Leseprobe
Inhalt
I. Einleitung - „Ich schreibe keinen goldnen Topf mehr!“
II. Die Schrift in der Epoche der Romantik
III. Die Natur als Urschrift der Schöpfung
IV. „Poesie der Poesie“ - Transzendentalpoesie und Metafiktion
V. Metalepsen und Selbstreflexion im Goldnen Topf
VI. Fazit – Das Medium der Grenzüberschreitung
VII. Literaturverzeichnis
VIII. Teilnahmenachweis: Arbeitskurs zum wissenschaftlichen Arbeiten
I. Einleitung - „Ich schreibe keinen goldnen Topf mehr!“
Der goldne Topf, E.T.A. Hoffmanns romantische Novelle von 1814, gilt als sein wahrscheinlich bekanntestes Kunstmärchen der Romantik. Abgewertet als kranke Schöpfung eines psychisch kranken Menschen, sind zahlreiche Gesichtspunkte beleuchtet worden – sei es die Ausbildung einer ausgeglichenen Persönlichkeit, das Bedrohtfühlen von der gesellschaftlichen Wirklichkeit, die Sehnsucht nach einem Künstlerideal oder hermetisch alchemistische und kabbalistische Referenzen.
In Hoffmanns Erzählung folgen wir dem Studenten Anselmus, der eine Abschreibetätigkeit bei dem Archivarius Lindhorst verrichtet und dabei zahlreichen mystischen und wunderbaren Gestalten begegnet. Im Kampf gegen eine alte Rauerin und im Zwiespalt zwischen Wahnsinn und bürgerlichem Leben strebt er schließlich seiner großen Liebe Serpentina entgegen und findet seinen Platz an ihrer Seite in Atlantis.
Diese Arbeit wird an dieser Stelle untersuchen welche Rolle die Schrift dabei spielt und ihre Selbstreflexion beleuchten. Als Tor in eine höhere Welt, die Welt des Dichtertums, fungiert sie als Übergangsritual von einer Wirklichkeit in die andere und als Verwirrspiel des Protagonisten und Lesers zugleich. Die Erzählung zeigt deutlich, wie bewusst sich Hoffmann seiner Mittel war, wobei auch seine Rolle als Erzähler bedeutend wird. Es stellt sich die Frage was Hoffmann und viele andere romantische Schriftsteller dazu treibt, die eigene Form des Buches und die eigene Tätigkeit des Schreibens als Kernpunkt eines geschriebenen Buches fungieren zu lassen. So wird diese Arbeit im ersten Schritt die Epoche der Romantik näher beleuchten und welche Rolle die Schrift darin hatte, mit allen naturphilosophischen und wissenschaftlichen Referenzen, um im zweiten Schritt näher auf die Selbstbezüglichkeit und die Funktionen des Erzählers eingehen zu können.
Um auf den Punkt der Schrift konzentriert zu bleiben, werden die Punkte des Kabbala, der Alchemie, der ausgebildeten Zwei-Welten-Struktur mit all ihren Figuren der Erzählung und der Gattung entweder gar nicht oder nur im Zusammenspiel mit Schrift erläutert, um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen.
II. Die Schrift in der Epoche der Romantik
Mit dem Erscheinungsjahr 1814 befindet sich Der Goldne Topf in der romantischen Literaturepoche. Um der folgenden näheren Analyse der Schrift folgen zu können, ist es sinnvoll sich der romantischen Philosophien und Vorstellungen bewusst zu werden.
Die romantische Literatur bemüht sich nicht nur um die „organische Vermittlung der getrennten Sphären von Materie und Geist bzw. Natur und Geschichte“1, der Vermittlung von Subjekt und Objekt oder esoterischen Verfahren wie Alchemie, Magie und Naturmedizin (welche alle im Goldnen Topf wiederzufinden sind, womit sich diese Arbeit aber nicht beschäftigen wird), sondern vor allem auch um enge Verbindungen zwischen Kunst und Natur, Literatur und Philosophie2. Dies schließt die Schrift mit ein, mit der der Dichter versucht die „Geheimnisse der Natur“3 auszudrücken, was aber nicht mit der universellen Zeichenlehre geschehen kann, sondern nur in bildlicher Sprache der Kunst, „Natursprache“, die entziffert werden muss. Kremer führt hier den Begriff der „Chiffernschrift“ an; mit dem Ziel einer „schöpferische[n], ganz mit Bedeutung aufgeladene[n] Sprache“4. Der schöpferische Charakter der Schrift als Poesie in der Romantik wird immer wieder hervorgehoben, als „neue Weltschöpfung, als Konstruktion imaginärer Welten […], indem sie Schrift als >>immaterielle Materialität<< behandelt“5. Eine Bestätigung der These, dass „die ganze Schöpfung nichts als Sprache und Schrift sei“6
Beobachtbar in der Romantik ist ebenfalls das Aufkommen des Genres des Kunstmärchens und damit den Verlust der mündlichen Überlieferungen: „Die Poesie wird literat, d.h. sie konstituiert sich wesentlich durchs Geschriebene […].“7 Auffällig hier, im Gegensatz zum Volksmärchen, ist die Neigung zum Phantastischen, welche sich im Goldnen Topf als „Mensch-Tier-Kreuzungen“ und „Sprachfähigkeit nichtmenschlicher Natur“ zeigt8. Hoffmann selbst ist es, der seine Erzählung als „Märchen aus der neuen Zeit“ betitelt.
Wichtig zur Realisation des Zeichensystems, dessen Sinn erst ermittelt werden muss, ist der Gegensatz von Mimesis und Imagination. Kremer nennt sie „Grenzwerte künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten“9. Die Mimesis, also Nachahmung, der Natur war in der Romantik gewünscht, doch nicht als Abbild der schon bestehenden Welt, sondern „als Entwurf möglicher Welten, der den Gesetzen des Wahrscheinlichen verpflichtet bleibt“10. Noch mehr als um reine Abbildung geht es um die Erschaffung künstlicher Welten aus „dem eigenen Innenleben“11. Nur mit diesem Innenleben lässt sich auch Hegels Anspruch auf „den geschriebenen Buchstaben der Literatur als transparenten Durchgangspunkt des Geistes“12 erklären. Kluwe schließt hier Hoffmanns serapiontisches Prinzip an, dessen Definition diese Mimesis (als Entwurf einer möglichen Welt) „das im Inneren gefangene Bild durch poetische Darstellungen ins äußere Leben zu tragen“13 ist. So kommt sie zu dem Schluss, dass die Mimesis als reine Nachahmung der äußeren Welt mit der Poiesis konkurriert.14
Des Weiteren wird in der Romantik eine Schreibreform erkennbar. Gewollt ist eine „organisch kohärente Handschrift“, weswegen die Frakturhandschrift zum Feind erklärt wird15. Das Ziel wird eine verbundene Handschrift, geschrieben wie aus einem Guss, damit ein Individuum aufkommen kann, das (den Stift) nicht oft absetzen muss16. Es wird eine naturhafte Urschrift beschrieben, bei der Signifikate und Signifikante identisch sind; „die Urschrift als Genesis von Schrift aus Natur“17. Dies beruht auf der romantischen Überzeugung, dass „in einem weit zurückliegenden gesellschaftlichen Urzustand die Menschheit in inniger Harmonie mit der Natur und mit Gott lebte“18, was Werner auch mit dem romantischen Interesse für den Mythos verbindet.
III. Die Natur als Urschrift der Schöpfung
Nähern wir uns nun der Schrift im Goldnen Topf. Anselmus ist sich seiner Schreibkünste zunächst sehr sicher und präsentiert sie dem Archivarius Lindhorst, dem Anselmus' Manuskripte direkt missfallen:
Anselmus wurde wie vom Blitz getroffen, als ihm seine Handschrift so höchst miserabel vorkam. Da war keine Ründe in den Zügen, kein Druck richtig, kein Verhältnis der großen und kleinen Buchstaben, ja! schülermäßige schnöde Hahnenfüße verdarben oft die sonst ziemlich geratene Zeile.19
Hier wird der Konflikt zwischen der modernen englischen Schreibweise (Kurrentschrift oder Frakturschrift) und einer organischen handschriftlichen arabischen oder indischen Schrift deutlich: gekennzeichnet durch spitze Winkel widerspricht sie dem poetisch rundlichen Ideal20. In der Unterhaltung zwischen Konrektor Paulmann und Registrator Heerbrand wird deutlich, wie sehr die Frakturschrift dem bürgerlichen Beamtenideal entspricht: „[...] und nur noch gestern tanzte auf gleiche Weise eine herrliche große lateinische Frakturschrift vor meinen hellen offenen Augen umher.“21 - das Ideal, welches Anselmus nicht anstrebt. Die Verbindung zu einer „naturhaften Urschrift“ wird im weiteren Verlauf der Abschreibeprozesse von Anselmus klarer, wenn er
sich nicht wenig über die seltsamen verschlungenen Zeichen [wunderte], und bei dem Anblick der vielen Pünktchen, Striche und Züge und Schnörkel, die bald Pflanzen, bald Moose, bald Tiergestalten darzustellen schienen, wollte ihm beinahe der Mut sinken, alles so genau nachmalen zu können.22
Archivarius Lindhorst selber scheint die Verbindung zur arabischen Urschrift zu sein, denn
Er besitzt außer vielen seltenen Büchern eine Anzahl zum Teil arabischer, koptischer, und gar in sonderbaren Zeichen, die keiner bekannten Sprache angehören, geschriebener Manuskripte. Diese will er auf geschickte Weise kopieren lassen, und es bedarf dazu eines Mannes, der sich darauf versteht, mit der Feder zu zeichnen, um mit der höchsten Genauigkeit und Treue alle Zeichen auf Pergament, und zwar mit Tusche, übertragen zu können.23
Mit der Hilfe von Serpentinas Stimme bewältigt er auch diese scheinbar unlösbare Aufgabe und besteht „die Probe im Arabischschreiben“; darf sich „in der 8. Vigilie auf der letzten und höchsten Stufe der Schreibkunst bewähren“24. Genau diese höchste Stufe findet in der blauen Bibliothek statt, die für das Märchen zentral wird. Erst hier kann Anselmus das entziffern und den Sinn dessen verstehe, was die Romantik als „hieroglyphischen Zeichenraum“25 versucht zu verschlüsseln: „eine leicht zu lesende Geschichte […] derart durchwirk[t]“ mit „hermetischen, besonders alchemistischen und kabbalistischen Spuren, dass ein semiotisch höchst komplizierter Text entsteht“26. Die Kopiersequenzen werden zur „Schreibschule“, geführt durch Archivarius Lindhorst, in denen Anselmus' Handschrift normiert wird, um so in das „System in strahlendem Dichtertum“ treten zu können27 ; die kalligraphischen Übungen symbolisieren „den poetischen Prozess selbst“ und werden „zum entscheidenden Medium der Grenzüberschreitung in das ersehnte Phantasieland 'Atlantis' [...]“28 Die „selbstreflexive Komponente“ der Schrift verweist so „auf eine für Hoffmanns Erzählung zentrale Poetikkonzeption“ - sein „poetisches Ideal“, welches sich aus der Materialität der Schrift, einem anschaulichen Schriftbild und der Tätigkeit des Kopierens zusammensetzt („Kunst als Schreibdisziplin“)29.
Gerade Lindhorsts Tochter und Anselmus' Geliebte, Serpentina, ist der Schlüssel zum Tor ins Dichtertum, dem Anselmus entgegenstrebt. Schon in der Ekstase unter dem Hollunderbaum, fängt „mit Gelispel, Geflüster, Geklingel […] Naturpoesie an“30. Diese „Naturpoesie“ in Form von Serpentina begegnet Anselmus bei seinen Kopiervorgängen immer wieder; so wie die Buchstaben s und sch „das Tiervorbild Schlange beschworen haben“31, wird die körperlose Traumgestalt selbst zur Schrift:
Er hatte den Arm um ihren schlanker als schlanken Leib gelegt, aber der schillernde glänzende Stoff ihres Gewandes war so glatt, so schlüpfrig, dass es ihm schien, als könne sie, sich ihm schnell entwindend, unaufhaltsam entschlüpfen, und er erbebte bei dem Gedanken.32
Anselmus selber muss bei seinen Abschriften „nur noch lernen, wie die Stimme, die aus der Natur geworden ist, auch noch Buch werden kann […]. Anselmus, unterm Holunder nur Ohr und Auge, hat einen Dichterweg vor sich, der ihn schließlich zum Lesen und Schreiben seines eigenen Initationsaugenblicks befähigt.“33 Als Verkörperung der guten Seite im Märchen steht Serpentina der bösen entgegen, zusammengesetzt aus der alten Rauerin und Veronika - „Serpentina [macht] das Schreiben just da möglich und notwendig […], wo eine Riesenschlange es überflüssig machen will.“34 Sie mutiert selbst zur idealen Schönschreiblinie, dessen Herkunft aus dem Manierismus bekannt ist, als figura serpentina.oder später bei Hogarth als line of beauty 35. Die Thematisierung „einer Form von 'abweichender' Liebe und Sexualität“36 zeigt weiterhin die Zugehörigkeit zur phantastischen Gattung. Die Schlangenlinie führt wieder zurück zur Natur; als „symmetrische, verwickelte Formen in Natur und Kunst, z.B. an Pflanzen [...]“37 und genau das verknüpft Oesterle mit Arabesken. Was diese Rankenornamente aus der bildenden Kunst mit der figura serpentina gemeinsam haben, ist „die Bewegung und Reduktionsfähigkeit“, mit der das “Fremde [verbunden wird], ohne es bis zur Unkenntlichkeit zu amalgamieren.“38 Abgesehen von den offensichtlichen Schlangenlinien, die in Arabesken in Form von Ranken wiederzufinden sind, wird die flächenhafte Ornamentdimension mit einer räumlichen Bilddimension verknüpft; lässt Realität und Phantastisches wie im Goldnen Topf ineinanderfließen. Serpentina ist „ein Tier und zugleich eine bildhübsche Frau im grünen Negligé, sie ist eine Kunstfigur und zugleich abstraktes Prinzip.“39, ein „Irritationsspiel“ mit „unmerkliche[m] Wechsel vom Alltag ins Wunderbare, vom Wirklichen ins Traumhafte, vom Prosaischen ins Poetische, vom Realitischen ins Phantastische.“40 Bis zum Schluss bleibt weiterhin offen, ob Serpentina nun „ein reines Traumgebilde, ein Produkt der Imagination oder irreführendes Trugbild darstellt“, denn Serpentina oszilliert „zwischen einem menschlichen und einem tierischen Wesen“, was ihrem Körper „etwas Ungreifbares, Gleitendes und potentiell bedrohliches“ verleiht41.
[...]
1 Kremer: Naturphilosophie, S. 59.
2 Vgl. Kremer: Naturphilosophie, S. 60f.
3 Ebd., S. 62f.
4 Ebd., S. 66.
5 Kremer: Sprache im Spannungsfeld von Mystik, Poesie und Wissenschaft, S.70f.
6 Oesterle: Arabeske, Schrift und Poesie, S. 79.
7 Ebd., S. 82.
8 Vgl. Kremer: Romantische Kunstmärchen, S. 188f.
9 Kremer: Theorie der Imagination, S.103.
10 Kremer: Grundfiguren der romantischen Poetik, S. 102.
11 Ebd.
12 Kremer: Literaturwissenschaft als Medientheorie, S. 8.
13 Kluwe: Definition der Kontrafaktur, S. 72.
14 Ebd., S. 73.
15 Kittler: Väterliche Schreibunterrichtsreform, S. 102f.
16 Ebd., S. 104 – 106.
17 Ebd., S. 107f.
18 Werner: Das mystische Geschehen in den Märchendichtungen, S. 133.
19 Hoffmann: Der goldne Topf, S. 51.
20 Vgl. Oesterle: Handschrift und Inspiration, S. 69f.
21 Hoffmann: Der goldne Topf, S. 16.
22 Ebd., S. 65.
23 Ebd., S. 18f.
24 Oesterle: Handschrift und Inspiration, S. 70.
25 Kremer: Poetische Selbstreflexion, S. 105.
26 Ebd., S. 197.
27 Kittler: Väterliche Schreibunterrichtsreform, S.106.
28 Simons: Ästhetische Selbstreflexion, S. 131.
29 Ebd., S. 133.
30 Kittler: Mündliche Initation als Sprachbeginn, S. 99.
31 Ebd., S. 100.
32 Hoffmann: Der goldne Topf, S. 67.
33 Kittler: Mündliche Initation als Spracbeginn, S. 101.
34 Kittler: Beamtenmythos und Bibliotheksphantastik, S. 114.
35 Vgl. dazu Oesterle: Handschrift und Inspiration, S. 73f.
36 Simons: Literarische Phantastik und kulturelle Gender-Rollen, S. 123.
37 Oesterle: Hanschrift und Inspiration, S. 75.
38 Oesterle: Rokokoarabesken, S. 90.
39 Ebd., S. 89.
40 Ebd., S. 92.'
41 Simons: Momente der Unschlüssigkeit und Polyvalenz, S. 124f.