„Jedesmal, wenn ein Mensch über Vergangenes berichtet, und sei er auch ein Geschichtsschreiber,
haben wir in Betracht zu ziehen, was er unabsichtlich aus der
Gegenwart oder aus dazwischenliegenden Zeiten in die Vergangenheit zurückversetzt,
so daß er das Bild derselben fälscht.“ Sigmund Freud
Eben der Archäologie bildet die epigraphische Forschung die bedeutendste Methode der Informationsgewinnung über vergangene Stadien und Aspekte der Maya-Kultur. Vieles, was die Archäologie nicht oder nur in begrenztem Maße imstande ist, wieder an das Licht der Erkenntnis und des Erinnerns zu bringen, kann das Studium der vielen tausend Schriftquellen leisten, die uns aus präkolumbischer Zeit erhalten sind. Man denke etwa an die Geburt eines Menschen, wie er sich verheiratet, als Herrscher inthronisiert wird, Ehrerbietung seiner Untergebenen erhält, Gesandte and die Höfe anderer Fürsten entsendet oder gegen sie eine militärische Operation durchführt. Alle diese Unternehmungen wurden mit Hilfe eines Kalenders festgehalten, der dem Epigraphiker eine absolutchronologische Einordnung der Ereignisse auf den Tag genau gibt.
Trotzdem ist die Analyse der Schrifttexte ihren eigenen Restriktionen unterworfen. Denn wer hatte außer den Eliten Gelegenheit, Geschichte, seine Sicht der Geschichte, zu schreiben? Damit wäre eine der hauptsächlichen Einschränkungen bereits genannt. Im Gegensatz zur Archäologie erfahren wir aus den Texten nichts über Belange der einfachen Bevölkerung. Doch auch Geschichtsschreibung ist bekanntermaßen nicht frei von Intentionen, aus welchen Gründen und mit welchen Mitteln auch immer. Aufgabe des Epigraphikers bei der Suche nach der historischen Faktizität ist also der quellenkritische Umgang mit seinen Arbeitsmaterialien.
Dieser Forderung wird sich auch diese Arbeit stellen, begründet durch methodische Vorgaben. Die Rekonstruktion der Historie eines Inschriftenortes ist bereits in einer Reihe von Arbeiten für verschiedene Stätten vorgenommen worden, etwa für Tikal (Jones & Satterthwaite 1982), Naranjo (Gaida 1983), Yaxchilán (Mathews 1988), Copán (Riese 1992), oder Dos Pilas (Houston 1993). Abhängig von den jeweiligen Besonderheiten einer Stätte, den Grundvoraussetzungen und den Zielsetzungen, hat eine variierende und dem aktuellen Forschungsstand angepaßte, im Kern jedoch identische Methodik sich als brauchbares Mittel für eine ähnliche Darstellung der Materie etabliert...
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT
- ÜBERSICHT
- 1. EINFÜHRUNG UND FORSCHUNGSRESÜMEE
- 1.1 DAS NORDWESTLICHE TIEFLAND
- 1.1.1 Definition
- 1.1.2 Geomorphologie
- 1.1.3 Klima
- 1.2 DIE ARCHÄOLOGISCHE ZONE VON TORTUGUERO
- 1.3 ALLGEMEINE FORSCHUNGSGESCHICHTE
- 1.3.1 Die frühen Expeditionen
- 1.3.2 Die Regionalstudien
- 1.3.3 Die Zukunft
- 1.4 QUELLENGRUNDLAGEN
- 1.4.1 Definitionen
- 1.4.2 Schriftliche Quellen
- 1.4.3 Archäologische Quellen
- 1.4.4 Forschungsdesiderata
- 1.5 QUELLENKUNDLICHE FORSCHUNGSGESCHICHTE
- 1.5.1 Kalendarische Angaben
- 1.5.2 Historische Angaben
- 1.5.3 Die Herkunft der Dynastie
- 1.5.4 Die Herrschaftsfolge
- 1.5.5 Soziopolitische Relationen
- 1.5.6 Forschungsdesiderata
- 1.6 ZIELSETZUNG
- 1.6.1 Dokumentation der Quellen
- 1.6.2 Bearbeitung der Quellen
- 1.6.3 Einschränkungen
- 2. METHODIK
- 2.1 EPIGRAPHISCHE VORBEDINGUNGEN
- 2.1.1 Termini und Definitionen
- 2.1.2 Graphemik
- 2.1.3 Kriterien zur Ermittlung des Gehalts einer Hieroglyphe
- 2.2 LINGUISTISCHE VORBEDINGUNGEN
- 2.2.1 Die Frage der Klassischen Schriftsprache
- 2.2.2 Phonetik und Phonologie
- 2.2.3 Wortarten und Morphologie
- 2.2.4 Syntax
- 2.3 ANALYTISCHE VERFAHRENSWEISE
- 2.3.1 Quelleninterne Analyse
- 2.3.2 Quellenvergleichende Analyse
- 2.3.3 Historiographische Grundbedingungen für die klassischen Maya
- 2.3.4 Problemstellungen der Historiographie
- 2.3.5 Quellenvergleich mit den Aufzeichnungen anderer Orte
- 2.4 WEITERE PROGRAMMATIK
- 3. CHRONOLOGISCHES GERÜST
- 4. EINZELHYPOTHESEN
- 4.1 THEMATISCHE HIEROGLYPHEN
- 4.1.1 Lebenszyklus und Selbstidentität
- 4.1.1.1 Der Geburtsausdruck „siij?“
- 4.1.1.2 Der todesbezogene Ausdruck „ma' ilnaj“
- 4.1.1.3 Der Todesausdruck „och bij“
- 4.1.1.4 Der Agensausdruck „aj“
- 4.1.1.5 Der Personenklassifikator „ix(ik)“
- 4.1.2 Politik, Status, Macht und Autorität
- 4.1.2.1 Der Inthronisationsausdruck „chumwaani ta ...“
- 4.1.2.2 Der statusbezogene Ausdruck „chumlaj nah baah“
- 4.1.2.3 Der Titel „ch'ahoom“
- 4.1.2.4 Der Titel „yajawte“
- 4.1.2.5 Der Titel „? ix k’uh“
- 4.1.2.6 Die Emblemhieroglyphe „k’uhul baakal ajaw“
- 4.1.3 Kriegsführung und Konfliktaustragung
- 4.1.3.1 Der Kriegsausdruck „Sternkrieg“
- 4.1.3.2 Der kriegsbezogene Ausdruck „u took'u pakal“
- 4.1.3.3 Der Ausdruck der Gefangennahme „chuhkaj“
- 4.1.3.4 Der Ausdruck des Hackens „ch'ahkaj❝
- 4.1.3.5 Der Ausdruck für Gefangenenbehandlung „naabaj ch’ich”
- 4.1.3.6 Der Ausdruck für Gefangenenbehandlung „witzaj jol“
- 4.1.3.7 Der gefangenbezogene Ausdruck „bolon hihnaj u sak nik ik’il“
- 4.1.4 Genealogische Systematik
- 4.1.4.1 Der Ausdruck für das Kind eines Mannes „u nich“
- 4.1.4.2 Der Ausdruck für das Kind einer Frau „u baah u juntan“
- 4.1.4.3 Der Abstammungsausdruck „u baah u chiit? ch'ab“
- 4.1.4.4 Der Ausdruck für Namensvetternschaft „yeht k’aba’il u mam“
- 4.1.4.5 Der Verheiratungsausdruck „huli“
- 4.1.5 Religion, Ritus und Kult
- 4.1.5.1 Der Periodenendenausdruck,,tzutz\n\"\n
- 4.1.5.2 Der Ausdruck des Bindens „k'al“
- 4.1.5.3 Der Ausdruck des Einpflanzens „tz'ahpaj“
- 4.1.5.4 Der Ausdruck des Aufstellens „wa’laj u lakam tuun“
- 4.1.5.5 Der numenbezogene Ausdruck „yehm bolon yokte“
- 4.1.6 Übergeordnete Ausdrücke
- 4.1.6.1 Der Zeit- und Ortsindikator „uht“
- 4.1.6.2 Der Überwachungsausdruck „u kabijiy“
- 4.2 NOMINALPHRASEN
- 4.2.1 Männliche Individuen
- 4.2.1.1 Das Individuum „Ahkal K’uk“
- 4.2.1.2 Das Individuum „Bahlam Ajaw“
- 4.2.1.3 Das Individuum „Xam“
- 4.2.1.4 Das Individuum „Lajun Ajaw Aj Kil Chan“
- 4.2.1.5 Das Individuum „Us Jun Kaban“
- 4.2.1.6 Das Individuum „Ik' Muuy Muwaan I.“
- 4.2.1.7 Das Individuum „Ox Bahlam“
- 4.2.1.8 Das Individuum „Tz'unun Mo“
- 4.2.1.9 Das Individuum „Ebeet K’uk“
- 4.2.1.10 Das Individuum „Chan Chuwen“
- 4.2.1.11 Das Individuum „A“
- 4.2.1.12 Das Individuum „Jun Yal Ok“
- 4.2.1.13 Das Individuum „Ik' Muuy Muwaan II.“
- 4.2.1.14 Das Individuum „Ak'ax Bahlam“
- 4.2.1.15 Das Individuum „B“
- 4.2.1.16 Das problematische Individuum „C“
- 4.2.1.17 Das problematische Individuum „D“
- 4.2.1.18 Das problematische Individuum „E“
- Lebenszyklus und Selbstidentität
- Politik, Status, Macht und Autorität
- Kriegsführung und Konfliktaustragung
- Genealogische Systematik
- Religion, Ritus und Kult
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der Beschriftung einer klassischen Maya-Stadt, Tortuguero, Tabasco, Mexiko, anhand ihrer Inschriften. Sie verfolgt das Ziel, die Inschriften zu dokumentieren, zu bearbeiten und in einen historischen Kontext zu stellen. Die Arbeit untersucht die Inschriften aus verschiedenen Perspektiven, darunter die epigraphischen und linguistischen Voraussetzungen, die Analyse der Inschriften sowie die Quellenvergleichende Analyse. Ziel ist es, ein chronologisches Gerüst der Geschichte von Tortuguero zu erstellen und die wichtigsten Themen der Inschriften zu identifizieren. Die Arbeit konzentriert sich insbesondere auf die Analyse der Inschriften in Bezug auf die folgenden Themen:
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einführung in die Forschungslandschaft und stellt die archäologische Zone von Tortuguero sowie die allgemeine Forschungsgeschichte vor. Sie beleuchtet die Quellen, die für die Arbeit genutzt wurden, und die methodischen Grundlagen. Im nächsten Kapitel werden die epigraphischen und linguistischen Voraussetzungen der Arbeit erläutert. Das dritte Kapitel beleuchtet die chronologische Entwicklung der Stadt Tortuguero. Im vierten Kapitel werden die wichtigsten Themen der Inschriften detailliert analysiert. Dieses Kapitel behandelt Themen wie Lebenszyklus und Selbstidentität, Politik, Status, Macht und Autorität, Kriegsführung und Konfliktaustragung, Genealogische Systematik sowie Religion, Ritus und Kult.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit der Maya-Archäologie, der Epigraphie, der Linguistik, der historischen Quellenforschung und der Analyse von Inschriften. Sie befasst sich mit dem nordwestlichen Tiefland Mexikos und der archäologischen Zone von Tortuguero. Die zentralen Themen sind die klassische Maya-Schrift, die Chronologie der Stadt Tortuguero und die Analyse der Inschriften in Bezug auf Lebenszyklus, Politik, Krieg, Genealogie und Religion. Zu den wichtigen Konzepten gehören die Hieroglyphen, die Sprache der Maya, die historischen Ereignisse und die soziopolitischen Strukturen der Maya-Gesellschaft. Die Arbeit liefert einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Geschichte und Kultur der klassischen Maya.
- Quote paper
- Sven Gronemeyer (Author), 2004, Tortuguero, Tabasco, Mexiko: Geschichte einer klassischen Maya-Stadt, dargestellt an ihren Inschriften, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/51770