Ein neuer Anlauf zur Neugliederung des Bundesgebietes


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

24 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsangabe

1. Einleitung

2. Theoretische Argumente
2.1. Pro
2.2. Contra

3. Verlauf der Neugliederungsdebatte seit 1945
3.1. Kriegsende bis zur Änderung des Artikel 29 GG 1976
3.2. 1976 bis heute

4. Artikel 29 GG
4.1. Entstehung und Änderungen
4.2. Bewertung der Kriterien zur Neugliederung

5. Fallbeispiel: Die gescheiterte Fusion von Berlin und Bran- denburg 1996

6. Ausblick
6.1. Wieso Neugliederungspläne keinen Erfolg haben
6.2. und wie man dies ändern könnte

7. Fazit

Literaturverzeichnis

„In jedem einzelnen Deutschen steckt eine Wertvorstellung

von der Verwaltung seines Landesgebildes, eine Ehrfurcht vor allem,

was einmal auf irgend eine Weise über ihn Gewalt hatte.“[1]

1. Einleitung:

Die Debatte um die Neugliederung der den deutschen Bundesstaat konstituierenden Bundesländer dauert schon seit der Bildung des ersten föderal organisierten deutschen Staates im Jahre 1871 an. Ergebnisse indes hat diese Debatte abgesehen vielleicht von der Bildung des Landes Baden-Württemberg in keiner Phase in größerem Umfang gehabt. Gegenstand dieser Arbeit soll es sein darzustellen, wieso es dennoch lohnt, diese Frage weiterzudiskutieren, obwohl auf Seiten der Bundes- und Landespolitik hieran derzeit nur geringes Interesse besteht und die Föderalismusdiskussion in Deutschland sich verstärkt mit anderen Fragestellungen befaßt.

Ausgehend von den Argumenten für eine Neugliederung, die seit über 50 Jahren teilweise unverändert und dennoch aktuell vorgetragen werden, und bei kritischer Würdigung der Gegenargumente wird ein Blick auf die Neugliederungsdebatte seit dem zweiten Weltkrieg geworfen und erläutert, inwiefern das Jahr 1976 hierbei einen Einschnitt bedeutet. Die Entstehung und die Änderungen des für eine Neugliederung besonders relevanten Artikels 29 GG werden beleuchtet, ebenso die in Art. 29 Abs. 1 GG genannten Kriterien, an der sich Neugliederungsvorhaben orientieren müssen.

Die vorerst gescheiterte Fusion der Bundesländer Berlin und Brandenburg erhält in dieser Arbeit besonderen Raum, da dieses Projekt der seit 1976 eingeschlafenen Diskussion neue Impulse verleiht und Hoffnungen auf weitere solche Vorhaben weckt. Die Gründe für und die Folgen des Scheiterns sind zu erläutern.

Schließlich gibt es im politischen und gesellschaftlichen System Deutschlands Beharrungskräfte, die einer Neugliederung fernab von Sachfragen erheblich im Wege stehen. Es gilt, diese zu benennen und Wege aufzuzeigen, wie man erfolgreicher als bisher ein Bewußtsein in der Öffentlichkeit sowie der gesellschaftlichen und politischen Elite für die Vorteile schaffen kann, die dem gesamten föderalen System aus einer Neugliederung des Bundesgebietes erwachsen können. Zudem muß erläutert werden, wie man die in dieser Angelegenheit immer wieder erkennbare Kluft zwischen Erkenntnis und zu geringem politischen Handelnsdruck überwinden kann.

2. Theoretische Argumente

In Deutschland besteht ein föderales System, in dem die politischen Beziehungen zwischen Bund und Ländern auf mehrfache Weise verknüpft sind, nämlich auf der Ebene der politischen Entscheidungen, bei der ausführenden Verwaltung und bei den Finanzbeziehungen und in dem auch zwischen den Ländern selbst Verknüpfungen in diesen Feldern bestehen[2], um die durch die Verfassung geforderte „Einheitlichkeit“ (Art. 106 Abs.3 Nr.2 GG) bzw. „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ (Art. 72 Abs.2 GG) zu gewährleisten.[3] Die theoretische Debatte um eine Neugliederung des Bundesgebietes dreht sich insbesondere um die Frage, ob ein solches System mit wirtschaftlich unterschiedlich leistungsstarken Bundesländern vereinbar ist.

2.1. Pro

Eine enge Verflechtung der politischen Entscheidungsebenen ist unproblematisch, sofern die Länder ihre Interessen gegenüber dem Bund gemeinsam vertreten. Hierzu ist es notwendig, daß die Unterschiede zwischen den Ländern nicht zu groß werden. Tritt dieses ein, plädieren die schwachen Länder dafür, einen Teil ihrer Aufgaben, zu deren Erledigung sie sich nicht mehr voll in der Lage sehen, auf den Bund zu übertragen bzw. in Kooperation mit diesem zu erledigen. Beide Wege schwächen jedoch auch die Kompetenz der leistungsstärkeren Länder und tragen zum Zentralisierungsschub im Bund-Länder-Verhältnis bei.[4]

Da „ein föderatives System immer nur so stark sein kann wie seine schwächsten Glieder“[5], muß die Zahl der Länder verringert werden mit dem Ziel, daß diese jeweils ähnlich leistungsstark sind wie alle anderen Länder. Die Länder eines in diesem Sinne neugegliederten Bundesgebietes können das Ziel einheitlicher Lebensverhältnisse besser erreichen als die derzeitigen dazu in der Lage sind. Insbesondere die Diskrepanz zwischen West- und Ostländern, in letzteren ballen sich die Symptome politischer, administrativer, wirtschaftlicher und finanzieller Schwäche zu kleiner politischer Einheiten, kann so aufgehoben werden.[6]

Durch neue Ländergrenzen kann außerdem die wirtschaftlich nicht zweckmäßige Zer-

schneidung von Ballungsräumen aufgehoben werden. Diese erschwert derzeit eine einheitliche Planung und Versorgung der Ballungsräume.[7] Länderübergreifende Kooperationen können diese Aufgaben generell nur weniger gut erfüllen und gelten als zweitbeste Lösung gegenüber einer Neugliederung.[8] Speziell die Stadtstaaten haben das sogenannte Speckgürtelproblem, in erheblichem Umfang Infrastruktur in Form von Straßen, Häfen Universitäten, Kliniken, Theatern etc. nicht nur für die eigene Bevölkerung, sondern auch die Bewohner des Umlandes bereitzustellen, ohne das letztere dies über Steuern mitfinanzieren. Die Verbindung der vier norddeutschen Länder zu einem Nordstaat und die Fusion von Berlin und Brandenburg können diese Finanzprobleme, die über den Finanzausgleich alle Bundesländer treffen, auflösen.[9]

16 Bundesländer bedeuten auch 16 Landtagswahlen innerhalb von höchstens fünf Jahren. Dies hemmt die Bundespolitik, die Republik befindet sich im Dauerwahlkampf. In einem verflechteten Föderalsystem hat jede Wahl in einem Land auch bundespolitische Bedeutung. Die Zusammenlegung von Landtagswahlterminen stellt keine überzeugende Lösung dar, jedoch eine Neugliederung mit weniger Ländern als Ziel kann auch den Bund in seiner Handlungsfähigkeit stärken.[10]

Kleine Bundesländer haben im Vergleich zu großen relativ höhere Regierungs- und Verwaltungsausgaben. Ziel einer Neugliederung muß es sein, diese Kosten in ein erträgliches Verhältnis zur Bevölkerungszahl zu bringen. Ein solches Ziel kann von Ländern mit unter zwei Millionen Einwohnern nicht erreicht werden.[11] Der derzeitige Finanzausgleich bietet durch Ergänzungszuweisungen für hohe Pro-Kopf-Kosten in kleinen Ländern sogar noch Anreize, diesen Zustand aufrecht zu erhalten.[12]

Der Einfluß der Länder im politischen Prozeß wird zudem durch die Europäische Union bedroht. Der Föderalismus ist im EU-Recht nicht verankert, allenfalls das Subsidiaritätsprinzip. Die Länder haben insbesondere durch die Übernahme von Verwaltungsaufgaben für den Bund Einfluß auf die Bundespolitik. In dem Maße jedoch, in dem nationale Hoheitsrechte auf die EU übergehen, verlieren die Bundesländer diesen Einfluß. Es kann in Zweifel gezogen werden, ob Art. 23 GG mit seiner Beteiligung des Bundesrates an der Willensbildung des Bundes in Angelegenheiten der EU dem effektiv entgegenwirken kann. Kompetenzen und Einfluß der Bundesländer als Regionen in der EU müssen noch festgelegt werden. Dazu ist eine einheitliche Position der Länder gegenüber der EU nötig. Die schon erwähnten Schwierigkeiten der Länder, eine solche gegenüber dem Bund zu finden, können auch bei den Verhandlungen mit der EU auftreten. Der nötige Ausweg ist in beiden Fällen eine Neugliederung mit dem Ziel der Homogenisierung der Leistungsfähigkeit und folglich auch der Interessen der Länder.[13]

2.2. Contra

Gegen das Ziel einer Neugliederung des Bundesgebietes werden verschiedene Bedenken angebracht. So widerspricht ein solches Vorhaben dem föderalen Gedanken. Es paßt nicht zusammen, starke, wettbewerbsfähige Länder zu fordern und gleichzeitig diesen Wettbewerbsföderalismus mit den Mitteln des unitarischen Staates erzwingen zu wollen. Ein solches Vorgehen entspricht eher einem Obrigkeits- als einem Föderalstaat.[14] Zudem herrschen in anderen Föderalstaaten wie der Schweiz oder den USA viel extremere Größenunterschiede zwischen den Kantonen bzw. Bundesstaaten als zwischen den deutschen Ländern, ohne daß dort eine Neugliederung diskutiert würde.[15]

Eine Neugliederung kann negative Auswirkungen auf das politische System der Bundesebene haben. Gliedert man z.B. das Bundesgebiet in sieben gleichgroße Länder mit gleicher Stimmenzahl im Bundesrat, so könnten gerade einmal vier Ministerpräsidenten der im Bundestag oppositionellen Fraktionen die Bundespolitik in großen Teilen blockieren, vier Ministerpräsidenten aus den Parteien der Regierungsparteien im Bund könnten eine umfassende Ohnmacht der Opposition herbeiführen. In jedem Falle widerspricht es dem Wesen eines politischen Organs, dessen Entscheidungskompetenz auf nur wenige, in diesem Beispiel durch die faktische Meinungsführerschaft der Ministerpräsidenten im Bundesrat auf vier Voten zu begrenzen.[16]

Auch für die politische Kultur in den Ländern kann eine Neugliederung negativ sein. Es kann gezeigt werden, daß bundespolitische Themen Landtagswahlkämpfe in großen

Ländern wie NRW öfter beherrschen als in kleinen wie Bremen. Folglich spielen landespolitische Themen in kleinen Ländern stärker eine Rolle, dies ist erhaltenswert.[17]

Auch in von den Alliierten als Zufallsgebilde geschaffenen Bundesländern wie Rheinland-Pfalz oder NRW hat sich ein Landesbewußtsein in der Bevölkerung gebildet, das nicht durch eine Neugliederung zerstört werden soll. Die Länder im heutigen Zuschnitt sind politisch rational, d. h., sie berücksichtigen historische Bindungen und regionale Eigenheiten. Eine rein wirtschaftsgeographische und verwaltungswissenschaftliche Herangehensweise verkennt die Bedeutung dieser Aspekte.[18] Insbesondere ist es politisch unzumutbar, die fünf neuen Länder nach deren Aufbau wieder aufzulösen.[19]

Außerdem werden wirtschaftliche Bedenken erhoben. Die Zusammenlegung strukturstarker mit strukturschwachen Gebieten führt demnach zur Stärkung der starken und zur Schwächung der schwachen Landesteile. Strukturstarke Gebiete sind oft zugleich bevölkerungsreich. Eine rational agierende Politik mit dem Ziel der Stimmenmaximierung bei geringstmöglichem Aufwand bemüht sich also vor allem um die ohnehin schon starken Landesteile. In diesem Sinne sind mehr statt weniger Länder nötig, um Strukturprobleme zu lösen.[20]

Einige der angeführten Argumente gegen eine Neugliederung haben bei deren Befürwortern Widerspruch erregt. So soll eine solche Gebietsreform nicht im unitarischen Sinne die Vielfalt der Länder beschneiden, sondern deren Stellung gegenüber dem Bund stärken und so die Überlebensfähigkeit auch der kulturellen Besonderheiten sichern.[21]

Die emotionalen Aspekte wie historisches und kulturelles Bewußtsein sind ebenso wenig allein entscheidend wie die ökonomischen. Beiden wird Rechung getragen, wenn die neuen Ländergrenzen keine alten Länder zerschneiden, sondern die neugebildeten Länder Additionen alter Länder sind.[22] Die besondere emotionale Problematik einer Neugliederung der fünf neuen Länder kann entschärft werden, indem man zunächst eine Neugliederung des alten Bundesgebietes vornimmt. Die dann durch einen Erfolg der West-Neugliederung noch größer werdende Kluft zwischen Ost und West würde die Durchsetzbarkeit der Neugliederung in der ostdeutschen Bevölkerung erhöhen.[23]

[...]


[1] Diesel, Eugen: Die deutsche Wandlung. Das Bild eines Volkes, Stuttgart/Berlin 1929, S. 19 f.

[2] Hoff, Benjamin-Immanuel: Länderneugliederung. Ein Modell für Ostdeutschland, Opladen 2002, S. 39 ff.

[3] Ebd., S. 17.

[4] Laufer, Heinz; Münch, Ursula: Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1998, S. 335 ff.

[5] Ebd., S. 337.

[6] Greulich, Susanne: Länderneugliederung und Grundgesetz. Entwicklungsgeschichte und Diskussion der Länderneugliederungsoption nach dem Grundgesetz, Baden-Baden 1995, S. 172 f.

[7] Bundesministerium des Innern (Hrsg.): Bericht der Sachverständigenkommission für die Neugliederung des Bundesgebietes, Bonn 1973, S. 89 ff.

[8] Hoff, S. 153 ff.

[9] Voscherau, Henning: Von der Wichtigkeit einer Länderfusion – Erfahrungen eines Landesvaters, der auf sie verzichten muß, in: Berlin und Brandenburg – ein Land?, Berlin 1996, S. 264 f.

[10] Greulich, S.174 f.

[11] Scheu, Erwin: Geographische, wirtschafts-, verkehrs- und sozialpolitische Gesichtspunkte für die Länderreform, in: Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten e.V. (Hrsg.): Die Bundesländer. Beiträge zur Neugliederung der Bundesrepublik, Frankfurt a.M. 1950, S. 46.

[12] Laufer; Münch, S.337.

[13] Stolorz, Christian: Bedrückende Entwicklungsperspektiven des Föderalismus im vereinigten Deutschland, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 28, 1997, Heft 2, S. 330 ff.

[14] Lehmbruch, Gerhard: Bundesstaatsreform als Sozialtechnologie? Pfadabhängigkeit und Veränderungsspielräume im deutschen Föderalismus, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung Tübingen (Hrsg.): Jahrbuch des Föderalismus 2000, Baden-Baden 2000, S. 89 f.

[15] Ebd., S. 91.

[16] Laufer, Heinz: Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland, 6. Auflage, Bonn 1991, S. 219 f.

[17] Röper, Erich: Aspekte der Neugliederung des Bundesgebiets, in: Der Staat. Zeitschrift für Staatslehre, öffentliches Recht und Verfassungsgeschichte 14, 1975, S. 318.

[18] Hartmann, Jürgen (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bundesländer, 3. Auflage, Bonn 1997, S. 12 f.

[19] Greulich, S. 180.

[20] Röper, Erich: Länderneugliederung löst kein Problem strukturschwacher Räume, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 28, 1997, Heft 4, S. 723 f.

[21] Greulich, S. 182.

[22] Greulich, S. 186.

[23] Greulich, S. 186 f.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Ein neuer Anlauf zur Neugliederung des Bundesgebietes
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Seminar für politische Wissenschaften)
Veranstaltung
Hauptseminar: Die deutschen Länder
Note
1
Autor
Jahr
2003
Seiten
24
Katalognummer
V51648
ISBN (eBook)
9783638475600
ISBN (Buch)
9783638643436
Dateigröße
524 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Anlauf, Neugliederung, Bundesgebietes, Hauptseminar, Länder
Arbeit zitieren
Christian Dickmann (Autor:in), 2003, Ein neuer Anlauf zur Neugliederung des Bundesgebietes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/51648

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