Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definition Gleichnis
3. Form
4. Geschichtlicher Kontext
5. Textanalyse
5.1 Aufbau und Inhalt
5.2 Interpretation
6. Ezechiel 34, 11-16
6.1 Inhaltliche Analyse und Interpretation
6.2 Vergleich Lk15, 1-7 und Ez34, 11-16
7. Fazit
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In dieser Arbeit wird das Gleichnis „vom verlorenen Schaf“ genauer analysiert. Dieses Gleichnis ist sowohl im Lukasevangelium 15,1-7, als auch im Evangelium nach Matthäus 18,12-13 zu finden. In dem Gleichnis wird von dem Verlust und dem Wiederfinden eines Schafes erzählt. Es lassen sich bezüglich der tieferen Intention, ebenso in Bezug auf die Form, größere Unterschiede zwischen dem lukianischen Text und dem von Matthäus finden. Lukas und Matthäus bedienen sich beide an dem Markusevangelium. Das Gleichnis des verlorenen Schafes ist jedoch hier nicht zu finden, weswegen davon auszugehen ist, dass sie auch auf die Logienquelle Q zurückgegriffen haben. Da diese Arbeit die Erzählung nach Lukas und deren Form untersucht, wird auf eine Analyse des Textes im Matthäusevangelium verzichtet.
Zu Beginn wird die Definition von Gleichnissen geklärt, um so den Grundbaustein für die allgemeine Gleichnisanalyse zu legen.
In Kapitel 3 folgt eine Untersuchung der formalen Eigenschaften der Erzählung.
Der Kontext und die Positionierung des Geschriebenen im Text spielt für die Aussage, die dieses Gleichnis bringen soll, eine ausschlaggebende Rolle. Dementsprechend bedarf es zunächst einer Einbettung in den Kontext der Geschichte, um auf die genauere Absicht Jesu eingehen zu können. Diese findet im 4.Kapitel statt.
Darauf folgt die allgemeine Textanalyse des Gleichnisses. Diese beinhaltet die Untersuchung des Aufbaus, des Inhalts sowie die anschließende Interpretation der Erzählung Lk 15,1-7. Was möchte Jesu mit dem Gleichnis aussagen? An wen ist der Appell gerichtet?
In Kapitel 6 wird zunächst das Gleichnis mit einem weiteren alttestamentlichen Text, in dem das Bild von Schaf und Hirte ebenfalls vorkommt, verglichen und folglich mit dem Gleichnis im Lukasevangelium in Verbindung gebracht.
Das Ende der Arbeit bildet das Fazit mit einer kurzen Zusammenfassung der gewonnen Erkenntnisse, der eigenen Stellungnahme bezüglich des Gleichnisses und dem Vergleich mit dem alttestamentlichen Text von Ezechiel.
2. Definition Gleichnis
Wenn man sich den Verlauf der Gleichnisforschung anschaut, findet man viele Definitionen einzelner Theologen, wie die von A. Jülicher, Bultmann oder Jeremias.
Zunächst wurden Gleichnisse als Allegorien verstanden. Also mehrere Metaphern, die aneinandergereiht sind und einzeln verstanden werden müssen.1 A. Jülicher wandte sich jedoch von dieser Theorie ab und erweiterte die Gleichnisforschung vor knapp 100 Jahren mit seiner eigenen Theorie. Er behauptet, man müsse zwischen Gleichnissen im engeren Sinne, Parabeln und Allegorien unterscheiden. Gleichnisse im engeren Sinne sieht er als alltägliche Vorgänge an. Parabeln beschreibt er als außergewöhnliche Vorgänge und Allegorien als metaphorische Deutungen der späteren Tradition.2 Jülicher sagt, Gleichnisse bestehen immer aus zwei Hälften. Zum einen die Sachhälfte und zum anderen die Bildhälfte, welche durch das „tertium comparationis“ verbunden sind.3 Diese neue Deutung von A. Jülicher hatte den Grundzug der konstituierten Rätselhaftigkeit dieser Texte verstellt.
Allgemein kann man sagen, dass ein Gleichnis eine Redegattung ist, bei der die bestimmten Aussagen des Textes mit Hilfe eines Bildwortes veranschaulicht werden. Ähnlich wie bei Metaphern. Daher werden sie auch als „entfaltete Metapher“ bezeichnet, die das Bild eines alltäglichen Geschehens verstärkt ausschmücken sollen.4 Gleichnisse haben als Aufgabe, Erfahrungen und Visionen in Sprache zu bringen, die auf andere Weise schwer auszudrücken sind.5 Sie tragen außerdem eine Rätselhaftigkeit mit sich, die herausfordert, sich genauer mit der Aussage des Textes zu beschäftigen und sind somit Diskussionsstarter und Handlungsappell zugleich.6 Selbst die zunächst scheinbar einleuchtenden Texte, sind auf den zweiten Blick eher irritierend. So stellt man sich bei dem Gleichnis „vom verlorenen Schaf“ in Lk 15,1-7 die Frage, wie ein Hirte so achtlos sein kann und wegen nur eines verlorenen Schafes, seine 99 anderen Schafe zurücklässt. Hier kommt die Dramaturgie zum Vorschein, welche eine weitere Eigenschaft für Gleichnisse ist.
3. Form
Nachdem die Definition von Gleichnissen ausführlich beschrieben und erklärt wurde, stellt sich nun die Frage, wieso der Text des Lukasevangeliums dieser Gattung zuzuordnen ist.
Wie schon beschrieben, weisen Gleichnisse eine gewisse Dramaturgie mit szenischer Gliederung auf. Auch in dem Gleichnis „vom verlorenen Schaf“ lässt sich dieses Merkmal wiederfinden. Zunächst stellt der Hirte fest, dass ihm eines von seinen 100 Schafen verloren gegangen ist. Ohne großes Nachdenken macht er sich auf die Suche nach diesem verlorenen Schaf. Das Drama dieser Geschichte liegt in dem verantwortungslosen Handeln des Hirten. Er scheint durch den Vorfall seine vielen andere Schafe auszublenden und lässt diese zurück, um das eine Verirrte zurückzuholen.
Wenn man sich tiefgehender mit dem Gleichnis beschäftigt und als Metapher betrachtet, lässt es sich auf viele weitere Situationen übertragen und ermöglicht so ein noch tiefergehendes Verständnis.
Noch weitere typische Kennzeichen von Gleichnissen lassen sich in der Erzählung finden. Zum einen der Bezug der erzählten Welt auf die bekannte Realität, zum anderen die zu Beginn eingeleitete Frage, die als Appell formuliert ist. Auch durch die kurze, narrative Form des Textes lässt sich dieser als Gleichnis klassifizieren.7
4. Geschichtlicher Kontext
Für den Deutungsprozess von Gleichnissen ist es wichtig, den jeweiligen Kontext und die bestehende Situation zu kennen. Daher wird im Folgenden einen kurzen Einblick in die Rahmenhandlungen geschaffen.
Zunächst ist festzustellen, dass bei dem Gleichnis, wie auch bei einigen anderen biblischen Texten, der geläufige biblische Bildspendebereich Hirte und Schaf gewählt wurde. In den meisten Erzählungen, wie auch in dem Gleichnis, das in dieser Arbeit untersucht wird, wird von dem Verlust eines Schafes erzählt. Zur damaligen Zeit war dies kein Einzelfall. Durch die Hüteschafhaltung, bei der die Schafe eigenständig umherziehen und sich Weideplätze suchen, kann es öfter vorkommen, dass jüngere Schafe die Herde verlieren, sich allein nicht zurechtfinden und als Folge dessen, sich verirren und verloren gehen.8
Das Gleichnis „vom verlorenen Schaf“ ist einer von drei Reiseberichten Jesu auf dem Weg von Galiläa nach Jerusalem. Die beiden anderen Gleichnisse „vom verlorenen Groschen“ und „vom verlorenen Sohn“ handeln ebenfalls, wie der Name schon verrät, vom Verlieren, dem Suchen und Wiederfinden. Somit weisen alle drei Gleichnisse starke Parallelen auf.
Die Rahmenhandlung der Gleichnisse ist das gemeinsame Essen, welches Jesu mit Armen, Zöllnern und anderen Sündern teilt. Dies trifft auf Unverständnis seiner Gelehrten, woraufhin Jesu diese drei Gleichnisse vom Verlieren und Wiederfinden erzählt.9 In dem Gleichnis „vom verlorenen Schaf“ wird in Vers eins und zwei die Tischgemeinschaft angesprochen. Die hohe Bedeutung dieser Gemeinschaft und des gemeinsamen Essens wird im vorangegangenen Erzählungen ebenfalls hervorgehoben.
5. Textanalyse
5.1 Aufbau und Inhalt
Zunächst lässt sich erkennen, dass Lukas das Gleichnis „vom verlorenen Schaf“ und „der verlorenen Drachme“ als Doppelgleichnis verfasst hat. Das Gleichnis „vom verlorenen Schaf“ findet sich in Lk15, 4-7. Das Gleichnis von „der verlorenen Drachme“ folgt unmittelbar in den Versen 8-10.10 Auch bei der folgenden Textanalyse wird nur das Gleichnis „vom verlorenen Schaf“ in den Blick genommen.
Bei der Analyse des Gleichnisses lässt sich eine klare Struktur erkennen. Diese kann man grob in fünf Bereiche gliedern.
Eingeleitet wird das Gleichnis mit einer rhetorischen Frage, die den Leser in das Geschehnis mit einbindet. Die Fragestellung kann man als Aufforderung interpretieren, sich in eine bestimmte Position einordnen zu müssen. Die Position des Helfers, Helden oder des Feindes einzuordnen. Der Helfer ist als Sinnbild für die 99 Schafe zu sehen, vielmehr als die Herde, die zusammenbleibt und somit dem Hirten hilft, indem sie keine weiteren Probleme verursacht. Der Held identifiziert sich damit, dass er sich unmittelbar auf die Suche nach dem verlorenen Schaf macht. Gegner ist derjenige, der wie das Schaf verloren geht und Schrecken bei seinen Mitmenschen auslöst. Mit Blick auf die folgenden Verse 5-7 versteht man die rhetorische Frage jedoch eher als einen starken Impuls zur Einordnung als Helden statt als eine tatsächliche Frage nach der eigenen Zuordnung einer der eben beschriebenen Charaktere. Die Antwort auf die rhetorische Frage steht dementsprechend für den Erzähler schon von vornherein fest. Er erwartet Zustimmung in allen Punkten. Es wird davon ausgegangen, dass jeder „Mensch“ ohne großes Zögern, seine 99 Schafe zurücklassen und sich auf die Suche nach dem Verlorenen machen würde.11
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1 Conzelmann, Hans; Lindemann, Andreas: Arbeitsbuch zum Neuen Testament, S.202
2 Zimmermann, Mirijam; Zimmermann Ruben (Hg.): Handbuch Bibeldidaktik, S.197
3 Conzelmann, Hans; Lindemann, Andreas: Arbeitsbuch zum Neuen Testament, S.202
4 Ebd.
5 Zimmermann, Mirijam; Zimmermann Ruben (Hg.): Handbuch Bibeldidaktik, S.197
6 Ebd.
7 Zimmermann, Mirijam; Zimmermann, Ruben (Hg.): Handbuch Bibeldidaktik, S.198
8 Zimmermann, Ruben (Hg.): Kompendium der Gleichnisse Jesu, S.209
9 Ebd., S.215
10 Wolter, Michael: Das Lukasevangelium, HNT 5
11 Wolter, Michael: Das Lukasevangelium, HNT 5, S.206