Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Diegese
3 Relevanz des Sportes
4 Fazit
5 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Unter dem Titel „Mehlreisende Frieda Geier“ 1931 erstmals veröffentlicht, wurde Marieluise Fleißers – teilweise autobiografischer – Roman während der Zeit des Nationalsozialismus auf die „Liste des schändlichen und unerwünschten Schrifttums“ gesetzt und verboten. Resultierend aus ihren Erfahrungen in dieser Zeit, erschien 1972 „Eine Zierde für den Verein“, die überarbeitete Fassung der „Mehlreisenden Frieda Geier“.1 Dieser Roman ist so viel mehr, als ein im Untertitel beschriebener „Roman vom Rauchen, Sporteln, Lieben und Verkaufen“, denn die erzählte Welt der Endzwanziger Jahre ist durch ein patriarchalisches System scheinbar unüberwindbarer Rollenvorstellungen und brodelndem Antisemitismus geprägt. In diesem System muss sich Frieda Geier, erwerbstätige, selbstständige Frau, als eben diese gegen einen Mann profilieren, der Sport als ein Ventil seiner Aggressionen nutzt und versucht, sie in ihre gesellschaftlich vorgeschriebene Rolle der Ehefrau zu drängen.
Der Text ist durch Fleißers Distanz sowie die realistischen, schlicht formulierten Beobachtungen der Gesellschaft einer Stadt vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten gekennzeichnet. Sie greift das neu aufkommende Bild der Frau, ein zentrales Thema der literarischen Neuen Sachlichkeit auf und kann dieser Strömung zugeordnet werden.
Im Folgenden wird die Beschreibung der Diegese mit Hilfe von Analysekriterien der Erzähltheorie im Vordergrund stehen und es wird auf die Relevanz des Sportes innerhalb dieser Welt, anhand von Beispielen, näher eingegangen.
2 Diegese
Gerard Genette übertrug 1972 den aus der Filmtheorie bekannten Begriff der Diegese auf die Erzähltheorie und definierte ihn als das „raumzeitliche Universum der Erzählung“2, einfacher ausgedrückt, als die erzählte Welt. Die Handlung, die als „Gesamtheit der handlungsfunktionalen Elemente des Erzählens“3 verstanden werden kann, ist Teil der Diegese, soll hier jedoch nicht behandelt werden.
Fleißer entwirft eine fiktionale Welt. Frieda und Linchen, die als „Frieda Geier zwölf Jahre zuvor“ beschrieben wird, sind autobiografische Figuren ihrer Selbst; Josef Haidl, Fleißers Ehemann seit 1935, gilt als Vorbild für Gustl, denn er war ebenfalls Sportschwimmer und Tabakwarenhändler.4
Die Motivation des Geschehens ist bei Fleißer unausgesprochen und wird „nur bei unerwarteten und deshalb erklärungsbedürftigen Wendungen des Geschehens thematisiert“5, wie zum Beispiel, dass Frieda immer wieder in suizidaler Absicht den Plan besucht, durch Gustl davon abgehalten wird, sie miteinander ausgehen und eine Affäre beginnen.6
Die schlichte, detaillierte Beschreibung der fiktiven Welt durch Fleißer trägt dazu bei, dass „im Akt der Lektüre die Totalität einer erzählten Welt“7 vom Leser8 konstruiert wird. Die fiktive wird mit der realen Welt verknüpft, indem eine Reihe von Straßennamen wie „Am Bachl, Am Lohgraben und Am Pulverl“9 aufgezählt werden, die sich in Ingolstadt in den Zwanziger Jahren und danach wiederfinden lassen. Die Stadt wird äußerst detailliert beschrieben, was einem Bericht ähnelt: „Die Altstadt hat neun Kirchen, ein Männer- und zwei Frauenklöster. Sie hat vier Hauptstraßen, die genau im Zentrum dein Kreuz bilden.“10 Weiterhin werden das dortige Klientel sowie historisch verifizierbare Tatsachen beschreiben. So schreibt Fleißer: „Leute, die durch die Inflation ihr in besseren Zeiten angespartes Vermögen verloren, haben ihre Kinder unter persönlichen Opfern etwas lernen lassen. […] Sie […] (finden) in der Heimat keine Beschäftigung […], weil dort keine Industrie ist, im Reich nur schwer Beschäftigung […], weil es zu viele Arbeitslose gibt.“11 Dies resultierte aus der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg sowie der Hyperinflation der Weimarer Republik von 1923. Die Nachwirkungen des Ersten Weltkrieges werden auch in der erzählten Welt thematisiert: „ Die Stadt kann nicht leben und nicht sterben, seit ihr durch den Versailler Vertrag das Militär genommen wurde“12. Fleißer ließ hier Wissen und Erfahrungen ihrer Heimatstadt Ingolstadt einfließen. „In bezug auf die fundamentalen Modelkategorien des Notwendigen und des Möglichen“13 wird somit ein reales Bild der Zeit konstruiert, die erzählte Welt ist demnach homogen und möglich.
Weiterhin weist diese Welt stilistische Komplexität auf, die nun im Folgenden erläutert werden soll. Es kann sowohl von einer uniregionalen, als auch von einer pluriregionalen Welt gesprochen werden, da sich die Figuren zwar in einer Welt mit gleichen Wertvorstellungen und Gesetzen befinden, Frieda jedoch, trotz aller Widrigkeiten, ein anderes Wertesystem anstrebt. Sie steht für Unabhängigkeit vom Mann („Anstatt durch freiwilligen Gehorsam die Macht des Mannes zu stärken, untergräbt sie den Mann“14 ), Emanzipation („Was nützt der Frau aller Fortschritt, wenn sie dann doch in die patriarchalischen Methoden der Lebensgemeinschaft hineingestoßen wird, die eine rückläufige Bewegung bei ihr erzwingt.“15 ) und Erwerbstätigkeit der Frau („Sie muß ja für sich und Linchen den Lebensunterhalt verdienen.“16, „Aber hier ist Frieda, die jahrelang Männerarbeit gemacht hat.“17 ), was durchaus als gegenteiliges Weltsystem zum Patriarchat angesehen werden kann.
Die Welt, in der sich die Figuren befinden, ist stabil, da es Frieda nicht gelingt, ihr Wertesystem durchzusetzen und letztendlich die von männlicher Dominanz und Regelhaftigkeit besetzte Welt die Oberhand behält („Vier kaum ausgewachsene Mannsbilder haben eine Frauensperson gegen die Ziegelmauer getrieben. Jetzt riegeln sie auf zehn Schritt den Umkreis ab und rücken drohend auf sie ein.“ 18 ) und sich die Kriterien der Möglichkeit und Notwendigkeit nicht ändern.
Ereignisse und Sachverhalte werden vorwiegend explizit thematisiert. Es wird beispielsweise sehr genau die Bestrafung Scharrers beschrieben: „Gustl nimmt den Verbrecher in schweigende Umarmung, er zieht ihn nach hinten. Gustl hat keine Waffen, aber ein Paar Schenkel wie Schrauben, ein paar Arme wie beidseitige Hämmer, ein paar Fäuste wie zupackende Zangen.“19 Wenn es zu sexuellen Handlungen kommt, wird jedoch implizit thematisierend dargestellt und nicht explizit beschrieben, trotz sonst so nüchterner Beobachtung und detaillierter Schilderung, wie zum Beispiel: „Linchen sah noch weit weg, sah die Silhouetten gegen die Laterne und hatte noch die Stimme im Ohr. Nur kurz schluchzte das Fräulein auf, dann immer er“.20 Im thematischen Vordergrund steht die Handlung um Gustls und Friedas gemeinsames Leben, Gustls Sport und Tabakwarenladen sowie Friedas selbstständiges Leben außerhalb Gustls Einflussbereich.
Die Figuren der erzählten Welt stehen stellvertretend für eine bestimmte Weltsicht. So repräsentiert Gustl die Männerwelt mit dem vorhandenen Welt- und Wertesystem („Weib ist Weib. Er umrankt es mit Zärtlichkeit, ist so sinnlich gewährend, hält aber am Buchstaben fest.“21 ). Frieda dagegen steht für das neue Bild der Frau; sie strebt an, aus dem bestehenden patriarchalischen System auszubrechen („Frieda Geier hat ihn verlassen.“22 ).
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1 Vgl. Fleißer, Marieluise: Eine Zierde für den Verein. Roman vom Rauchen, Sporteln, Lieben und Verkaufen. 13. Aufl. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2016.
2 Die Erzählung. Hrsg. von Jochen Vogt. 3. Aufl. Paderborn: Wilhelm Fink 2010 (=UTB 8083). S.289.
3 Martinez, Matias/Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie. 8. Aufl. München: C.H. Beck oHG 2009. S. 25.
4 Vgl. Fleißer, M: Eine Zierde für den Verein.
5 Martinez, M./Scheffel, M: Erzähltheorie. S. 123.
6 Vgl. Fleißer, M: Eine Zierde für den Verein. SS. 28-30.
7 Ebd. S. 124.
8 Nachfolgend wird, um den Lesefluss nicht zu stören, nur die männliche Form genannt, jedoch die weibliche Form stets mitgemeint.
9 Fleißer, M: Eine Zierde für den Verein. S.106.
10 Ebd.
11 Ebd. S.108.
12 Ebd. S. 109.
13 Martinez, M./Scheffel, M: Erzähltheorie. S.126.
14 Fleißer, M: Eine Zierde für den Verein. S. 127.
15 Ebd. S. 126.
16 Ebd. S. 125.
17 Ebd. S. 115.
18 Ebd. SS. 177/178.
19 Ebd. S. 169.
20 Ebd. S.164.
21 Ebd. S. 127.
22 Ebd. S. 144.