Die Frauen in Hartmanns "Erec". Zum Kontrast zwischen Rolle und Darstellungsform


Hausarbeit, 2019

13 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Darstellung der Frauen in Hartmanns Erec
2.1. Enite als weibliche Unterstützung für den Helden Erec
2.1.1. Enites Schönheit und ihre Kleidung
2.1.2. Enites Charakterzüge und ihre Entwicklung
2.2. Guivreiz‘ Schwestern und die Zauberin Fämurgän
2.3. Die Frau im Wald und die 80 Witwen aus der „Joie de la curt“-Episode
2.4. Allgemeine Aussagen über die Frauen in Hartmanns Erec

3. Fazit

4. Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Einleitung

dâ bî Êrec fil de roi Lac / und Lanzelot von Arlac / und Gornemanz von Grôharz / und li bels Côarz / unde Lais hardîz / unde Meljanz von Liz1 (V. 1630-1635)

Als Erec und Enite zum ersten Mal gemeinsam an den Artushof kommen, werden sie feierlich empfangen. Obwohl viele der Ritter der Tafelrunde keinen Einfluss auf die Handlung ausüben, werden ihre Namen und ihre Herkunftsorte über mehrere Seiten aufgelistet. Demgegenüber stehen weibliche Figuren, deren Auftritte relevant für den Verlauf der Handlung sind, sie aber dennoch namenlos bleiben, wie z.B. die Jungfrau aus dem Wald oder die 80 Witwen. Auch im Vergleich zum Originaltitel Erec et Enide von Chrétien de Troyes, rückt Hartmann einzig und allein Erec in den Mittelpunkt, da er Enite im Titel nicht nennt. Daraus könnte eine ungleiche Wertung von Mann und Frau geschlossen werden. Ist es nicht Enite, die Erec mehrmals vor dem Tod bewahrt? Heilt ihn nicht Fâmurgâns Pflaster, das im Besitz von Königin Ginower und Guivreiz‘ Schwestern ist? Welche Wirkung haben diese Frauen und welche Rolle spielen sie in der Geschichte?

In dieser Arbeit werde ich die Darstellung der wenigen Frauen in Hartmanns Erec analysieren. Zum einen werden die optische Erscheinung der Frauen und damit einhergehend auch die Kleidung sowie deren Farben und Materialien herausgearbeitet. Zugleich werde ich die Charakterzüge der Frauen anhand passender Textstellen aufzeigen und mögliche Wertungen durch den Erzähler oder durch andere Figuren heranziehen. Der Umfang dieser Arbeit lässt eine Beschreibung jeder weiblichen Figur nicht zu. Als Beispiel wird Enite deutlicher im Fokus stehen. Insbesondere die Szene, in der Erecs erste Begegnung mit Enite und ihrer Familie beschrieben wird, dient hierbei als Grundlage. Weitere Frauen, die näher betrachtet werden sollen, sind die Schwestern von Guivreiz, die Zauberin Fâmurgân, die Frau im Wald und die 80 Witwen. Zuletzt folgen Erläuterungen zu allgemeinen Aussagen über die Frauen im Erec.

2. Die Darstellung der Frauen in Hartmanns Erec

2.1. Enite als weibliche Unterstützung für den Helden Erec

2.1.1. Enites Schönheit und ihre Kleidung

diu was ein diu scheuste maget / von der uns ie wart gesaget - (V. 310 f.)

Diese erste Beschreibung des Erzählers, die nicht die letzte dieser Art bleiben soll, ist typisch für die Figur Enite. Dem Leser wird schnell klar, dass es sich bei ihr um die allerschönste Frau handeln muss, die jemals existiert hat und dass sie gleichzeitig die Idealvorstellung einer höfischen Dame und Ehefrau verkörpert . Diese Szene, in der Enite zum ersten Mal auftritt, ist für die Darstellung ihrer Figur von großer Bedeutung. Hartmann beschreibt Enites Aussehen sehr sorgfältig und umfangreich. Ihre Hautfarbe ist wiz alsam ein swan (V. 330), was im Mittelalter als Zeichen absoluter Schönheit galt. Beachtenswert ist, dass die Farbe ihrer Haut sogar ein zweites Mal beschrieben wird, als sie mit ir hende vil wize: (V.355) gewissenhaft das Pferd versorgt. Abgesehen von ihrer Hautfarbe, wird insbesondere Enites Kleidung in den Mittelpunkt gerückt: der megede lip was lobelich. / der roc was grüener varwe / gezerret begarwe, / abehc ere über al. (V. 323-326). Aussagekräftig ist der grüne Rock, da Grün als kostspielige Kleiderfarbe gilt und auf die Zeit verweist, bevor Enites Familie verarmt war.2 Jedoch ist ihr Rock zerrissen und verdeutlicht, dass diese Zeit, die von Wohlstand geprägt war, der Vergangenheit angehört. Grün ist zugleich die Farbe der Hoffnung und deutet darauf hin, dass Enites Ansehen steigen wird und dass ihr durch die Hochzeit mit Erec ein sozialer Aufstieg ermöglicht wird.

Enite stellt eine Ausnahme dar, da in anderen höfischen Artusromanen die weiblichen Hauptfiguren bei ihrem ersten Auftritt ausschließlich prachtvoll ausgestattet sind.3 Die Erwartungen an eine perfekte, wunderschöne Frau werden mit der Beschreibung ihrer zerrissenen Kleidung eher nicht erfüllt. Andererseits wird auf diese Weise Enites außerordentliche und einzigartige Schönheit dargestellt, die ganz „besonders durch den Kontrast zwischen dem grünen Kleid und dem schwanenweißen Körper hervorgehoben wird.“4 Trotz der Tatsache, dass der Rock und auch das Unterkleid zerrissen sind, ist Erec von Enites Ausstrahlung und Anmut fasziniert. Das Durchblitzen ihrer weißen Haut ermöglicht versehentliche, eigentlich unerlaubte Blicke auf ihren nackten Körper und hat dementsprechend durchaus eine erotische Komponente.5 Die Nacktheit könnte auch für die Unberührtheit, Reinheit und die Natürlichkeit ihres jungen Körpers stehen. Hartmann bricht hier mit der traditionellen höfischen Auffassung, dass Reichtum und Schönheit zusammengehören.6 Interessant ist in diesem Fall die Anmerkung: und w ^re si gewesen rich, so gebrwste niht ir libe ze lobelichem wibe. (V. 333-335) Die Ansicht, dass ihr der Reichtum fehle, um eine vollkommene Frau zu sein, scheint etwas widersprüchlich. Jedoch überwiegen die positiven Beschreibungen von Enites Aussehen und ihre reine Schönheit wird ganz und gar nicht von ihrer dürftigen Kleidung beeinträchtigt.

Ein starker Kontrast zwischen Weiß und Schwarz zeigt sich in der nächsten Beschreibung von Enite: ir lip schein durch ir salwe wat / alsam diu lilje, da si stät / under swarzen dornen wiz. (V. 336-338). Die weiße Lilie unter schwarzen Dornen ist eine Umschreibung, die häufig der Gottesmutter Maria zukommt. Enites außergewöhnliche Schönheit wird durch diese christliche Metaphorik ausgewiesen.7 Obwohl die Wahl sämtlicher Farben beabsichtigt ist und zur Symbolik und Deutung der Figuren beiträgt, wird beispielsweise niemals über Enites Haar- oder Augenfarbe gesprochen.

Auffällig ist auch, dass Enites Mutter Karsinefite (V. 430) namentlich genannt wird, obwohl sie keinerlei Einfluss auf die Handlung ausübt. Enites Familie, bestehend aus ihrem Vater Koralus und seiner Ehefrau Karsinefite, repräsentieren eine verarmte Adelsfamilie und verdeutlichen erneut, dass die Schönheit (sowohl äußere als auch innere) nicht zwingend eine Verbindung zu Reichtum herstellen muss.

Zu diesem Zeitpunkt ist Enites Schönheit noch nicht für alle von außen erkennbar. Das verändert sich jedoch im Laufe der Geschichte, nachdem Erec Iders besiegt und Enite den Schönheitspreis gewinnt. Von Königin Ginower wird sie am Artushof dann prächtig eingekleidet, denn „zu einem schönen Äußeren als Symbol für inneren Adel gehört in der Literatur des Mittelalters gewöhnlich auch die schöne Kleidung“8. Höchste Anerkennung erlangt sie außerdem von König Artus, der nach der Jagd auf den weißen Hirsch, das Recht hat, die schönste Frau mit einem Kuss auszuzeichnen (V. 1753-1796). Seine Wahl fällt auf Enite, nicht auf seine Frau Ginower. Dieser zweite Schönheitspreis trägt entscheidend zum Beweis von Enites atemberaubender Schönheit bei, da es für die gesamte Gesellschaft des Artushofes eine Bestätigung durch den König darstellt. Rein äußerlich hat Enite bereits ein Ideal erreicht, doch wie sieht es mit ihren inneren Werten aus? Sind diese einer höfischen Dame angemessen?

2.1.2. Enites Charakterzüge und ihre Entwicklung

Am Anfang ist Enite ein junges Mädchen, das der Befehlsgewalt ihres Vaters unterliegt und ohne Widerrede jegliche Pflichten erfüllt. So muss sie ab Vers 316 die Pferde versorgen, da schlichtweg keine andere Person anwesend ist, die diese Aufgabe erfüllen kann. Sie reagiert mit bedingungslosem Gehorsam, was für den Respekt ihrem Vater gegenüber spricht. Außerdem wird durch die Anrede herre (V. 322) ihre untergeordnete Position hervorgehoben. Ihr wird eine passive Rolle zugesprochen und sie übt zumindest am Anfang keinen Einfluss auf die Handlung aus. Enite verbirgt aber eine sehr wichtige Funktion, denn sie dient vor allem im zweiten Teil als „Mittlerfigur zwischen [ihrem] Mann und der Umwelt“.9 Erec ist oftmals zu sehr damit beschäftigt seine Ehre wiederherzustellen, indem er gegen andere Ritter kämpft oder Abenteuer besteht. Enite hat deshalb gewissermaßen die Aufgabe „auf die ethisch-moralisch korrekte Erfüllung seiner gesellschaftlichen Pflichten zu achten.“10 Die verligen -Szene stellt den Wendepunkt dar, ab dem die Funktion Enites deutlicher wird. Während Erec gar nicht bemerkt, dass ihn alle verachten, ist es Enite, die ihm, wenn auch unabsichtlich, davon berichtet (V. 3029). Somit stellt sie die Verbindung zwischen dem Idyll der Liebenden und der Außenwelt mit ihren gesellschaftlichen Anforderungen an das höfische Leben wieder her.11

Innerhalb dieser Liebesbeziehung zu Erec entwickelt sich Enite zu einer starken Frau, die ihren Verstand nutzt, um eigenständig Entscheidungen zu treffen. Mehrmals verstößt sie gegen das Schweigegebot und riskiert damit ihr Leben. Auf diese Weise bewahrt sie jedoch Erec vor dem Tod. Enites Beziehung zu Erec ist durch absolute Treue gekennzeichnet, was vor allem bei der Szene deutlich wird, in der Enite sich selbst verletzt und sich dem Todeswunsch ergibt. Bei der Begegnung mit dem ersten Grafen, der namenlos bleibt oder auch mit Graf Oringles hätte sie die Möglichkeit gehabt, sich von Erec und seinem herabwertenden Verhalten ihr gegenüber, zu trennen. Sie erweist sich in letzterer Situation als besonders geschickt und eloquent, was für ihren Geist spricht. Enite gewinnt bezüglich ihrer Handlungen an Sicherheit, auch wenn sie durch ihre Klagen und Selbstzweifel zunächst instabil wirkt. Ihre Entscheidungen stellen sich als sinnvoll heraus und letztendlich erkennt das auch Erec.

[...]


1 Alle mittelhochdeutschen Zitate beziehen sich auf folgenden Primärtext: Hartmann von Aue: Erec. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Hg. Volker Mertens. Stuttgart 2008.

2 vgl. Oster (2014), S. 75.

3 vgl. Oster (2014), S. 73.

4 Oster (2014), S. 73.

5 vgl. Oster (2014), S. 77.

6 Wagenaar (2015), S. 24.

7 Oster (2014), S. 74.

8 Carne (1970), S. 33.

9 Braunagel (2000), S. 18.

10 Braunagel (2000), S. 19.

11 Braunagel (2000), S. 20.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Die Frauen in Hartmanns "Erec". Zum Kontrast zwischen Rolle und Darstellungsform
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Deutsche Philologie - Germanistische Mediävistik)
Veranstaltung
Erec oder Ereck? Hartmanns Roman aus editionsphilologischer Sicht
Note
2,0
Autor
Jahr
2019
Seiten
13
Katalognummer
V514757
ISBN (eBook)
9783346114044
ISBN (Buch)
9783346114051
Sprache
Deutsch
Schlagworte
frauen, hartmanns, erec, kontrast, rolle, darstellungsform
Arbeit zitieren
Isabell Horn (Autor:in), 2019, Die Frauen in Hartmanns "Erec". Zum Kontrast zwischen Rolle und Darstellungsform, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/514757

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