Charidschiten


Elaboration, 2003

40 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Hauptteil
1. Die Charidschiten
1.1 Die Entstehung der ersten Charidschiten
1.2 Die grundlegende Doktrin der Charidschiten
1.3 Das charakteristische Merkmal
1.4 Die unterschiedlichen Auslegungen des Korans
2. Die charidschitischen Fraktionen
2.1 Die Azraqiten
2.2 Die Nağditen
2.3 Die Sufriten
2.4 Die Ağariten
2.5 Die Ibaditen
2.6 Die Yaziditen
2.7 Die Maimuniya

III. Historische Beispiele

IV. Fazit

V. Anhang

I. Einleitung

Beim Tod Mohammeds 632 n. Chr. war die Frage seiner Nachfolge ungeklärt. An ihr entzündeten sich Konflikte um Legitimität und Macht, die zu innermuslimischen Kämpfen, regelrechten Bürgerkriegen und schließlich zur Herausbildung verschiedener religiös-politischer Strömungen und Fraktionen innerhalb des Islam führten, darunter vor allem Sunniten[1], Schiiten[2] und Charidschiten[3]. Unter den frühen Muslimen war unstrittig, dass Mohammed als Prophet keinen Nachfolger haben konnte. Es ging einzig um die Frage, wer ihm in der Führung der Gemeinde nachfolgen sollte. Mohammed hinterließ keinen Sohn, so dass die Möglichkeit einer Erbfolge ausschied. Er designierte keinen Nachfolger. Die Muslime einigten sich rasch darauf, nur einen Führer als Nachfolger Mohammeds zu wählen. Umstritten blieb, wie und nach welchen Kriterien dieser „beste Muslim“ zu ermitteln sei. Die wissenschaftliche Ansicht von Albrecht Noth zu dieser Thematik ist folgende:

„Der Prophet Mohammed hatte keine Regelung über seine Nachfolge in der Führung der medinensischen „Umma“ getroffen; in seiner Eigenschaft als „Gesandter Gottes“ konnte er ohnehin keinen Nachfolger haben.“[4]

Um diesen „besten Muslim“ (Kalifen) zu finden haben die damaligen Muslime unterschiedliches Gedankengut hervorgebracht. Dadurch fingen die Muslime an sich zu gruppieren. Jede Gruppe war im Glauben von sich selbst die ausgewählte Gruppe zu sein und demnach den Kalifen nur aus der eigenen Gruppe wählen zu können. Dies ging soweit das alles außerhalb der Gruppe mit nicht islamisch „ungläubig“ abgestempelt wurde und zum ersten mal sich fundamentalistische Bewegungen bildeten.

Heutzutage gibt es Gruppen die sich selbst von den anderen Fraktionen hervorheben und Andere gar nicht in die als muslimisch gelegte (geordnete) Kategorie einsetzen. All diese Gruppen sind im Glauben die Welt zu verbessern indem sie innerhalb ihrer Gruppe einen Führer auswählen und auf der Welt Terror verbreiten um sich der Welt und der islamischen Gemeinde aufzuzwingen.

Von der einen Seite ist der Islam laut der islamischen Welt eine Religion der Toleranz, des Friedens, des Dialoges mit dem Fundament das ein Moslem kein Terrorist sein kann und ein Terrorist kein Moslem. Auf der anderen Seite entsteht ein Fragezeichen aufgrund terroristischer Aktivitäten der einzelnen Gruppen?

Um die islamisch- fundamentalistische Gruppen zu verstehen sollte man einen Blick in die Zeit der Charidschiten werfen. In dieser Arbeit geht es darum welche Argumentation und Verhaltensweisen die Charidschiten damals hervorgebracht haben um ihre islamisch-fundamentalistische Bewegungen recht zu fertigen? Ob wir daraus ein Resümee für das Vorgehen und das Verständnis der heutigen terroristischen Gruppen ziehen können?

Die Quellen, die ich herangezogen habe, um meine Thesen zu stützen, stammen aus Sekundärliteratur und sind unter anderen Arbeiten von Rudolf Ernst Brünnow, al-Mubarrad al-Kamil und Tabari[5]. Außerdem benutzte ich auch neuere Quellen wie Josef Van Ess und William Montgomery Watt. Der schwächste Punkt dieser Arbeit ist, dass ich Schwierigkeiten hatte, an Quellen heranzukommen, zumal ich die arabische Sprache nicht beherrsche und es nicht viele Übersetzungen aus dieser Sprache zu dem Thema meiner Arbeit gibt.

Im folgenden Kapiteln werde ich zunächst die Entstehung, den Werdegang und die Besonderheiten der Charidschiten darstellen. Im zweiten Teil meiner Arbeit gehe ich in die einzelnen Fraktionen innerhalb der Charidschiten ein, um die Gründe der Spaltung und Uneinigkeiten zwischen den einzelnen Charidschiten auf zu zeigen. Dem folgen historische und literarische Notizen aus dem Werk von Al Mubarrad Al-Kamil, um noch einige unserer Ansichten nach nennenswerten Darstellungen zu bekräftigen. Im Anschluss werden dann schließlich die Ergebnisse der Untersuchung vorgestellt und ein kurzes Resümee der Arbeit gezogen.

II. HAUPTTEIL

1. Die Charidschiten

1.1. Die Entstehung der ersten Charidschiten

Die Ermordung Uthmans war ein Wendepunkt in der Geschichte des Islams. Nach Alis Regierungsantritt bildeten sich Fronten mit unterschiedlichen Zielen. Im Vordergrund stand die Frage nach der Wertung des Mordes an Uthman und der angemessenen Bestrafung der Täter. Einige von Alis früheren Kampfgefährten und Muawiya versuchten unter dem Vorwand der Blutrache für die Ermordung Uthmans den Kalifen mit Waffengewalt aus seinem Amt zu verdrängen. Im Sommer 657 traf Ali mit seinen Truppen bei Siffin, am oberen Euphrat, östlich von Aleppo, auf das Heer Muawiyas.[6] Am Morgen des dritten Tages schien der Sieg Ali bereits sicher.[7] Muawiya bekam die Leiden des Krieges zu spüren und versuchte sich aus seiner Notlage zu befreien, indem er seinen Truppen befahl, Koranblätter an ihren Lanzen in die Höhe zu halten. Dadurch signalisierte er, dass er den Streit durch einen neutralen Schiedsspruch, der auf dem Koran basieren sollte, beilegen wollte. Jedoch soll der „vierte rechtgeleitete“ Kalif Ali darauf bestanden haben weiterzukämpfen, bis die Schlacht entschieden sei. Eine beträchtliche Anzahl seiner Anhänger, die in der Folge als Charidschiten bezeichnet wurden, traten bei Ali vor und verlangten von ihm, die Ernennung eines Richters anzuerkennen. Ali stimmte widerwillig dem Vorschlag von Muawiya zu. Sie einigten sich, jeweils einen Richter aus der eigenen Gemeinschaft auszuwählen. Daraufhin ernannte Muawiya Amr ibn-al-As, der aufrichtiger Anhänger Muawiyas war.[8] Dem Wunsch von Ali, den ebenbürtigen Abdullah b. Abbas, zum Richter zu ernennen, widersetzten sich die zuvor aufsässig gewordenen Anhänger von Ali und die Muawiya-Anhänger, und zwangen ihn, Abu Musa al-As´ari, der kein überzeugter Anhänger von Ali war, zu wählen.[9] Diese Themenstellung wird in den Werken von al-Kamil, Werner Ende und Tabari wie folgt geschildert:

„...Ali sagte: „Wisst ihr nicht mehr, dass, als jene Leute (die Charidschiten), die Koranexemplare an den Lanzenspitzen hochhoben, ich zu euch sagte, das sei nur eine ganz erbärmliche List und dass, wenn sie wirklich das Urteil der Koranexemplare im Auge gehabt hätten. Wisst ihr denn nicht mehr, dass keiner dieser Sache mehr widerstrebte als ich?“ Darauf erwiderten sie: „Ja, bei Gott!“ Ali fuhr fort: „Und wisst ihr auch noch, dass ihr es wart, die mich dazu so lange nötigten, bis ich mich fügte; wobei ich zur Bedingung machte, dass die Entscheidung der Schiedsrichter (nur) dann Geltung haben solle, so lange sie sich nach der Entscheidung nicht mehr gebunden seien; wobei ihr wohl wusstet, dass Gottes Entscheidung mich nicht übergehen könne (d.h. notwendig zu meinen Gunsten ausfallen müsse?)“...“[10]

Nach Verhandlungen wurde Ali durch den Beschluss der Richter abberufen und Muawiye auf den Posten des Kalifen erhoben. Watt stellt sich die Frage, ob ein Recht auf das Kalifat für Muawiya bestanden habe, und behauptet, dass dies von den beiden Schiedsrichtern im Januar 659 in Adruh untersucht wurde, und dass dabei Amr b. As Abu-Musa überlistet haben soll.[11] Auf die Überlistung von Abu-Musa geht Tabari in seinem Werk ein und berichtet wie folgt:

Amr sagte zu Abu Musa: „Sage mir, was du denkst!“ Er antwortete: „Ich denke, dass wir diese zwei Männer (Ali und Muawiya) absetzen sollten.“ Amr erwiderte darauf: „Ich bin einverstanden.“ Sie wandten sich zu den Leuten, die sich gesammelt hatten. Amr sagte: „Abu Musa, verkündige ihnen, dass wir eine Vereinbarung getroffen haben.“ Abu Musa sagte: „Ich und Amr sind uns darüber einig, dadurch dass Gott dieser Gemeinschaft Frieden bringen wird.“ Amr sagte: „Du hast die Wahrheit gesprochen und dein Wort gehalten. Jetzt geh voran und rede weiter!“ Abu Musa ging vorwärts redend, aber Ibn Abbas kam ihm entgegen und sagte: „Ich vermute, dass er (Amr) dich betrügt. Wenn ihr über etwas einig seid, was ihr verkünden wollt, dann lass ihn zuerst reden und fang dann an zu reden.“ Aber Abu Musa war leichtfertig und sagte: „Wir haben schon alles festgelegt.“ Abu Musa ging vorwärts, pries Gott und sagte dann: „Wir haben die Angelegenheit dieser Gemeinschaft betrachtet und wir glauben nicht, dass wir die optimale Lösung gefunden haben. Das heißt, dass wir Ali und Muawiya absetzen wollen und dass unsere Gemeinschaft mit der Ernennung eines neuen Kalifen konfrontiert ist. Ich nahm die Absetzung von Ali und Muawiya an.“ Er stand dann beiseite und Amr b. al-As nahm seinen Platz. Er pries auch Gott und sagte dann: „Wie ihr schon zugehört habt, hat unser Gefährte die Absetzung des Kalifen Ali verkündet. Genau so stimme ich zu, dass die Absetzung von Ali ausgeführt wurde und bestätige meine Unterstützung meines Anwärters Muawiya. Er ist der Verwandte von Uthman, der sein Blut rächen will. Vor allem hat er das Anrecht, das Kalifat zu übernehmen.“ Abu Musa sagte: Verflucht! Was tuest du da? Du hast dich verräterisch und ungerecht benommen.“[12]

Nach diesem Ereignis nahm die Situation der Charidschiten eine interessante Wendung. Obwohl sie Anfangs Ali zwangen, eine bestimmte Person als Richter anzuerkennen, deklarierten sie es später als großes Vergehen, beim Richter Rat einzuholen und forderten ihn auf, wegen „dieser Sünde“ Reue zu zeigen. Nach der Meinung der Chardschiten sei Ali durch sein oben erwähntes Verhalten zum Heiden geworden. Desweiteren gaben sie zu, dass auch sie selbst aus diesem Grund ungläubig geworden waren. Aber, um erneut dem Islam beizutreten, zeigten sie Reue. Es konnte und kann nicht erwartet werden, dass eine Persönlichkeit wie Ali diese Vorwürfe hinnimmt. Er lehnte ihre Anschuldigungen ab. Daraufhin protestierten die Charidschiten gegen die Einsetzung eines menschlichen Gerichtes, indem sie stolz erklärten: „Das Urteil gehört Gott allein!“. Sie verließen das Heer und zogen sich nach dem Dorfe Harura, nicht weit von Kufa zurück. Es gelang Ali jedoch, einige von ihnen zur Rückkehr nach Kufa zu bewegen, indem er mit den Häuptern der Rebellen in Harura persönlich verhandelte. Nach kurzer Zeit trennten sich aber viele wieder von ihm und wählten ihren eigenen Kalifen Abdallah ibn Wahb von Stamme Rasib (22. März 658).[13] Die Abwanderungen nach Harura und Nahrawan sind als die erste Phase der charidschitischen Bewegung unter Ali anzusehen. Auch diese Themenstellung ist in dem Werk von al-Kamil zu sehen:

„...Die Charidschiten antworteten: „Du (Ali) hast, auf unsere Ansicht hin, Schiedsrichter in der Religion Gottes eingesetzt. Wir gestehen nun, dass wir als Ungläubige (d.h. gottlos) gehandelt haben, doch wollen wir uns reuig zu Gott kehren. So leg auch du ein ebensolches Geständnis wie wir ab und revoziere (wörtl.: zeige Reue), so wollen wir uns dir anschließen und gegen Syrien marschieren.““[14]

1.2. Die grundlegende Doktrin der Charidschiten

Die Charidschiten galten unter den verschiedenen islamischen Fraktionen als diejenigen, die ihre Glaubensrichtung mehr als alle anderen verteidigten und zielten bewusst darauf ab, ihre Ansichten anderen aufzuzwingen. In ihrer Vorgehensweise klammerten sie sich an Worte wie „Das Urteil gehört Gott allein!“, womit sie ihrem Kampf gegen Ali einen heiligen Charakter verliehen. Diese Worte: „Das Urteil gehört Gott allein!“ beruhen auf mehreren Koranversen.[15] Dieses Motto der frühen Charidschiten enthält ihre grundlegende Doktrin. Natürlich ist der Satz unterschiedlich zu verstehen. Generell muss er so interpretiert werden: Wo es eine eindeutige Vorschrift des Korans gibt, müssen die Menschen diese einfach befolgen. Sie waren fest davon überzeugt, dass ein Gläubiger von ihren Vorgaben keine Zugeständnisse machen könne. Immer wenn sie Ali eine Rede halten sahen, reklamierten sie diesen Vers „Das Urteil gehört Gott allein!“, und sie versuchten bei jeder Gelegenheit um Anhänger zu werben, indem sie den verstorbenen dritten Kalifen Uthman und Ali diskreditierten. Die wissenschaftliche Ansicht zu dieser Diskreditierung äußert Watt wie folgt:

„The Kharijites insisted Uthman was an unbeliever because of his sins.“[16]

“…The Kharijites are those who said he (Ali) was unbeliever and fought against him.”[17]

Sie beriefen sich dabei auf den folgenden Vers: „Und wenn zwei Gruppen von den Gläubigen einander bekämpfen, dann stiftet Frieden zwischen ihnen! Wenn dann aber die eine der anderen (immer noch) Gewalt antut, dann kämpft gegen diejenige, die gewalttätig ist, bis sie wiedereinlenkt und sich der Entscheidung Gottes fügt.“[18] Sie nahmen an, die gewalttätige Gruppe sei Muawiya, und Ali habe gegen diese Vorschrift verstoßen, da er den Kampf gegen ihn eingestellt hatte. Zur Untermauerung dieses Standpunktes könnten verschiedene andere Verse zitiert werden, wie z.B.: „Kämpft gegen diejenigen, die nicht an Gott und den Jüngsten Tag glauben und nicht verbieten, was Gott und sein Gesandter verboten haben, und nicht der wahren Religion angehören...“[19] Die Charidschiten gingen davon aus, dass sie immer recht und ihre Gegner unrecht hatten, und dass es ihre Pflicht sei, die letzteren zu bekämpfen. Dies zu untermauern klammerten sie sich an den folgenden Vers: „Seid geduldig (und wartet zu), bis Gott (dereinst) zwischen uns entscheidet.“[20] Diesen Vers legten sie so aus, dass sie geduldig weiterkämpfen sollten, bis Gott ihnen den Sieg schenkt, was er am Ende sicher tun würde.

Die oben aufgeführten Auslegungen helfen uns, den Übergang von dem Leitgedanken zu den anderen charakterisierten Doktrinen der Charidschiten zu verstehen. In dem Leitgedanken ist die Vorstellung von einer rechtgeleiteten Gemeinde impliziert, die das Gesetz Gottes kennt und es praktiziert und die solche Gemeinschaften und Einzelpersonen bekämpft, die das Gesetz entweder nicht kennen oder es nicht praktizieren. Eine Konsequenz dieser Ansicht war die am häufigsten hervorgehobene Doktrin, die den großen Sünder aus der Gemeinde ausschließen sollte. Deshalb wird der Kampf gegen den großen Sünder zur Pflicht und daher wird auch sein Ausschluss aus der Gemeinschaft verlangt. W. M. Watt betrachtet diesen Punkt aus der anderen Perspektive. Er behauptet, dass die Tatsache, dass die Charidschiten in der Art eines kleinen arabischen Nomadenstammes in der Wüste gelebt haben, es ihnen ermöglichte große Sünder auszuschließen. Auch als sie anfingen in den Städten zu leben, haben sie ihre Tradition bzw. ursprüngliche Natur beibehalten.[21]

Auch Rudolf Ernst Brünnow weist in seinem Werk darauf hin, dass die Charidschiten meist Vollblutaraber aus den Wüstenstämmen waren und gegen „Ungläubige“ eifrig kämpften. Obwohl sie sich später in Städten aufhielten, legten sie ihre ursprüngliche Natur nicht ab.[22]

Um den Gedankengang der Charidschiten besser zu verstehen, kann man das Vorgehen der Charidschiten mit uns bekannten geschichtlichen Ereignissen vergleichen. Zu diesem Punkt sind im Werk von Mohammed Abu Zahra zwei Beispiele zu finden: Die Charidschiten werden mit den Jakobinern hinsichtlich der Worte wie „Freiheit“, „Brüderschaft“ und „Gleichheit“ verglichen. Dieser Worte wegen töteten sie zahlreiche Menschen und vergossen viel Blut; ebenso die Vorstellung von einem vollkommenen Glauben „das Urteil liegt allein in Gottes Hand“.[23]

Die auffallenden Eigenschaften der Charidschiten-Anhänger waren nicht nur, dass sie sich an Koranverse klammerten, sondern auch den Wunsch hatten, sich aufzuopfern, zu sterben, sich ohne einen handfesten Anlass in gefährliche Situationen zu begeben. Die Charidschiten glichen mit dieser Haltung den fundamentalistischen Christen, die während der arabischen Herrschaft in Andalusien lebten. Einige von ihnen verhielten sich tollkühn und stürzen sich in ihrem Fanatismus in den Tod. Sie beleidigten sogar vor dem Richterausschuss den Propheten Mohammed, damit sie im Namen ihrer Religion hingerichtet würden.[24]

Die Charidschiten neigten stets dazu, alle Außenstehenden, selbst Muslime mit abweichenden Auffassungen, als Feinde zu betrachten, deren Blut vergossen werden durfte, wie früher auch in der Wüste die Mitglieder eines Nomadenstammes die Angehörigen aller anderen Stämmen für potentielle Feinde hielten. Verschiedene Leute, die ruhig ihres Weges gingen, waren in die Hände der Nomaden geraten und als sie Uthman und Ali nicht verfluchen wollten, wurden sie grausam ermordet; auch ein angesehener Muslim, Abdallah ibn Habbab, dessen Vater ein Gefährter Mohammeds gewesen war, befand sich unter den Getöteten. Nach dessen Ermordung forderte Ali die Täter auf, sich zu stellen, um sie zu bestrafen. Doch die Charidschiten verweigerten die Aushändigung der Täter mit der Antwort: „ Wir alle haben sie getötet.“[25] Zwar zog Ali gegen sie in den Krieg, doch konnte er nicht verhindern, dass die Charidschiten trotz enormer Verluste nach dem Krieg ihren bisherigen Weg gingen.[26]

1.3 Die charakteristischen Merkmale

Im folgenden möchte ich in die gemeinsamen Merkmale der Charidschiten eingehen.

a) Eine als richtig und fundamental anzuerkennende Sichtweise der Charidschiten ist folgende: Der Kalif wird ausschließlich durch eine freie und rechtmäßige Wahl ernannt. An der Wahl sollte sich nicht nur ein Teil der Muslime, sondern alle beteiligen. Der Kalif bleibt auf seinem Posten, solange er sich gerecht verhält, die Scharia aufrecht erhält und sich von Fehlern fernhält. Sollte er vom rechten Weg abkommen, muss er des Amtes enthoben werden.[27]
b) Das Kalifat ist nicht nur für eine Familie von den arabischen Stämmen bestimmt, so wie manche behaupten, dass es nur den Arabern des Stammes Kuraisch gehöre. Was das Kalifat betrifft, sind alle Muslime gleichgestellt. Sogar die Charidschiten sollen bevorzugt haben, dass der Kalif nicht aus dem Stamm-Kuraisch stammt, damit es einfacher war, ihn von seinem Amt zu entfernen, falls er gegen die Religion opponiert oder vom rechten Weg abkommt. Dieser Kalif würde keine Anhänger finden, die ihn beschützen und keinen Stamm, der ihn aufnimmt. Von diesem Punkt ausgehend wählten die Charidschiten aus ihren Kreisen den Abdallah b. Wahb er-Rasib, der nicht aus dem Kuraisch-Stamm war, und ernannten ihn zu ihrem Oberhaupt.[28]
c) Die Gruppe „Nağadat“ in der Charidschitischen Glaubensrichtung ist der Auffassung, dass ihre Anhänger nur dann den Anspruch darauf haben, einen Kalifen ernennen zu dürfen, wenn die Menschen ungerecht miteinander umgehen und wenn die Möglichkeit nicht existiert, einem Imam ein Amt anzuvertrauen, der ihnen den rechten Weg weisen soll. Sie behaupten, dass die Ernennung eines Kalifen der Religion nach nicht Pflicht sei, sondern gestattet. Nur aus der Notwendigkeit des Bedürfnisses und des Nutzen entsteht die Pflicht.[29]
d) Die Anhänger der Charidschiten-Fraktionen vertreten die Auffassung, dass jeder, der eine Sünde begeht, sich zum Heidentum bekehrt und als Ungläubiger akzeptiert wird. In dieser Hinsicht machen sie keinen Unterschied zwischen kleinen und großen Sünden. Sie zählen es auch zur Sünde, wenn ein Mensch in seiner Anschauung falsch liegt. Aus diesem Grund bezichtigten sie auch Ali, vom islamischen Glauben abgefallen zu sein, da er den Richter konsultierte; wobei daran erinnert werden sollte, dass dessen Konsultierung - wie schon erwähnt - nicht seine eigene Idee war.[30]

[...]


[1] Zur ausführlichen Erklärung, siehe: Handwörterbuch des Islam, im Auftrag der Koninklijke Akademie van Wetenschappen, Hrsg. von A. J. Wensinck, J. H. Kramers, Leiden E. J. Brill Amsterdam 1941, S.704 ff.

[2] Zur ausführlichen Erklärung, siehe: Heinz Halm, Die Schia, Darmstadt 1989

[3] „Charidschiten“ ist eine eingedeutschte Form des arabischen Hawaridsch oder Haridschiyya, was man als einen Plural bzw. ein Kollektivnomen bezeichnen kann. Ein einzelner ist dann ein Haridschi. Für ausführliche Information zur Bedeutung der Bezeichnung „Charidschiten“; siehe: W. M. Watt, Der Islam, (von d. Verf. autoris. Übers. aus d. engl. Orig.-Ms. von Sylvia Höfer) W. Kohlhammer Verlag Stuttgart 1985, S. 8 ff.

[4] Auszug: Albrecht Noth: Von der Umma zur Ökumene; In: Der islamische Orient: Grundzüge seiner Geschichte, Hrsg. von Albrecht Noth und Jürgen Paul, Bd. 1, Ergon Verlag Würzburg 1998, S.97.

[5] Ich benutzte jedoch die englische Übersetzung, da ich die arabische Sprache nicht beherrsche.

[6] Vgl.: W. Ende, Der Islam in der Gegenwart, hrsg. von Werner Ende/Udo Steinbach unter redaktioneller Mitarbeit von Gundula Krüger, vierte, neubearbeitete Auflage, Verlag C. H. Beck München 1996, S. 31.

[7] Vgl.: M. Hartman, Der Islam, Verlag von Rudolf Haupt Leipzig 1909, S. 49.

[8] Vgl.: W. M. Watt, Der Islam, 1985, S. 5.

[9] Vgl.: Ebd.

[10] Vgl.: Al Mubarrad Al-Kamil, (ed. Wright), passim (man findet in diesem Werke, leider ohne Zusammenhang und Ordnung, zahlreiche historische und literarische Notizen über unser Thema verstreut); sie sind übersetzt von O. Rescher, Die Kharidschitenkapitel aus dem Kamil, Stuttgart 1922, S. 17. Vgl.: Abu-Gafar Muhammed ibn-Garirat Tabari, The History of al-Tabari, The Community Divided, Ehsan Yar-Shater (general ed.), Volume XVII, State University of New York Press 1996, S. 80. Vgl.: W. Ende, Der Islam in der Gegenwart, 1996, S. 31.

[11] Vgl.: W. M. Watt, Der Islam, 1985, S. 6.

[12] Vgl.: Tabari, XVII, 1996, S.108 ff.

[13] Vgl.: Tilman Nagel, III Islamische Kultur – Zeitgenössische Strömungen- Volksfrömmigkeit, hrsg. von Munir D. Ahmed, Johann Christoph Bürgel, Konrad Dilger, Khalid Duran, Peter Heine, Tilman Nagel, Biancamaria Scarcia Amoretti, Annemarie Schimmel, Wiebke Walter, Verlag W. Kohlhammer Stuttgart – Berlin – Köln 1990; R. E. Brünnow, Die Charidschiten und den ersten Omayyaden, 1884, S. 18.

[14] Kamil, 540, S. 18.

[15] (Sure) /(Vers); 6/57; 12/40; 12/67; Koran, Türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion e.V., Übersetzt von Max Hennig, Reclam Verlag, Stuttgart 1991,

[16] W. M. Watt: Early Islam, Edinburgh University Press 1990, S. 142.

[17] W. M. Watt: Early Islam, S. 155.

[18] Koran 49/9.

[19] Koran 9/29.

[20] Koran 7/87.

[21] W. M. Watt, Islamic Creeds, Edinburgh University Press 1994, S. 4.

[22] Vgl.: R. E. Brünnow, Die Charidschiten und den ersten Omayyaden, 1884, S. 8 ff.

[23] Vgl.: Mohammed Abu Zahra (ed. Abdulkadir Sener), Islamda Siyasi Itikadi ve Fikhi Mezhepler Tarihi, Hisar Yayinevi Istanbul, S. 72 f.

[24] Vgl.: Mohammed Abu Zahra, S. 73.

[25] Kamil, 543, S. 22; Vgl.: K. H. Pampus, Über die Rolle der Chaidschiya im frühen Islam, 1980, S. 59.

[26] Kamil, 543, S. 22.

[27] Vgl.: R. E. Brünnow, Die Charidschiten und den ersten Omayyaden, 1884, S. 7.

[28] Vgl.: Hasan Ibrahim Hasan, Siyasi-Dini-Kültürel-Sosyal Islam Tarihi, Kayhan Yayinlari, 2 Bd., Istanbul 1991, S. 73 f.

[29] Vgl.: Mohammed Abu Zahra, S. 78.

[30] Vgl.: Ebd.

Excerpt out of 40 pages

Details

Title
Charidschiten
College
Free University of Berlin  (Otto-Suhr-Institut)
Course
Projektseminar
Grade
1,7
Author
Year
2003
Pages
40
Catalog Number
V51900
ISBN (eBook)
9783638477383
ISBN (Book)
9783656793991
File size
607 KB
Language
German
Keywords
Charidschiten, Projektseminar
Quote paper
Aytac Imrol (Author), 2003, Charidschiten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/51900

Comments

  • No comments yet.
Look inside the ebook
Title: Charidschiten



Upload papers

Your term paper / thesis:

- Publication as eBook and book
- High royalties for the sales
- Completely free - with ISBN
- It only takes five minutes
- Every paper finds readers

Publish now - it's free