Wie trägt die Darstellung von Geschlecht in den Printmedien zur sozialen Konstruktion von Geschlecht bei? Die printmediale Berichterstattung über Caster Semenya


Bachelorarbeit, 2019

58 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1. 2 Vorgehen und Ziel der Untersuchung
1. 3 Forschungsstand

2. Geschlecht
2.1 Biologisches Geschlecht
2.2 Psychosoziales Geschlecht

3. Soziale Konstruktion von Geschlecht
3.1 Soziale Konstruktion von Geschlecht in den Medien

4. Der Fall Caster Semenya
4.1 Exkurs: Intersexualität

5. Methode
5.1 Fragestellungen
5.2 Qualitative Inhaltsanalyse als Methode
5.2.1 Strukturierte Inhaltsanalyse nach Mayring
5.3 Durchführung
5.3.1 Bestimmung Ausgangsmaterial
5.4 Kategoriensystem

6. Analyseergebnisse
6.1 Süddeutsche Zeitung 2009
6.2 Frankfurter Allgemeine Zeitung 2009
6.3 Süddeutsche Zeitung 2019
6.4 Frankfurter Allgemeine Zeitung 2019

7. Ergebnisse
7.1 Forschungsfrage 1: Wie wird das Geschlecht in der printmedialen Berichterstattung 2009 und 2019 dargestellt?
7.2 Forschungsfrage 2: Hat sich die Darstellung über das Geschlecht in den zehn Jahren entscheidend verändert?

8. Zusammenfassung und Fazit

8.Literaturverzeichnis

9. Anhang

1. Einleitung

Die Zuschauer im Berliner Olympiastadion staunten nicht schlecht, als die damals 18-jährige, bislang weitgehend unbekannte südafrikanische Läuferin Caster Semenya bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft im Jahr 2009 in Berlin im 800-Meter-Lauf die Goldmedaille gewann. Der Grund hierfür war Semenyas Erscheinungsbild, welches im Hinblick auf ihren Körperbau, ihre Stimme, ihr Verhalten, ihre Kleidung und insbesondere auch auf ihre sportlichen Leistung nicht mit dem gewöhnlichen Bild und den Erwartungen übereinzustimmen schienen, die an eine Person weiblichen Geschlechts üblicherweise gestellt werden (vgl. Montañola & Olivesi, 2016, S.1). Die Medien nahmen dies damals zum Anlass, das Geschlecht Semenyas öffentlich in Frage zu stellen und entfachten so eine Diskussion über den Umgang mit Intersexualität in dem bislang binären Geschlechtersystem des Hochleistungssports. Die Medien stellten in ihrer Mehrheit damals die Frage, ob Semenya dem männlichen oder weiblichen Geschlecht angehört (vgl. Montañola & Olivesi, 2016, S.1). Artikelüberschriften wie „Mann oder Frau?“ und „Ist die Siegerin auch eine Frau?“ stehen dabei sinnbildlich für den medialen Diskurs über die geschlechtliche Identität der Spitzensportlerin. Stellvertretend für ähnliche Artikel in den Printmedien wird auszugsweise aus einem Artikel von Mölter in der Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 21. August 2009 zitiert:

„Aus der Ferne betrachtet wirkt Caster Semenyas Laufstil wie der eines jungen Mannes, ihre äußere Erscheinung verstärkt diesen Eindruck. Ihr 1,70 Meter großer Körper ähnelt eher dem eines Jungen, kurze Haare und eine tiefe Stimme tun das Übrige“ (Mölter, 2009).

Der Fall beschäftigt seitdem die Sportwelt und hat somit zu einer Reihe von Teilnahmeregelungen für Mittelstreckenläuferinnen geführt.

Die Thematik erhielt erst kürzlich neue Beachtung, als sich der Internationale Sportgerichtshof (Tribunal Arbitral du Sport (TAS) / Court of Arbitration for Sport (CAS)) zugunsten des Weltleichtathletikverbandes (International Association of Athletics Federations – IAAF) für ein Testosteronlimit für Mittelstreckenläuferinnen ausgesprochen hat.

1.2 Vorgehen und Ziel der Untersuchung

Im ersten Teil soll zunächst ein theoretischer Rahmen für das weitere Vorgehen der Arbeit geschaffen werden, indem der Frage nachgegangen wird, was die Mehrheit unserer Gesellschaft unter dem Begriff des Geschlechtes versteht und inwiefern dieser differenziert werden kann. Hierbei soll zunächst auf Ansätze der Frauen- und Geschlechterforschung eingegangen werden, die auf der Unterscheidung zwischen biologischem und psychosozialem Geschlecht basieren (vgl. Wetterer, 2004, S.122). Diese sollen im Anschluss um ein konstruktivistisches Verständnis von Geschlecht, entlang des Konzeptes der sozialen Konstruktion erweitert und im Folgenden - angesichts der zentralen Bedeutung von Massenmedien - beleuchtet werden. Im zweiten Teil soll der Diskurs über den Fall von Caster Semenya in groben Zügen skizziert werden, um so wichtige Ereignisse chronologisch einordnen zu können. An dieser Stelle soll der Begriff der Intersexualität in einem Exkurs kurz erläutert werden. Auf dieser Grundlage wird im Anschluss der Fokus auf die printmediale Berichterstattung und die Darstellung über das Geschlecht von Caster Semenya gerichtet. Vertiefend wird der Frage nachgegangen, wie das Geschlecht von Caster Semenya in den Jahren 2009 und 2019 printmedial dargestellt wurde und ob sich die Darstellung in diesen zehn Jahren verändert hat. Diese Fragestellungen sollen stets vor dem Hintergrund der sozialen Konstruktion von Geschlecht untersucht werden. Hierzu werden ausgewählte Zeitungsartikel mithilfe der strukturierten Inhaltsanalyse nach Mayring (2019) ausgewertet. Diese Methode ermöglicht die Reduktion von Material ohne Informationsverlust. Alle für die Arbeit relevanten Inhalte bleiben erhalten. Hierbei wird mit einem Kategoriensystem gearbeitet, das eine systematische Beantwortung der Forschungsfrage gewährleistet.

1.3 Forschungsstand

Zum vorliegenden Thema gibt es bislang nur wenige relevante Forschungsergebnisse. Rund um die mediale Berichterstattung im Fall Caster Semenya existieren zwar einige wissenschaftliche Publikationen, jedoch wird hier der Schwerpunkt weniger auf die Veränderung und Entwicklung gelegt, als auf die Darstellung einer Problematik zu einem statischen Zeitpunkt. Hierbei wird größtenteils auf den Zeitraum nach Semenyas Olympiasieg in Berlin 2009 eingegangen. Sandra Günter greift explizit den Fall Caster Semenya in ihrer Arbeit „The illegal transgression: discourse analysis of the media perception of the transgressive aesthetic of performance and display in top-level sports“ (2015) auf. Sie skizziert den medialen Diskurs über Caster Semenya und ihren Körper. Hierbei kommt Günter zu dem Ergebnis, dass der postkoloniale weibliche Körper durch westliche Geschlechternormen reproduziert wird. Das Beispiel von Caster Semenya verdeutliche, wie die Medien nicht nur die dichotome Geschlechtereinteilung, sondern darüber hinaus auch ethnische und rassistische Körperkonzepte rekonstruieren und normalisieren (vgl. Günter, 2015).

Eine weitere empirische Arbeit von Jennifer de Antoni (2011) setzt sich mit der Problematik von Intersexualität im Hochleistungssport auseinander und untersucht am Fall Caster Semenya, wie über Intersexualität in deutschsprachigen Medien berichtet wird. Hierzu analysiert sie deutschsprachige Printmedien nach Semenyas Olympiasieg im Jahre 2009 und hebt dabei acht Kategorien besonders hervor:

1. Geschlecht/Geschlechtszugehörigkeit
2. Intersexualität als Problem des Leistungssports
3. Athletin
4. Internationale Leichtathletikverband (IAAF)
5. Südafrikanischer Leichtathletik Verband (ASA)
6. Politik
7. Medien
8. Konkurrenz

Dabei kommt Antoni zu dem Ergebnis, dass der mediale Diskurs in den ausgewählten Printmedien unterschiedlich geführt wird. Dies verdeutlicht die Komplexität der Thematik. In einigen Artikeln wird lediglich eine zweigeschlechtliche Einteilung des Geschlechts in Mann und Frau vorgenommen. In anderen hingegen wird das Vorhandensein von Intersexualität berücksichtigt. Mehrheitlich wird die Berichterstattung hierbei auf das biologische Geschlecht reduziert, psychosoziale Faktoren spielen in den meisten Fällen, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle. Als einen weiteren zentralen Aspekt in der Berichterstattung arbeitet Antoni (2011) den Wert der Chancengleichheit im Sport heraus. Chancengleichheit werde häufig in den Printmedien als ein nicht erreichbares Ziel des Sports dargestellt. In Bezug auf die beteiligten organisierten Institutionen und Strukturen im Fall „Caster Semenya“ hält Antoni (2011) fest, dass Semenya in den Medien mehrheitlich die Opferrolle einnimmt. Antoni kommt zu dem Ergebnis, dass Intersexualität aufgrund der binären Geschlechterordnung im Sport, der Varianz des Geschlechts, der Gewährleistung der Chancengleichheit sowie der zeitgleichen Wahrung von Menschenrechten ein Problem für den Leistungssport darstellt.

2. Geschlecht

Befasst man sich mit der Thematik der Intersexualität, stößt man bereits frühzeitig an die Grenzen eines binären Verständnisses von Geschlecht, welches die eindeutige Zuordnung in männlich/weiblich verlangt. Auch wenn das Geschlechtersystem im Jahr 2018 um die Geschlechteroption „divers“ erweitert wurde, findet das dritte Geschlecht nicht überall Berücksichtigung. Im Bereich des Sports wird das dichotome Geschlechtersystem gar als unumstößlich wahrgenommen und die Geschlechterdebatte auf das biologische Geschlecht reduziert.

Dieses Kapitel setzt sich mit der Thematik des Geschlechtes auseinander und zeigt verschiedene Verständnisse dieses Begriffes auf. Im Widerspruch zum weitgehend übereinstimmenden gesellschaftlichen Konsens über das Verständnis von Geschlecht, soll die Komplexität dieses Begriffes verdeutlicht werden. Hierfür soll zunächst ein feministisches Theoriemodell vorgestellt werde, welches sich auf die Unterscheidung von biologischem1 (sex) und psychologischem (gender) Geschlecht beruft (vgl. Hartmann-Tews l. e., 2003, S.15). Dieser weit verbreitete Ansatz soll im Anschluss um das Konzept der sozialen Konstruktion von Geschlecht ergänzt und in Bezug auf die Medien betrachtet werden, da der Fokus dieser Arbeit auf der sozialen Konstruktion von Geschlecht liegt.

2.1 Biologisches Geschlecht

In den 1950er- und 60er Jahren wurden viele Geschlechtsmerkmale als biologisch gegeben, also von der Natur geschaffen, interpretiert (vgl. Mrazek, 2016, S.79).

Unter dem biologischen Geschlecht (auch somatischen Geschlecht) versteht man die Summe von eindeutig männlichen/weiblichen Körpermerkmalen (vgl. Pschyrembel, 2019). Bei jedem einzelnen Geschlechtsmerkmal kann ein Mensch als weiblich oder männlich eingestuft werden. In der Regel kommt es zu einer eindeutigen Entwicklung zugunsten eines Geschlechtes. Dennoch kann es in jedem Entwicklungsschritt zu Abweichungen vom typischen Verlauf kommen, woraus sich unterschiedliche Ausprägungen der Geschlechtsmerkmale ergeben (vgl. Richter- Appelt, 2010, S.36).

In der Literatur lässt sich eine unterschiedliche Einteilung des biologischen Geschlechts in Ebenen/Merkmalen feststellen. Grundsätzlich werden jedoch überwiegend ähnliche Aspekte zur Bestimmung des biologischen Geschlechts herangezogen. Angelehnt an Lang (2006, S.68 f.) kann folgende Differenzierung nach fünf Merkmalen vorgenommen werden:

1. Chromosomales Geschlecht
2. Gonadales Geschlecht
3. Hormonelles Geschlecht
4. Inneres und äußeres Geschlecht
5. Phänotypisches Geschlecht

2.2 Psychosoziales Geschlecht

Bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts fokussierte sich die Frage nach dem Geschlecht lediglich auf die körperlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Es dominierte die Vorstellung, dass die psychischen Merkmale sich aus den physischen Merkmalen ergäben. In den letzten 40 Jahren hat sich diese scheinbar unhinterfragte Vorstellung jedoch allmählich dahingehend verändert, dass die Geschlechtsidentität eines Menschen maßgeblich von psychosozialen und sozialisatorischen Faktoren bestimmt wird. Man folgte dem „radikale(n) Gegenmodell“ und versuchte, diverse Geschlechtsunterschiede sozialen Faktoren zuzuschreiben (vgl. Mrazek, 2016, S.79). Mit den Worten der französischen Philosophin und Schriftstellerin Simone de Beauvoir, aus ihrem sozialgeschichtlichen philosophischen Werk „Le Deuxième Sexe“ (dt. das andere Geschlecht) verbreitete sich immer mehr der Gedanke: „On ne naît pas femme, on le devien“, übersetzt: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es“ (Bosinski, 2000, S.97). Laut Zehnder (2009, S.97) beschreibt das psychosoziale Verständnis von Geschlecht in drei Ebenen:

1. Das subjektive und individuelle Zugehörigkeitsgefühl zu einem Geschlecht
2. Die Äußerung des Geschlechtes durch bestimmtes Rollenverhalten
3. Die kulturelle, gesellschaftliche und familiäre Zuschreibung zu einem Geschlecht

3. Soziale Konstruktion von Geschlecht

Im Rahmen dieser Arbeit wird sich mit dem Thema der sozialen Konstruktion von Geschlecht in der printmedialen Berichtserstattung auseinandergesetzt. Es soll skizziert werden, wie die Printmedien zur Konstruktion von Geschlecht beitragen. Hierfür soll zunächst die Theorie der sozialen Konstruktion beleuchtet werden, um sie im Anschluss in einen medientheoretischen Kontext einzuordnen.

Ab Anfang der 1990er Jahre kam es zu einem Umschwung, welcher darin bestand, dass das Geschlecht zunehmend als ein Begriff verstanden wurde, der sozial konstruiert ist (vgl. Wetterer, 2006, S.17). Das Konzept der sozialen Konstruktion von Geschlecht versteht „Körper nicht als Basis, sondern als Effekt sozialer Prozesse“ (Hirschauer, 1989, S.101). Anders ausgedrückt, wird das Geschlecht von Männern und Frauen „gemacht“. (Budde & Venth, 2010, S.13-14). Die zentrale Annahme des Konzeptes besteht darin, dass nicht biologische oder natürliche Anlagen das Verhalten steuern, sondern dass das Geschlecht in der alltäglichen Interaktion von Menschen geschaffen wird und somit Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Geschlecht hat (vgl. Faulstich-Wieland, 2005, S.7). Demnach wird der Vorgang als ein interaktiver Prozess verstanden, dem mehrere Beteiligte angehören: Einerseits diejenigen, die ihr Geschlecht darstellen und andererseits diejenigen, die es erkennen (vgl. Budde& Venth, 2010, S.14). Demnach trägt jeder Mensch aktiv zur Herstellung und zur Reproduktion von Geschlecht bei (Faulstich-Wieland, 2005). Neben der interaktiven Reproduktion von Geschlecht spielen institutionelle Regelungen eine weitere wichtige Rolle bei der Geschlechtskonstruktion (vgl. Budde & Venth, 2010, S.14). Beispielhaft hierfür nennen Budde und Venth (2010, S. 14) die Darstellung von Stereotypen in den Medien, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, sowie die Trennung von Männer- und Frauentoiletten. Durch das Zusammenspiel von individuellem Handeln und institutionell geschaffenen Geschlechterkonzepten wird das weitgehend binäre Verständnis von Zweigeschlechtlichkeit bestätigt und verstärkt (vgl. Budde& Venth, 2010, S.15). Im englischen Raum haben Candace West und Don Zimmerman den Begriff „doing gender“ geprägt, unter dem der Prozess der aktiven Herstellung von Geschlecht verstanden wird (vgl. Hartmann-Tews, 2003, S.19, Budde& Venth, 2010, S.13).

3.1 Soziale Konstruktion von Geschlecht in den Medien

Medien sind ein essentieller und „integraler Bestandteil“ (Dorer, 2002, S. 54) unserer heutigen Gesellschaft. Luhmann (1996, S. 9) beschreibt die Bedeutung der Massenmedien wie folgt: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben wissen, wissen wir durch die Massenmedien“. Diese Einschätzung gilt dabei nicht nur für unsere „Kenntnis der Gesellschaft und der Geschichte, sondern auch für unsere Kenntnis der Natur“. Medien fungieren als Instrumente, die stets an der Konstruktion gültiger Wahrheiten und an Diskursen beteiligt sind (vgl. Dorer, 2002, S.54). Dabei nehmen diese eine tragende Rolle bei der „Stabilisierung dominanter Diskurse“ (Dorer, 2002, S. 54) ein, weil sie gesellschaftliches Wissen verbreiten und somit für eine bestimmte Zeit gesellschaftliche Wahrheit produzieren. Mittels der Massenmedien wird somit ein „gesellschaftliches Gedächtnis“ erschaffen, welches stets weiterentwickelt wird (vgl. Hartmann-Tews I., 2003, S.38). Medien konstruieren demnach Geschlechterordnungen, die von den Rezipienten als „mediale Realität der Geschlechterverhältnisse“ wahrgenommen werden (Schaaf & Nieland, 2017, S.21). In Bezug auf die Geschlechtskonstruktion werden Bilder von Männern und Frauen vermittelt, stereotypisiert und in der Zusammenfassung als gesellschaftliche Norm repräsentiert (vgl. Dorer, 2002, S.54). Jede Wirklichkeitskonstruktion, die mittels der Medien vermittelt wird, beinhaltet Möglichkeiten für die „Aktualisierung oder Neutralisierung der Geschlechterordnung“ (Hartmann-Tews & Rulofs, 2006, S.231). Hartmann-Tews und Rulofs (2006, S. 230) sprechen von einem „nicht zu unterschätzenden Anteil“, den die Medien auf die „Herstellung, Aufrechterhaltung und Veränderung der Realität der Geschlechterordnung haben“. Für die Analyse des Geschlechts in den Printmedien hat dies zur Folge, dass der öffentliche Diskurs in einem großen Maße von den Medien mitbestimmt wird und deshalb von großem Interesse für die Darstellung von Geschlecht ist.

4. Der Fall Caster Semenya

Zum Verständnis dieser Arbeit ist es von Bedeutung, den Fall „Caster Semenya“ in seinen groben Zügen darzustellen, um so wichtige Ereignisse chronologisch einordnen zu können. Im Weiteren soll der Begriff der Intersexualität kurz erläutert werden, damit ein hinreichendes Verständnis für die Problematik erworben wird.

Die Berichterstattung über die südafrikanische Läuferin Caster Semenya und ihr Geschlecht entfachte bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft im Sommer 2009 in Berlin große Aufmerksamkeit. Mit einer Zeit von 1:55.45 Minuten gewann die damals weitgehend unbekannte 18-jährige Sportlerin Caster Semenya mit deutlichem Vorsprung die Goldmedaille auf der 800-Meter-Distanz (vgl. IAAF, 2019). Aufgrund ihrer männlichen körperlichen Erscheinung und Leistungsfähigkeit wurden grundlegende Zweifel an ihrem weiblichen Geschlecht geäußert. In den Medien war die vorherrschende Frage seitdem, ob Caster Semenya wirklich eine „echte Frau“, ein Intersex oder doch ein Mann ist (vgl. Günter, 2015, S.6). Der Internationale Leichtathletikverband (IAAF) forderte als Bedingung für die Anerkennung ihres Sieges einen Geschlechtstest. Bis zum Vorliegen der Testergebnisse vergingen elf Monate, in denen Semenya nicht bei offiziellen Wettkämpfen starten durfte (vgl. Schultz, 2012, S.228, Günter, 2017, S.129).

Als Folge dieser Ereignisse wurden 2011 neue Richtlinien für die Leistungsklasse der Frauen formuliert. Die sogenannten „Hyperandrogenism Regulations“ und „Transgender Guidelines“, mit deren Hilfe das Internationale Olympische Komitee (International Olympic Committee (IOC)) eine Grenze zwischen den Geschlechterkategorien zog (vgl. Heckemeyer, 2017, S.39), regelten von nun an die Voraussetzungen für die Teilnahme an sportlichen Wettbewerben in der Leistungsklasse der Frauen. Hierfür formulierte das IOC Bedingungen, die von Sportlerinnen erfüllt werden mussten, um an einem internationalen Wettbewerb in der Frauenklasse teilnehmen zu dürfen. Von Bedeutung für die Berechtigung einer Athletin war, dass sie ihren Testosteronspiegel im Blut über einen kontinuierlichen Zeitraum von zwölf Monaten unter 10 nmol/l hält (vgl. IOC, 2015). Der IAAF formuliert zu dieser Thematik „Eligibility Regulations for the Female Classification“, welche den Athletinnen die Möglichkeit der Hormonbehandlung freistellen, um die Testosteronobergrenze nicht zu überschreiten (vgl. IAAF,2018).

Als Konsequenz dieser Regelung erhielt Caster Semenya erst nach einer Hormonbehandlung die Starterlaubnis für internationale Frauenwettkämpfe, da ihr Testosteronwert zuvor nicht den zugelassenen Werten entsprochen hatte (vgl. Bauer & Landolt, 2017, S.17). Bei den Olympischen Spielen in London 2012 startete Semenya demnach mit einem künstlich gesenkten Testosteronspiegel und gewann nachträglich die Goldmedaille mit einer Zeit von 1:57.23 Minuten (vgl. IAAF, 2019).

Nachdem die IAAF-Regelungen vom 1. Mai 2011 bis zum 24. Juli 2015 in Kraft gewesen waren, wurden sie vom Internationalen Sportgerichtshof (CAS) ausgesetzt. Einen großen Beitrag hierzu leistete die indische Sprinterin Dutee Chand, welche sich den Vorschriften nach einer Hormonbehandlung unterziehen sollte, um weiterhin an Frauenwettkämpfen teilnehmen zu dürfen. Gegen diese Vorschriften reichte Chand Berufung beim CAS ein. Die Aussetzung der Regelung durch den Sportgerichtshof erfolgte, weil dem Sportgerichtshof die vom IAAF vorgelegten Nachweise nicht ausreichten. Der Sportsgerichtshof erlaubte dem IAAF zusätzliche Nachweise über den Zusammenhang zwischen dem endogenen Testosteronlevel und der sportlichen Leistung zunächst innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren, der später verlängert wurde, nachzuweisen (vgl. Franklin, 2018, S.1). Seit dem 8. Mai 2019 gelten die „Female Eligibility Regulations“ des IAAF. Diese verlangen, dass Athletinnen auf Spitzenniveau, auf einer Distanz von 400 Metern bis zu einer Meile, ihren Testosteronspiegel für einen kontinuierlichen Zeitraum von mindestens sechs Monaten vor einem internationalen Wettkampf unter 5 nmol/lhält (vgl. IAAF,2019).

4.1 Exkurs: Intersexualität

Intersexualität ist ein Oberbegriff zur Beschreibung einer Vielzahl von Bedingungen, die verhindern, dass Individuen gemäß den typischen Definitionen eindeutig als männlich oder weiblich identifiziert werden können (vgl. Montañola & Olivesi, 2016, S.1). Lassen sich geschlechtsdeterminierende und differenzierende Merkmale (Chromosomen, Gene, Hormone, Keimdrüsen, äußere Geschlechtsorgane) nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen, so spricht man von Intersexualität (vgl. Richter Appelt, 2006, S.52). Wiesemann (2007, S. 249) bezeichnet den Zustand der Intersexualität als das Auftreten von biologischen Merkmalen beider Geschlechter. Zu einer entsprechenden Geschlechtsentwicklung kann es aufgrund von Abweichungen auf der „Ebene der Chromosomen, der inneren Geschlechtsorgane oder der Hormone“ (Wiesemann, 2007) kommen. In medizinischen Kontexten spricht man häufig von einer Störung der Geschlechtsentwicklung in Übernahme des englischsprachigen Begriffs der „Disorder of Sex Development (DSD)“ (vgl. Zehnder, 2009) oder neutraler von „Varianten der Geschlechtsentwicklung“.

Die Vermutung auf Intersexualität wird meist dann geäußert, wenn eine untypische Ausprägung oder das Fehlen von geschlechtstypischen Merkmalen vorliegt. Dabei lassen sich unterschiedliche Phänomene feststellen, welche eine untypische geschlechtliche Entwicklung zur Folge haben. Diese werden mit dem Begriff Intersexualität zusammengefasst. Richter-Appelt (2006) weist darauf hin, dass die Häufigkeiten der verschiedenen Intersextypen schwer zu bestimmen sind und es sich lediglich um grobe Schätzungen handelt, die je nach Definition der jeweiligen Intersextypen verschieden sind (vgl. Richter Appelt, 2006, S.52). Was die Häufigkeit ihres Auftretens angeht, so gehen Schätzungen von 8000 bis 10000 Fällen in Deutschland aus (vgl. U. Thyen& E.Hampel, 2007, S.1569).

5. Methode

Im folgenden Kapitel soll die methodische Vorgehensweise skizziert werden, welche zur Darstellung der empirischen Untersuchung dient. Hierzu wird zunächst die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring, mit Fokus auf die strukturierte Inhaltsanalyse, dargestellt und im Anschluss ihre Eignung für die Forschungsarbeit erläutert.

5.1 Fragestellungen

Ziel dieser wissenschaftlichen Arbeit ist es, mögliche Veränderungen in der printmedialen Berichterstattung über Caster Semenya und ihr Geschlecht herauszuarbeiten. Hierfür wird der Zeitraum unmittelbar nach Caster Semenyas erstem WM-Erfolg in Berlin (2009) mit dem Zeitraum unmittelbar nach der aktuellen Entscheidung des Sportsgerichthofs über die Hormonregelung für Sportlerinnen (2019) verglichen. Die printmediale Analyse erfolgt anhand folgender Forschungsfragen:

Forschungsfrage 1: Wie wird das Geschlecht in der printmedialen Berichtserstattung 2009 und 2019 dargestellt?

Forschungsfrage 2: Hat sich der Diskurs über das Geschlecht in den zehn Jahren entscheidend verändert?

5.2 Qualitative Inhaltsanalyse als Methode

Es handelt sich um eine Auswertungsmethode, die es ermöglicht, schriftlich fixiertes Kommunikationsmaterial mit systematischem, regelgeleitetem und analytischem Vorgehen zu bearbeiten (vgl. Mayring, 1994, S.169). Diese Form der Analyse erhebt den Anspruch, sowohl mit großen Datenmengen umgehen zu können als auch eine interpretative Auswertung dieser vorzunehmen (vgl. Mayring & Fenzl, 2019, S.635). Mayring (2015, S.50) spricht hierbei von einer „Methodik systematischer Interpretation“. Die qualitative Inhaltsanalyse differenziert drei voneinander unabhängige Grundtechniken des Interpretierens: Die zusammenfassende, die explizierende und die strukturierende Inhaltsanalyse (vgl. Mayring, 2015, S.67).

Im Rahmen dieser Forschungsarbeit wurde insbesondere die Technik der inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse verwendet.

5.2.1 Strukturierte Inhaltsanalyse nach Mayring

Ziel dieses Verfahrens ist es, Material systematisch und deduktiv mithilfe eines zuvor angelegten Kategoriensystems zu bearbeiten (vgl. Mayring, 2015, S.97). „Alle Textbestandteile, die durch Kategorien angesprochen werden, werden dann aus dem Material systematisch extrahiert.“ (Mayring, 2015, S. 97). Das Kategoriensystem wird auf Grundlage einer vorher durchgeführten Literaturrecherche theoriegeleitet entwickelt (vgl. Mayring, 1994, S.638). Für die Arbeit wurde sich auf die Unterform der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse konzentriert, deren Ziel es ist „bestimmte Themen, Inhalte, Aspekte aus dem Material herauszufiltern und zusammenzufassen“ (Mayring, 2015, S.103). Welcher Materialbestandteil unter eine Kategorie fällt, muss genau definiert und anhand von Ankerbeispielen veranschaulicht werden. Um Abgrenzungsprobleme zu vermeiden, werden Kodierregeln formuliert, welche die eindeutige Zuordnung in Kategorien gewährleisten sollen (vgl. Mayring, 2015, S.97). Die vorläufig erstellten Kategorien werden in einem ersten Materialdurchgang erprobt und gegebenenfalls angepasst. Hierzu werden Materialstellen markiert, welche derselben Kategorie zugeordnet werden können, gefolgt von der Extraktion der Fundstellen. Anschließend wird im Hauptmaterialdurchlauf erneut die Kennzeichnung der Fundstellen und die Extraktion dieser vorgenommen (vgl. Maring, 2015, S.97-99). Ist dieser Vorgang beendet, folgt die Ergebnisaufbereitung in folgenden Schritten:

- Paraphrasierung: „nicht inhaltstragende (ausschmückende) Textbestandteile“ (Mayring, 2015, S. 71) werden ausgelassen und im Anschluss auf eine einheitliche Sprachebene sowie in eine grammatikalische Kurzform gebracht.
- Generalisierung auf das Abstraktionsniveau: Paraphrasen werden auf die formulierte Abstraktionsebene generalisiert.
- Erste Reduktion: Paraphrasen, die über einem festgelegten Abstraktionsniveau liegen, bleiben erhalten. Inhaltsgleiche und redundante Paraphrasen werden gestrichen.
- Zweite Reduktion: Reduktion des Materials durch Bündelung, Konstruktion und Integration von Paraphrasen

(vgl. Mayring, 2010, S.72.)

5.3 Durchführung

Angelehnt an den von Mayring (2015) konzipierten Ablauf einer inhaltlich, strukturierten, qualitativen Inhaltsanalyse erfolgt nun die Erarbeitung an konkreten Zeitungsartikeln. Hierbei erhebt die Darstellung der Methode keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es wurde eine Auswahl einzelner Schritte in Hinblick auf die Kapazität, sowie die Bedeutsamkeit für die Forschungsarbeit getroffen.2

5.3.1 Bestimmung Ausgangsmaterial

Bei allen ausgewählten Zeitungsartikeln soll primär die Sportlerin Caster Semenya im Fokus stehen. Artikel, die dieses Kriterium nicht hinreichend erfüllen, werden für die Analyse nicht berücksichtigt. Eine Analyseeinheit umfasst lediglich vollständige Zeitungsartikel aus dem Ressort Sport, die eine Mindestlänge von sechs Zeilen aufweisen. Hierzu wurden zwei sehr auflagenstarke überregionale Zeitungen ausgewählt, die eine möglichst konstruktive Erarbeitung der Forschungsfrage ermöglichen. Es handelt sich hierbei um die „Süddeutsche Zeitung“ und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Ein wichtiges Auswahlkriterium war sowohl der ausführliche Sportteil der ausgewählten Zeitungen als auch deren hohe Auflagenzahlen. Boulevardzeitungen wurden bei der Auswahl nicht berücksichtigt. Diese spiegeln die journalistische Darstellung zu der Thematik Caster Semenya nicht in dem gewünschten Umfang wieder und sind somit nicht zielführend für die Beantwortung der Forschungsfragen. Bei den Artikeln für die Analyse handelt es sich um insgesamt 35 Artikel, von denen 22 Artikel aus der Süddeutschen Zeitung und 13 Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung entnommen sind. Ausgenommen von der Analyse sind Kurzmeldungen und Artikel, die die für die Arbeit ausgewählten Kategorien nicht in ausreichendem Maße ansprechen.

Der Untersuchungszeitraum kann in zwei Zeiträume gegliedert werden:

1. 19.08.2009 bis 26.08.2009 und
2. 01.05.2019 bis 14.05.2019.

Diese wurden nach ihrer Ereignishaftigkeit im Fall Caster Semenya und der damit einhergehenden verstärkten Berichterstattung ausgewählt. Zudem verspricht der Zeitraum von zehn Jahren eine mögliche Veränderung des Geschlechterdiskurses.

[...]


1 In der Literatur werden die Begrifflichkeiten biologisches Geschlecht und sex sowie psychosoziales Geschlecht und gender weitgehend synonym verwendet

2 Zur weiterführenden Lektüre vgl. Mayring (2015), Kapitel 5.2. ff.

Ende der Leseprobe aus 58 Seiten

Details

Titel
Wie trägt die Darstellung von Geschlecht in den Printmedien zur sozialen Konstruktion von Geschlecht bei? Die printmediale Berichterstattung über Caster Semenya
Hochschule
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Note
2,0
Autor
Jahr
2019
Seiten
58
Katalognummer
V513896
ISBN (eBook)
9783346104564
ISBN (Buch)
9783346104571
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Soziale Konstruktion, Geschlecht, printmediale Berichterstattung, Gender
Arbeit zitieren
Chiara Gloi (Autor:in), 2019, Wie trägt die Darstellung von Geschlecht in den Printmedien zur sozialen Konstruktion von Geschlecht bei? Die printmediale Berichterstattung über Caster Semenya, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/513896

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