Die folgenden Ausführungen dokumentieren unter Berücksichtigung der Historie des Haftgrundes der Tatschwere, warum dieser umstritten ist. Die Untersuchungshaft (U-Haft) nennen deren Kritiker überspitzt "Freiheitsberaubung gegenüber einem Unschuldigen". Allerdings ist Freiheitsberaubung, § 239 StGB, nicht rechtswidrig, wenn eine Rechtsgrundlage und damit ein Rechtfertigungsgrund vorliegt. Die U-Haft bedeutet in Relation dazu dennoch einen massiven Grundrechtseingriff. Dem Beschuldigten wird sein Recht auf Bewegungsfreiheit aus Art. 2 II 2 GG entzogen, zudem wird die Unschuldsvermutung (ausdrücklich in Art. 6 II EMRK) marginalisiert. Deshalb muss die Anordnung einer Inhaftierung besonders strengen Voraussetzungen unterliegen, unter anderem dem Bestehen eines Haftgrundes, § 112 StPO. Der in § 112 III normierte Tatbestand des sogenannten Haftgrundes der Tatschwere ist seit seiner Einführung 1964 zweifelhaft. Nach Inkrafttreten wurde beanstandet, dass die Vorschrift nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu vereinbaren sei, woraufhin das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 1965 § 112 III verfassungskonform auslegte. Auch diese Auslegung beseitigte die Bedenken weder in kriminalpolitischer und verfassungsrechtlicher noch in systematischer Hinsicht.
Inhaltsverzeichnis
- A. Einleitung
- B. Hauptteil
- I. Voraussetzungen der U-Haft
- 1. Formelle Voraussetzungen
- 2. Materielle Voraussetzungen
- a) Dringender Tatverdacht
- b) Haftgrund gemäß § 112
- c) Verhältnismäßigkeit
- II. Ziel der U-Haft
- III. Haftgrund der Tatschwere
- IV. § 112 III im Verhältnis zu § 112 II
- V. Historische Entwicklung des § 112 III
- 1. Die Reichsstrafprozessordnung vom 1.10.1879
- 2. Entwicklung in der Zeit des Nationalsozialismus
- 3. Die StPO nach dem Zweiten Weltkrieg und die Strafprozessreform vom 19.12.1964
- 4. Gesetz zur Änderung der StPO, 7.8.1972, und Gesetz zur Änderung des StGB, der StPO, des GVG, der BRAO und des StVollzG, 18.8.1976
- 5. Reformbemühungen in den 80er-Jahren und das Gesetz zur Änderung des StGB, der StPO und anderer Gesetze (VerbrBekG) vom 28.10.1994
- 6. Die Fassung des § 112 III StPO seit Anfang des Jahrtausends
- VI. Gesetzgeberische Motive
- 1. Unerträglichkeit der Freilassung
- a) Tendenz zu nationalsozialistischem Gedankengut
- 2. Apokryphe Haftgründe
- 3. Kampf gegen Terrorismus
- 4. Konklusion
- 1. Unerträglichkeit der Freilassung
- VII. Kritik an dem Haftgrund der Tatschwere
- 1. Kriminalpolitische, verfassungsrechtliche und systematische Kritik
- b) Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips
- c) Haftgrund der Tatschwere als „symbolisches Strafrecht“
- d) Zweckentfremdung der U-Haft
- e) Verfahrensspezifische Funktionslosigkeit
- f) Inhomogenität der Katalogtaten
- 2. Stellungnahme
- 1. Kriminalpolitische, verfassungsrechtliche und systematische Kritik
- VIII. Verfassungskonforme Auslegung durch das BVerfG
- 1. Kritik zur verfassungskonformen Auslegung des BVerfG
- a) Umkehr der Beweislast und Verstoß gegen In-dubio-pro-reo-Grundsatz
- aa) Widerspruch
- bb) Ergebnis
- b) Mangelnde Auseinandersetzung mit Verhältnismäßigkeitsgebot und gesetzgeberischen Motiven
- a) Umkehr der Beweislast und Verstoß gegen In-dubio-pro-reo-Grundsatz
- 2. Zustimmung zur verfassungskonformen Auslegung
- 3. Kritische Würdigung
- 1. Kritik zur verfassungskonformen Auslegung des BVerfG
- C. Ergebnis
- I. Voraussetzungen der U-Haft
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Schwerpunkthausarbeit befasst sich mit der Entwicklung und der kritischen Diskussion des Haftgrundes der Tatschwere (§ 112 Abs. 3 StPO). Sie analysiert die Voraussetzungen der Untersuchungshaft, insbesondere den Haftgrund der Tatschwere, und setzt sich kritisch mit dessen rechtlichen und politischen Implikationen auseinander. Die Arbeit untersucht sowohl die historischen Wurzeln als auch die aktuellen Herausforderungen, die sich aus dem Haftgrund der Tatschwere ergeben.
- Entwicklung des Haftgrundes der Tatschwere
- Gesetzgeberische Motive und Kritik an dem Haftgrund der Tatschwere
- Verfassungskonforme Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht
- Verhältnismäßigkeitsprinzip und Rechtsstaatlichkeit
- Kriminalpolitische und systematische Implikationen des Haftgrundes der Tatschwere
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einführung in die rechtlichen Voraussetzungen der Untersuchungshaft. Sie erläutert die formelle und materielle Voraussetzungen für eine Untersuchungshaft, wobei sie den Haftgrund der Tatschwere als einen zentralen Aspekt hervorhebt. Anschließend analysiert die Arbeit das Ziel der Untersuchungshaft und die historische Entwicklung des Haftgrundes der Tatschwere, wobei sie auf die unterschiedlichen Gesetzgebungsphasen eingeht.
Die Arbeit setzt sich mit den gesetzgeberischen Motiven für die Einführung des Haftgrundes der Tatschwere auseinander. Sie beleuchtet die Argumente, die für die Unerträglichkeit der Freilassung in bestimmten Fällen angeführt wurden, sowie die Kritik an diesem Haftgrund. Im Folgenden werden die verfassungsrechtlichen und kriminalpolitischen Implikationen des Haftgrundes der Tatschwere diskutiert, insbesondere im Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip.
Die Arbeit beleuchtet die verfassungskonforme Auslegung des BVerfG hinsichtlich des Haftgrundes der Tatschwere und diskutiert die kritischen Punkte dieser Auslegung. Die Arbeit untersucht die Frage, ob die verfassungskonforme Auslegung den Anforderungen an das Rechtsschutzbedürfnis des Betroffenen gerecht wird.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf zentrale Begriffe wie Untersuchungshaft, Haftgrund, Tatschwere, Verhältnismäßigkeit, Rechtstaatlichkeit, Strafprozessrecht, Verfassungskonforme Auslegung, Bundesverfassungsgericht und Kriminalpolitik. Sie analysiert die Anwendung des Haftgrundes der Tatschwere im Kontext der deutschen Strafprozessordnung und untersucht dessen Auswirkungen auf die Grundrechte des Beschuldigten.
- Arbeit zitieren
- Pauline Rosenzweig (Autor:in), 2019, Zur Entwicklung und zur kritischen Diskussion des sogenannten Haftgrundes der Tatschwere (§ 112 Abs. 3 StPO), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/520264