Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung: Freiheit in Vorgaben?
2. Die Dichtung des Barocks: Kriegsverarbeitung und Christlichkeit
2.1 Der Exemplum-Charakter und Doppeltitel
2.2 Allegorie und Emblematik
3. Die Regeln der formstrengen Dichtkunst und Opitz‘ Dichtungsanspruch
4. Die Problematik der Gattungszuweisung: Märtyreroder Tyrannendrama?
5. Fazit: Das System im Chaos
6. Bibliographie
1. Einleitung: Freiheit in Vorgaben?
Die Werke des Andreas Gryphius werden oft als exemplarische Beispiele barocker Literatur genannt und scheinen allen Vorgaben gerecht zu werden. Denkt man an die barocke Literaturepoche, kommen einem spontan meist formstrenge Lyrik, Künstlichkeit und Prunk in den Sinn. Trotz aller streng geordneten vershaften Formate, findet man in der Literatur des Gryphius die zentralen Themen der Unentscheidbarkeit, Ohnmacht, Zwiespältigkeit und Untätigkeit wieder. Wie ist das miteinander vereinbar?
„Leo Armenius“ konzentriert sich auf eine Herrschaftstragödie, in der Kaiser Leo durch Ohnmacht und Unentschlossenheit in einen mörderischen Hinterhalt seines obersten Feldhauptmannes Michael Balbus gerät. Doch wie lässt sich Herrschaft mit theaterlicher Scheinwelt und Christlichkeit vereinbaren? Wie verhält sich Sinn zu dem fehlenden kohärenten Handeln der Figuren?
Diese Arbeit wird die Zwiespältigkeit in Gryphius‘ „Leo Armenius“ untersuchen, die sich in zahlreichen Gesichtspunkten wiederfindet. Dabei wird sich diese Arbeit in Kapitel zwei auf die Dichtung der barocken Zeit, exemplarische Figuren und allegorische bzw. emblematische Teile des Dramas konzentrieren, um in Kapitel drei Martin Opitz‘ Poetikvorgaben näher unter die Lupe zu nehmen, in dessen Bezug „Leo Armenius“ als ausführendes exemplarisches Beispiel gilt. Kapitel vier analysiert abschließend eine Gattungsproblematik zwischen Märtyterund Tyrannendrama. Erläutert wird das Thema Angst und vanitas, um Kaiser Leos Motive herauszustellen, um dann auf das überweltlich Christliche einzugehen und weiterführend an die Allegorien anknüpft, die zum Großteil religiös ausfallen, was den Bezug zu Leos Märtyrertod herstellt. Sie analysiert weiterhin die historischen Quellen der Handlung und den damit zusammenhängenden Originalitätsund Exemplumanspruch, um auf Gryphius‘ Doppeltitel einzugehen und an den emblematischen Bau des Dramas anzuknüpfen, der Gryphius eingeführten Reyen der Höflinge erklärenden Zweck vermittelt. Zu guter Letzt wird diese Arbeit Martin Opitz‘ Poetik einführen, um den Bau des Dramas näher zu erläutern und die Formstrenge zu betonen, um zu dem Schluss zu kommen, dass in einer Zeit der Ordnungssysteme doch eine Mentalität der Unentschlossenheit vorherrscht.
2. Die Dichtung des Barocks: Kriegsverarbeitung und Christlichkeit
Um Gryphius‘ ‚Leo Armenius‘ näher analysieren und einordnen zu können, ist es von Vorteil erst einmal die Literatur, vor allem die Dichtung und Poesie, des Zeitalters des deutschen Barock zu skizzieren und die dort aktuellen Lebenseinstelllungen des 17. Jahrhunderts festzuhalten, denn viele Formalitäten und Inhalte in Gryphius‘ Trauerspiel scheinen uns heutzutage fremd und künstlich vorzukommen, sind aber im Barock allgegenwärtig.
Jede echte Dichtung […] gibt Antwort auf bestimmte Fragen, die im Sein des Menschen selbst begründet liegen und nicht aufhören, das Herz des Menschen zu beunruhigen. Sie beantwortet sie nicht […] – aber sie antwortet auf sie; und indem sie das Beunruhigende und Bedrängende und das Beglückende, ja Beseligende zu Worte kommen lässt, übt sie ihre Macht aus […], dem Lastenden einen Teil seiner Schwere zu nehmen und das, was das Herz des Menschen erfreut, über das Nur-Irdische emporzuheben. Der Dichtung des Barock […] eignet diese Fähigkeit in hohem Grade.1
So beschreibt Rüttenauer die Dichtung des Barock, wenn sie über das wiederkehrende Gefühl dieser Ära berichtet: Angst. Geprägt vom dreißigjährigen Krieg (1618-1648) befindet sich die barocke Dichtung in einer Zeit der Angst im Sein des Menschen; der heilsgeschichtlichen Verlorenheit des Menschen; der christlichen Apokalypse und Erlösung des Menschen2. Gryphius selber wurde 1616, zwei Jahre vor Ausbruch des Krieges, in eine protestantische Pfarrerfamilie geboren und genau diese „Eindrücke der Zerstörbarkeit und Nichtigkeit alles Irdischen“3 prägt die unter den Verheerungen des Krieges leidende traurigste Zeit Deutschlands4. Der Barock „[erfaßt] […] das Seiende in Krisenpunkten […], in der höchsten Freude so wie im tiefsten Schmerz“5. Auch Federmair weist auf eine „gewisse Schwere“6 hin, die melancolia, die eine Verschiebung mit sich führt: „Was wir jetzt tun, tun wir eigentlich im Hinblick auf ein Später, und nicht nur das, wir tun es im Hinblick auf ein Immer.“7 Explizit in ‚Leo Armenius‘ lässt Gryphius dies anklingen und verarbeitet den Krieg und die Nichtigkeit in seiner Vorrede:
Indem vnser gantzes Vatterland sich nuhmehr in seine eigene Aschen verscharret / vnd in einen Schawplatz der Eitelkeit verwandelt; bin ich geflissen dir die vergaͤnglichkeit menschlicher sachen in gegenwertigem / vnd etlich folgenden Trawerspielen vorzustellen. Nicht zwar / weil ich nicht etwas anders vnd dir vielleicht angenehmers vnter haͤnden habe: sondern weil mir noch dieses mal etwas anders vorzubringen so wenig geliebet / alß erlaubet.8
Er nimmt den dreißigjährigen Krieg, der die Welt in Asche verwandelt, und die Vergänglichkeit nicht nur in das Trauerspiel mit auf, er führt es gleichzeitig als Grund an, dieses Trauerspiel überhaupt zu schreiben. Man „erlaube“ ihm gar nicht über etwas anderes zu schreiben, denn es gehört zu seinen Pflichten dies so auf Papier zu bringen. In der Epoche „des Fortriebs und der Glücksbegier […], der suchenden Rezeptionen und der ordnenden Konventionen“9 tritt heraus, dass das Lebensgefühl der Eitelkeit und Vergänglichkeit (lat. vanitas) alles irdischen Strebens ein zentrales Motiv des Barock war; geprägt von Angst vor Arbeitslosigkeit, Krankheit und Umweltzerstörung. Man hat in der „Jetztzeit“ nichts verloren und muss „auf die Zeit [des] Jenseits […] ausweichen.“10 Dies formt sich „zur Angst des Daseienden überhaupt, […]. Indem ihm offenbar wird, daß das Daseiende keinen Sinn in sich selbst hat, leuchtet ihm der Sinn auf, den es aus einem außerhalb seiner selbst liegenden Bereiche erhält: „dem Bereiche des Überweltlichen.“11 Hier kratzt Rüttenauer den nächsten wichtigen Lebensbereich des Barock an: Religion. Da das Irdische weder Sinn noch Bestreben verfolgt, wird sich höheren Zielen gewidmet: „Der […] christliche Glaube definiert die Ewigkeit als das >>nunc stans<<, den währenden Augenblick. Der Hinweis auf den Ewigkeitsgehalt des Augenblicks ist die Antwort dieses Glaubens auf die Angst des Vergehens.“12 Somit ist, wie Rüttenauer zusammenfasst, zu wenig gesagt, wenn man Gryphius‘ Dichtung nur unter den Gesichtspunkt der Angst stellt. Vor allem geht es darum diese Angst des Irdischen hinter sich zu lassen: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost: ich habe die Welt überwunden“13 Auch Trunz beschreibt den Barock als die Zeit der „harmonikalen Beziehungen zwischen den verschiedenen Bereichen und den Gesetzen, welche Gott der Natur gab. […] Wo der Mensch Harmonie schafft, zeigt er, dass er die göttliche Ordnung denkt und sich in sie hineinzustellen versucht.“14 Als Beispiel fungiert bei Trunz die Pansophie, die religiös-philosophische Lehre für ein allumfassendes Wissen des 16. Jahrhunderts, denn der Pansoph „sucht die große Harmonik, die Gesetzlichkeit des Seienden in seiner Ganzheit.“15 Dies hat auch „einen Rausch der Gottnähe“16 als Konsequenz. Die Sorge des irdischen Vergänglichen und die Gottesnähe zeigt sich in „Leo Armenius“ deutlich. Denn Kaiser Leo selber, ist „erfüllt von Sorge um die Macht […]“17 ; wirkt deshalb schwermütig:
So nimbt er weder rath noch warnung mehr in acht? […] mehr denn verfluchter Mann! Vndanck dem Laster selbst kein Laster gleichen kan! […] Hat vns die kalte Svhlang / die jetzund sticht / betrogen. […] Was ist ein Printz doch mehr alß ein gekroͤnter Knecht Den jeden augenblick was praͤchtig vnd was schlecht Mit hand vnd mund verletzt. […] Bald fuͤr / bald wider jhn /vnd jhn vom hofe jagt / Wenn sich das spiel verkehrt.18
Deutlich ist Kaiser Leo in Aufruhr und fürchtet um seinen Thron; der Thron als das Irdische was er besitzt und vergänglich erscheint. „In weniger als 24 Stunden […] stürzt der Kaiser von der Herrschaft in den Tod durch Mörderhand. […] dieser Zeitraffereffekt [bringt] die jähen Umwälzungen der irdischen Dinge und Verhältnisse besonders kraß zur Erscheinung.“19 Auch die oben ausgeführte „Vereinbarkeit von himmlischem und irdischem Wohlergehen“20 und die Gottesnähe oder Christlichkeit, die im Barock eine große Rolle spielt, klingt deutlich in „Leo Armenius“ an. Ganz simpel spielt das Trauerspiel „beginnet den Mittag vor dem heiligen Christtage; wehret durch die Nacht / vnd endtet sich vor aufgang der Sonnen“21 ; sprich kurz vor Weihnachten, „[i]n dem DCCCXX. [820.] Jahre nach vnsers Erloͤsers Geburt […]“22. Weiterführend „[stellt] das Geschehen [in] der Christnacht dann ihren Glauben auf die höchste Probe […]“23: Kaiser Leo stirbt durch Balbus‘ Hand am Weihnachtsabend auf dem Jesuskreuz.
Diese [mitverschworenen] aber gelangen durch eine sondere list in die Burg / vnd erwuͤrgen den Keyser jaͤmmerlich vor dem Altar / […] Die Kirchen ist entwey’t. Der Fuͤrst bey dem Altar Erstossen; jhre Cron vnd leben laufft gefahr. […] Er fuͤhlte das die kraͤfft‘ jhm algemach entgangen / Alß er das Holz ergriff / an welchem der gehangen Der sterbend vnß erloͤst / […] Ich hab es selbst gesehn / wie Er das Creutze kuͤßte: Auff das sein Coͤrper sanck / vnd mit dem kuß verschied / […]24
Dieser Tod setzt Leo mit Jesus am Kreuz auf eine Stufe. Eine näher gehende Analyse Leos‘ Tod bietet sich jedoch in Kapitel IV besser an, wenn es um die Gattungsfrage geht. An diesem Punkt der Analyse ist nur festzuhalten, dass Gryphius Gottesnähe und Christlichkeit in sein Trauerspiel einbindet, da „das Bühnenspiel [im] geistlichen Drama [gipfelt], bei den Jesuiten und auch bei den protestantischen Dichtern […]: es zeigt den Helden, der im Wirbel der Welt auf Gott blickt und sich nicht beirren läßt, selbst wenn um ihn die Flammen des Scheiterhaufens lodern […], [denn] für einen Dichter [war es] die höchste Aufgabe, das Heilige zu verherrlichen; er durfte seine Arbeit als ein sacrificium empfinden. […]“25 Trunz erwähnt später, dass gerade Dichtung für die Heiligkeit des Christentums wie geschaffen war, da man davon ausgeht, dass es im Evangelium „Im Anfang war das Wort“26 heißt und auch in der Genesis lautet es „Gott sprach“27. Worte scheinen demnach einen hohen Stellenwert zu haben, denn „mit einem Wort also rief Gott die Dinge ins Sein.“28
2.1 Der Exemplum-Charakter und Doppeltitel
„[…] überhaupt ist unser Begriff der Originalität dem 17. Jahrhundert fremd […]“29, schreibt Kaiser und auch diese Aussage lässt sich mit typischen Gepflogenheiten des Barocks erklären. Zum einen ist es für Kaiser wahrscheinlicher, dass Gryphius sein Trauerspiel im Herbst 1646 statt um 1650 geschrieben hat, da „im Frühjahr des gleichen Jahres [das] titelund themengleiche Drama [„ Leo Armenius seu Impietas punita “] des Jesuiten Joseph Simon [in Rom zu sehen war.]“30 Auch Gryphius selber weist im Trauerspiel darauf hin:
Ein ander mag von der Außlaͤnder Erfindungen den Nahmen wegreissen vnd seinen darvor machen: […] Die Abteilung der trawrvnd Lustspiele in gewisse stuͤck oder Scenas / ist den Alten / Wie auß geschribenen vnnd theils gedruckten Buͤchern zusehen / gantz vnbekandt gewesen. Nichts weniger haben wir solche mehr dem Leser zu gefallen behalten / alß daß wir sie hoch billichten; […]31
Zum anderen ist Gryphius‘ Trauerspielhandlung primär auf historiographische Darstellungen von Georgius Kedrenos und Johannes Zonaras, zwei byzantinischen Geschichtsschreibern des 11. Und 12. Jahrhunderts, gestützt: „[…] Einigkeit der Christen in glaubens sachen vnd allgemeinen bekehrung der Juden gelernet / darff derowegen Niemand fuͤr gantz eitel halten / was gedachte Zonaras vnd Cedrenus vnd wir auß jhnen von etwa dergleichen Buch erwehnen.“32 ; „Die Historie erzehlen weitleufftiger Cedrenus vnd Zonaras in jhrem Leone vnd Michaël Balbo.“33 Diese beiden Quellen berichten vom byzantinischen Kaiser Leo V. der in den Jahren 813-820 regierte und am Weihnachtsabend 820 von den Verbündeten seines Freundes Michael Psellos in der Palastkapelle ermordet wurde. Michael bestieg an seiner Stelle den Thron und seine Frau Theodosia und seine vier Söhne wurden verschont. Hier entdeckt man eindeutige Parallelen zum Geschehen welches Gryphius schildert, was bedeutet, dass das Trauerspiel nicht nur von einem anderen Jesuitendrama inspiriert wurde, sondern auch Stoff von historischen Quellen aufnimmt. Weitergehend betitelt Meid barocke Trauerspiele sogar als „Geschichtsdrama“, da die Stücke „ihre Stoffe aus der Geschichte [nehmen]. Dabei […] [werden] politische, ethische und religiöse Konflikte, die verhandelt werden [thematisiert].“34 Trunz sieht in dem historischen Charakter barocker Dramen einen „Exemplum-Charakter“35:
Diesen >>Exemplum<<-Charakter des historischen Faktums kann man auch an den barocken Dramen ablesen. Sie benutzen oft geschichtliche Stoffe, aber nicht, um Geschichte (im modernen Sinne) darzustellen, sondern um einen allgemeinen moralischen Verhalt zu erläutern. Für diesen wird ein >>Exemplum<< aus der Geschichte gewählt. Deswegen die barocken Doppeltitel; der eine nennt den allgemeinen Verhalt, der andere das reale >>Exemplum<<.36
Den typischen Doppeltitel trägt, wie so viel barocke Literatur, auch Gryphius‘ „Leo Armenius“: In der Ausgabe von 1650 lautet der Titel „ Ein Fuͤrsten-Moͤrderisches Trawer-Spiel / genant, Leo Armenius. “; in der Ausgabe von 1652 ist das Drama mit „ Leo Armenius / oder Jaͤmmerlichen Fuͤrsten-Mords Trauer-Spiel“ betitelt. Trunz Hypothese angewendet, wäre wohl „ Leo Armenius“ das Exemplum und „oder Jaͤmmerlichen Fuͤrsten-Mords Trauer-Spiel“ der allgemeine Verhalt, der „auf die politische Brisanz des Themas“37 eingeht. Meid geht auf den Exemplum-Charakter in anderer Weise ein. Er führt an, dass das Trauerspiel diesen generell in sich trägt, da es „den Zuschauer auf die Tugenden der Beständigkeit und Großmütigkeit [verweist] […], um sich in den schrecklichen von Krieg und konfessioneller Verfolgung zu behaupten […].“38 Dies tun Trauerspiele indem sie „Tugenden der beispielhaften Figuren“39 einbeziehen. Gemeint in Bezug auf „Leo Armenius“ ist der Märtyrertod Leos als Tapferkeitsbeispiel und vor allem auch das Muster des Tyrannen in Gestalt von Michael Balbus als Gegenbild. Dies bestätigt Leo selber als Exemplum. Auch Benjamin geht auf den Doppeltitel ein. Er erklärt diese mithilfe der wiederkehrend auftretenden Allegorien in Trauerspielen: „Daß es in ihnen um die Schaustellung einer allegorischen Typik sich handelt, erhellt allein aus der Gepflogenheiten der Doppeltitel. […] Von solchen Titeln geht der eine auf die Sache, der andere auf das Allegorische daran.“40 Allegorien und Emblematik haben in der barocken Dichtung, also auch in „Leo Armenius“, einen hohen Stellenwert, der in der Forschung oft aufgegriffen und erläutert wird.
2.2 Allegorie und Emblematik
Unter Allegorie versteht man heutzutage eine indirekte sinnbildliche Aussage, die auf Ähnlichkeitspunkten zweier Dinge basiert und dabei aus mehr als einem Wort besteht, um nicht in die Kategorie Metapher zu fallen. Eine auffällige Allegorie in „Leo Armenius“ ist unter anderem das Spiel von Licht und Dunkelheit, durchzogen mit der „Vorstellung, daß die Naturordnung eine Parallele der Heilsordnung sei.“41 Dies nennt Trunz die „Analogien der Daseinsbereiche“42, vor allem Gott und die Natur betreffend. Somit bezieht Trunz das Göttliche auf den Naturbereich des Lichts und das Luziferische auf das Dunkel: „Gott hat die Dinge so zusammengeordnet; […] Der Wechsel von Tag und Nacht ist bildhafte Entsprechung der Stellung des Menschen zwischen Sünde und Gnade.“43 Auch Rüttenauer geht genau auf diesen Punkt des heilsgeschichtlichen Sinns ein. Sie beschreibt „das Dunkel der Nacht und die Befreiung von ihr durch das Licht; […] [als] die Verlorenheit des Menschen, der unter Sünde steht, und die Erlösung von ihr durch die Heilstaat Gottes […]“44 Auf Gryphius Trauerspiel übertragen geschieht genau das: Kaiser Leo behält tagsüber seine Macht, gerät in der Weihnachtsnacht in den mörderischen Hinterhalt und erfährt am Morgen danach die Gnade Gottes. Schon bevor der Leser von dem Tod Leos erfährt, klagt Theodosia über den Einbruch der Dunkelheit: „Ach! grawen volle nacht! Ha! schreckenreiche zeit! Betruͤbte Finsternis! Muß denn das grimme leidt deß kummers auch die Ruh deß muͤden schlaffs bestreiten? Vmgibt denn Throne nichts als rawe bitterkeiten?“45 Passend erklärt Rüttenauer das „Dasein in der Nacht [als] die Weise des Seins ohne Gott, […] es ist die Weise des Seins in der Sünde. Die Nacht ist in der Dichtung des Gryphius ein Symbol des unerlösten Daseins.“46 Hinzu kommt das Auftreten des höllischen Geistes in der Nacht des vierten Akts, der von den Verschworenen um Rat gebeten wird: „Schrecklicher Koͤnig der maͤchtigen Geister. Printze der Luͤffte Besitzer der welt: Herrscher der jmmerdar-finsteren Naͤchte: Der Tod vnd Hellen gesetze vorstellt.“47 Die Gegenbildlichkeit wird durch das Auftreten des Geistes verstärkt, denn die „Weihnachtsoffenbarung [wird in der gleichen Nacht der] Teufelsoffenbarung [entgegengesetzt] […]. Auf der einen Seite Gott, auf der anderen Seite der Teufel. […] Gott stellt die Natur her, der Teufel verkehrt sie […]“48 Trotz aller Sinnbildlichkeit schreibt Benjamin, dass diese Allegorien des Bösen „Nichtsein dessen, was [sie] vorstell[en]“49 bedeuten: „Die absoluten Laster, wie Tyrannen und Intriganten sie vertreten, sind Allegorien. Sie sind nicht wirklich, […]“50 Interessant gegenüber dem Denken, dass das Dunkel das Böse beinhaltet, ist, dass die Bibel das Böse „unter dem Begriff des Wissens [einführt]“51. Beim Sündenfall treten Adam und Eva dem Bösen in Form der Schlange gegenüber und später in Form von Erkenntnis. Will man nun aber die Schlange als das Böse identifizieren, steht in der Entstehungsgeschichte „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut.“52 Bedeutend, dass das „Böse gar keinen Gegenstand [besitzt]. […] Es setzt sich mit der Lust am Wissen erst, vielmehr am Urteil, in dem Menschen selber.“53 Fraglich ist nun, wenn man der heilsgeschichtlichen Allegorie folgt, ob das Böse überhaupt existiert. Auch „Leo Armenius“ lässt dies weitgehend offen, denn der Leser lernt Leo als einen vermeintlich guten Kaiser kennen. An dem Punkt wo das Stück einsetzt, weiß der Leser nichts darüber, wie Leo herrscht oder ob er ein gutmütiger Kaiser ist, der sein Volk durch schwere Zeiten bringt. Lauscht man nämlich Michael Balbus im ersten Akt, steht der Kaiser nicht mehr so gut da, wie der Leser annimmt:
[...]
1 Rüttenauer: Die Angst in der Lyrik des Gryphius, S. 36.
2 Ebd., S. 37.
3 Ebd., S. 39.
4 Vgl. ebd., S. 38-39.
5 Ebd., S. 39.
6 Federmair: Memento Mori, Carpe Diem, S. 538.
7 Ebd.
8 Gryphius: Leo Armenius Vorrede, S. 4.
9 Cysarz: Gesamtbild, S. 18.
10 Federmair: Für eine barocke Literatur, S. 540.
11 Rüttenauer: Die Angst in der Lyrik des Gryphius, S. 40.
12 Ebd., S. 44.
13 Die Bibel: Johannes 16,33, S. 1212.
14 Trunz: Weltbild und Dichtung, S. 3.
15 Ebd., S. 8.
16 Ebd.
17 Kaiser: Leo Armenius, S. 12.
18 Gryphius: Leo Armenius, S. 14 und 15.
19 Kaiser: Leo Armenius, S. 12 und 13.
20 Ebd., S. 22.
21 Gryphius: Leo Armenius, S. 7.
22 Ebd.
23 Kaiser: Leo Armenius, S. 22.
24 Gryphius: Leo Armenius, S. 7, 94 und 95.
25 Trunz: Weltbild und Dichtung, S. 17 und 18.
26 Ebd., S. 21.
27 Bibel: Genesis 1,3, S. 5.
28 Trunz: Weltbild und Dichtung, S. 21.
29 Kaiser: Leo Armenius, S. 4.
30 Ebd., S. 5.
31 Gryphius: Leo Armenius, S. 6 und 107.
32 Gryphius: Leo Armenius, S. 5.
33 Ebd., S. 7.
34 Meid: Drama, S. 406.
35 Trunz: Weltbild und Dichtung, S. 26.
36 Ebd.
37 Meid: Andreas Gryphius, S. 407.
38 Meid: Drama, S. 400.
39 Ebd.
40 Benjamin: Allegorie und Emblem, S. 399.
41 Trunz: Weltbild und Dichtung, S. 7.
42 Ebd., S. 10.
43 Ebd., S.11.
44 Rüttenauer: Die Angst in der Lyrik des Gryphius, S. 37.
45 Gryphius: Leo Armenius, S. 90.
46 Rüttenauer: Die Angst in der Lyrik des Gryphius, S. 50.
47 Gryphius: Leo Armenius, S. 75.
48 Kaiser: Leo Armenius, S. 10.
49 Benjamin: Allegorie und Emblem, S. 408.
50 Ebd.
51 Ebd.
52 Bibel: Genesis 1,31, S. 6.
53 Benjamin: Allegorie und Emblem, S. 408.