Zum Thema der Gastfreundschaft in Sophokles 'Ödipus auf Kolonos'


Hausarbeit, 2005

14 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I Einleitung

II Analyse

III Bibliographie

I Einleitung

„Doch, Kind, wenn einen Rastplatz du erblickst

an ungeweihtem oder gottgeweihtem Ort,

gebiet mir Halt und laß mich ruhn, daß wir erfahrn,

wo wir denn sind; als Fremde nämlich müssen wir

die Bürger fragen und vollziehn, was wir gehört.“

In diesem Vers, in dem am Anfang von „Ödipus auf Kolonos“ (OC)[1], der alte, blinde Ödipus seiner Tochter Antigone zuredet, ist eine ganze Reihe von Bedeutungen enthalten, welche die Institution der Gastfreundschaft und ihre verschiedenen Ebenen erleuchten können. „Ödipus auf Kolonos“ ist die Fortsetzung des bekannten Sophokleschen Drama „König Ödipus“ (Oidipus Tyrannos, OT), der Geschichte eines antiken Helden, der einen anderen Mann umbringt und eine Frau heiratet, ohne zu wissen, dass der Mann sein Vater war, und die Frau seine Mutter ist.

Am Ende von OT, wird Ödipus, wie die alten thebanischen Gesetze des Verwandtenmordes vorschreiben, zur Verbannung verurteilt. Das zweite Drama, geschrieben ungefähr zwanzig Jahre später,[2] beginnt ab dem Moment, wo, nach jahrelangem restlosen Umherirren, der alte Held und seine Begleiterin Antigona zum heiligen Hain der Eumeniden in Kolonos bei Athen gelangen, dem Platz, welches das Orakel als die Sterbenstätte des Ödipus vorausbestimmt hat. Der theoretisch einfache Akt der körperlichen Verabschiedung des müden Ödipus wird durch äußere Umstände erschwert und verlängert. Die Tochter Ismene bringt ihm sowohl die Nachricht eines neuen Orakel, als auch über die schwere Situation in der Stadt Theben, wo er einst König war.

Eteokles und Polyneikes, Ödipus‘ Söhne, führen bereits Krieg über die Herrschaft in der Stadt; das neue Orakel besagt, dass derjenige, der im Besitz von Ödipus lebendigem Körper oder Leiche ist, den Krieg gewinnen wird. So schicken sich die Söhne an, den vergessenen Vater nach Theben zu holen. Ihnen kommt jedoch Kreon, Bruder der Iokasta, Ödipus Mutter und Frau, Onkel und Schwiegerbruder des Ödipus, zuvor und versucht, den Ödipus zur Rückkehr zu zwingen.

Das Handeln der Personen im Drama, unabhängig davon, ob es Gutes oder nicht mit sich bringt, wird von menschlichen und göttlichen Gesetzen beeinflußt. Die Helden können nicht inkonsequent und willkürlich entscheiden, was ihr nächster Schritt sein wird. Die göttliche Verhaltensregeln berauben sie der absoluten Freiheit, garantieren jedoch in groben Zügen dem Moralischen und Gottesfürchtigen den Sieg. Eine der Besonderheiten in der Handlung ist, dass die Kodexe des Verhaltens durch die Regeln der Gastfreundschaft stark hervorgehoben sind. Durch die Analyse dieses letzten überlieferten Dramas von Sophokles können wir uns dem Verständnis der Hospitalität in ihrer geschichtlichen und ethischen Bedeutung annähern.

II Analyse

Vor allem die Forschung von Benveniste stellt sich bei der Untersuchung der etymologischen Ebene der Gastfreundschaft (Hospitalität) als erleuchtend dar. Der lateinische Ursprung des Wortes lautet h o s t i – p e t. „Ursprünglich bedeutet der Begriff hostis Gleichheit durch Ausgleich: hostis ist derjenige, der meine Gabe durch eine Gegengabe ausgleicht... Hostis war also einmal... die Bedeutung für den Gast.“[3]

Neben dieser ursprünglichen Bedeutung wird der Begriff hostis im laufe der Zeit sowohl einen Gast, als auch einen Feind kennzeichnen. Dies steht in einer engen Verbindung mit dem griechischen Nomen xenos. Xenos trägt in sich eine semantische Dualität, die gleichzeitig Gast, als auch Fremder bedeutet. Die Einführung eines Fremden zwischen einen Gast und einen Feind lässt uns bei der Bedeutungsanalyse die Schlußfolgerung ziehen, dass das Kennzeichnen eines unbekannten Besuchers davon abhängig war, inwieweit der Besucher durch sein Verhalten sich als gut- oder bösgesinnt erkennen lies.

Um dies besser zu verstehen, widmen wir uns noch einmal dem Begriff xenos nach Benveniste. Xenos bezeichnet, neben einem Fremden und einem Gastgeber, auch „gleichartige Beziehungen zwischen Menschen, die durch eine Abmachung gebunden sind, die mit präzisen, sich auf die Nachfahren erstreckenden Verpflichtungen einhergeht.“[4] Die Verpflichtungen, die das Verhältnis zwischen Gast und Gastgeber ausmachen, formen eine Art von Pakt oder Vertrag, der sich aufgrund von Tausch und Handeln vollzieht. Die Vertraglichkeit der Beziehung wird auch xenia genannt, sie ist die Voraussetzung einer freundschaftlichen Kommunikation nicht nur zwischen Individuen, sondern auch Familien, ethnischen Gruppen und Stadtstaaten.

Es fällt nicht schwer nachzuvollziehen, dass der Grund einer solchen Entgegenkommens auch wirtschaftlicher Natur war. Die Verhaltensregeln gaben den in xenia Teilnehmenden eine Art Garantie, dass ihr soziales und ökonomisches Entgegenkommen auf Verständnis und Gegengabe stoßen wird. Interessant ist die Tatsache, dass zusammen mit der Handelsebene, auch die Religiosität einen der Gründe dafür ausmachte, die Normen der Gastfreundschaft zu respektieren. Man konnte auch eine Art geistiger xenia mit seinem Gott aufbauen und pflegen.

Der christlichen Kultur bekanntestes Beispiel sind die Heiligen Schriften der Bibel. In dem Evangelium des Matthäus, ‚Die Rede vom Jüngsten Gericht‘, spricht des Menschen Sohn unter anderen folgende Wörter zu dem vor ihm gesammelten Volk: „Ich bin Gast gewesen, und ihr habt mich beherbergt.“ Und weiter: „Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“[5] Die Verheißung der Gnade bekommt ihre klare Bedeutung, wenn man es mit dem Fluch vergleicht, den Jesus über all diejenigen fallen lässt, die ihn nicht beherbergt haben, und deswegen in der Hölle brennen dürfen.

Das andere bekannte Beispiel erzählt von der Gastfreundschaft Abrahams[6] und Lots, die ihnen unbekannte Gäste willkommen hießen. Im Falle von Lot wurden sie auch von der wilden Menge beschützt, damit sich am Ende offenbaren konnte, dass die Gäste keine anderen als Gott selbst und seine Engel waren. Für einen Frommen bedeutete der Besuch Gottes gleichzeitig die höchste Gnade und das teuerste Geschenk.

Verallgemeinert man das Ritual der Theoxenie auf den Bereich der alltäglichen Frömmigkeit, kann man jede wohlwollende Heimsuchung eines Gastes als eine Gabe Gottes verstehen. Dies lässt sich weiter mit der Erklärung des –pet Teils von Kompositum h o s t i – p e t verbinden. Benveniste behauptet, dass die Wörter – pet, pot - und potis anfänglich für die persönliche Identität standen; weiterhin verbindet man – pet mit ipsissimus, was bei Plautus „Herr“ heisst. Dem nahe verwandt ist das Nomen Ipseität, was soviel wie Selbstheit oder Souveränität bedeutet. Hier ist eine Bemerkung von Benveniste wichtig: „Damit sich ein Adjektiv mit der Bedeutung „selbst“ bis zur Bedeutung „Herr“ ausweitet, muß eine Voraussetzung gegeben sein: ein geschlossener Personenkreis, der einer zentralen Person untersteht, die die Persönlichkeit und die gesamte Identität der Gruppe so sehr in sich vereint...“[7] Insofern kann man die Bezeichnung Herr sowohl mit dem Herrn als Gott verbinden, als auch mit dem Herrn als einem pater familias. Der, der die Selbstheit besitzt, herrscht zunächst über sich selbst und wird dadurch besser in der Lage, sich gegen die anderen zu behaupten. Und weiter: ein Souverän besitzt vor allem die Entscheidungsfreiheit, die wiederum mit der Macht verbunden ist. Die Macht eines Gastgebers äußert sich in seinem Willen, wen er als Gast und wen als Feind bezeichnen möchte. Dementsprechend kann Gott - der Gastgeber der Menschheit auf der Erde sein, der erste und mächtigste Dominus, der „der in hohem Grad den Familienverband personifiziert.“[8]

[...]


[1] Sophokles, Ödipus auf Kolonos, (1996) Reclam, Stuttgart. Vers 9-13. Dieses Werk wird im weiteren Text als OC bezeichnet, im Unterschied zum Oidipus Tyrannos, OT.

[2] OT wurde zwischen 429 und 425 zum ersten mal aufgeführt, OC im Jahr 401, posthum.

[3] Benveniste, E. (1993). Indoeuropäische Institutionen: Wortschatz, Geschichte, Funktionen. Frankfurt/Main – New York. Bd. 1, S.71.

[4] Ebenda.

[5] NT, Matthäus 25, 31-46.

[6] AT, Das erste Buch Mose, 18, 1-15 und 19, 1-11.

[7] Benveniste, E. (1993). Indoeuropäische Institutionen: Wortschatz, Geschichte, Funktionen. Frankfurt/Main – New York. Bd. 1, S.71.

[8] Ebenda.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Zum Thema der Gastfreundschaft in Sophokles 'Ödipus auf Kolonos'
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Peter Szondi Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft)
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
14
Katalognummer
V51371
ISBN (eBook)
9783638473682
ISBN (Buch)
9783638791793
Dateigröße
530 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Thema, Gastfreundschaft, Sophokles, Kolonos
Arbeit zitieren
Vukan Mihailovic de Deo (Autor:in), 2005, Zum Thema der Gastfreundschaft in Sophokles 'Ödipus auf Kolonos', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/51371

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