DaF und Mehrsprachigkeit im Senegal. Der Beitrag der Sprachen zum Bildungserfolg


Masterarbeit, 2019

102 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Thematische Einführung und Forschungsstand
1.2 Zielsetzung der Arbeit
1.3 Aufbau der Arbeit

2 Theoretische Grundbegriffe der Fremdsprachenforschung
2.1 Erst -und Zweitspracherwerb
2.1.1 Erstspracherwerb
2.1.2 Zweitspracherwerb
2.1.2.1 Prozesse des Zweitspracherwerbs
2.1.2.2 Hypothese des Zweitspracherwerbs
2.3 Fremdsprachen
2.4 Mehrsprachigkeit/Bilingualismus

3 Sprachliche Ausgangssituation im Senegal
3.1 Die Sprachpolitik im Senegal
3.2 Französisch als Zweitsprache?

4 Das Bildungssystem im Senegal
4.1 Organisation des Schul- und Hochschulsystems
4.2 Die aktuellen Herausforderungen im Bildungssystem

5 Die Sprachensituation im Schulwesen
5.1 Die Fremdsprachen im Schulwesen
5.1.1 DaF im Senegal
5.1.2 Stellung des heutigen DaF-Unterrichts im Senegal
5.2 Perspektiven für den Umgang mit Mehrsprachigkeit im Unterricht
5.3 Zusammenfassung der bisherigen theoretischen Überlegungen

6 Empirischer Teil
6.1 Methodischer Rahmen der Arbeit
6.1.1 Untersuchungsdesign
6.1.2 Stichprobe
6.1.3 Erhebungsdesign
6.1.4 Vorstellung des Auswertungsdesigns
6.2 Ergebnisse und Diskussion der empirischen Forschung
6.2.1 Vorstellung der Ergebnisse
6.2.2 Diskussion der Ergebnisse

7 Fazit und Ausblick

8 Literaturverzeichnis

Anhang 1

Anhang 2

Danksagung

Ich möchte mich bei allen bedanken, die mich bei der Anfertigung meiner Masterarbeit unterschützt haben. Mein besonderer Dank gilt den Lehrkräften und Akteuren im Bildungsministerium des Senegal, die an den Interviews teilgenommen haben und interessante Beiträge und Antworten auf meine Fragen gegeben haben. Vielen Dank an Frau M.A. Lex, und an Herrn Prof. Dr. Funk, die die Masterarbeit betreut und begutachtet haben. Für Ihre hilfreichen Anregungen und konstruktive Kritik möchte ich mich herzlich bedanken.

Ich bedanke mich außerdem bei der Konrad-Adenauer-Stiftung für die finanzielle Unterstützung meines Masterstudiums.

Abschließend möchte ich mich bei meiner Familie bedanken, insbesondere meinen Eltern, die mich bei meinem Studium unterstützt haben und immer ein offenes Ohr für mich hatten.

Abkürzungverzeichzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

1.1 Thematische Einführung und Forschungsstand

„In vielen Regionen der Welt ist Mehrsprachigkeit der Normalfall und Einsprachigkeit eine Ausnahme“ (Riehl 2014: 9). Daher ist Mehrsprachigkeit ein alltägliches Phänomen geworden. Circa 7.000 lebende Sprachen existieren weltweit und in vielen Staaten der Welt steigt die Anzahl der gesprochenen Sprachen stetig an (vgl. Schneider 2015: 9). Allein auf dem afrikanischen Kontinent konzentrieren sich 30 % der von der gesamten Weltbevölkerung gesprochenen Sprachen (vgl. Coulmas 2018: 2). „Hier spricht jeder Mensch außer seiner Muttersprache noch mindestens eine weitere, meist benachbarte, afrikanische Sprache und die Landessprache, die in der Regel eine europäische Sprache ist“ (Riehl 2014: 9). Wird diese Mehrsprachigkeit auch in den Bildungsinstitutionen berücksichtigt?

„In most countries in the world today a growing number of students are learning in a language that is different from the language they speak at home with their family. For some, this situation outcome of a choice from parents who decide on bi- or multilingual education programmes for their children […]. For others, their parents cannot choose a multilingual education for a number of reasons: because the language they speak is not offered […] or because they are obliged by language-in-education policies to learn in a second language, often at the expense to their mother tongue” (Ehrhart /Helot /Le Nevez 2010: 5). Diese Tatsache verdeutlicht die Situation der Schüler im Senegal, wo manche Kinder mit zwei oder drei Sprachen aufgewachsen sind und in der Schule in einer anderen Sprache lernen, die nicht ihre Muttersprache ist. Das ist auch allgemein der Fall in fast allen afrikanischen Ländern, wo die koloniale Sprache in der Schule dominiert. Dazu behauptet Holtzer wie folgt: „In multilingual oral societies, above all in black Africa, the ability of children to express themselves in several languages is omitted by the school” (Holtzer 2004: 119).

Auch in Deutschland ist die Mehrsprachigkeit aufgrund von Migration, Globalisierung und zunehmendem Sprachkontakt in vielen Bereichen wie z. B. in der Linguistik, der Erziehungswissenschaft, aber auch im Bereich Fremd- und Zweitsprachendidaktik ein wichtiger Forschungsgegenstand geworden (vgl. Suhrkamp 2017: 246). Für viele Schüler ist aufgrund der Migration die dominante Sprache in der Schule nicht die Erstsprache, sondern die Zweit- oder Drittsprache. Infolgedessen wurde in der Forschung das Verhältnis der migrationsbedingten Mehrsprachigkeit zur dominierenden Schulsprache untersucht (vgl. Suhrkamp 2017: 247). Anhand der Ergebnisse der PISA-Studie im Jahr 2001 war zu erkennen, dass ein direkter Bezug zwischen Migration und Bildungserfolg gibt (vgl. Deutsches PISA Konsortium 2001: 381). Damit zeigte sich, dass Schüler mit Migrationshintergrund weniger Bildungserfolge aufweisen als Schüler ohne Migrationshintergrund. „Als entscheidend für den geringeren Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern aus Familien mit Migrationshintergrund werden in dieser Studie allerdings nicht die sozio-kulturellen, sondern die sprachlichen Faktoren angesehen” (Siebert-Ott 2009: 145). Hiernach ist „die Beherrschung der deutschen Sprache auf einem dem jeweiligen Bildungsgang angemessenen Niveau“ (Deutsches PISA Konsortium 2001: 379) als entscheidender Faktor für den schulischen Erfolg zu betrachten.

Vor diesem Hintergrund kann ein Vergleich zwischen der Situation von Schülern mit Migrationshintergrund in Deutschland und Schülern in vielen ehemaligen afrikanischen Kolonien angestellt werden. Im Senegal werden Schüler in einer Sprache unterrichtet, die nicht ihre Muttersprache bzw. die dominierende Sprache in der Familie ist. Dieser Umstand gab den Anstoß, in der vorliegenden Arbeit das Thema Mehrsprachigkeit und Bildungserfolg im Senegal zu behandeln. Bei der Behandlung des Themas müssen verschiedene Faktoren berücksichtigt werden, die auf das Bildungssystem im Senegal einwirken.

Das senegalesische Schulsystem war in den letzten zehn Jahren mit Krisen konfrontiert, die negative Auswirkungen auf seine Leistungsfähigkeit zur Folge hatte. 1 Kann die Mehrsprachigkeit hier einen Beitrag zur Verbesserung leisten? Auch diese Fragestellung möchte ich in dieser Arbeit behandeln. Von besonderem Interesse für diese Arbeit sind auch Entscheidungen des Bildungsministeriums, die in der Vergangenheit getroffen wurden. So kündigte der senegalesische Bildungsminister 2016 an, ein Dekret aus dem Jahr 2014 in Kraft zu setzen (vgl. Seneweb 2016: 1) 2, das die Abschaffung des Unterrichts einiger Fremdsprachen wie Deutsch, Russisch und Italienisch in den Schulen bzw. in den „Collèges“ vorsah (vgl.Republique du Senegal 2014: 1). 3 Das Dekret rief in der Öffentlichkeit viele Diskussionen hervor. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich die vorliegende Arbeit insbesondere mit der aktuellen Situation des Deutschunterrichtes im Senegal.

Ausgehend von der bildungspolitischen und gesellschaftlichen Debatte im Senegal über den Fremdsprachenunterricht in den Schulen und der Verschlechterung des Bildungssystems möchte die vorliegende Masterarbeit einen Beitrag zur empirischen Erforschung der aktuellen Situation im Senegal leisten. Aus der Perspektive von Lehrkräften und Bildungsakteuren wird die Stellung des aktuellen DaF-Unterrichts untersucht, um herauszufinden, ob Mehrsprachigkeit zu dem Bildungserfolg beiträgt, und wenn dies der Fall ist, auf welche Weise. Bisher liegen nur sehr wenige Forschungsbeiträge zum beschriebenen Thema vor. ARED (Associates in Research in Education for Developement) 4 hat in Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium die Verwendung der nationalen Sprachen als Unterrichtssprachen in den Schulen untersucht (vgl. ARED 2018: 1).5 An der Studie, die zwischen 2009 und 2013 in den ersten vier Jahrgängen von Primarschulen in den drei Regionen Dakar, Saint-Louis und Kaolack durchgeführt wurde, nahmen mehr als 10.000 Schüler teil. Die Schüler wurden bilingual in der Muttersprache (je nach Regionen Wolof oder Pulaar) und auf Französisch unterrichtet. Vor Beginn der Studie wurden für die teilnehmenden Probeklassen spezielle Unterrichtsmaterialen in den nationalen Sprachen entwickelt und die Lehrer in diesen Sprachen geschult (vgl. ARED 2018: 2).6

Am Ende der Untersuchung erfolgten mit den teilnehmenden Schülern Tests in verschiedenen Unterrichtsfächern. Dabei zeigte sich, dass die Schüler, die an der Studie teilgenommen hatten, bessere Leistungen insbesondere in Mathematik und bei der Lesekompetenz erzielten als Schüler, die nicht an der Studie teilgenommen hatten (vgl. ARED 2018: 3).7 Insgesamt stellte die Fallstudie dar, dass die Mehrsprachigkeit der Schüler als entscheidend für den schulischen Erfolg ist.

Bislang liegen noch keine Untersuchungen aus der Perspektive der Lehrkräfte vor, die sich mit deren Haltung und Umgang mit der Mehrsprachigkeit im Unterricht beschäftigen. In dieser Arbeit soll gezeigt werden, inwiefern die Lehrkräfte die Mehrsprachigkeit der Schüler im Unterricht mit einbeziehen.

1.2 Zielsetzung der Arbeit

Das Ziel der Arbeit ist es aufzuzeigen, ob und in welchem Umfang Mehrsprachigkeit zum Bildungserfolg im Senegal beitragen kann, sowie die aktuelle Situation des DaF-Unterrichts zu beschreiben. Untersucht werden der Umgang und die Einstellung von Lehrkräften zu DaF und Mehrsprachigkeit im Unterricht sowie die Haltung der Akteure im Bildungsministerium in Bezug auf die Mehrsprachigkeit im Schulwesen. Mit Blick auf dieses Erkenntnisinteresse werden Erhebungen im Senegal Untersuchungen im Bildungsministerium und in einigen Schulen in Dakar durchgeführt. Im ersten Schritt werden anhand von Fachliteratur die theoretischen Grundlagen vorgestellt, auf welchen die vorliegende Arbeit basiert. Dabei wird besonders das Thema DaF und Mehrsprachigkeit in der senegalesischen Gesellschaft und in den Bildungsprozessen berücksichtigt. Im Anschluss daran soll die Perspektive von Mehrsprachigkeit im Unterricht aufgezeigt werden. Auf Basis der theoretischen Überlegungen erfolgt im zweiten Schritt der empirische Teil. Durch die empirische Untersuchung wird versucht, die zentralen Forschungsfragen, nämlich welche aktuellen Herausforderungen es für den DaF-Unterricht im Senegal gibt und inwieweit Mehrsprachigkeit zum Bildungserfolg beitragen kann, zu beantworten. Die empirische Untersuchung wird aus den Ergebnissen von Experteninterviews abgeleitet. Als Orientierungshilfe für die Interviews mit den Lehrkräften und Akteuren im Bildungsministerium werden Leitfäden auf der Basis von Methoden der Sozial- und Fremdsprachenforschung erstellt.

Anhand von gezielten und detaillierten Fragen werden im ersten Schritt für die Zielgruppe der Lehrkräfte deren Position zum Lernerfolg ihrer Schüler thematisiert. Im zweiten Schritt wird der Umgang der Lehrkräfte mit Mehrsprachigkeit in den Klassen erfasst. Dabei wird konkret gefragt, welche Sprache(n) der Schüler zusätzlich zu der Unterrichtsprache mit einbezogen wurden sowie unter welchen Umständen diese Sprachen im Unterricht berücksichtigt und welche Ziele dabei verfolgt wurden. Im Anschluss daran werden die Einschätzungen der Lehrkräfte zur Mehrsprachigkeit im Unterricht erfasst sowie abschließende Fragen an DaF- Lehrkräfte gestellt. Hierfür wird ihre Einschätzung zum Lernen und Lehren von DaF im Senegal erfragt.

Bei der Befragung der Akteure im Bildungsministeriums wurde zunächst die aktuelle Sprachpolitik des Ministeriums in Bezug auf die Mehrsprachigkeit thematisiert. Anschließend wurde über das oben genannte Dekret aus dem Jahr 2014 zur „Abschaffung“ einiger Sprachen besprochen und die dahinterstehende Motivation erfragt. Abschließend wurden Fragen zu aktuellen bildungspolitischen Maßnahmen gestellt, insbesondere welche konkreten Maßnahmen angesichts der aktuellen Herausforderungen erwogen werden, um die Lehr- und Lernqualität zu verbessern.

Die Daten der Befragungen werden transkribiert und mit dem von Kuckartz (2016) entwickelten Verfahren ausgewertet. Anhand der erworbenen Daten werden die Ergebnisse im Hinblick auf die Fragestellungen vorgestellt und diskutiert.

Die vorliegende Arbeit soll den aktuellen Stand des DaF-Unterrichts im Senegal insgesamt aufzeigen sowie analysieren, ob und in welcher Weise Mehrsprachigkeit zum Bildungserfolg beitragen kann.

1.3 Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Arbeit besteht aus einem theoretischen und empirischen Teil. Nach der Einleitung werden im zweiten Kapitel die theoretischen Grundbegriffe der Fremdsprachenforschung vorgestellt. In diesem Zusammenhang werden relevante Begriffe wie Mehrsprachigkeit, Erst- und Zweitspracherwerb und Fremdsprache definiert. Im Anschluss daran werden im dritten Kapitel die sprachlichen Situationen im Senegal beschrieben. Dabei wird zuerst die Sprachpolitik des Landes dargestellt und dann der Status der französischen Sprache erläutert. D. h. ob es um eine Zweitsprache handelt oder nicht. Im Anschluss daran wird im Kapitel 4 das Bildungssystem im Senegal vorgestellt. Hier geht es insbesondere um die Organisation des Schul- und Hochschulwesens sowie die aktuellen Herausforderungen im Bildungssystem. Anschließend wird in Kapitel 5 die Sprachensituation im Schulwesen vorgestellt. Nach einem Überblick über das Fremdsprachenangebot im Allgemeinen wird der Fokus auf den DaF-Unterricht im Senegal gerichtet. Hierbei wird der Fokus auf DaF-Lernen im Schulwesen gelegt. Im Anschluss daran wird die Stellung des heutigen DaF-Unterrichts thematisiert. Dabei wird auch das Curriculum der Ausbildung von DaF-Lehrern an der FASTEF vorgestellt. Im Kapitel 5.2 werden Perspektiven im Umgang mit Mehrsprachigkeit anhand von Unterrichtsmodellen in der Fachliteratur vorgestellt. Abschließend sollen Möglichkeiten aufgezeigt werden, um Mehrsprachigkeit im Unterricht nutzbar zu machen.

Kapitel 6 beinhaltet den empirischen Teil der Arbeit. Zuerst erfolgt die Vorstellung der methodischen Vorgehensweise, die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt. Dabei wird die Wahl der Forschungsmethode und der Erhebungsinstrumente begründet. Im Anschluss werden in der Auswertung die Ergebnisse der Untersuchungen im Hinblick auf die Fragestellungen und vorgestellten Hypothesen diskutiert. Abschließend wird die vorliegende Arbeit zusammengefasst. Probleme und Fragen, die in dieser Arbeit nicht geklärt werden konnten, werden als Ausblick für weitere Forschung präsentiert.

2 Theoretische Grundbegriffe der Fremdsprachenforschung

2.1 Erst -und Zweitspracherwerb

2.1.1 Erstspracherwerb

„Erstsprache ist die erste Sprache, die ein Mensch erwirbt” (Günther/Günther 2007: 56). Somit handelt es sich Klein (1992) zufolge um Erstspracherwerb, „wenn der Lerner, gewöhnlich ein Kind, zuvor noch keine Sprache erworben hat. Je nachdem, ob er dann eine – dies ist sicher der häufigste Fall – oder aber zwei Sprachen erlernt, kann man zwischen monolingualem und bilingualem Erstspracherwerb unterscheiden“ (Klein 1992: 16). Rösch unterscheidet den Erst- und Zweitspracherwerb in Bezug auf die zeitliche Dimension, wobei das Alter als Faktor eine wichtige Rolle spielt: „Erstspracherwerb beginnt mit der Geburt, verläuft also parallel zur allgemeinen Entwicklung des Kindes und kann sich durchaus auf mehrere Sprachen beziehen, wenn Kinder etwa in bilingualen Familien aufwachsen” (Rösch 2011:11). Dabei hat Rösch die folgende Abbildung zur Unterscheidung verschiedener Spracherwerbstypen entwickelt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Spracherwerb-Übersicht (vgl. Rösch 2011: 11)

Rösch setzt den Erwerb der Sprache A beim Zweitspracherwerb von 6- bis 12-jährigen Kindern in Klammern, um zu problematisieren, dass es Kinder mit Migrationshintergrund gibt, die an den deutschen Schulen in der deutschen Sprache unterrichtet werden. Sie erwerben zwar Sprache B (Zweitsprache), aber werden im Erwerb ihrer Sprache A (Erstsprache) eingeschränkt: Denn die Sprache, die sie seit ihrer Geburt hören und sprechen, können sie nicht in den anderen Fertigkeiten (Lesen und Schreiben) weiterentwickeln (vgl. Rösch 2011: 12). Diese Problematik ist vergleichbar mit der Sprachsituation in den Schulen im Senegal, wo die Erstsprachen der Mehrheit im Schulsystem nicht präsent sind. Bei fast allen Kindern verläuft die Alphabetisierung nicht in der Erstsprache: Lesen und Schreiben finden in der Zweitsprache statt. Demzufolge wird die Entwicklung der Erstsprache unterbrochen. Schneider (2015) sieht Lesen und Schreiben als elementare Fähigkeiten, die zur Entwicklung allgemeiner kognitiver Fähigkeiten beitragen. Demzufolge könnte eine Unterbrechung dieser Entwicklung zu geringeren allgemeinen kognitiven Fähigkeiten sowohl in der Erstsprache als auch in der Zweitsprache führen (vgl. Schneider 2015: 30).

Die Begriffe Erstsprache und Muttersprache werden oft als Synonym gebraucht. „Die Muttersprache ist, formal betrachtet, die Sprache, die die Mutter spricht und die das heranwachsende Kind als erste Sprache auf ganz natürliche und meist unkomplizierte Art und Weise erwirbt und lernt“ (Günther/Günther 2007: 57).

Eine weitere Definition des Begriffs Muttersprache gibt Schneider: „Im allgemeinen Sprachgebrauch wird mit Muttersprache die Sprache bezeichnet, die man als Kind von den Eltern erwirbt und während eines Großteils der Kindheit verwendet, in der man sich spontan ausdrücken kann, in der man denkt und sich zu Hause fühlt“ (Schneider 2015: 32). De Rosa folgt auch der Sichtweise Schneiders und bezeichnet als Erstsprache „die Sprache, die von den Eltern vermittelt wird. Sie ist daher die erste Sozialisationssprache in den Beziehungen innerhalb der Familie. Durch sie werden die ersten unmittelbaren Gefühle geäussert“ (De Rosa 2007: 15). „Mit dem Begriff Muttersprache scheint dabei eine emotionale Dimension verbunden zu sein, die in dem Ausdruck Erstsprache nicht mit erfasst ist“ (Ahrenholz 2017: 4). Die Gleichsetzung der Begriff Muttersprache und Erstsprache wird somit in den wissenschaftlichen Überlegungen als nicht unproblematisch angesehen. Welche Sprache gelernt und bevorzugt wird, hängt von den Lebensumständen ab, in dem das Kind aufwächst. Sie können sich durch Migration verändert, so dass die zuerst gelernte Sprache nicht mehr gebraucht und vergessen wird (vgl. Apeltauer 1997: 10).

2.1.2 Zweitspracherwerb

Britta und Herbert Günther verstehen als Zweitsprache „jede Sprache, die nach der Erstsprache erlernt wird […]. Die Zweitsprache hat in der Gesellschaft, in der das Kind lebt, eine ganz zentrale Aufgabenstellung. Sie dient in erster Linie zur kommunikativen Bewältigung der Alltagsituationen“ (Günther/Günther 2007: 57).

In Anlehnung an Rösch handelt es sich um Zweitspracherwerb, wenn das Kind ab drei Jahre alt mit einer oder mehreren Sprachen konfrontiert ist (vgl. Rösch 2011: 11).

Der Begriff Zweitsprache lässt sich bei Kindern in mehrsprachig geprägten Gesellschaften schwer definieren, da sie nach Erwerb der Erstsprache mit mindestens ein oder noch weiteren Sprachen konfrontiert sind, sei es nationale, offizielle oder lokale Sprachen.

2.1.2.1 Prozesse des Zweitspracherwerbs

In den theoretischen Überlegungen zum Zweitspracherwerb werden zwei unterschiedliche Prozesse definiert, nämlich der ungesteuerte und der gesteuerte Zweitspracherwerb:

- Der ungesteuerte Zweitspracherwerb: „Der Erwerb einer zweiten, dritten, ... Sprache in und durch alltägliche Kommunikation ohne expliziten Sprachunterricht bezeichnet man als (ungesteuerten) Zweitspracherwerb“ (Ahrenholz 2017: 102).

In Anlehnung an Klein findet der ungesteuerte Spracherwerb in der Alltagskommunikation statt und vollzieht sich naturwüchsig und ohne systematische Versuche, den Prozess des Spracherwerbs zu steuern (vgl. Klein 1992: 28). So ist dieser Prozess eng mit den Lebensumständen der Person verbunden. „Der Lerner muß versuchen, mit dem Blatt, das er gerade auf der Hand hat, möglichst gut zu spielen, aber anders als der Kartenspieler hat er die Möglichkeit, sein Blatt beständig zu verbessern“ (Klein 1992: 29). Anders gesagt, muss der Lerner auf der Grundlage seines schon vorhandenen Wissens (Wörter und Ausdrucksweise) kommunizieren. So wird die Sprache in einer induktiven Form gelernt. Der Lerner erwirbt die Regeln aufgrund seiner Spracherfahrungen. Dennoch kann die Alltagkommunikation je nach der Situation sehr unterschiedlich erfolgen. Manchmal reichen Gesten und lautliche Ausdrücke, um das Ziel zu erreichen.

Ein wesentlicher Aspekt beim ungesteuerten Zweitspracherwerb ist das Verstehen und weniger der korrekte Gebrauch der Sprache. Das Ziel von Sprecher und Hörer ist es, den Gesprächspartner zu verstehen und sich verständlich zu machen. Deswegen ist vordergründig die erfolgreiche Kommunikation wichtiger als die formalen Aspekte der Sprache (vgl. Klein 1992: 29).

- Der gesteuerte Zweitspracherwerb: Während der ungesteuerte Spracherwerb in der Alltagskommunikation erfolgt, ist hingegen der gesteuerte Spracherwerb abgeleitet und durch den Unterrichtsprozess gesteuert. Es gibt viele Methoden, die den Zweitspracherwerb systematisch beeinflussen. Dennoch können anhand der folgenden zwei Aspekte diese Methoden unterschieden werden: Einerseits kann durch die Art des dargebotenen Materials aus der Zielsprache und anderseits durch die Fähigkeit des Lerners, vorhandenes Wissen zu einem bestimmten Zeitpunkt nutzen zu können, differenziert werden (vgl. Klein 1992: 32). Im gesteuerten Zweitspracherwerb wird der Lerner zum Spracherwerb anhand speziell aufgearbeiteter Materialien angeleitet. Ein Beispiel dafür ist der klassische Grammatikunterricht, der den Fremdsprachenunterricht bis Ende des 19. Jahrhunderts bestimmt hat (vgl. Klein 1992: 32f.). Dabei werden zunächst die Regeln vermittelt, dann durch Aufgaben und Übungen geübt und dann in der Praxis angewendet. Demzufolge erfolgt der Gebrauch der Sprache deduktiv im Gegensatz zum ungesteuerten Spracherwerb, bei dem der Lerner allein gelassen wird. Beim gesteuerten Zweitsprachunterricht wird, so das Beispiel Kleins, der Fahrschüler im Fahrunterricht nicht fahren gelassen, sondern muss immer wieder die Kupplung treten und den Schalthebel hin- und herbewegen (vgl. Klein 1992: 33).

2.1.2.2 Hypothese des Zweitspracherwerbs

In diesem Kapitel werden nur relevante Hypothesen, die zur Beantwortung der Fragestellungen dieser Arbeit helfen könnten, behandeln.

- Die Identitätshypothese: Die Vertreter dieser Theorie gehen davon aus, dass es keinen Unterschied zwischen dem Erwerb von Erst- und Zweitsprache gibt, weil die beiden Spracherwerbe identisch verlaufen. Demzufolge wird angenommen, dass beide auf den gleichen sprachlichen Strukturen basieren. Genauso wie bei der Erstsprache aktiviert der Lerner angeborene Potentiale. Somit bewirken kognitive Prozesse, dass die Strukturen und Elemente der Zweitsprache in der gleichen Reihenfolge erworben werden wie in der Erstsprache (vgl. Günther/Günther 2007: 146). „Es gibt keine Einwirkung von der Erstsprache auf den Zweitspracherwerb, Transfer/Interferenzen kommen nicht vor“ (Oksaar 2003: 105). Daher besagt die Identitätshypothese, dass es keinen Einfluss von der Erstsprache auf die Zweitspracherwerb.

Aufgrund der Annahme von universale Spracherwerbprozesse sowie die Mängel der Ergebnisse in den Forschungen ist die Identitätshypothese viel kritisiert (vgl. Oksaar 2003: 105). Klein zufolge ist die Identitätshypothese einseitig und legt den Fokus auf die Gemeinsamkeiten, die die Erst- und Zweitsprache aufweisen, anstatt deren Unterschiede zu berücksichtigen (vgl. Klein 1992: 37). „Auch scheint der Ansatz nicht geeignet, die Spracherwerbsprozesse in ihrer ganzen Komplexität zu erfassen“ (Ahrenholz 2017: 112).

- Die Transferhypothese: „In der Fachliteratur wird auch von Kontrastiv- oder Kontrastivitätshypothese gesprochen. Bei dieser Hypothese werden die beiden Sprachsysteme vergleichend gegenübergestellt. Die Erstsprache des Lerners beeinflusst seinen Erwerb einer Zweitsprache in der Weise, dass in der Erstsprache und in der Zweitsprache identische Strukturen und Regeln leicht zu erkennen sind“ (Günther/Günther 2007: 147). Im Gegensatz zur Identitätshypothese spielt hier die schon bereits erworbene Sprache eine wesentliche Rolle, da der Zweitspracherwerbprozess von der Struktur der Erstsprache abhängt. Der grundlegende Schwerpunkt der Transferhypothese liegt darin, dass es einen Einfluss von der Erstsprache auf den Zweitspracherwerb gibt. Somit werden Laute und Strukturen der Erstsprache in die Zweitsprache transferiert (vgl. Klein 1992: 37). Wenn die Gemeinsamkeiten zwischen Erst- und Zweitsprache hoch sind, führt dies zu einem positiven Transfer. Aufgrund der Übereinstimmung der Strukturen der Erstsprache mit der Zweitsprache kann der Lernprozess relativ leicht und schnell verlaufen, da die Strukturen schon bekannt sind (vgl. Klein 1992: 37). Es wird hingegen von negativem Transfer gesprochen, wenn die beiden Sprachstrukturen völlig anders oder sogar gegensätzlich sind. Es kann ein Beispiel im Englischen und Deutschen verglichen werden: „Sie wohnt seit 1970 in Köln“ und „She lives in Cologne since 1970“. Die Gegensätze zwischen den beiden Sprachen können zu Lernschwierigkeiten oder Fehlern führen. Oksaar (2003) fasst die Unterschiede zwischen den beiden Transfers im Folgenden zusammen: „Bei Strukturübereinstimmung führt der sog. positive Transfer zur korrekten zielsprachlichen Äußerung und zur Lernerleichterung. Bei Strukturunterschieden entstehen negative Transfer, d.h. Interferenzen, also fehlerhafte Äußerungen und Lernschwierigkeiten“ (Oksaar 2003: 99). Dennoch ist festzustellen, dass in manchen Fällen unterschiedliche Strukturen leichter gelernt werden als ähnliche sprachliche Muster (vgl. Günther/Günther 2007: 147).

- Interlanguage-Hypothese: Die Interlanguage Hypothese erfolgt durch Interimsprache. Der Lerner bildet ein spezifisches Sprachsystem bzw. eine so genannte Interlanguage beim Zweitspracherwerb aus. Dieses Sprachsystem beinhaltet sowohl Merkmale der Erst- und Zweitsprache als auch weitere Merkmale, die unabhängig von der Erst- und Zweitsprache sind. Dementsprechend wird das Zusammenspiel dieser Merkmale als Interlanguage bezeichnet (vgl. Günther/Günther 2007: 149). Man kann die Interlanguage als globale Hypothese bezeichnen, weil sie sich auf den gesteuerten und den ungesteuerten Zweitspracherwerb bezieht. Selinker hat den Begriff in der Zweitspracherwerbsforschung eingeführt. Die Theorie wird im Folgenden zusammengefasst:

„The Interlanguage Theorie claims that second language speech rarely conforms to what Ones expects native speakers of the target language to produce, that is not an exact translation of the native language that differs from target language in systematic ways and that the form the utterance produced in the second language by a learner are not random. The interlanguage proposes that the relevant data of the theory of second language learning must be the speech forms which result of attempted expression of meaning in a second language” (Selinker 1975: 140).

2.3 Fremdsprachen

„Nicht nur alltagsprachlich und in der Sprache der Bildungspolitiker, sondern auch in fachdidaktischen Publikationen ist die Unterscheidung zwischen Zweitsprache und Fremdsprache nicht immer eindeutig“ (Rösler 2012: 30). Auch Britta und Herbert Günther definieren den Begriff Fremdsprache wie folgt: „Fremdsprachen sind Sprachen, die auf gesteuerte Art und Weise und in künstlichen Situationen gelernt werden. Sie werden nicht wie Zweitsprachen in der alltäglichen Kommunikation gelernt” (Günther/Günther 2007: 194). Rösler geht in eine ähnliche Richtung und beschreibt das Erlernen einer Fremdsprache als gesteuerten Prozess, der in einer Bildungseinrichtung stattfindet (vgl. Rösler 2012: 30).

Zur Unterscheidung von Zweitsprache und Fremdsprache verweist Rösch in Anlehnung an Edmondson und House (2006) auf die Begriffe Erwerb und Lernen. Bei der Zweitsprache geht es um den Erwerb einer Sprache auf natürliche, implizite und unbewusste Weise, wohingegen das Lernen einer Sprache in einer gesteuerten, expliziten und bewussten Form vollzieht (vgl. Rösch 2011: 13). „Bezogen auf Fremdsprachlernen wird in der Synchronisation von Erwerb und Lernen die Schaffung oder Simulation natürlicher Erwerbssituationen angestrebt, die einen lernergesteuerten Umgang mit der Zielsprache ermöglichen. Die Lernenden werden motiviert, sich ihrer natürlichen Spracherwerbsstrategien zu bedienen und sich so die Fremdsprache aktiv anzueignen.“ (Rösch 2011: 14).

In Anlehnung an die auf Chomskys These basierende Identitätshypothese wurde festgestellt, dass die Strukturen der Erstsprache/Muttersprache und Zweitsprache identisch sind (vgl. Günther/Günther 2007: 146). Angesichts der Frage, ob der Erwerb von Fremdsprache auf der gleichen Logik wie der Erstspracherwerb basiert, weist Weskamp (2007) darauf hin, dass es Ähnlichkeiten zwischen Mutter- und Fremdspracherwerbsprozessen gibt und beide Erwerbsprozesse zusammen betrachtet werden sollten. Er sieht beide Erwerbsprozesse als Kontinuum mit Wechselwirkungen in beide Richtungen (vgl. Weskamp 2007: 79). Darüber hinaus ist Weskamp zufolge ist die soziale Interaktion beim Fremdspracherwerb von Bedeutung, indem beispielsweise im Kontext von Mehrsprachigkeit Kontakte mit anderen Sprechern hinzukommt (vgl. Weskamp 2007: 78).

2.4 Mehrsprachigkeit/Bilingualismus

Mehrsprachigkeit wird als Alltagsphänomen beschrieben. Die Mehrsprachigkeitsforschung zählt zu einem der wichtigsten und ständig wachsenden Wissenschaftsfeldern, sei es in der Soziolinguistik, Sprachlehr- und Lernforschung, Psycholinguistik sowie in Disziplinen wie Literaturwissenschaft, Soziologie, Kultur- und Sozialanthropologie (vgl. Busch 2013: 6). Der Begriff Mehrsprachigkeit ist innerhalb der Sprachwissenschaft nicht einheitlich definiert und wird häufig kritisch hinterfragt (vgl. Busch 2013: 8). „Lange Zeit wurde die Beschäftigung mit Mehrsprachigkeit vor allem ausgehend von dem Bilingualismus des englischen Sprachraums unter dem Begriff Bilingualismusforschung zusammengefasst“ (Busch 2013: 8). Nach Schneider (2015) gibt es einige Kriterien zur Unterscheidung von Bilingualismus und Mehrsprachigkeit. Ein naheliegendes Kriterium ist die Anzahl der Sprachen oder die Zeit, zu der die Sprache eingesetzt wird (vgl. Schneider 2015: 16f.). „Um die Reihenfolge des Spracherwerbs oder Hierarchiesierungen im individuellen sprachlichen Repertoire zu bezeichnen, hat man Begriffe und Abkürzungen wie Erstsprache, Zweitsprache, L1, L2, L3, Ln eingeführt“ (Busch 2013: 8). Außerdem können auch unterschiedliche kommunikative Situationen in der Familie und im Umfeld als Unterscheidungsfaktoren gelten (vgl. Schneider 2015: 17). Dabei bezeichnet er als bilingualen Erstspracherwerb, wenn das Kind bis zum Alter von drei Jahren mit zwei Sprachen in Kontakt kommt (vgl. Schneider 2015: 18). Eine ähnliche Sichtweise verfolgt auch Rösch und definiert Bilingualismus ebenfalls, wenn das Kind zwischen Geburt und dem dritten Lebensjahr mit zwei Sprachen konfrontiert ist (vgl. Rösch 2011: 11). Der zeitliche Faktor ist ein Kriterium, um Bilingualismus vom frühen Zweitspracherwerb zu unterscheiden. Dabei wird zwischen dem gleichzeitigen (simultanen) und dem sukzessiven (konsekutive) Erwerb mehrerer Sprachen unterschieden. Im ersten Fall handelt es sich um bilingualen Spracherwerb, weil das Kind von Geburt an regelmäßig mit zwei oder mehreren Sprachen konfrontiert wird, während im zweiten Fall von Frühzweitspracherwerb gesprochen wird (vgl. Schneider 2015: 18).

In der Mehrsprachigkeitsforschung werden verschiedenen Formen von bilingualen Kommunikation unterscheidet. Auf Basis unterschiedlichen sprachlichen Inputs durch die Eltern und Umgebungen werden sechs Typen von bilingualer Kommunikation unterschieden (vgl. Busch 2013: 43f.):

(1) Wenn eine Person, eine Sprache spricht: Die Eltern haben zwei verschiedenen Muttersprachen, jeder Elternteil spricht mit dem Kind die eigene Muttersprache. (2) Eine Sprache_eine Umgebung: Die Eltern sprechen verschiedenen Sprachen, aber beide sprechen mit dem Kind die Nicht-Umgebungssprache und das Kind hört die Sprache der Umgebung nur außerhalb der Familie. (3) Die Eltern haben dieselbe Muttersprache aber sprechen mit dem Kind nicht die Sprache der Umgebung. (4) Zwei Sprachen werden zu Hause gesprochen aber keine ist die Umgebungssprache. (5) Eine der Eltern entscheidet eine Sprache mit dem Kind zu sprechen, die weder ihre Muttersprache noch die Umgebungssprache ist. (6) Die Eltern und die Umgebung sind bilingual (vgl. Busch 2013: 44). Es fällt schwer die Kategorien in mehrsprachig geprägten Ländern wie dem Senegal zuzuordnen, weil sie von den Herkunftsregionen und dem Kontext abhängig sind. Dabei behauptet Schneider Folgendes: „In der alltäglichen Kommunikation kommt es jedoch häufig zu einer anderen kontextuellen Verteilung der Sprachen, da eine vollkommene Inputtrennung nach Person oder nach Familien- und Umgebungssprache im Grunde unmöglich ist […]. In größeren Familien, die neben Eltern und Kindern noch nahe Verwandte umfassen, kommt es vor, dass sich nicht alle Mitglieder an solche kommunikativen Regeln halten können oder wollen“ (Schneider 2015: 22). Der Zeitpunkt und die Form des Erwerbs der Sprache hat indirekt Auswirkungen auf die Art der Mehrsprachigkeit der Person (vgl. Riehl 2014: 11).

Wie bereits erwähnt, gibt es keine einheitliche Definition von Mehrsprachigkeit, da sie von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst wird. Riehl definiert Mehrsprachigkeit folgendermaßen: „Der Begriff Mehrsprachigkeit bezeichnet verschiedene Formen von gesellschaftlich oder institutionell bedingtem und individuellem Gebrauch von mehr als einer Sprache. Er beschreibt Sprachkompetenzen von Einzelnen wie Gruppen und verschiedene Situationen, in denen mehrere Sprachen in Kontakt miteinander kommen oder in einer Konversation beteiligt sind. Diese verschiedenen Sprachen schließen nicht nur offizielle Nationalsprachen mit ein, sondern auch Regional-, Minderheiten- und Gebärdensprachen und sogar Sprachvarietäten wie Dialekte” (Riehl 2014: 9). Es besteht überwiegend Einigkeit, dass es keinen Grund zur Unterscheidung von Mehrsprechigkeit zwischen Fremdsprachen sowie Hochsprachen und Dialekten gibt (vgl. Oksaar 2003: 31).

Eine weitere verbreitete Definition von Mehrsprachigkeit stammt von Oksaar und lautet wie folgt: „Mehrsprachigkeit definiere ich funktional. Sie setzt voraus, dass der Mehrsprachige in den meisten Situationen ohne weiteres von der einen Sprache zur anderen umschalten kann, wenn es nötig ist. Das Verhältnis zur Sprache kann dabei durchaus verschieden sein. In der einen kann, je nach Struktur des kommunikativen Aktes, u. a. je nach Situationen und Themen, ein wenig eloquenter Kode, in der anderen ein mehr eloquenter verwendet werden“ (vgl. Oksaar 1980: 43; zitiert nach Riehl 2014: 14).

„Nach der Definition kann man jemanden als mehrsprachig bezeichnen, wenn er eine oder mehrere Sprachen irgendwann im Laufe seines Lebens erlernt hat und es zumindest soweit gebracht hat, dass er ohne Weiteres von der einen zur anderen umschalten kann“ (Riehl 2014: 14).

Nach Weskamp (2007) kann man eine Person als mehrsprachig bezeichnen, wenn sie in der Lage ist, mehrere Sprachen je nach Kontext, in dem diese Sprachen verwendet werden, zu sprechen (vgl. Weskamp 2007: 16). In diesem Zusammenhang lieferte Riehl 2014 eine sehr weit gefasste Definition. Sie bezieht Mehrsprachigkeit auf verschiedene Kriterien, nämlich auf die Art des Erwerbs, gesellschaftliche Bedingungen, Kompetenz und sprachliche Konstellation (vgl. Riehl 2014: 12). Die Art des Erwerbs umfasst unterschiedliche Typen von Mehrsprachigkeit, wie ob die Sprache sukzessiv oder konsekutiv erworben wurde. Die gesellschaftlichen Bedingungen haben einen Einfluss auf die Art der Mehrsprachigkeit und können in mehrsprachigen Gesellschaften im alltäglichen Sprachgebrauch unterschiedliche Funktionen haben. Hier lassen sich drei Dimensionen von Mehrsprachigkeit unterscheiden, nämlich die individuelle, die gesellschaftiche sowie die institutionelle Mehrsprachigkeit (vgl. Riehl 2014: 11f.). Diese Begriffe sollen im Folgenden erklärt werden.

Die individuelle Mehrsprachigkeit bezieht sich auf den Sprachgebrauch von einzelnen Personen (vgl. Riehl 2014: 12). Auch dieser Begiff ist nicht einheitlich in der Forschung definiert und wird oft als Synonym für Zweisprachigkeit und, je nach Situation, für Drei- oder Viersprachigkeit verwendet (vgl. Oksaar 2003: 26). Es wird in der Fremdsprachendidaktik „eine Person oft erst dann als mehrsprachig bezeichnet, wenn sie neben der Erstsprache mindestens zwei weitere Sprachen erworben bzw. gelernt hat“ (Hu 2016: 11). Wenn von Mehrsprachigkeit die Rede ist, ist es notwendig, das Kriterium der sprachlichen Kompetenz zu beachten. In dieser Hinsicht zeichnet sich in der Forschung der Trend ab, nicht an der lange verbreiteten Idee der Sprachperfektion festzuhalten. Demzufolge ist nicht das Erreichen von Sprachperfektion entscheidend, sondern die Fähigkeit, kommunikative und interkulturelle Situation konstruktiv zu bewältigen (vgl. Hu 2016: 11).

„Ein wichtiger Aspekt, der in der neueren Forschung immer wieder diskutiert wird, ist, dass man Mehrsprachigkeit als einen dynamischen Prozess auffassen muss“ (Riehl 2014: 14). Demnach sollten die Kompetenzen in den beherrschten Sprachen nicht statisch betrachtet werden, da sie sich im Laufe des Lebens verändern können. Diese Veränderungen hängen von der Dominanz der jeweiligen Sprachen ab, denn je nach Lebensphase und Aufenthaltsort kann eine bestimmte Sprache stärker dominieren (vgl. Riehl 2014: 14f.). Obwohl mehrsprachige Personen mindestens zwei Sprachen erworben haben, beherrschen sie diese nicht unbedingt auf dem gleichen Niveau. Der Grad der Beherrschung der Sprachen kann zwischen Erst-, Zweit- oder Drittsprache variieren. Eine der Sprache kann sich je nach Situation und Ort, an dem sich eine Person befindet, verändern (vgl. Oksaar 2003: 31). Hiermit spricht Rösch von funktionale Mehrsprachigkeit, da die Person je nach Situation in einer anderen Sprache ausdrücken kann; z.B spricht die Person Türkisch in der Famile und Deutsch in der Schule (vgl. Rösch 2011: 159).

Neben der Dynamik, die sich auf die Dominanz der Sprachen bezieht, gibt es eine weitere, die durch kognitive Voraussetzungen bestimmt wird. Davon ausgehend, dass das Sprachwissen und die Sprachkompetenz einer mehrsprachigen Person sich nicht aus getrennten Subsystemen (Erstsprache, Zweitsprache usw.) entwickeln, hat jede einzelne Veränderungen Auswirkungen alle Subsysteme. Bestimmte Konzepte oder sprachliche Muster, die ein Mehrsprachiger in einer Sprache erwirbt, können somit auf die Konzepte und Muster in seinen anderen Sprachen auswirken. Demnach gründet dieser Ansatz auf der Auffassung, dass der Erwerb weiterer Sprachen Auswirkungen auf die Erstsprache(n) hat (vgl. Riehl 2014: 15).

„Die Fähigkeit, die gesamten sprachliche Repertoire nutzen zu können, wird als Multicompetence bezeichnet“ (Riehl 2014: 15). Demzufolge wird in der vorliegenden Arbeit mehrsprachliche Kompetenz als Fähigkeit definiert, zwischen verschiedenen Sprachen zu wechseln, und meint nicht die perfekte Beherrschung der Sprachen (vgl. Hu 2016: 11).

Daher kann individuelle Mehrsprachigkeit als „Fähigkeit eines Individuums, hier und jetzt zwei oder mehr Sprachen als Kommunikationsmittel zu verwenden und ohne weiteres von der einen Sprache in die andere umzuschalten, wenn die Situation es erfordert“ (Oksaar 2003: 31), beschrieben werden.

Die gesellschaftliche Mehrsprachigkeit bezieht sich auf den Gebrauch von Sprachen in mehrsprachigen Staaten oder Regionen. Dabei ist zu beachten, dass der alltägliche Gebrauch von Sprachen in mehrsprachigen Gesellschaften sehr unterschiedlich sein kann. So gibt es beispielsweise mehrsprachige Gesellschaften, in denen zwei oder mehrere Sprachen im Alltag gebraucht werden (vgl. Riehl 2014: 12). Hier handelt es sich um mehrsprachige Staaten mit individueller Mehrsprachigkeit, wenn die Sprachen nicht nur auf Territorien oder Regionen verteilt sind, sondern auch je nach Gebrauchssituation eingesetzt werden. Dies ist zum Beispiel in vielen Ländern in Afrika der Fall, wo ein Sprecher in einem Territorium im Alltag zwischen mehreren Sprachen wechseln muss. Diese Sprachen können eine oder mehrere Nationalsprachen wie zum Beispiel Suaheli, Haussa und Ewe und offizielle Amtssprachen wie Französisch oder Englisch sein (vgl. Riehl 2009: 62). Im Senegal zum Beispiel werden im Alltag je nach Region und Stadt oder je nach Gebrauchssituationen zwei bis vier Sprachen genutzt. Daher ist Mehrsprachigkeit als gesellschaftliches Phänomen in bestimmten Ländern zu betrachten (vgl. Hu 2016: 12). Im Kontext dieser Arbeit ist diese Form der gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit, in der viele Sprachen zusammen koexistieren, als besonders relevant zu betrachten, weil die senegalesische Gesellschaft als mehrsprachig zu bezeichnen ist.

Die dritte Dimension ist die institutionelle Mehrsprachigkeit und bezieht sich auf die Verwendung von mehreren Arbeitssprachen in den Institutionen (vgl. Riehl 2014:12). Dies ist der Fall in mehrsprachigen Ländern, wo unterschiedliche Sprachen als Arbeitssprachen verwendet werden. In vielen afrikanischen Ländern wie Senegal dominiert eine Sprache als offizielle oder Amtsspreche, wie etwa das Französische. Dies wird in den nächsten Kapiteln ausführlich behandelt.

Riehl betrachtet die drei Dimensionen mitaneinander verbunden, da insbesonders gesellschaftliche und institutionelle Mehrsprachigkeit mit individueller Mehrsprachigkeit zusammen einhergehen (vgl. Riehl 2014: 12).

„Aus diesen unterschiedlichen Konstellationen ergeben sich verschiedene Praktiken von Mehrsprachigkeit wie der Wechsel zwischen verschiedenen Sprachen in ein und derselben Äußerung (sog. Code-Switching)“ (Riehl 2014: 12). Das Code-Switching bzw. der Wechsel der Sprachen ist ein Begriff, der für diese Arbeit von Bedeutung ist und deshalb im Folgenden genau beleuchtet wird.

In Anlehnung an Oksaars Definition wird Mehrsprachigkeit als Fähigkeit bezeichnet, von einer Sprache in eine andere umschalten zu können, wenn es die Situation erfordert (vgl. Oksaar 2003: 31). Doch gelingt es dem Sprecher immer und sofort, von einer Sprache komplett in eine andere umzuschalten? Hierbei zeigte sich, dass die Sprachen bei mehrsprachigen Personen im Kopf miteinander vernetzt sind und dass, wenn eine aktiv ist, nicht ohne weiteres in eine andere gewechselt werden kann. Somit handelt es sich dann um Code-Switching, wenn ein mehrsprachiger Sprecher innerhalb eines Gesprächs oder in der Mitte des Satzes die Sprache wechselt (vgl. Riehl 2014: 100).

Es ist zu beobachten, dass Code-Switching ein verbreitetes Phänomen in mehrsprachigen Gesellschaften ist, mit dem sich viele Forscher aus unterschiedlichen Perspektiven befasst haben (vgl. Riehl 2014: 101). Dabei wurden verschiedene Typen des Code-Switching herausgearbeitet. Im Folgenden werden nur die Formen von Code-Switching vorgestellt, die für die vorliegende Arbeit von Bedeutung sind.

Es wird zwischen funktionalem und nicht funktionalem Code-Switching unterschieden (vgl. Riehl 2014: 101).

Beim funktionalen Code-Switching unterscheiden Auer und Eastman zwischen situativem und konversationellem Code-Switching (vgl. Auer/Eastman 2010: 95). Es handelt sich um situatives Code-Switching, wenn die Sprache aufgrund einer bestimmten Situation geändert wird, beispielweise wenn ein neuer Gesprächspartner adressiert wird, mit dem man gewöhnlich in einer anderen Sprache spricht. Auch Jugendliche wechseln in die Schulsprache, wenn sie über Themen reden, die normalerweise in der Schulsprache vorkommen (vgl. Riehl 2014: 101). Hier bilden auch die Schüler im Senegal keine Ausnahmen. Sie wechseln je nach der Situation zwischen den nationalen Sprachen und dem Französischen innerhalb eines Gesprächs oder in der Mitte eines Satzes.

Auch der Wechsel des Ortes kann auf den Sprachwechsel beeinflussen. Dies ist beispielsweise bei Sprachminderheiten der Fall, wo Sprecher einer Sprache in eine andere Sprache wechseln, wenn sie sich im öffentlichen Raum bewegen (vgl. Riehl 2014: 101). Dies ist auch der Fall bei einigen Ethnien im Senegal, die ihre gesprochene Sprache wechseln, wenn sie sich zum Beispiel in der Hauptstadt aufhalten.

Im Gegensatz zum situativen Code-Switching ist das konversationelle Code-Switching nicht situationsabhängig. Es hat meistens diskursstrategische Gründe und verfolgt als Ziel, einen kommunikativen Effekt zu erzielen. Dies ist etwa bei der Verwendung wortwörtlicher Zitate in einem Gespräch der Fall, um dem Diskurs treu zu bleiben (vgl. Riehl 2014: 101f.). Außerdem kann das konservationelle Code-Switching aufgrund von Ausdruckschwierigkeiten auftreten. Dies kommt besonders bei Sprechern von Sprachminderheiten vor, die vollständige Kompetenz in nur einer Sprache haben. Die Sprecher wechseln dann in die andere Sprache, wenn sie Schwierigkeiten haben, bestimmte Begriffe oder Sachverhalte in der Interaktionssprache zum Ausdruck zu bringen (vgl. Riehl 2014: 102).

Beim nicht-funktionalen Code-Switching hat der Sprachwechsel keine Funktion und verläuft ohne Absicht des Sprechers. Es bezieht sich eher auf das Phänomen des Sprachkontakts. Dabei veranlassen bestimmte Auslösewörter den Wechsel von einer in die andere Sprache (vgl. Riehl 2009: 27). Die Auslösewörter sind beispielweise ähnliche oder ähnlich klingelnde Wörter in den verschiedenen Sprachen (vgl. Riehl 2014: 103).

Über die Frage, ob auch Entleihungen als Code-Switching zu betrachten sind, wird in der Forschung viel diskutiert (vgl. Riehl 2009: 21). Einige Autoren bezeichnen Entleihungen als Code-Switching, wenn das Wort (morphologisch und syntaktisch) nicht in der Sprache, in die das Wort enlehnt wird, integriert ist (vgl. Riehl 2009: 21).

„Auf alle Fälle gilt festzuhalten, dass Code-Switching einzelne Wörter und auch Mehrwörtereinheiten bis zu ganzen Sätzen umfassen kann, während Entleihungen immer nur ein Wort (oder eine feste idiomatische Einheit) umfasst “ (Riehl 2009: 22).

Im Senegal sind beide Formen des Code-Switching sehr verbreitet. Sprecher der nationalen Sprachen drücken innerhalb eines Satzes häufig ein oder mehrere Wörter auf Französisch aus. Dabei handelt es sich um typische Wörter wie Television (Fernsehen) oder Ordinateur (Computer), die in den nationalen Sprachen übernommen werden. Daneben kommt es vor, dass französische Wörter individuell beim Gebrauch der nationalen Sprache Wolof verwendet werde. Dieses Phänomen wird als „Wolof francise“ bezeichnet und ist von Entleihungen zu unterscheiden. Das Code-Switching zwischen dem Französischen und der nationalen Sprache Wolof wird „discours mixte“ genannt. Die Kommunikation in den Städten ist stärker als in den anderen Orten vom Wechseln zwischen beiden Sprachen geprägt (vgl. Gahlen/Geisel 1999: 66).

Abschließend kann festgehalten werden, dass „Mehrsprachige häufig zwischen ihren Sprachen wechseln. D.h. aber auch, dass beide oder (mehrere) Sprachen ständig in ihrem Gedächtnis präsent sind. Wenn sie eine Sprache benutzen, wird die andere nicht völlig ausgeblendet, sondern bleibt im Hintergrund und kann jederzeit sofort aktiviert werden“ (Riehl 2009: 32f.).

3 Sprachliche Ausgangssituation im Senegal

Nach der Erläuterung der für die Arbeit relevanten Begriffe im vorherigen Kapitel soll im Folgenden die sprachliche Ausgangssituation im Senegal beschrieben werden.

Senegal ist ein mehrsprachig geprägtes Land mit einer großen Anzahl von lokalen Sprachen, die zusätzlich zum Französischen als offizieller Sprache gesprochen werden.

Die Sprachsituation im Senegal ist nicht einfach zu erfassen. Es gibt unterschiedliche Einschätzung, was die genaue Anzahl der Sprachen betrifft. Erhebungen des Wirtschafts- und Planungsministeriums im Jahr 1988 zeigten, dass 20 verschiedene Sprachen im Senegal anzutreffen sind (vgl. Cisse 2011: 1).8 Allerdings wurden in diesem Zusammenhang lediglich sechs Sprachen (Wolof, Pulaar, Sereer, Diola, Mandika und Soninke) als nationale Sprachen aufgelistet und formal juristisch anerkannt. Alle anderen Sprachen wurden aufgrund einer geringen Sprecheranzahl in der Kategorie „Sonstiges“ zusammengefasst (vgl. Calvet 1994: 91).9 In der Erhebung wurden die gesprochenen Sprachen zudem im Zusammenhang mit den verschiedenen Bevölkerungsgruppen (Ethnien) untersucht. Dabei hat Calvet die folgende Tabelle entwickelt, die die Größe der Bevölkerungsgruppe in Prozent und die entsprechenden gesprochenen Sprachen aufzeigt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 (vgl. Calvet 1994: 89)

In diese Tabelle, ist es anzumerken, dass es sich um allgemeine Ergebnisse im ganzen Land handelt. Daher können die Zahlen variieren, wenn man einzelne Regionen gesondert betrachtet (vgl. Calvet 1994: 89).

Im Jahre 2017 wurde eine aktuelle Erhebung von DALN durchgeführt. Dabei wurden 25 Sprachen aufgelistet, von denen 22 offiziell in der Verfassung anerkannt sind (vgl. DALN 2017: 7). Wolof ist mit 39 % der Sprecher die meist gesprochene Sprache. Sie ist die meist gesprochene Sprache im Senegal, die von 90 % der Bevölkerung gesprochen wird. Darauf folgt die Pulaar, das 20 % der Bevölkerung sprechen (vgl. Diagne 2018: 3).10

3.1 Die Sprachpolitik im Senegal

Bevor auf die Sprachpolitik im Senegal eingegangen werden soll, ist zunächst eine Definition des Begriffs notwendig. Es gibt keine eindeutige Definition des Begriffs Sprachpolitik. Hier werden relevante Definitionen angeführt, die zum Kontext der vorliegenden Arbeit passen. So wird der Begriff von Krumm folgendermaßen beschrieben: „Sprachenpolitik geht davon aus, dass Entscheidungen darüber, welche Sprachen Menschen lernen und gebrauchen, in der Regel nicht nur biographisch-individuell getroffen werden, sondern immer auch sozialen, politischen und wirtschaftlichen Zwängen unterliegen und eine freie Sprachenwahl nicht die Regel ist“ (Krumm 2016: 45).

Im Hinblick auf die Auswärtige Sprachpolitik Frankreichs in Afrika liefern Gahlen und Geisel (1999) eine Definition der Sprachpolitik, die wie folgt lautet: „Sprachpolitik bezeichnet das geplante Eingreifen in Sprachverhältnisse. Dieser Begriff kann sowohl direkt – etwa durch Sprachgesetzgebung- wie auch nicht indirekt- durch nicht explizit als sprachpolitisch ausgewiesene Maßnahmen – stattfinden. S prachpolitik ist eingebunden in einen historisch konkreten gesellschaftlichen Zusammenhang. Zweck und Ziel von Sprachpolitik, nämlich die Veränderung von Sprachenverhältnissen, sind außersprachlichen Intentionen untergeordnet. Entsprechend liegen ihre Konsequenzen nicht nur im sprachlichen sondern auch im außersprachlichen Bereich“ (Gahlen/Geisel 1999: 35).

Laut dieser Definition gibt es einen Zusammenhang zwischen Sprachpolitik und historisch- gesellschaftlichen Bedingungen. Um die aktuelle Sprachpolitik im Senegal zu verstehen, sollte daher ein Rückblick auf die Sprachpolitik Frankreichs im Senegal während der Kolonialzeit vorgenommen werden. Somit wird im Folgenden zunächst die Sprachpolitik in der kolonialen Vergangenheit und nach der Unabhängigkeit skizziert und abschließend die aktuelle Sprachpolitik im Senegal dargestellt.

Historisch betrachtet war die Politik der französischen Kolonialmacht im Senegal eine „Politik der Assimilation“. Diese Politik verfolgte Frankreich in allen seinen Kolonien auf dem afrikanischen Kontinent. Einer der Aspekte dieser Assimilationspolitik bestand in der Einführung des Französischen als alleiniger Sprache etwa in Politik, Bildungswesen und Verwaltung und der damit verbundenen Zurückdrängung der ansässigen Sprachen (vgl. Faty 2014: 16).11 Im Sinne der Devise „Instruire pour assimiler“ zielte die Assimilationspolitik darauf ab, Eliten auszubilden, die in der Kolonialverwaltung eingesetzt werden konnten. Auf diese Weise wurde ein Schulsystem aufgebaut, zu dem nur Eliten und beste Schüler Zugang hatten (vgl. Gahlen/Geisel 1999: 79). Die erste französische Schule wurde 1817 in der ehemaligen Hauptstadt Saint-Louis eröffnet. Der Schulleiter und Lehrer Jean Dard legte neben dem Französischen Wert auf die Einbeziehung der Muttersprache seiner Schüler (Wolof) im Unterricht, um so ihr sprachliches Bewusstsein für die eigene Sprache zu schärfen. Seine Schüler konnten in der Folge in der eigenen Sprache lesen und das Gelesene dann ins Französische übersetzen. Da Dards Lehrmethoden nicht den Zielen der Assimilationspolitik folgten, wurde ihm gekündigt (vgl. Calvet 2010: 23).12 Dies verdeutlicht den unbedingten Willen der Kolonialmächte, die einheimischen Sprachen völlig zu ignorieren.

Nach der Unabhängigkeit im Jahre 1960 stellte die sprachliche Ausgangssituation die politischen Entscheidungsträger im Senegal – ebenso wie in vielen ehemaligen frankophonen Kolonien in Afrika – vor keine leichte Aufgabe, eröffnete aber andererseits erstmals die Möglichkeit, die Sprachpolitik neu auszurichten und an die Anforderung der Bevölkerung anzupassen (vgl. Calvet 2010: 176).13 Der Umgang mit der Mehrsprachigkeit, die Förderung der nationalen Sprachen und der Erhalt der nationalen Einheit waren für den ersten senegalesischen Präsidenten eine große Herausforderung (vgl. Faty 2014: 19).14 Es gab von der Seite der Regierung keine klar definierte Sprachpolitik, obwohl durchaus der Wille zur Inklusion der nationalen Sprachen bestand.

Im Jahr 1968 entstand eine Bewegung, die sich für die Förderung der nationalen Sprachen einsetzte. Sie forderte grundlegende Veränderungen in der Bildungspolitik, nämlich eine kritische Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit, die Aufwertung der afrikanischen Kultur und Geschichte und die Akzentuierung der Bildungsinhalte auf nationale Themen (vgl. Diop 2006: 962). In der Folge wurden 1971 sechs nationale Sprachen transkribiert, um eine Grundlage für deren Alphabetisierung zu schaffen und sie im Bildungssystem einführen zu können (vgl. Gahlen/Geisel 1999: 76). „Die konkrete Umsetzung der angekündigten Maßnahmen ließ und lässt jedoch auf sich warten: Erst 1978 wurden im Primarbereich die ersten Experimentalklassen eingerichtet, die die Erprobung der Alphabetisierung in den Nationalsprachen bei anschließender Fortführung des Unterrichts in französischer Sprache dienen sollten“ (Gahlen/Geisel 1999: 77). Das Projekt wurde nicht zu Ende geführt. Für das Scheitern gab es verschiedene Gründe, unter anderem die mangelhafte Planung, fehlende Lehrmaterialien und die schlechte Ausbildung der Lehrer (vgl. Gahlen/Geisel 1999: 77). „Als weiteres Argument gegen die Einführung als offizielle Sprache ist der Kostenfaktor, der auf den Staat zukäme, wenn Lehrmaterial […] entwickelt, gedruckt und in Schulen sowie anderen Lehreinrichtungen verteilt werden müsste“ (Köpp 2002: 29). Ein wichtiger Grund für das Scheitern war der fehlende Entscheidungswille des senegalesischen Staats, den Status des Französischen in Frage zu stellen (vgl. Gahlen/Geisel 1999: 78).

Im Jahr 1968 entstand eine Bewegung, die sich für die Förderung der nationalen Sprachen einsetzte. Sie forderte grundlegende Veränderungen in der Bildungspolitik, nämlich eine kritische Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit, die Aufwertung der afrikanischen Kultur und Geschichte und die Akzentuierung der Bildungsinhalte auf nationale Themen (vgl. Diop 2006: 962). In der Folge wurden 1971 sechs nationale Sprachen transkribiert, um eine Grundlage für deren Alphabetisierung zu schaffen und sie im Bildungssystem einführen zu können (vgl. Gahlen/Geisel 1999: 76). „Die konkrete Umsetzung der angekündigten Maßnahmen ließ und lässt jedoch auf sich warten: Erst 1978 wurden im Primarbereich die ersten Experimentalklassen eingerichtet, die die Erprobung der Alphabetisierung in den Nationalsprachen bei anschließender Fortführung des Unterrichts in französischer Sprache dienen sollten“ (Gahlen/Geisel 1999: 77). Das Projekt wurde nicht zu Ende geführt. Für das Scheitern gab es verschiedene Gründe, unter anderem die mangelhafte Planung, fehlende Lehrmaterialien und die schlechte Ausbildung der Lehrer (vgl. Gahlen/Geisel 1999: 77). „Als weiteres Argument gegen die Einführung als offizielle Sprache ist der Kostenfaktor, der auf den Staat zukäme, wenn Lehrmaterial […] entwickelt, gedruckt und in Schulen sowie anderen Lehreinrichtungen verteilt werden müsste“ (Köpp 2002: 29). Ein wichtiger Grund für das Scheitern war der fehlende Entscheidungswille des senegalesischen Staats, den Status des Französischen in Frage zu stellen (vgl. Gahlen/Geisel 1999: 78).

In der aktuellen Sprachpolitik sind immer noch die Spuren der kolonialen Vergangenheit zu sehen. Die Sprachpolitik wird als Kolonialerbe mit Französisch als einziger offiziell anerkannten Sprache bezeichnet (vgl. Cisse 2011: 2). 15 Daher wird in Artikel 1 der senegalesischen Verfassung von 2001 klar betont, dass Französisch die offizielle Sprache des Landes ist und die nationalen Sprachen Wolof, Pulaar, Madinke, Diola, Sereer sowie alle anderen Sprachen sind, die später kodifiziert werden sollten (vgl. Calvet 2010: 179). 16 Bemerkenswert ist, dass es keine größeren Veränderungen seit der Unabhängigkeit gab. Aufgrund der „Intensivität der postkolonialen Beziehungen hatte Frankreich einen großen Einfluss auf die senegalesische Sprachpolitik mit der starken Präsenz des Französischen. […]. Offiziell soll das Französische als Amtssprache den Staat vor Ethnizität und Rivalität schützen und die Kommunikation auf zwischenstaatlicher Ebene vor allem mit den Industrienationen gewährleisten. Die Wichtigkeit internationaler Kontakte und die damit verbundenen wirtschaftlichen Fortschritte wurden hervorgehoben“ (Köpp 2002: 29).

Demzufolge ist bis heute das Französische die offizielle Sprache geblieben, während keine der nationalen Sprachen offiziell berücksichtigt wird, wie insbesondere Wolof, das von der Mehrheit der Bevölkerung gesprochen wird (vgl. Köpp 2002: 29).

Zusammenfassend kann damit die Sprachsituation im Senegal als äußerst komplex beschrieben werden.

3.2 Französisch als Zweitsprache?

Wie bereits erwähnt, ist Französisch auch nach der Unabhängigkeit die offizielle Sprache Senegals, genauso wie in fast allen anderen afrikanischen Ländern, die in der Vergangenheit französische Kolonien waren. Als offizielle Sprache wird das Französische in allen Bereichen der Öffentlichkeit wie im Bildungswesen, in der Regierung, in der Verwaltung und in der Justiz verwendet (vgl. Gahlen/Geisel 1999: 67). Dies verdeutlicht, dass die anderen Sprachen in diesem Kontext nicht genutzt werden, wobei die Situation gerade im Senegal anders ist. Hier ist zu bemerken, dass es „kommunikative Praktiken“ gibt. Die einheimischen Sprachen (vor allem Wolof) sind auch im öffentlichen Bereich im mündlichen Gebrauch sehr präsent, während in Schriftform das Französische vorherrscht. Im Senegal lässt sich ein großer Einfluss des Wolof bzw. der nationalen Sprachen in Form von zahlreichen morphologischen orthographischen Entleihungen auf das gesprochene Französisch nachweisen (vgl. Gahlen/Geisel 1999: 65).

Ob Französisch im Senegal eine Zweitsprache ist, lässt sich nicht allgemein beantworten. In dieser Hinsicht wird die Bezeichnung „Zweitsprache“ von den Sprechern sehr unterschiedlich betrachtet und ist sehr stark vom Sprachstand der einzelnen Person abhängig. Französisch wird in der Regel erst über den Kindergarten (ab drei Jahren) oder ab dem Schulbesuch (ab sechs Jahren) erworben und als Zweit- oder Drittsprache gelernt (vgl. Calvet 1999: 69). In Anlehnung an die Definition von Rösch handelt es sich um frühen Zweitspracherwerb, wenn die Sprache zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr erlernt wird, und von Zweitspracherwerb, wenn die Sprache ab dem sechsten Lebensjahr erworben wird (vgl. Rösch 2011: 11). Daher kann Französisch im Senegal als eine Zweitsprache betrachtet werden. In Anlehnung an Britta und Herbert Günther wird die Zweitsprache im Unterschied zur Fremdsprache in der alltäglichen Kommunikation verwendet (vgl. Günther/Günther 2007: 194). Daher ist die Bevölkerung im Senegal im Alltag mehr oder weniger mit der französischen Sprache konfrontiert. Für diejenigen, die die Koranschule besucht oder den Schulbesuch vor Beendigung der Primarschule abgebrochen haben, ist Französisch eher als Fremdsprache zu betrachten (vgl. Gahlen/Geisel 1999: 70).

Die französische Sprache hat den Status der Lingua Franca in vielen der afrikanischen Staaten, die Französisch als offizielle Sprache gemeinsam haben. Dabei hat die Frankophonie einen großen Einfluss auf die Sprachpolitik. Die Frankophonie mit Abkürzung OIF bezeichnet die Gesamtheit aller Gebiete, in denen Französisch als erste und/oder Amtssprache und/oder Unterrichtssprache verwendet wird. Der Begriff Frankophonie beschreibt die gemeinsame Sprache, geistige Verwandtschaft und Solidarität zwischen den Völkern (vgl. Köpp 2002: 33).

[...]


1 Mehr dazu siehe Kapitel 4.3.

2 Übersetzt von der Verfasserin aus dem französischen Original.

3 Übersetzt von der Verfasserin aus dem französischen Original.

4 ARED ist eine amerikanische Nicht-Regierungsorganisation mit Sitz in Dakar (Senegal). Sie setzt sich für Bildungsarbeit in Westafrika mit Fokus auf die Entwicklung der nationalen Sprachen und arbeitet mit dem Bildungsministerium zusammen (vgl. http://ared-edu.org/index.php?option=com_sppagebuilder&view=page&id=73&Itemid=606&lang=fr-fr. Zugriff am 07.03.2019).

5 Übersetzt von der Verfasserin aus dem französischen Original.

6 Übersetzt von der Verfasserin aus dem französischen Original.

7 Übersetzt von der Verfasserin aus dem französischen Original.

8 Übersetzt von der Verfasserin aus dem französischen Original.

9 Übersetzt von der Verfasserin aus dem französischen Original.

10 Übersetzt von der Verfasserin aus dem französischen Original.

11 Übersetzt von der Verfasserin aus dem französischen Original.

12 Übersetzt von der Verfasserin aus dem französischen Original.

13 Übersetzt von der Verfasserin aus dem französischen Original.

14 Übersetzt von der Verfasserin aus dem französischen Original.

15 Übersetzt von der Verfasserin aus dem französischen Original

16 Übersetzt von der Verfasserin aus dem französischen Original

Ende der Leseprobe aus 102 Seiten

Details

Titel
DaF und Mehrsprachigkeit im Senegal. Der Beitrag der Sprachen zum Bildungserfolg
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Deutsch als Fremdsprache und Interkulturellen Studien)
Note
1,7
Autor
Jahr
2019
Seiten
102
Katalognummer
V520607
ISBN (eBook)
9783346129505
ISBN (Buch)
9783346129512
Sprache
Deutsch
Schlagworte
mehrsprachigkeit, senegal, betrag, sprachen, bildungserfolg
Arbeit zitieren
Ndiabel Dieng (Autor:in), 2019, DaF und Mehrsprachigkeit im Senegal. Der Beitrag der Sprachen zum Bildungserfolg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/520607

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