Die Sozialgeschichte als Teildisziplin der Geschichtswissenschaft legt ihren Fokus auf die Entwicklung der gesellschaftlichen Strukturen, der sozialen Gruppen und deren Schichtung bezüglich eines Raumes. Diesen Bezugsraum stellt innerhalb dieser Arbeit der Verdichtungsraum Ruhrgebiet dar, welcher durch seine mannigfaltigen Geschehnisse vergangener Zeit heute eine Bevölkerungsmenge von ca. 5,4 Mio. Einwohnern aufweist. Respektive seiner Fläche entspricht diese Zahl einer Dichte von 1213 E/km². Die angespielte Vergangenheit, geprägt aus Stahl und Kohle, und aktuelle heterogene Gesellschaft mit 629.513 (=12%) ausländischen Mitbürgern aus 140 Nationen, wobei diese zur Hälfte etwa aus der Türkei stammen, macht diese Region zu viel mehr als einen ehemals montanindustriellen Aktivraum.
Die eng mit der Sozialgeschichte verknüpfte montan-industrielle Vergangenheit wird somit innerhalb der vorliegenden Arbeit berücksichtigt und transparent chronologisch aufgearbeitet. Diese Betrachtung erlaubt somit, den wirtschaftlichen (dynamischen) Hintergrund mit seinen Auswirkungen auf soziokultureller Ebene zu erfassen und aktuellen gesellschaftlichen Problemen in komplexer Verknüpfung objektiv entgegen zu treten.
Dass eine Hegemonie bilateraler Wirkung von Gesellschaft und Ökonomie diesen Raum nachhaltig beeinflusst(e), wird letztlich nicht nur durch Industrierelikte deutlich. Es sind gerade personifizierte Klischees wie Atze Schröder, die den konstruierten Agglomerationsraum in den Köpfen konservieren, obwohl die wahren "Kumpels" der Tertiärisierung längst gewichen sind.
Inhalt
1 Einleitung
1.1 Fragestellung und Ziel der Arbeit
1.2 Relevante Begriffe und Aufbau der Arbeit
2 Historischer Abriss (Sozialstruktur formender Prozesse)
2.1 Von der Römerzeit bis zum 18. Jahrhundert
2.2 Vom 18. Jahrhundert bis zum Ende des 19. Jahrhunderts
2.3 Das 20. Jahrhundert
2.4 Soziologische Strukturveränderung: Vier Wellen der Immigration
3 Beispielhafte Elemente der Sozialgeschichte
3.1 Sprache und Prägung dieser im Ruhrgebiet
3.2 Einstiege Taubenzucht im Ruhrgebiet
3.3 Polnische und türkische ‚Gastarbeiter’
3.4 Gewerkschaftlicher Einsatz für Arbeitsbedingungen
3.5 Herausbildung einer regionalen politischen Kultur
3.6 Aktuelle Aspekte des Zusammenlebens der ‚Ruhrgebietler’
4 Fazit
4.1 Resümee
4.2 Bewertung und Ausblick
5 Literaturverzeichnis (und Internetquellen)
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Chronologie montan-industrieller Entwicklungen
Abb. 2: Bevölkerungsentwicklung im Ruhrgebiet
Abb. 3: Aktuelle Struktur der ausländischen Bevölkerung
Abb. 4: Geburtenrate und Wanderungssaldo in NRW 1999
Abb. 5: Wirkungsmodell zur sozialen Stadt(teil)entwicklung
1 Einleitung
1.1 Fragestellung und Ziel der Arbeit
Die in dieser Arbeit fokussierte Thematik beschäftigt sich mit der Sozialgeschichte des nordrhein-westfälischen Agglomerationsraumes ‚Ruhrgebiet’. Diese Darstellung hat zum Ziel, den Verlauf der Sozialgeschichte verstehen und Brücken zur aktuellen Struktur schlagen zu können.
Die eng mit der Sozialgeschichte verknüpfte montan-industrielle Vergangenheit wird dabei berücksichtigt und transparent chronologisch aufgearbeitet. Diese Betrachtung erlaubt somit, den wirtschaftlichen (dynamischen) Hintergrund mit seinen Auswirkungen auf soziokultureller Ebene zu erfassen und aktuellen gesellschaftlichen Problemen in komplexer Verknüpfung objektiv entgegen zu treten.
Dass eine Hegemonie bilateraler Wirkung von Gesellschaft und Ökonomie diesen Raum nachhaltig beeinflusst(e), wird letztlich nicht nur durch Industrierelikte deutlich.
1.2 Relevante Begriffe und Aufbau der Arbeit
Die Sozialgeschichte als Teildisziplin der Geschichtswissenschaft legt ihren Fokus auf die Entwicklung der gesellschaftlichen Strukturen, der sozialen Gruppen und deren Schichtung bezüglich eines Raumes (vgl. Leser 2001, S.795). Diesen Bezugsraum stellt innerhalb dieser Arbeit der Verdichtungsraum Ruhrgebiet[1] dar, welcher durch seine mannigfaltigen Geschehnisse vergangener Zeit heute eine Bevölkerungsmenge von ca. 5,4 Mio. Einwohnern aufweist. Respektive seiner Fläche entspricht diese Zahl einer Dichte von 1213 E/km². Die angespielte Vergangenheit, geprägt aus Stahl und Kohle, und aktuelle heterogene Gesellschaft mit 629.513 (=12%) ausländischen Mitbürgern aus 140 Nationen, wobei diese zur Hälfte etwa aus der Türkei stammen, macht diese Region zu viel mehr als einen ehemals montanindustriellen Aktivraum.
Der Inhalt der Arbeit sieht vor, zu Beginn einen Abriss über die Sozialstruktur und Ökonomie formenden Prozesse zu geben und im Folgenden beispielhafte Elemente der Sozialgeschichte aufzuarbeiten. Im anschließenden Fazit soll ein Resümee über die Sozialgeschichte des Ruhrgebiets gegeben und mit einer Bewertung und einem Ausblick der Rahmen der Darstellung abgerundet werden.
2 Historischer Abriss (Sozialstruktur formender Prozesse)
2.1 Von der Römerzeit bis zum 18. Jahrhundert
Einst prägte die Kultur der Römer[2] den westlichen Rand des Ruhrgebiets. Mit dem Beginn des 5. Jahrhunderts n. Chr. fand ein Rückzug der Römer und damit eine Preisgabe der Rheingrenze statt.
Im Zuge der folgenden Völkerwanderung war der Bereich um die Flüsse Emscher und Ruhr Grenzgebiet zwischen den Franken im Westen und den Sachsen im Osten. Der Durchbruch des Christentums durch Karl dem Großen erfolgte, und die Errichtungen so genannter Karlshöfe entlang des Hellwegs[3] entstanden. Diese stellen Keimzellen späterer Stadtbildungen dar.
Zur Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert gab es erste tagebauliche Steinkohlegrabungen im Muttental bei Witten, danach erste Pütts mit waagerechten oder leicht geneigte Stollen, die bis zum 16. Jahrhundert maßgebend waren.
Im Zuge der Reformation (ab 1517) formierte sich das Ruhrgebiet zu einem „konfessionellen Flickenteppich“, in dem eine Vielzahl von verschieden Glaubensansichten zu einer Division des Gebietes führte. Ab 1620 litt das Gebiet, wie viele andere in Mitteleuropa, unter dem 30-jährigen Krieg und der Pest.
Die heutige Bundesknappschaft[4] mit Sitz in Bochum entstand im ausgehenden Mittelalter, dort schlossen sich die Bergleute zu Knappschaften, welche die Gesundheits- und Altersfürsorge übernahmen, zusammen.
2.2 Vom 18. Jahrhundert bis zum Ende des 19. Jahrhunderts
In dieser Zeit fand eine Verstärkung der Kohleförderung statt. 1738 eröffnete das Bergamt Bochum, so dass der Kohleabbau unter staatlicher Aufsicht stand und ein Exportbeginn (Schiffbarkeit der Ruhr durch Schleusenbau) initiiert wurde.
Bereits um 1790 gab es gebietsintern circa 900 Kleinzechen, wobei dieses bis zur Wende zum 19.Jahrhundert immer noch deutlich landwirtschaftlich geprägt war. Die damalig größte Stadt z.B. war Duisburg mit ca. 5.300 Einwohnern.
Im Wiener Kongress wurde das gesamte Gebiet dem Königreich Preußen zugesprochen und die kommunale Selbstverwaltung wurde zum Ort der politischen Betätigung des Bürgertums.
Ab dem 19. Jahrhundert beginnt die Industrialisierung. Der Einsatz der Dampfmaschine zur Entwässerung und der damit ermöglichte Tiefbau setzen ein, Steinkohlebergbau, Eisen- und Stahlproduktion beginnen zu florieren[5]. Bereits 1820 leben 274.000 Einwohner im Ruhrgebiet, der Bau des Eisenbahnnetzes beginnt ab 1840 und vernetzt die wichtigen Standorte des produzierenden Gewerbes.
Eine zentrale Bedeutung dieser Entwicklung kommt den Industriepatriarchen Krupp, Thyssen, Hoesch zu, die die Montanindustrie maßgeblich verstärken. 1844 beginnt der Bau der Werkssiedlungen in Oberhausen, bei denen eine niedrige Monatsmiete jedem Arbeiter eine neue ‚Art des Wohnens’ schafft. Diese Siedlung besteht aus langen Zeilen mit hinteren Gärten zur Subsistenzwirtschaft. Später baut man große Kolonien mit gering-geschossigen Häusern (trotz großer Bevölkerungszuwächse), mit der Prävention von eventuellen Schadensersatzforderungen durch Erdrutsche.
Die Ruhrschifffahrt erfährt ab 1850 eine baldige Ablöse durch den Eisenbahntransport. Durch die preußische Wirtschaftspolitik wird die regionale Entwicklung des ‚Kohlenpotts’ zum Inbegriff europäischer Industrialisierung.
Durch diese industrielle Intensivierung entsteht ein großer Bedarf an Arbeitskräften: Waren 1852 nur rund 375.000 Einwohner im Ruhrgebiet wohnhaft, so stieg diese Zahl durch Zuwanderung auf 3,8 Mio. Einwohner im Jahr 1925.
Diese ersten Zuwanderer kamen 1850 aus benachbarten Regionen wie dem Münsterland, Ostwestfalen und Hessen (teils auch Niederlande). Ab 1870 kamen immer mehr Migranten aus den ostpreußischen Provinzen wie Schlesien und Posen und westpolnischen Gebieten, sie waren folglich meist polnischer Nationalität und ließen sich in der nördlichen Emscherzone nieder.
Die Kommunen übernahmen ab 1850 die schwierige Aufgabe, den sozioökonomischen Entwicklungsprozess sozialstaatlich abzumildern oder gar zu steuern (Maßnahmen der Daseinsfürsorge, Infrastrukturausstattung, Bebauungsplanung, Aufbau städtischer Gemeinwirtschaftsbetriebe, Schaffung von Kultur- und Bildungseinrichtungen).
1871 ließ Alfred Krupp wegweisend hunderte Wohnungen bauen, wobei man in diesem Kontext vom Werkssiedlungsbau bzw. späteren Kolonienbau spricht. Die Errichtung sah überwiegend Zweifamilienhäuser ohne Treppenhaus vor, so dass ‚Nähe und Kameradschaft’ in siedlungs-architektonischer Natur expressioniert wurde. Spuren der bäuerlichen Herkunft in Zechenkolonien zeigten sich in der verbreiteten Tierhaltung und Subsistenzwirtschaft von den ansässigen Kleinfamilien.
Ökonomisch hielt in den folgenden Jahren das Wachstum des sekundären Sektors an und infrastrukturell wurden durch eine Kanalverbindung zur Nordsee neue Märkte erschlossen. 1899 fand z.B. die Einweihung des Dortmund-Ems-Kanals durch Kaiser Wilhelm II. statt.
2.3 Das 20. Jahrhundert
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fand der Baubeginn von Gartenstädten nach Howard´schem Schema statt. Grünzonen und krumme Straßen prägten diese Siedlungen, das erste Paradebeispiel ist die 1906 erbaute ‚Dahlhauser Heide’ in Oberhausen. Sie bedeutete auch: Mehr Grünanteil in dem von Ruß geprägten Ruhrpott für seine Siedler und Arbeiter.
1911-1931 wurde die zweite große Gartenstadt-Siedlung ‚Margaretenhöhe’ in Essen erbaut, in der auch die funktionale Trennung[6] einen starken Einfluss hatte.
Während des 1.Weltkrieges wurde das Ruhrgebiet zur so genannten Waffenschmiede des Deutschen Reiches und produzierte intensiv Güter zur Rüstung. Eine Kausalität zur Prosperität des sekundären Wirtschaftssektors und der damit verbundenen Nachfrage von Arbeitskräfte war charakteristisch für diese Region.
Innerhalb der folgenden Weimarer Republik schlossen sich wenige Städte zusammen, auch nach der Verleihung von Stadtrechten blieben die Arbeiterstädte des nördlichen Ruhrgebiets von Finanzproblemen gebeutelt und sie konnten überwiegend nur ihre Pflichtaufgaben bei der Unterhaltung von Schulen und der Schaffung von Verkehrsinfrastruktur mehr schlecht als recht erfüllen (unvollständige und verspätete Verstädterung im Ruhrgebiet). Eine erneute Neuorganisation der kommunalen Grenzen fand dann 1925 statt.
Mit dem Nationalsozialismus wurde die kommunale Politik und Verwaltung nach dem Führerprinzip umgestaltet und entdemokratisiert. Der ernannte Bürgermeister wurde alleinverantwortlicher Chef der Gemeinde und Reste der kommunalen Selbstverwaltung wurden beseitigt.
Zur Nazizeit und im 2. WK wurden ausländische Arbeiter ins Ruhrgebiet verschleppt, wo sie in Zechen und Hüttenwerke Zwangsarbeit leisten mussten, während die nationale Männerpopulation in den Krieg zog oder nur in Minderheiten arbeitend ortsansässig war.
[...]
[1] Das Ruhrgebiet versteht sich synonym mit dem Begriff des Gebietes innerhalb der Verwaltungsgrenzen des Regionalverbandes Ruhr (RVR). Ergänzend sei erwähnt, dass dieses Gebiet weder naturräumlich, noch geschichtlich-kulturell eine Einheit im eigentlichen Sinne darstellt.
[2] Die Römer siedelten meist links-rheinisch, zeitweise auch rechts-rheinisch.
[3] Der Hellweg ist ein mittelalterlicher Handelsweg, der in Breitenkreis paralleler Führung die rezenten Städte Duisburg, Essen, Wattenscheid, Bochum, Dortmund und Unna durchquerte.
[4] Heute ist die Bundesknappschaft eine vorbildlich angesehene, moderne Sozialversicherung aller Bergleute und deren Angehörigen.
[5] Im Vordergrund steht das zeitgleiche Vorkommen (!) von Kohle und Eisenerz.
[6] Die ab Mitte des 20. Jahrhunderts sozialgeographisch postulierten Daseinsgrundfunktionen im Ansatz der Münchner Schule spielen bei Howard schon wesentliche Rollen. ‚Sich erholen’ und ‚Wohnen’ etwa finden sich in der räumlichen Division von Natur und Siedlungsstruktur.
- Arbeit zitieren
- Marco Grees (Autor:in), 2006, Die Sozialgeschichte des Ruhrgebiets, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/51748
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