Aufgaben der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten in Sachsen


Diplomarbeit, 2005

75 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Begriffserklärung
2.1. Gleichstellung bzw. Gleichberechtigung
2.2. Kommunale Gleichstellungsbeauftragte

3 Vergangenheit - Geschichtliche Rundschau Gesetze und Ereignisse von 1949 bis heute
3.1. Das Jahr 1949
3.2. Jahre 1950 bis 1960
3.3. Jahre 1961 bis 1970
3.4. Jahre 1971 bis 1980
3.5. Jahre 1981 bis 1990
3.6. Jahre 1991 bis 2005

4 Gegenwart - Arbeit der kommunalen sächsischen Gleichstellungs- beauftragten in der Neuzeit
4.1. Demographische Daten zur Frauensituation in Sachsen
4.1.1. Frauenanteil an der Bevölkerung des Freistaates Sachsen
4.1.2. Geschlechterspezifische Altersstruktur
4.1.3. Familienstand
4.1.4. Eheschließungen und Ehescheidungen
4.1.5. Geburtenentwicklung und Kinderzahl
4.1.6. Bildungsstruktur
4.1.7. Erwerbsarbeit und Arbeitslosigkeit
4.1.8. Gewalt gegen Frauen
4.2. Rechtliche Rahmenbedingungen
4.2.1. Rechtliche Grundlagen
a) Grundgesetz (GG)
b) 2. Gleichberechtigungsgesetz (2. GleichberG)
c) Verfassung des Freistaates Sachsen
d) Sächsische Landkreisordnung (SächsLkrO 11. Mai 2005)
e) Sächsische Gemeindeordnung (SächsGemO 11.Mai 2005)
4.2.2. Bestellung der Hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten

4.3. Aufgabenbereiche
4.3.1. Allgemeiner Zuständigkeitsbereich
4.3.2. Aufgaben und Kompetenzen - Einblick in die Praxis anhand von Tätigkeitsberichten
a) Zugang zum Feld
b) Kompetenzen und Arbeitsschwerpunkte
c) Weitere Aufgaben

4.4. Ergebnisdarstellung - Ist gleich Haben oder Soll?

5 Zukunft - Weitergehen oder Richtung ändern?

6 Schlussbetrachtung

7 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„Mann und Frau sind gleichberechtigt“

(Dr. Elisabeth Selbert)

Obwohl in der deutschen Verfassung die Gleichberechtigung von Mann und Frau verankert ist, sind Benachteiligungen aufgrund der Geschlechterzugehörigkeit in unserer Gesellschaft vorhanden. Frauen und Männer sind nicht gleichgestellt. Das Ziel der Bundesrepublik Deutschland ist es, die tatsächliche Gleichstellung zu erreichen. Zur Verwirklichung dieses Zieles werden die kommunalen Gleich- stellungsbeauftragten in ihr Amt berufen. In Sachsen gibt es 371 kommunale Gleichstellungsbeauftragte, von denen nur ca. 50 hauptamtlich beschäftigt sind. In der folgenden Arbeit stelle ich die Aufgaben dieser hauptamtlichen Gleichstellungs- beauftragten, mit Hilfe der mir zur Verfügung gestellten Tätigkeitsberichte, dar.

Das große Aufgabenziel der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten Sachsens ist es, die tatsächliche Gleichstellung von Frau und Mann zu verwirklichen. Welche Wege sie gehen um dies zu erreichen und ob diese zu unserer Zeit passen oder andere Wege gegangen werden sollten, ist der Inhalt meiner Diplomarbeit.

Einen Teil meiner Arbeit widme ich der Vergangenheit, einen weiteren der Gegenwart und den letzten der Zukunft. Warum ich mich der Vergangenheit zuwende, begründe ich mit folgenden Worten, die die Redaktion von „Meyers Konversations-Lexikon“ vor mehr als hundert Jahren niederschrieb (3.Auflage, Leipzig 1874ff.):

„Die Bedeutung der Geschichte für das praktische Leben steht unwandelbar fest. Denn wer die Gegenwart richtig auffassen und beurteilen will, muß notwendig in die Vergangenheit zurückgreifen, die ihm Kunde davon gibt, auf welche Weise die Dinge die Gestalt erhalten haben, in der die Gegenwart sie vor uns erscheinen lässt, welchen Wurzeln und Keimen sie entsprossen, wie sie gewachsen sind und welchen Gang ihr Wachstum genommen hat.“

Die Gleichstellung zu erringen ist keine heutige Mode-Erscheinung, sondern ein Prozess, der schon vor vielen Jahrzehnten, begonnen hat. Bereits die Proletarische Frauenbewegung forderte die Auflösung der traditionellen Arbeitsteilung in der Familie, die die Frau zum "Dienstmädchen des Mannes" degradierte. Seitdem ist viel Zeit vergangen und der Weg der Gleichstellung wurde immer wieder von neuen Frauen und Männern beschritten, die den Kampfgeist besaßen, für das Recht auf Gleichstellung einzutreten. Die heutigen kommunalen Gleichstellungsbeauftragten gehören zu diesen Frauen und Männern. Der geschichtliche Exkurs soll ihrer Arbeit Anerkennung zollen, denn sie führen das fort, was ihnen in die Gegenwart weitergegeben wurde, um die bisherigen Errungenschaften zu sichern und das Ziel „Männer und Frauen sind gleichgestellt“ zu erreichen.

Für die Erarbeitung der Aufgaben nutzte ich hauptsächlich die mir zugesandten Tätigkeitsberichte. Sie enthielten keine lückenlosen Auflistungen der einzelnen durchgeführten Aufgaben, sondern einen individuell gestalteten Überblick über diese.

Hiermit bedanke ich mich bei den entsprechenden kommunalen Gleichstellungsbeauftragten Sachsens für die Bereitschaft, mir diese Berichte und auch zwei Publikationen zur Verfügung zu stellen, ohne die diese Diplomarbeit nicht in der vorliegenden Form hätte erstellt werden können.

2 Begriffserklärung

2.1. Gleichstellung bzw. Gleichberechtigung

Es gibt verschiedene Vorstellungen, welche ausdrucksstarke Aussage das Wort Gleichstellung oder Gleichberechtigung in sich birgt. Am besten kann ich mich der Wortdefinition des Sächsischen Sozialministeriums (SMS) anschließen:

„Gleichstellung bedeutet die chancengleiche Teilhabe von Frauen und Männern in allen Bereichen und auf allen Ebenen gesellschaftlichen Lebens. Gleichberechtigung heißt aber auch Anerkennung von Verschiedenheit. Deshalb sollen die Lebensbedingungen von Frauen nicht einfach an die traditionell von Männern gelebten Biographien angeglichen werden, sondern ein gleichberechtigtes Verhältnis zwischen beiden Geschlechter entwickelt werden.“.

Diesen Definitionsinhalt unterstützt auch Mayer (1996): „Das Wort „Gleichstellung“ beinhaltet nicht eine bestehende Benachteiligung speziell von Frauen, sondern bezweckt, jeden benachteiligenden status quo abzubauen. Anstrebendes Ziel der Gleichstellung ist die vollständige Gleichbehandlung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht“.

2.2. Kommunale Gleichstellungsbeauftragte

Obwohl die Verwirklichung der Gleichstellung in Deutschland schon einen langen Weg gegangen ist, konnte erst 1982 die erste kommunale Gleichstellungsbeauftragte ihr Amt antreten. Ihr Name ist Lie Selter. Sie hat für ihre Arbeit und ihr Engagement das Bundesverdienstkreuz erhalten und ist heute immer noch sehr erfolgreich in der Frauenpolitik tätig. Das Amt der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten können sowohl Frauen als auch Männer ausüben. Jedoch gibt es laut Statistik bundesweit mehr weibliche als männliche Gleichstellungsbeauftragte in den deutschen Kommunen. Unabhängig ob dieses Amt ehrenamtlich oder hauptberuflich durch- geführt wird, für die Gleichstellungsarbeit ist es nicht mehr wegdenkbar.

„Die Bezeichnung „Gleichstellungsbeauftragte“ beinhaltet […] als maßgebenden Tätigkeitsschwerpunkt die Sorge um die rechtliche und tatsächliche Beachtung der von Art. 3 Abs. 2 GG geforderten Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Der Begriff orientiert sich sichtbar am Wortlaut des Grundgesetzes. So besteht vom Namen her bei der Gleichstellungsbeauftragten auch die Pflicht sich um die Männer zu kümmern, insbesondere, um eine umgekehrte Diskriminierung zu verhindern.“

(Mayer 1996, S.19). Vielfältige Aufgaben müssen erfüllt werden, um Veränderungen bei den führenden Köpfen der Gesellschaft zu erreichen und Nachteile zu beseitigen, die der Gleichberechtigung bzw. der Gleichstellung noch Ketten angelegt haben. Kommunale Gleichstellungsbeauftragte erfüllen einen zeitaufwendigen und Kräfte zehrenden Beruf, aber ohne sie könnte nicht die Gleichstellungsparole, die von der Bundesebene her erklingt, ins Volk hinein getragen werden (siehe Kapitel 4.3).

3 Vergangenheit - Gesetze und Ereignisse von 1949 bis heute -

Wenn wir etwas über die Vergangenheit erfahren möchten, dann werden, der üblichen Vorgehensweise folgend, Geschichtsbücher zu Rate gezogen und in diesen nach Fakten gesucht. Zahlen und Wörter werden aneinander gereiht zu einer historischen Chronologie. Was jedoch fehlt und in vielen Geschichtsbüchern nicht zu erfahren ist, sind die Gefühle der Menschen, die die Geschichte erlebt haben und bei den großen Momenten dabei gewesen sind, die dann später in die Geschichte eingingen. Gefühle, Emotionen und das Nicht-Aussprechbare sind die Elemente, die Geschichte lebendig und wahrhaftig erzählen können. Mit der Begründung, dass Emotionen sehr schwer in Geschriebenes zu transformieren sind, müssen wir uns meistens mit den Fakten zufrieden geben, die als historisches Erbe für die Nachwelt hinterlassen worden sind. Um einen Überblick über die Geschichte der Gleichstellung geben zu können, benutzte ich folgende Quellen, die mir Informationen zur Verfügung stellten:

1. Die 285 Seiten umfassende Broschüre „Frauen in Deutschland. Von der Frauen- zur Gleichstellungspolitik.“ Herausgegeben durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Jahr 2002.
2. Eine private Internetseite - http://www.meinhard.privat.t-online.de/frauen/ grund-gesetz.html -, die mit viel Begeisterung für Frauengeschichte und - gegenwart gestalten wurde. Gabriele Meinhard steckte viel Zeit in den Aufbau dieser Homepage, weil sie der Meinung ist, dass die traditionelle Geschichtsschreibung die Frauen so lange übersehen hat.
3. Das erste Kapitel „Blick zurück - Frauen und Politik“ aus der Dokumen- tation „Unsere Stadt braucht Frauen - Unser Kreis braucht Frauen“, heraus- gegeben von der Landeszentrale für politische Bildung Baden Württem- berg.
4. Das Literaturwerk „Emanzipation oder Zwang? Frauen in der DDR zwi- schen Beruf, Familie und Sozialpolitik“. Ab Seite 40 findet sich ein Über- blick von frauenspezifischen arbeits- und sozialpolitischen Regelungen und Rahmenbedingungen im Vergleich der DDR zur damaligen BRD.
5. Die Internetseite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und des Bundesministeriums der Justiz

Bei meinen geschichtlichen Ausführungen beschränke ich mich auf den Zeitraum von 1948/49 bis zum Jahr 2005. Eine vollständige geschichtliche Reflexion ist es nicht. Ich würde es eher als einen Überblick beschreiben, um zweckgebunden zeigen zu können, dass die heutige Gleichstellungsarbeit auf diesen und weiteren geschichtlichen Meilensteinen basiert und fortgeführt werden muss. Ansonsten würden wir die Arbeit von vielen Frauen, sowie manchen Männern, die für die Gleichstellung kämpften und Opfer erbrachten, respektlos gegenüber treten und sogar den Sinn ihrer Arbeit negieren. Die Rechte, die wir als Frauen heute genießen können, waren nicht immer selbstverständlich, sie mussten erst erkämpft werden. Dieser Weg war sehr steinig. Immer wieder gab es Widerstände, die überwunden werden mussten. Zeugnis davon ablegen kann Dr. Elisabeth Selbert, die trotz Gegenwind für die Gleichberechtigung im Jahre 1948/49 kämpfte und siegte. Töne der Vergangenheit sind die Melodie der Zukunft!

3.1. Das Jahr 1949…

Wer hätte gedacht, dass durch die Initiative einer einzelnen Frau die Geschichte der Gleichstellung einzigartig geprägt worden ist. Durch die Hartnäckigkeit und das Durchsetzungsvermögen schaffte es diese Frau trotz heftiger Widerstände, ihre Überzeugung in die Tat umzusetzen. Dr. Elisabeth Selbert sah es als ein natürliches Menschenrecht an, dass Mann und Frau gleichberechtigt sind.

Kurzbiographie zu Elisabeth Selbert:

Am 22.September 1896 erblickte Elisabeth Selbert (geb. Rhode) in Kassel das Licht der Welt. Sie besuchte die Mädchenrealschule und verlässt sie 1912 ohne Reifezeugnis. Da im Gegenzug die Jungen ein Abschlusszeugnis erhielten, schlug das Empfinden nach Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung Funken. Für ein Jahr besuchte sie die Gewerbe- und Handelsschule des Frauenbildungsvereins in Kassel. Zunächst fing sie eine Tätigkeit als Auslandskorrespondentin an, die sie aufgeben musste wegen dem Beginn des ersten Weltkrieges. Ihren Berufswunsch Lehrerin konnte sie sich nicht erfüllen, dafür fand sie eine Tätigkeit bei der Post im Bereich Telegraphendienst. 1918 lernte sie ihren zukünftigen Mann kennen, Adam Selbert. Er war Mitglied der SPD und bereits mit zwanzig Jahren Abgeordneter im Kommunal- und Provinziallandtag für Hessen-Nassau. 1920 heirateten die beiden und bekamen in den zwei darauf folgenden Jahren zwei Kinder. Auf SPD- Parteitagen sprach sie als Delegierte auf den Frauenkonferenzen. Elisabeth Selbert setzte sich ein für aktive politisch-parlamentarische Teilhabe von Frauen. Durch ihr politisches Engagement baute sie Beziehungen zu verschiedenen Frauen- organisationen auf. Durch die Ermutigung ihres Mannes entschied sie sich das Abitur nachzuholen und 1926 ein Jurastudium zu beginnen. 1934 wurde sie die erste weibliche Staatsanwältin in Kassel. Während der Zeitdiagnose des NS- Regimes musste sie für den Unterhalt der Familie aufkommen. Ihr Mann verbrachte einige Zeit als SPD-Mitglied in einem Konzentrationslager und durfte nach seiner Entlassung kein Arbeitverhältnis eingehen. 1948 erhielt sie die Berufung in den Parlamentarischen Rat zur Konzeption einer neuen deutschen Verfassung. Bis 1954 arbeitete sie als Abgeordnete des Hessischen Parlaments. Während dieser Zeit schlägt sie mit anderen Juristinnen den Entwurf eines neuen Familienrechts vor. Der Rückhalt der hessischen SPD schwindet.1954 steigt sie aus dem aktiven politischen Leben aus. Es wird ruhig um diese bemerkenswerte Frau. 1983 stiftet die Hessische Landesregierung den „Elisabeth-Selbert-Preis“ für wissenschaftliche und journalistische Arbeiten. Im Alter von 89 Jahren verstirbt Dr. Elisabth Selbert am 9. Juni 1986 in Kassel (vgl. Meinhard 2005b)

Als sie 1948 in den Parlamentarischen Rat berufen wurde, der eine neue deutsche Verfassung konzipieren sollte, war es für sie ein inneres Bedürfnis die Gleichstellung von Mann und Frau in einem Verfassungsartikel rechtlich zu verankern. Später wurde dieser Artikel bekannt als der Art. 2 Abs. 3 „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ (unverändert nach Selbertscher Formulierung). Sie war nicht die einzige Frau in diesem Rat, aber nur sie glaubte fest daran, dass es unter Umständen notwendig ist, Altes und Bestehendes zu verändern, damit Neues erblüht. Denn wie die Geschichte zeigt, setzte sie ein Samenkorn in den Nährboden der Gleichstellung und heute können wir sehen, was für ein schönes Bäumchen daraus alsbald gewachsen ist. Einfach war es jedoch nicht, aber das war es nie für Frauen, wenn sie um ihre Rechte gekämpft haben. 65 Persönlichkeiten sind damals in den Parlamentarischen Rat nach Bonn berufen worden, darunter nur 4 Frauen: die beiden Sozialdemokraten Friederike Nadig (1897-1970) und Elisabeth Selbert (1896-1986), die Christdemokratin Helene Weber (1881-1962) und Helene Wessel (1898-1969) vom Zentrum. Jeder der Ratsmitglieder war berechtigt Formulierungsanträge zustellen. Dr. Elisabeth Selbert stellte den Antrag „Männer und Frauen sind

gleichberechtigt“, aber bereits in der ersten Lesung ist diese Formulierung abgelehnt worden. In der Ratsitzung wurde ein „Rechtschaos“ befürchtet, dass eintreten würde, wenn die Gleichstellung in die Verfassung aufgenommen wird. Denn viele andere Gesetze, z.B. im Familienrecht, standen zu diesem Zeitpunkt konträr zu einer Gleichstellung zwischen Mann und Frau. Obwohl die Anträge von Frau Selbert mehrmals abgewiesen worden sind, gab sie nicht auf, sondern sie fing jetzt erst richtig an zu kämpfen. Die drei anderen Frauen im Rat unterstützten aufgrund der „Rechtschaos-Begründung“ ihren Antrag nicht und auch ihre eigene Partei gab ihr nicht genug Rückhalt. Durch ihre vorhergegangene politische Arbeit besaß sie vielfältige Verbindungen zu Frauenverbänden und Fraueninitiativen. Sie mobilisierte die Öffentlichkeit und reiste wie eine „Wanderpredigerin“ durch das kriegszerstörte Land. Sie sprach zu so vielen Frauen wie sie nur konnte, um den weiblichen Teil des Volkes zu bewegen, für ihr Recht auf Gleichstellung einzutreten. Durch ihre herausragende Initiative schaffte sie es, dass Waschkörbeweise Protestschreiben das Parlament erreichten, die sich gegen eine Formulierung aussprachen, die eine vieldeutige Auslegung zur Gleichstellung erlaubte. So ist es damals in der Weimarer Verfassung passiert. Dort hieß es lediglich: Frauen haben die „gleichen staatsbürger- lichen Rechte und Pflichten“. Am 23. Mai 1949 traf sich der Parlamentarische Rat zur letzten Sitzung. Dr. Adenauer leitete die Sitzung und sprach die wichtigen Worte aus: „Es [das Grundgesetz] tritt mit Ablauf des heutigen Tages in Kraft.“. Im Art. 2 Abs. 3 des Grundgesetzes stand und steht: „Männer und Frauen sind gleich- berechtigt“. In dem Art. 117 Abs. 1 stand geschrieben, dass alle der dem Gleich- heitsprinzip entgegenstehenden Gesetze bis Ende März 1953 außer Kraft treten würden (diese Übergangsregel geht ebenfalls auf eine Initiative von Frau Selbert zurück). Dr. Elisabeth Selbert hatte es mit Hilfe der Öffentlichkeit geschafft, ihr Ziel zu erreichen. Mit dieser Errungenschaft bleibt das Jahr 1949 ein „Unvergessliches Jahr“.

Im schulischen Geschichtsunterricht wird es häufig versäumt, die Erinnerung an die „Mütter der Verfassung“ wach zu halten, hier im speziellen an Elisabeth Selbert, die die Geschichte der Gleichstellung maßgebend verändert hat. Meistens erwähnen GeschichtslehrerInnen nur die

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1 „Die Mütter des Grundgesetzes“ Frieda Nadig, Dr.Elisabeth Selbert, Dr. Helene Weber, Helene Wessel 9 (v.l.n.r.)

„Väter der Verfassung“, die auch Großartiges geleistet haben, aber sie waren eben nicht allein!

„Mit dem Gleichberechtigungsartikel werden in den folgenden Jahrzehnten weitere rechtliche Entwicklungen in Gang gesetzt, vor allem im Familienrecht, in der Sozialgesetzgebung (soziale Sicherung, Renten), Neuregelungen zum §218 [des Strafgesetzbuches] und im Arbeitsrecht. Diese Neuregelungen haben, wenn auch langsam und gegen erheblichen Widerstand, die Position von Frauen im bundesdeutschen Recht gestärkt.“ (Schumacher-Grub 2003, S. 11).

3.2. Jahre 1950 bis 1960

„Obwohl es in der Nachkriegszeit einen deutlichen Frauenüberschuss gab und die Frauen sowohl die „männliche Rolle“ des Beschützers und Ernährers als auch die „weibliche“ Rolle der Erzieherin und Betreuerin in einer Person vereinten - trotz des Erfolges der gesetzlichen Festlegung der Gleichberechtigung im Grundgesetz blieben die alten Rollenleitbilder hartnäckig bestehen.“ (Herfel, Saupe & Kirschenlohr 1996, S. 6). Im Jahre 1950 beschließt das Bundesministerium des Inneren ein „Referat für Verfassungsrechtliche Belange der Frauen“ einzurichten. Ein Schritt, politisches Interesse für die Frauen zu zeigen, die ein Teil des demokratischen Volkes waren und sind. 1952 wurde durch das Mutterschutzgesetz den erwerbstätigen Frauen, Schutzfristen vor und nach der Schwangerschaft rechtlich zu gesagt. Wesentliche Änderungen des Mutterschutzgesetzes kamen jedoch erst in den Jahren 1968 (Verlängerung der Schutzfrist) und 1993 (Verbesserung des Kündigungsschutzes), die den Frauen mehr rechtliche Unterstützung boten. Ende März des Jahres 1953 trat der Art. 117 Abs. 1 des Grundgesetzes in Kraft. Durch die Initiative von Dr. Elisabeth Selbert war dieser Artikel in die deutsche Verfassung verankert worden. Der Art. 117 Abs. 1 besagte, dass alle zu dieser Zeit noch bestehende Rechte bzw. Gesetze, die dem Gleichstellungsartikel (Art. 2 Abs. 3 GG) entgegenstehen, außer Kraft treten. Allerdings verstrich dieses Datum ergebnislos. Die Reform des Bürgerlichen Gesetzbuches dauerte bis 1957 und erst am 1. Juli 1958 traten die Vorschriften des Gesetzes zur Gleichberechtigung von Mann und Frau in Kraft. Auch wenn die Emanzipation - mit den Worten von Willy Brandt ausgedrückt - „wie eine Schnecke auf Glatteis“ vorankam, so waren zumindest die ersten Schritte gemacht. Insbesondere auf dem Gebiet des Bürgerlichen Rechts gab es Novel- lierungen im Familienrecht. So wurde beispielsweise der §1354 BGB

(Gehorsamkeitsparagraph) gestrichen. Für die Ehefrauen bedeutete dies, dass der Ehemann nicht mehr alleine das Entscheidungsrecht über Angelegenheiten des gemeinschaftlichen Lebens innehatte. Die Frauen durften von nun an in eigener Verantwortung den Haushalt führen. Außerdem durften die Frauen ihren Mädchennamen als Namenszusatz führen, die Ehegatten wurden einander gegenseitig zum Unterhalt verpflichtet und die Ehefrauen bekamen das Recht zugesprochen, auch neben der Haushaltsführung einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. 1959 erreichten zwei Frauen die Streichung des „Stichentscheides“ (§§1928 und 1929 alleiniges Entscheidungsrecht der Väter in allen familiären Angelegenheiten) aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Erstritten wurde dies von Elisabeth Späth und Hildegarth Gethmann, Mitbegründerinnen des Juristinnenbundes.

3.3. Jahre 1961 bis 1970

Das hartnäckige Bestehen bleiben der alten Rollenleitbilder (vgl. Herfel, Saupe & Kirschenlohr 1996, S. 6) wird besonders in den folgenden Jahren deutlich. Die Zeit- diagnose zwischen 1961 und 1970 ist bespickt mit Schlagwörtern wie: Babyboom, Wirtschaftswunder, einmillionster Gastarbeiter und neue Frauenbewegung der ’68ziger.

In den frühen 60ziger Jahren stieg die Zahl der Neugeborenen sprunghaft an. Ein Baby nach dem anderen erblickte das Licht der Welt, gerade so, als wenn die Deutschen ein Weltrekord gewinnen wollten. Diese Situation - die heutige Politiker herbeisehnen -, „Babyboom“ genannt, ging in die Geschichte ein. Das parallel 1961 in den alten Bundesländern die Anti-Baby-Pille zu gelassen wurde, erscheint in diesem Licht schon fast ironisch. In dem gleichen Jahr wurde Elisabeth Schwarz- haupt als erste Frau Bundesministerin. Trotz dieses politischen Aktes schien es, als würde der „Frauentraum“ (siehe Kapitel 3.1.) von einem großen Neubeginn ein Traum bleiben. Bereits 1957/58 bekamen die Frauen ein stärkeres Recht auf Erwerbstätigkeit zu gesprochen, aber die Realität außerhalb der Gesetzestexte sah anders aus. Die Frauen mussten auf der Ersatzbank sitzen bleiben. Der Wunsch nach Selbstbestimmung und Selbstständigkeit wurde immer größer. Das Recht hatten sie, nur bei den führenden Köpfen der Gesellschaft stießen sie auf heftigen Widerstand. Dieser Widerstand sah unter anderem wie folgt aus: 1955 begann das „Wirtschaftswunder“. Die Folge war ein großer Überschuss an unbesetzten Arbeitsplätzen. Frauen die sich daraufhin auf diese freien Stellen bewarben, hatten nur sehr geringe Chancen in ein Arbeitsverhältnis zu kommen. Die damaligen politischen Volksvertreter fielen den Entschluss, die Immigration von ausländischen Arbeitskräften zu fördern, um den vorhandenen Überschuss an freien Arbeitsplätzen auszugleichen. Auf eine vorhandene Ressource im eigenen Land griffen sie nicht zurück - bereitwillige Frauen, die eine ebenso starke und qualifizierte Arbeitskraft darstellten. 1964 trifft der einmillionste Gastarbeiter in der Bundesrepublik ein. Erst 1965 fingen die Frauen an, von dem enormen Wirtschaftswachstum in den vorhergehenden Jahren zu profitieren. Die fehlende Arbeitskraft stieg trotz der großen Menge an Gastarbeitern dennoch weiter an. Weibliches Arbeitspersonal wurde nun vermehrt eingestellt. Auch wenn manche Frauen aus wirtschaftlichen Zwängen heraus eine Berufstätigkeit ausführten, so war dennoch ein eigenständiges Einkommen oftmals der erste Schritt in Richtung Eigenständigkeit. Ein kleiner Meilenstein auf dem Weg der Frauen, ihr Leben zunehmend selbst bestimmt zu gestalten. 1966 veröffentlicht die Bundesregierung einen „Bericht über die Situation der Frau in Beruf, Familie und Gesellschaft“, indem es unter anderem heißt: „Pflegerin und Trösterin sollte die Frau sein; Sinnbild bescheidener Harmonie, Ordnungsfaktor in der einzig verlässlichen Welt des Privaten; Erwerbstätigkeit und gesellschaftliches Engagement sollte die Frau nur eingehen, wenn es die familiären Anforderungen zu lassen.“. Die Regierung legitimierte mit dieser Berichterstattung öffentlich, dass Frauen geboren sind um Mütter und Hausfrauen zu sein.

Im Zuge der Studentenunruhen von 1968 erwachte eine neue Frauenbewegung. Am 15. September sprach Helke Sanders auf der Delegiertenkonferenz des Sozial- istischen Deutschen Studentenbundes (SES). Sie sprach über die Befreiung der Frau und das Privates politisch sei. Die Männer der SES beantworteten diese Rede nur mit Hohn. Helke Sanders antwortete mit Tomaten. Die Frauen der SES spalteten sich ab und gründeten den „Frankfurter Weiberrat“. Dieses Ereignis kennzeichnet die Geburtsstunde der „Neuen Frauenbewegung“. „Um eine Selbstfindung und ein Selbstbewusstsein unabhängig vom Mann zu erreichen, fanden sich die Frauen, die sich Feministen nannten, in Frauenzentren, Frauencafes, Frauenbuchläden und Frauenwohngemeinschaften zusammen. Sie verlangten nicht nur eine formale Gleichberechtigung und Gleichstellung mit den Männern, sondern eine Emanzipation in allen Lebensbereichen […]. Der Feminismus wurde zu einer sozialen Bewegung der viel veränderte.“. Ein Schwerpunkt der Frauenbewegung ist damals der §218 StGB gewesen. Viele Aktivitäten der Frauen richteten sich gegen die strafrechtliche Verfolgung von Schwangerschaftsabbrüchen. Die Reform des §218 StGB bestimmte bis 1975 das Bild der Neuen Frauenbewegung.

3.4. Jahre 1971 bis 1980

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]1971 fand das erste Treffen der §218-Gruppen in Köln statt. Die Initiatorin Alice Schwarzer schaffte es, dass sich 274 zum Teil auch prominente Frauen im Juni 1971 bekennen, abgetrieben zu haben. Diese Abtreibungskampagne erschien in dem Magazin „Stern“. 1972 wurde in Berlin das erste Frauenzentrum errichtet. Im Dezember gleichen Jahres wurde Annemarie Renger (SPD) als erste Frau Bundestags- präsidentin. Es folgte das neue Rentenreformgesetz mit den Schwerpunkten auch Hausfrauen die Rentenversicherung zu öffnen und eine flexible Altersgrenze einzuführen. 1973 setzte der deutsche Bundestag die Enquete- Kommission „Frau und Gesellschaft“ (CDU) ein. Der Abschlussbericht erfolgte 1980. Die Kommission gab Empfehlungen für die Aufhebung der Benachteiligung von Mädchen und Frauen in der beruflichen Bildung und auf dem Arbeitsmarkt, für die Schaffung der Voraussetzung einer Wahlfreiheit von Frauen und Männern bei der Verteilung ihrer Aufgaben in Familie, Gesellschaft und Beruf. Über 100 Empfehl- ungen zur Durchsetzung der Gleichberechtigung wurden unterbreitet. 1974 gibt die Gruppe „Brot und Rosen“ das „Frauenhandbuch Nr. 1“ heraus. Es thematisiert 1. die Reproduktionsarbeit als Politikum, 2. weibliche Selbsthilfe und 3. sexuelle Selbstbestimmung. Das Buch erzielte hohe Auflagen und beeinflusste die Frauenbewegung maßgeblich. 1975 wurde ein gutes Jahr für die Gleichstellung: Nordrhein-Westfalen führte als erstes Bundesland das Amt der Frauenbeauftragten ein. Im Juni findet die erste Weltfrauenkonferenz in Mexiko (Conference of the International Woman’s Year) statt. Ein wichtiges Ereignis auf dieser Konferenz war die Vorstellung eines Weltaktionsplans zur Verbesserung der Situation der Frau. Die Frauen organisierten sich nun zunehmend weltweit und der Kampf gegen eine Ungleichheit zwischen Frau und Mann begann somit verstärkt international. Im Jahr 1976 wurde der §218 StGB reformiert, das Ergebnis war folgendes: Der Schwangerschaftsabbruch ist grundsätzlich mit Strafe bedroht, außer wenn die Schwangere einwilligt und einer der folgenden Gründe vorliegt:

- medizinische Indikation
- eugenische Indikation
- ethische (kriminologische) Indikation
- soziale Indikation (schwere Notlage)

Ein Jahr später wurde das Ehe- und Familienrecht einer Reform unterzogen (Juli 1977):

- Das Scheidungsrecht wird vom Schuld- auf das Zerrüttungsprinzip umgestellt.
- Partnerschaftsprinzip: keine gesetzlich vorgeschriebene Aufgaben- teilung in der Ehe.
- Die Frau darf ohne Einverständnis des Mannes erwerbstätig sein.
- Die Ehepartnerin, die nach der Scheidung nicht für sich selbst sorgen kann, erhält einen Unterhalts- und Rentenanspruch.
- Im Eheverfahrensrecht werden die Zuständigkeiten für Ehesachen und damit eng zusammenhängende Verfahren beim Familiengericht vereinheitlicht.

1977 wurde der Verein „Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis e.V.“ gegründet. Die Frauenforschung begann sich zu institutionalisieren. Ein Jahr später führte ein Gesetz den Mutterschaftsurlaub ein. Eine Ergänzung zu den Vorschriften des Mutterschutzgesetzes: Mütter, die in einem Arbeitsverhältnis standen, bekamen zusätzlich zu den Schutzfristen einen viermonatigen Mutterschaftsurlaub. Der Arbeitsplatz wurde durch einen Kündigungsschutz gesichert und die Lohnausfälle wurden durch Lohnersatzleistungen (bis 750 DM monatlich) aus Bundesmitteln aus- geglichen. Im Juli 1979 nahm der Arbeitsstab Frauenpolitik des Bundesminis- teriums für Jugend, Familie und Gesellschaft seine Tätigkeit auf. 5 Jahre nach der ersten fand die zweite Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen in Kopenhagen statt (1980). Während dieser Konferenzzeit unterschreibt die Bundesrepublik Deutschland das Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung. Mit diesem Übereinkommen verpflichtet sich Deutsch- land, wirksame Maßnahmen zum Ausbau rechtlicher und tatsächlicher Ungleich- heiten zu ergreifen. 1980 trat auch das neue Gesetz des Unterhaltsvorschusses in Kraft. Ein allein stehender Elternteil bekam für sein Kind bis sechs Jahren einen Unterhalt zugesichert.

3.5. Jahre 1981 bis 1990

Lie Selter wurde 1982 die bundesweit erste kommunale Gleichstellungsbeauftragte. 1983 konnte ein Frauenanteil unter den Abgeordneten von 9,8% verzeichnet werden. Dies war ein positives Zeichen für die Zukunft der Frauen- und Gleichstellungs- politik. Ende Juni des Jahres 1984 beschloss die Bundesregierung eine „Mutter- Kind-Stiftung“ einzurichten. Es wurde damit das Ziel verfolgt werdenden Müttern, die sich in sozialer Notlage befinden, bei der materiellen Ausstattung des Babys zu unterstützen. 1985 versammelte sich die 3. Weltfrauenkonferenz in Nairobi. Die Konferenz verabschiedete Zukunftsstrategien zur Förderung der Frau. 1985 er- leichterte das Beschäftigungsförderungsgesetz das Berufsleben der Frauen: Der Zugang zu Maßnahmen der Umschulung und Fortbildung für Frauen, die wegen Kindererziehung zeitweise aus dem Erwerbsleben ausgeschieden waren, wurde leichter. Außerdem sicherten neue Bestimmungen die Arbeit auf Abruf und die Arbeitsplatzteilung besser ab und Teilzeitarbeit wurde arbeitsrechtlich abgesichert, wie bereits schon die Vollzeitarbeit. Ab 1986 erhalten die Eltern eine weitere staat- liche Unterstützung - das Bundeserziehungsgeldgesetz. Jeder Elternteil, der sein eigenes Kind erzieht und betreut, erhält staatliches Erziehungsgeld pro Kind und Ge- währung auf Erziehungsurlaub über einen befristeten Zeitraum (zehn Monate).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die neunte Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes im Januar 1989 unterstützt Frauen, die durch die Geburt und Erziehung ihrer Kinder ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen mussten. Arbeitslose ArbeitnehmerInnen, die nach der Zeit ihrer Kindererziehung wieder in die Arbeitswelt zurückkehren wollten, wurden nun als eine Zielgruppe bei der Gewährung von Einarbeitungszuschüssen hervorgehoben. 1990, das Jahr in dem unser geteiltes Land wiedervereinigt wurde, war der Anfang einer gemeinsamen Zukunft für das deutsche Volk, brachte aber auch viele Veränderungen. Gesetzliche Regelungen für Familien und Frauen, die seit mehr als 40 Jahren in beiden Ländern unterschiedlich gestaltet waren, wurden während der Wiedervereinigung durch den Einigungsvertrag vereinheitlicht. So passierte es, dass „West-Frauen“ in das ehemalige DDR-Gebiet fuhren, um Schwangerschaftsabbrüche durchführen zu lassen. Was im Westen strafbar war, konnte im Osten bis zur 12. Schwangerschaftswoche ganz legal durchgeführt werden. Dies hatte zur Folge, dass 10.000 Menschen in Köln für die ersatzlose Streichung des §218 StGB demonstrierten. Weitere Folgen der Wiedervereinigung waren Individualisierung, Anpassung und Resignation bei vielen Frauen aus der zusammengebrochenen DDR. Vor der Wiedervereinigung gab es in dem sozialistischen Land DDR eine hohe Frauenerwerbsquote, viele Frauen befanden sich in Vollzeitbeschäftigung, die durch ein ausreichendes Angebot an Kinderbetreuungsplätzen ermöglicht werden konnte. Die Frauen- und Familienpolitik der DDR orientierte sich „auf die Integration von Frauen in die (qualifizierte) Erwerbsarbeit“ (Trappe 1995, S. 87) dies „wies eine beachtliche Kontinuität auf. Ihren Ausgangspunkt bildeten wirtschaftspolitische Zielvorgaben. Auch familiäre Belange blieben prinzipiell dem Produktionssektor untergeordnet.“ (Trappe 1995, S. 87).

Diese weit reichenden Errungenschaften der ehemaligen DDR wurden nach Auflösung des Staates nicht erhalten, eine folgenschwere Entscheidung für die Frauen im Osten der Republik. Sie büßten teilweise dadurch ihre Zukunftsräume ein. Viele der „Ost-Frauen“ wurden nach der Wende 1990 arbeitslos. Es gab viele Übergangsregelungen, die in kurzer Frist DDR-Gesetze außer Kraft setzen sollten. Dabei verloren die Frauen der ehemaligen DDR Rechte, die ihre bis dahin erreichte Gleichstellungsposition in der Gesellschaft minderte. Der Kampf um die Gleichstellung ging weiter - auf beiden Seiten.

3.6. Jahre 1991 bis 2005

In den Jahren von 1991 bis 2002 werden viele Gesetzte geändert und neu erlassen. So öffnet die Bundeswehr alle Laufbahnen im Sanitäts- und Militärmusikdienst für Frauen. 1992 wird das Schwangeren- und Familiengesetz erlassen. Ein Gesetz zum Schutz des vorgeburtlichen werdenden Lebens, zur Förderung einer kinderfreund- lichen Gesellschaft, für Hilfen im Schwangerschaftskonflikt und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruches. Für den §218 ff bedeutet dies eine Fristenregelung mit Beratungspflicht in einer anerkannten Schwangerschaftsberatungsstelle. Am 28. Mai 1993 erklärte das Bundesverfassungsgericht das Fristenmodell §218 StGB in wesentlichen Teil für verfassungswidrig und schlägt ein Übergangsmodell mit Beratungspflicht vor, wenn eine soziale Indikation gegeben ist Der Abbruch selbst bleibt rechtswidrig, aber nicht strafbar Im September 1994 tritt das Zweite Gleichberechtigungsgesetz, mit folgenden Schwerpunkten, in Kraft:

- Gesetz zur Förderung von Frauen und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Bundesverwaltung und den Gerichten des Bundes (Frauenförderungsgesetz)
- Verschärfung des Verbotes der Benachteiligung wegen des Geschlecht am Arbeitsplatz
- Erweiterte Mitwirkungsrechte von Betriebsrat und Personalrat bei der Frauenförderung und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf
- Gesetz zum Schutz der Beschäftigen vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz (Beschäftigtenschutzgesetz)
- Gesetz über die Berufung und Entsendung von Frauen und Männern in Gremien im Einflussbereich des Bundes (BundesGremienbesetzungsgesetz)

Im Oktober 1994 erhält der Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes das Gleichberechtigungsgebot als Ergänzung. Elisabeth Selbert (siehe Kapitel 3.1), die Initiatorin des Gleichstellungsartikels, konnte dies leider nicht mehr erleben. Aber das Samenkorn, das sie säte, ist nach über 45 Jahren zu einem Bäumchen gewachsen und trägt nun seine Früchte.

Artikel 3 Abs. 2 des Grundgesetzes

2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

Durch das Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz wurden 1995 die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes von 1993 zur rechtlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruches umgesetzt. Kernpunkt ist dabei die verpflichtende Beratung der Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage.

Im September 1995 versammelten sich die Vereinten Nationen in Peking zur 4. und bis dato größten Weltfrauenkonferenz. Seit der letzten Konferenz zu dieser Thematik waren zehn Jahre vergangen. Die Vereinten Nationen setzten sich das Ziel der Verwirklichung der vollen und gleichberechtigten Beteiligung von Frauen an den wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Entscheidungsprozessen und die Abschaffung der weltweiten Geschlechterdiskriminierung. Das Konzept und die Strategie „Gender Mainstreaming“ werden auf den Weg gebracht.

Im Januar 1996 wurde der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab der Vollendung des dritten Lebensjahres geregelt, außerdem wurde das Kindergeld wesentlich, im Vergleich zu 1993, erhöht. Ein Jahr später kommt es zu einer erneuten Erhöhung des Kindergeldes. In Amsterdam wurde durch den Europäischen Rat ein Vertrag beschlossen, der als der „Amsterdamer Vertrag“ bekannt ist. Die Zielsetzung der Förderung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern wird in Art. 2 und 3 dieses EG-Vertrages festgeschrieben (in Kraft getreten am 1. Mai 1999). Ein weiterer wichtiger Paragraph des Strafgesetzbuches wurde 1997 neu verfasst. Der §177 StGB stellt Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe. Diese Reform war längst überfällig. Am 1. Juli 1998 tritt die Reform des Kindschaftsrecht in Kraft: Nichteheliche und eheliche Kinder müssen in Bezug auf Abstammungs-, Sorge-, und Umgangsrecht, Adoptions-, Namens-, Erb- und Unterhaltsrecht gleichgestellt werden. Damit reagiert die Politik auf Veränderungen der Familiären Lebensformen. 1999 wird die Bundesrepublik Deutschland durch die Beschlüsse der 4. Weltfrauenkonferenz und den „Amsterdamer Vertrag“ verpflichtet, Gender Mainstreaming als Strategie und Methode zur Verbesserung der Gleichstellung von Frauen und Männern einzuführen. Das Bundeskabinett bekannte sich zu dieser Verpflichtung in dem dazugehörigen Beschluss am 23. Juni 1999. Im Jahre 2000 wurde das Kindergeld erneut angehoben. Zeitgleich mit der Kindergelderhöhung musste die Bundeswehr auf Grund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs den freiwilligen Dienst an der Waffe für Frauen öffnen. Am 1. Januar 2001 tritt das dritte Gesetz zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes in Kraft. Die Novellierung erweitert die Gestaltungsmöglichkeiten von Eltern, die ihre Kinder betreuen und erziehen möchten. Beide Eltern können gleichzeitig für maximal drei Jahre Elternzeit nehmen. Junge Väter erhalten einen Rechtsanspruch auf Teilzeitbeschäftigung, um sich besser an den Erziehungsaufgaben beteiligen zu können.

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Ende der Leseprobe aus 75 Seiten

Details

Titel
Aufgaben der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten in Sachsen
Hochschule
Hochschule Zittau/Görlitz; Standort Görlitz  (Sozialwesen)
Note
gut
Autor
Jahr
2005
Seiten
75
Katalognummer
V51679
ISBN (eBook)
9783638475792
Dateigröße
1334 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Aufgaben, Gleichstellungsbeauftragten, Sachsen
Arbeit zitieren
Simone Post (Autor:in), 2005, Aufgaben der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten in Sachsen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/51679

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