit der Liebe gleichzusetzen.
2.1 Tagelied als Gattung des Minnesangs
Das Tagelied als Gattung innerhalb des Minnesangs definiert sich inhaltlich. Während in der Minneklage, eine weitere Gattung des Minnesangs, die unerfüllte Liebe thematisiert wird, kommt es im Tagelied zwar zu der erwiderten, jedoch auch zu einer geheimen Liebe.22 Daher spielen sich die Beziehung und zumeist auch eine sexuelle Begegnung der beiden Liebenden in der Nacht ab und das Tagelied beginnt bei dem Einläuten des nächsten Tages. Da die Beziehung des Paares von der Gesellschaft nicht anerkannt wird, sind sie gezwungen, ihre Liebschaft geheim zu halten und beenden ihre nächtliche Begegnung oftmals mit einem schmerzvollen Abschied, der angekündigt wird durch das Singen eines Wächters oder das Singen der Vögel.23 Wichtige Begriffe im Tagelied sind deshalb der Morgen, das Singen und der Vogelsang, sowie der Wächter. Der Morgen läutet nicht nur den Tag ein, er steht im Tagelied auch für den Abschied.24 Das Singen an sich ist bereits die Darstellungsform der Minne im Mittelalter, der Vogelgesang läutet im Minnesang den Frühling ein, der den Sänger entweder positiv stimmt oder negative Gefühle in ihm weckt. Ein Hochgefühl kann aufkommen, wenn der Vogelgesang und der Frühling mit Vorfreude auf ein erwartendes Liebesereignis steht, aber auch ein negatives Gefühl, wenn dem Sänger bewusst wird, dass ihm kein ‚Frühlingsgefühl‘ vergönnt ist und seine Liebe unerwidert bleibt.25 Im Tagelied kann der Vogelsang aber eher in Verbindung mit dem Abschied und dem verwehrten Liebesgefühl zur Tageszeit gebracht werden.
3. Otto von Botenlauben: „Singet, vogel, singet“ mit Übersetzung ins Neuhochdeutsche
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten26
3.1 Formanalyse
Typisch für den Minnesang ist die Kanzonenform, die auch hier zu finden ist. Eine Kanzone ist dreiteilig, wobei die ersten beiden Teile in Verszahl, Hebungen, Reimstellung und womöglich Melodie übereinstimmen. Diese beiden Teile werden Stollen genannt und bilden den Aufgesang, während der letzte Teil den Abgesang bildet und sich in der metrischen Form von den vorherigen Teilen unterscheidet.27 „Singet, vogel, singet“ von Otto v. Botenlauben ist ebenso dreiteilig, betrachtet man die drei Strophen á sieben Verse. In der ersten Strophe lässt sich zunächst ein Kreuzreim abab (sanc, lîp, wanc, wîp)28 mit einem abschließenden Haufenreim ccc (bewegen, pflegen, gelegen)29 erkennen. Somit bildet der Kreuzreim die beiden Stollen und der Haufenreim den Abgesang. Die zweite Strophe folgt diesem Reimschema und beginnt mit einem Kreuzreim adad (morgensanc, sol, twanc, wol)30 und endet mit einem Haufenreim eee (gît, zît, lît)31, auch hier ist der Kreuzreim der Aufgesang und der Haufenreim der Abgesang. Die letzte Strophe folgt dem gleichermaßen, es ist ein Kreuzreim fgfg (was, tage, palas, klage)32 als Aufgesang und ein Haufenreim hhh (verdaget, taget, jaget)33 als Abgesang vorhanden.
Die Stollen bestehen jeweils aus einem zweihebigen ersten Vers mit weiblicher Kadenz und einem zweiten vierhebigen mit männlichem Versschluss und sind durch den Kreuzreim miteinander verbunden. Der Abgesang besteht aus einer sieben- bis sechshebigen Zeile, die männliche Kadenzen und ein anderes Reimschema, den Haufenreim, aufweisen. Somit ist die Dreiteilung in Stollen und Abgesang klar erkennbar und die Unterscheidung zwischen Stollen und Abgesang in Verszahl, Hebungen und Reimschema ersichtlich.
In der Kanzone sind zum einen eine hohe Anzahl an Zäsuren zu erkennen (Strophe 1: Z.1, 3, 4, 6; Strophe 2: 2, 3, 6, 7; Strophe 3: Z. 1, 2, 4, 5, 6, 7), die durch Kommata oder Kola entstehen. Zudem sind in nahezu jeder Strophe Enjambements vorhanden (Ausnahme: Strophe 1, Z. 1-3; Strophe 2, Z. 6-7; Strophe 3, Z. 7).
[...]
1 Vgl.: Boll, Katharina: Alsô redete ein vrowe schoene – Untersuchungen zu Konstitution und Funktion der Frauenrede im Minnesang des 12. Jahrhunderts. Würzburg: Könighausen & Neumann GmbH 2007. S. 80f..
2 Ebenda. S. 81.
3 [3] Vgl.: Herchert, Gaby: Einführung in den Minnesang. Darmstadt: WGB 2010. S. 57.
4 Vgl.: Herchert, Gaby: Einführung in den Minnesang. Darmstadt: WGB 2010. S. 9.
5 Vgl.: Boll, Katharina: Alsô redete ein vrowe schoene – Untersuchungen zu Konstitution und Funktion der Frauenrede im Minnesang des 12. Jahrhunderts. Würzburg: Könighausen & Neumann GmbH 2007. S. 77.
6 Vgl.: Herchert, Gaby: Einführung in den Minnesang. Darmstadt: WGB 2010. S. 9.
7 Vgl.: Ebenda.
8 Brunner, Horst: Geschichte der deutschen Literatur des Mittelalters im Überblick. Stuttgart: Reclam 1997. S 109.
9 Boll, Katharina: Alsô redete ein vrowe schoene – Untersuchungen zu Konstitution und Funktion der Frauenrede im Minnesang des 12. Jahrhunderts. Würzburg: Könighausen & Neumann GmbH 2007. S. 80.
10 Ebenda.
11 Ebenda. S. 81.
12 Vgl.: Ebenda.
13 Ebenda.
14 Ebenda. S. 82.
15 Herchert, Gaby: Einführung in den Minnesang. Darmstadt: WGB 2010. S. 13.
16 Ebenda.
17 Ebenda.
18 Vgl.: Ebenda.
19 Vgl.: Ebenda. S. 41
20 Vgl.: Ebenda.
21 Vgl.: Ebenda.
22 Vgl.: Ebenda. S. 57.
23 Vgl.: Ebenda.
24 Vgl.: Ebenda. S. 12.
25 Vgl.: Ebenda. S.13.
26 Backes, Martina: Tagelieder des deutschen Mittelalters – Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch. Leipzig: Reclam 1992. S. 114f..
27 Ebenda. S.14.
28 Backes, Martina: Tagelieder des deutschen Mittelalters – Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch. Leipzig: Reclam 1992. S. 114f..
29 Ebenda.
30 Ebenda.
31 Ebenda.
32 Ebenda.
33 Ebenda.