"Diederich Heßling war ein weiches Kind, das am liebsten träumte, sich vor allem fürchtete und viel an den Ohren litt." (H. MANN, S. 5) Mit diesen Worten beginnt Heinrich Mann, in seinem Roman "Der Untertan" die Sozialisation von Diederich Heßling zu beschreiben. Diese einfache Charakterisierung von Diederich blieb mir, als ich den Roman zum erstenmal in meiner Schulzeit las, lange im Gedächtnis verhaftet. Je weiter ich den Lebensweg und damit die Sozialisation und später die Karriere von Diederich Heßling verfolgte, desto öfters kam mir dieser Satz wieder ins Gedächtnis. Denn es wird immer deutlicher, daß von der Weichheit des Kindes nicht mehr viel übrig bleibt, und das "war", welches Heinrich Mann benutzt, gewinnt eine unheimliche Bedeutung. Es zeigt, wie veränderlich Charaktereigenschaften sind, wenn sie den entsprechenden Kräften ausgesetzt werden.
Diese Erkenntnis war für mich der bleibende Eindruck dieses Werkes. Als ich im Laufe meines Studiums mit den verschiedenen Theorien über Sozialisationsprozeße konfrontiert wurde, da dachte ich sehr bald an den Untertan zurück. So wurde die Idee geboren, diesen speziellen Sozialisationprozeß näher zu betrachten und zu untersuchen.
Die Hauptfigur des Romans, Diederich Heßling, symbolisiert den Menschen der Wilhelminischen Ära. Heinrich Mann sieht den Untertanengeist, als den dominanten Charakterzug dieser Zeit an. Da Charaktereigenschaften Konstrukte sind, die aus Verhaltensweisen abgeleitet werden, gibt es eigentlich keine bessere Möglichkeit, diese an einem anderen Konstrukt, nämlich einer Romanfigur, aufzuzeigen. So versucht Heinrich Mann an der Figur des Diederich Heßling, prototypisch die Entwicklung der Charakterzüge deutlich zu machen, die einen Untertanen ausmachen. Heßling ist so zu sagen das Musterbeispiel für eine gelungene Sozialisation zum Untertan. An diese Tatsache muß man sich bei der Untersuchung dieser Prozesse immer erinnern.
Natürlich wird es mir nicht gelingen, alle Faktoren und Variablen des Sozialisationprozeßes aufzuzeigen oder gar zu definieren. Dazu ist dieser Prozeß zu komplex. Ich möchte vielmehr die im Roman geschilderten Situationen, die für Heinrich Mann die entscheidenden Stationen zum Untertan sind, anhand verschiedener Theorien beleuchten. Im Zentrum meiner Betrachtungen steht "Autorität und Familie", ein Werk von Max Horkheimer, Erich Fromm und Herbert Marcuse. Weiterhin möchte ich mich auf Sigmund Freud und Theodor Adorno stützen...
Inhaltsverzeichnis
- Titelblatt
- Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Hauptteil:
- 1. Kapitel: "Kontext und Inhalt des Untertan"
- Heinrich Mann
- Die Wilhelminische Ära
- Der Vorabend der Reichsgründung
- Reichsgründung und Gründerjahre
- Ideologische Strömungen
- Der Fortschritt
- Die Politik des Kaiserreichs
- Die Figur des Kaisers
- Der Untertan
- Die Sozialisation
- Politik und Liebe
- Rückkehr nach Netzig
- Der politische Kampf
- Entwicklungen
- Das Denkmal
- 2. Kapitel: "Die Sozialisation zum Untertan"
- Autorität und Charakter
- Autorität
- Charakter
- Der autoritäre Charakter
- Sozialisation und Karriere von Diederich Heßling
- Die literarische Konstruktion des Untertan
- Zusammenfassung
- Autorität und Charakter
- 1. Kapitel: "Kontext und Inhalt des Untertan"
- Schlußbemerkungen: "Narzißmus: ein Ausblick"
- Narzißmus
- Entwicklungsmodelle von Narzißmus
- Narzißmus, der neue Sozialisationstyp
- Vom autoritären zum narzißtischen Charakter
- Narzißmus
- Anhang:
- Zeittafel zu Leben von Heinrich Mann
- Merkmale des autoritären Charakter
- Literaturverzeichnis
- Bildnachweis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese wissenschaftliche Arbeit zielt darauf ab, die Genese des autoritären Charakters in der Gesellschaft anhand des Romans "Der Untertan" von Heinrich Mann zu analysieren. Die Arbeit untersucht, wie die Sozialisation des Protagonisten Diederich Heßling in der Wilhelminischen Ära zu einem autoritären Charakter führt.
- Die Sozialisation des autoritären Charakters
- Die Rolle der Familie und der Gesellschaft in der Charakterbildung
- Die Bedeutung von Autorität und Unterwerfung
- Der Einfluss der Wilhelminischen Ära auf die Entwicklung des Charakters
- Der Vergleich des autoritären Charakters mit dem narzißtischen Charakter als aktuellem Sozialisationstyp
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet den Kontext und den Inhalt des Romans "Der Untertan". Es beginnt mit einer kurzen Biographie Heinrich Manns, um den Leser in die Entstehungszeit des Romans einzuführen. Anschließend wird die Wilhelminische Ära mit ihren wirtschaftlichen, politischen und sozialen Strömungen näher betrachtet. Der Fokus liegt dabei auf den Faktoren, die den Untertanengeist prägten und die Sozialisation des autoritären Charakters begünstigten. Die Kapitelübersichten bieten einen Einblick in die Handlung des Romans und fokussieren auf die Entwicklung des Protagonisten Diederich Heßling.
Das zweite Kapitel analysiert die Sozialisation von Diederich Heßling im Kontext verschiedener Sozialisationstheorien. Es werden die wichtigsten Merkmale des autoritären Charakters nach Adorno und Horkheimer vorgestellt und mit der Entwicklung von Diederich im Roman verglichen. Der Fokus liegt auf der Rolle von Autorität, Unterwerfung und der Ausbildung des Überichs in der frühkindlichen Entwicklung.
Die literarische Konstruktion des Romans "Der Untertan" wird ebenfalls beleuchtet, um die Intention des Autors und die stilistischen Mittel, die er zur Verdeutlichung der Sozialisation des autoritären Charakters verwendet, zu verdeutlichen. Die Analyse der Montagetechnik, der Kaiserthematik und der Ironie im Roman zeigt, wie Heinrich Mann die Entwicklung des Protagonisten und die gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit aufzeigt.
Die Schlußbemerkungen bieten einen Ausblick auf den narzißtischen Charakter als aktuellen Sozialisationstyp. Es werden die Entwicklung des Narzißmus-Begriffs in der Psychologie und die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen dem autoritären und dem narzißtischen Charakter aufgezeigt. Der Fokus liegt dabei auf der Ich-Schwäche und der Abhängigkeit von der Umwelt, die beide Charaktertypen verbindet.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen den autoritären Charakter, die Sozialisation, die Wilhelminische Ära, Heinrich Mann, "Der Untertan", die Familie, Autorität, Unterwerfung, das Überich, der Narzißmus, die Konsumgesellschaft, die Ich-Schwäche, die Struktur verhinderter Subjektivität, die Unterwerfung, die Genese des Charakters.
- Quote paper
- Christoph Fournier (Author), 1995, Der autoritäre Charakter in Literatur und sozialwissenschaftlichen Theorien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/51788
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