Exegese zu Galater 3, 10-14: "Der Fluch des Gesetzes"

Sinn und Funktion des Gesetzes


Hausarbeit (Hauptseminar), 2018

33 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Vorüberlegungen und Textsicherung
1.1 Persönlicher Zugang zum Text
1.2 Wirkungsgeschichtliche Reflexion
1.3 Abgrenzung der Perikope
1.4 Vergleich mehrerer deutscher Übersetzungen

2. Sprachlich – sachliche Analyse (synchron)
2.1 Sozialgeschichtliche und historische Fragen, Realien
2.2 Textlinguistische Fragestellungen

3. Die Aussageabsicht des Autors (synchron)
3.1 Formkritik
3.2 Textpragmatische Analyse

4. Kontextuelle Analyse/ das innovative Potential (diachron)
4.1 Traditionsgeschichte
4.2 Religionsgeschichtlicher Vergleich
4.3 Synoptischer Vergleich im weiteren Sinn

5. Der Text als Teil eines theologischen Gesamtkonzeptes
5.1 Kompositionskritische Analyse
5.2 Redaktionskritik

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis
7.1 Gedruckte Quellen
7.2 Online Literatur

1. Vorüberlegungen und Textsicherung

1.1 Persönlicher Zugang zum Text

Die Exegese zu der Textstelle Galater 3, 10-14 unter dem Thema: „Der Fluch des Gesetzes“ schreibe ich nicht direkt im Rahmen einer speziellen universitären Veranstaltung, aber im Rahmen einer Modulabschlussprüfung des Faches Theologie, zum Erzielen von Leistungspunkten. Der Textausschnitt begegnete mir erstmals auf einer christlichen Sommerfreizeit in einem Seminar zum Thema Gnade. Der Seminarleiter ging hier vertiefend auf den Begriff der „Gesetzes Werke“ in Kombination mit dem „Fluch“1 ein und im Laufe des Seminars wurden diese Begriffe und ihre Zusammenhänge aufgebrochen und neu definiert. Die Teilnehmer kamen zu der Erkenntnis über den Inhalt der paulinischen Lehre: Dass niemand durch das Gesetz und dessen Einhaltung gerecht wird, sondern allein durch den Glauben an die Erlösung durch Jesus Christus und somit aus der Gnade gerettet wird. Dieser Satz war für mich sehr bedeutend, vor allem die Erkenntnis, dass der Glaube alleine der wahre Grund ist, vor Gott gerecht zu sein. Zuvor war ich der festen Überzeugung, wer die mosaischen Gesetze auch nur in kleinster Art und Weise missachtet, wenn auch unbeabsichtigt, der könne niemals gerecht werden vor Gott. Mein Glaube erhielt einen neuen Stützpunkt und ich begann, mich intensiver mit der Bibel zu beschäftigen. Auf der einen Seite wandelte sich mein Bibelverständnis von einem Verständnis der Bibel als eine Art Züchtigung und Aufweisung aller Sünden der Menschen hin zu einem Bibelverständnis, das die damaligen Situationen berücksichtigte und auf heute anders übertragen werden kann. So habe ich erkannt, dass ein Großteil der Theologie, vor allem in den Briefen, für die spezielle Situation geschrieben wurde. Auf der anderen Seite stellt die Bibel für mich auch ein Rätsel dar, welches gelöst werden möchte. Doch dass man diese Verse der Rätselhaftigkeit nicht kontextisoliert betrachten darf, ist mir durch mein Studium bewusstgeworden.

Den ausgewählten Auszug aus dem Galaterbrief habe ich bisher als eine Art Neubelehrung verstanden. Paulus schwächt die Bedeutung der Befolgung der mosaischen Gesetze ab, bezeichnet sie sogar als Fluch und legt seinen Fokus auf die Glaubensgerechtigkeit2. Dieses Evangelium, welches er verkündet, empfing er zuvor durch die „Offenbarung Jesu Christi“3. Alle diejenigen, die versuchen die Errettung durch das Halten der Gesetze zu erlangen, stehen unter dem Fluch. Diesen verstehe ich als Strafe und Verbannung aus Gottes Welt. Von diesem Fluch hat Christus durch seine Qualen, die er erlitten hat am Kreuz, die Menschen befreit4

Die Textstelle warf schon damals Fragen auf, die heute noch bestehen: Wofür gab Gott den Menschen die Gebote, wenn doch allein der Glaube genügt, um vor ihm gerecht zu sein? Was war Paulus Intention bei seinem Brief an die Galater? Und welche Rolle spielen die Werke des Gesetzes bei ihm rückblickend? Paulus provoziert in seinem Brief die Frage nach dem Sinn und nach der Funktion des Gesetzes. Warum führt Paulus die Gestalt Abraham und Mose heran? Ging er davon aus, dass seine Adressaten über die Taten dieser wussten?

In der folgenden Exegese des Galaterbriefes erhoffe ich mir, eine Antwort auf diese Fragen zu finden und neue Blickwinkel und Erkenntnisse zu erlangen.

1.2 Wirkungsgeschichtliche Reflexion

Die Wirkungsgeschichtliche Reflexion soll verschiedene Auslegungsmodelle der Textstelle aufzeigen und ihre Inhalte darlegen. Die Briefe des Paulus sind ungefähr 2000 Jahre alt und richten sich meist an eine bestimmte Gruppe von Adressaten. Im Galaterbrief wendet sich Paulus sich an eine große Gruppe heidenchristlicher Gemeinden, welche er selbst gegründet hat5. Ausgangspunkt des Briefes ist die nicht geschehene Übernahme der Forderungen des jüdischen Gesetzes, der Beschneidung der Heidenchristen. Paulus bekehrte die Galater, die zuvor ein heidnisches Volk waren,6 und hatte eine andere Sicht auf die Beschneidung. Er verlangte von ihnen nicht, dass sie sich vor ihrer Taufe beschneiden ließen und verpflichtete sich somit auch nicht zur Übernahme der jüdischen Gesetze. Als Rechtfertigung für diese Tat verkündete er das Evangelium und setzte den Glauben an die Stelle der Werke des Gesetzes für den Erhalt des Heils7. Die Situation wurde schwierig für Paulus, da fremde Missionare sein Evangelium in seiner Abwesenheit in den Hintergrund rücken ließen. Da Paulus dies verhindern musste schrieb er den Galaterbrief, welcher einer Verteidigungsrede vor Gericht sehr nahekommt. Paulus bezieht die Rolle als Verteidiger des wahren Evangeliums und seiner Autorität8. Mit dem Brief wollte er nicht nur die missionierten Heiden erreichen, sondern indirekt auch seine Gegner – die fremden Missionare9, um seine Stellung bekannt zu geben. Der Galaterbrief kann auch als Werbung für das Evangelium seitens Paulus angesehen werden, aber er dient auch einer argumentativen Auseinandersetzung mit dem Standpunkt anderer konkurrierender Missionare. Die im Galaterbrief angesprochene Gerechtigkeit10 endet bei menschlichen Versuchen in totalitären Systemen, durch Gesetzeseinhaltung. Durch Paulus wurde die Sicht, Gerechtigkeit als Geschenk und somit als Grundbedingung menschlicher Freiheit zu sehen, aufgegriffen. Die Wirkungsgeschichte von den Texten und Taten des Paulus beginnt im neuen Testament und hält bis in die Gegenwart an. Paulus lieferte nicht nur neue Denkanstöße durch seine extreme Auslegung der Geschichte Jesus, seine Briefe und seine Biografie wurden auch zu „literarischen Paulusbildern“11. Die von ihm geprägte Rechtfertigungslehre ist schon für Luther, sowie auch heute noch eine wichtige Instanz der Theologie. Paulus war der erste, der eine richtige Überlieferung durch seine Briefe gezeigt hat, der Jesus als Erlöser darlegte und ihm den Messias zuschrieb. Somit konnte man Paulus als den zweiten Begründer des Christentums sehen12. Die Textstelle im Galaterbrief, der man den Titel „Fluch des Gesetzes“13 geben kann, wird von verschiedenen Theologen und Theoretikern in verschiedenster Art und Weise ausgelegt:

Der Kommentar von Martin Luther zum Galaterbrief14 ist ein sehr umfangreicher. Für ihn ist der zentrale Aspekt des Galaterbriefes die Lehre von Christus, der die Menschen ohne Gesetzeswerke – allein aus Glauben (sola fide), allein durch Christus (solus christus) und allein durch Gnade (sola gratia) rechtfertigt15. Bezogen auf die ausgewählte Bibelstelle betrachtet er die Aussagen des Apostel Paulus kritisch und vergleicht sie zunächst mit den Aussagen von Mose und Jesus. Luther macht deutlich, dass Paulus beweisen will, wie man durch den Glauben an Jesus Christus Gottes Gnade, Vergebung der Sünden und Gerechtigkeit erlangen kann16. Paulus möchte laut Luther den Menschen das Wissen vermitteln, was die Gerechtigkeit des Glaubens und was die Gerechtigkeit anderer Richtungen bedeutet. Zu Vers zehn äußert Luther sich skeptisch, da Paulus die Stelle 5 Mose 27,26 anführt und so seine eigene Aussage beweisen möchte17. Dies ist für Luther seltsam, denn Paulus zieht aus der Aussage Moses einen Umkehrschluss indem er sagt „die aus Gesetzes Werken leben sind unter dem Fluch“18. Er macht aus einem Satz der Negation einen Satz der Affirmation und beweist den Satz der Affirmation mit dem der Negation19. Somit erfüllt sich nach Luther für Paulus das Gesetz weder bei Befolgung noch bei Missachtung – was er mit dem Fluch verdeutlicht. Niemand kann je das erfüllen, was in der heiligen Schrift geschrieben steht, daher werden alle die Erlösung durch Christus brauchen. Laut Luther hat nach Paulus Sicht Mose die Menschen mit den Gesetzen unter einen Fluch gezwungen20. Das beweist auch ein Satz aus Habakuk: „[…] der Gerechte aber wird durch seinen Glauben leben“21. Nur durch den Glauben wird der Mensch gerecht, nicht durch die Einhaltung der Gesetze. Wer aber glaubt, der hält sich an das Geschriebene. Gesetz und Glauben sind nicht vereinbar, denn das Gesetz ist nicht aus dem Glauben, sondern die Menschen, die es halten werden, somit leben22. Luther deutet diese Aussage des Apostels so, dass jemand der Gesetzeswerke tut, vor den Menschen, nicht aber vor Gott gerecht ist23. Der Bezug zu Mose24 deutet ebenfalls darauf hin, denn wer das Gesetz einhält wird als Mensch leben und der Strafe des Gesetzes entkommen. Jedoch wird er nicht für Gott leben, ebenso wenig als Kind Abrahams. Laut Luther ist der Mensch, der ausschließlich nach den Gesetzen lebt, nicht lebendig vor Gott. Man lebt als Mensch, nicht aber als Gerechter25. Luther zieht zum Beweis ein Zitat aus Matthäus heran: „Von außen scheint ihr vor den Menschen gerecht, aber innen seid ihr voller Heuchelei und missachtet das Gesetz“26. Er schließt daraus in Bezug auf Paulus, dass der Glaube Gerechtigkeit, Leben und Heil hervorruft und nicht die Gerechtigkeit selbst dies hervorruft, die dem Glauben vorausgeht. Nur durch Glauben entsteht Gerechtigkeit vor Gott27.

In seinen weiteren Ausführungen bezieht sich Luther auf den „Fluch des Gesetzes“28. Zunächst macht er einen Unterschied zwischen dem Gesetz und dem „Willen des Gesetzes“29. Wenn gegen das Gesetz verstoßen wird, dann sündigt man. Wenn gegen den „Willen des Gesetzes“ verstoßen wird, sündigt man nicht sondern man weicht von dem Guten ab. Luther betont die Wichtigkeit des Wortes „Glauben“30 in Paulus Aussage. Er dient als Schlüsselbegriff, indem man die Gnade des Glaubens empfängt und diese die Sünden aufhebt, um dem Fluch des Gesetzes zu entkommen. Die Gnade aus dem Glauben heraus allein sorgt dafür, dass der Mensch das Gesetz hält. Diejenigen, die ohne Gnade des Glaubens sind, sind unter dem Fluch. Andernfalls wäre die Erlösung durch Christus hinfällig. Auf die Frage, warum Mose die Gesetze überhaupt errichtet hat, findet Luther folgende Antwort: Die Sünde Adams und Evas im Garten Eden hat die Menschen verunreinigt, sodass die Beseitigung dieser Verunreinigung mithilfe von Gesetzen stattfinden sollte31. Allerdings hat sich herausgestellt, dass das Gesetz keine Hilfe darstellt, vielmehr ist es ein Instrument, dass die Sünden aufzeigt32. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Glaube an Christus das Halten der Gesetze impliziert und die Gläubigen frei vom Fluch sind, da Christus selbst den Fluch und die Verdammnis auf sich genommen hat. Paulus betont, dass nur durch Christus die Heiden zu Kindern Abrahams wurden, wie es ihm verhießen wurde. Luther deutet Paulus Aussagen mithilfe von anderen Bibeltextstellen und weist auf Irritationen hin. Den Fluch sieht er als einen Wechsel zwischen den menschlichen Schuldnern und dem unschuldigen Sohn33.

Ein weiterer Ansatz zur Auslegungsgeschichte kommt von dem evangelischen Theologen Udo Schnelle. Er nennt in seinem Kommentar einige, schon zuvor von Luther angeführte Punkte. Allerdings geht der Apostel Paulus laut Schnelle davon aus, dass die Tora selbst sowie die Handlungsanweisungen in der Tora nicht der Sünde zuzuschreiben ist34. Er sagt, genau wie Luther, dass niemand durch das Gesetz vor Gott gerechtfertigt ist, da es niemandem möglich ist alles einzuhalten was in der Tora geschrieben steht35. Daraus resultiert, dass die Gesetze den Menschen zur Sünde verleiten, da faktisch niemand im Stande ist diese zu halten. Schnelle bezieht sich auf die Ebene des menschlichen Tuns, da ohne sie die Sünde den Menschen nicht angreifen könnte36. Nach Schnelle ist diese Ebene essentiell, da die Macht der Sünde die Lebensverheißung der Tora durchkreuzt und den Menschen somit angreifbar macht. Paulus nimmt hier eine Bewertung der Tora vor, indem er ihr die Kraft, der Sünde den Zutritt zu verweigern, abspricht37. Bei Schnelle geht Paulus von einem Defizit der Tora aus und verdeutlicht zugleich, dass es ihm nicht um einzelne Vorschriften aus der Tora, sondern um eine gesamte Lebensausrichtung geht38. Dem Gesetz sei keine substantielle Bedeutung für den Glauben und die Gottesbeziehung zuzusprechen, da die Macht der Sünde nicht vom Gesetz unterbunden werden kann37. Laut Schnelle hebt Paulus den Status der Juden als Gerechte und den Status der Heiden als Sünder auf, indem er beiden Parteien den gleichen Status, den der Sünder, zuspricht. Dieser Status kann nur durch den Glauben an Jesus Christus verlassen werden39. Paulus hat erkannt, dass die Tora den Status als Quelle des Lebens hat und den der Gerechtigkeit verloren hat. Zusammenfassend kann man sagen, dass Schnelle sich auf den Status der Tora und die Auswirkungen der Sünde konzentriert hat. Vergleichend dazu konzentrierte Luther sich mehr auf den Gerechtigkeitsbegriff und den Fluch des Gesetzes.

Ein weiterer Ansatz der Auslegung lässt sich bei Peter Wick40, einem Doktor der Theologie, aus dem Jahr 2008 finden. Sein Ansatz weist auf zwei Wege der Gerechtigkeit hin: Der erste Weg ist, die Gerechtigkeit durch den Glauben zu erlangen. Der zweite Weg beinhaltet den Erhalt der Gerechtigkeit durch den Weg des Lebenswandels gemäß den Anweisungen aus der Tora41. Wick fasst dies kompakt zusammen: Wer gerecht lebt, der ist auch gerecht. Er selbst stellt die Frage, welcher der beiden Wege der zielführende sei und beantwortet dies mit Paulus Taten. Paulus verfolgte vor seiner Berufung den hier angeführten zweiten Weg, jedoch wurde er aufgrund der Berufung von Gott für den Segen der Völker auserwählt und verfolgte daraufhin den ersten Weg42. Paulus bezieht sich nach Wick nicht auf seine eigenen Erfahrungen, indem er den Menschen von dem Weg des Gesetzesgehorsam abrät, da er seine eigene Meinung nicht als eine Entscheidungsgrundlage zwischen zwei Aussagen der Tora stellen möchte43. Die in der Apostelgeschichte beschriebene Vision von Christus stellt nach Wick bei Paulus eine Lebensveränderung dar, indem er sich nicht nur zu Christus bekehrte und das Augenlicht nach seiner dreitägigen Erblindung wieder erlangte44, sondern auch erkannte das die Schrift sich selbst auslegt und somit die Entscheidung, welcher Weg zum Ziel führt, getroffen ist45. Dies ist der Grund, warum Paulus nicht auf logische Argumentationen setzt, sondern den Beweis direkt aus der Schrift mit Zitaten liefert. Nach Wick ist bei Paulus der Wille Gottes über beiden Wegen manifestiert. Allerdings könne laut Habakuk die Gerechtigkeit nicht durch Gesetzesbefolgung erlangt werden, sondern einzig und allein durch die im Gesetz garantierte Glaubensgerechtigkeit46. Dem Zitat aus Habakuk47 kommt eine doppelte Übersetzungsmöglichkeit zu: „Der aus Glauben Gerechte wird leben.“ oder „Der Gerechte wird aus Glauben leben.“48 Habakuk hat sich für den Weg des Glaubens als Bedingung entschieden. Für Paulus spielen dennoch beide Zitate bei der Findung des richtigen Weges eine Rolle, da die Tora eine wichtige und heilige Schrift ist. Jedoch erkannte er, dass die Gerechtigkeit nicht das Ziel des Menschen sein kann, sondern dass es sich hierbei um das Leben handeln sollte. Das Ziel, zu leben, wird durch die Gerechtigkeit des Glaubens erreicht49. Dieses Ziel stellt auch das Ziel der zwei Wege der Gerechtigkeit dar, wobei der Weg des Glaubens dieses Ziel eben durch diesen Glauben erreicht. Dem Weg der Gesetzeshaltung gilt die Verkündigung aus Habakuk nicht, sodass das Leben von dem eigenen Tun abhängig ist50. Dass Paulus sich schlussendlich auf den Weg des Glaubens festlegt, zeigt laut Peter Wick seine Aussage darüber, dass der Weg des Gesetzesgehorsam durch Christus erfüllt ist da dieser den Fluch auf sich genommen hat51. Christus erfüllte mit dieser Tat den zweiten Weg der Tora und verhalf dem ersten Weg zu einem Durchbruch52. Zusammenfassend deklariert Peter Wick, dass die Gerechtigkeit für Paulus nur durch den Weg des Glaubens zu den Menschen kommen kann, durch die von Gott gegebene Gnade. Durch seinen Ansatz der zwei Wege hebt er sich von den zuvor dargestellten Auslegungen ab. Wie auch bei Luther sieht Wick durch den Fluch einen Wechsel zwischen den schuldigen Menschen und dem unschuldigen Sohn Gottes.

1.3 Abgrenzung der Perikope

In dieser Bearbeitung des Textes soll es um eine Abgrenzung des Textes, der Perikope, zu seinen umliegenden Texten gehen. Dem gesamten Kapitel aus Galater 3 kann das Thema der Gerechtigkeit aus Glauben und nicht aus dem Gesetz, sowie die Rechtfertigungslehre Paulus zugeordnet werden. Der Galaterbrief beinhaltet einen Argumentationsaufbau von Paulus, in welchem er die ehemaligen Heiden von dem neuen Evangelium überzeugen möchte. Zur Abgrenzung der Perikope ist es sinnvoll, die einzelnen Argumente kurz darzustellen: Ein erstes Argument findet sich in Galater 3,1-5, wo Paulus die Galater an ihre Erfahrungen und an die Kreuzigung Christi erinnert. Ein weiteres Argument folgt mit dem Schriftbeweis53 in den darauffolgenden Versen. Paulus greift anfangs auf Abraham und die Verheißung für dessen Kinder zurück, wobei er den Glauben in den Mittelpunkt stellt. Mit seinem Argument, dass Abraham alleine aus dem Glauben gerechtfertigt wurde, nutzt er Abraham als Beweis und Vorbild für sein Evangelium. Die Abgrenzung der Perikope erfolgt relativ am Anfang des zweiten Teils des Galaterbriefes, nachdem Paulus seine Biografie und die ersten Teile der Rechtfertigungslehre dargelegt hat. Ab dem Vers zehn in Kapitel drei des Galaterbriefs bezieht Paulus seinen Schriftbeweis nun nicht mehr auf Abraham, sondern auf das Gesetz und den Fluch des Gesetzes54. Diese Abgrenzung wird auch durch einen formalen Aspekt, einen Absatz zwischen Vers neun und Vers zehn deutlich, sowie durch das einleitende Argumentationswort „denn“55. Mit der Formulierung „So werden nun die…“56 leitet Paulus eine Konklusion aus seinem Argument ein und schließt die Argumentation basierend auf Abraham grundlegend ab. Dementsprechend ist die Perikope dadurch nach oben abgegrenzt und durch Vers 15 nach unten. In diesem führt Paulus die Argumentation aus Galater 3,6-9 weiter, indem er ein tägliches Beispiel aus dem Leben des Menschen aufzeigt und vertieft auf seine zuvor dargelegten Thesen eingeht. Er sucht hier einen Anknüpfungspunkt bei den Adressaten, wodurch sich die Perikope nach unten abgrenzt.

1.4 Vergleich mehrerer deutscher Übersetzungen

Im Folgenden soll die Galaterperikope in ihren unterschiedlichen Übersetzungen verglichen werden. Der Vergleich wird mit den Übersetzungen aus der Lutherbibel von 2017, der revidierten Elberfelder Übersetzung, der Hoffnung für alle (HFA) und der Studienbibel57 vollzogen. Für einen ersten Überblick folgt eine Tabelle, in welcher die erarbeiteten Unterschiede markiert wurden:

Insgesamt stellt man fest, dass sich die Übersetzungen der Lutherbibel, der Elberfelder und der Studienbibel sehr ähnlich sind, die Hoffnung für Alle hingegen einen andersartigen Wortlaut aufweist. In Galater 3,10 berichtet Paulus davon, dass diejenigen, welche unter dem Gesetz leben oder dem Gesetz vertrauen, unter dem Fluch stehen. Ein Unterschied zeigt sich, wenn man die älteren Übersetzungen (Luther, Elberfelder und Studienbibel) mit den neueren vergleicht (Hoffnung für Alle). Die älteren Übersetzungen sprechen von Menschen, die aus den Werken des Gesetzes „leben“ oder „sind“, in der freieren und neueren Übersetzung steht „Wer dagegen darauf vertraut“. Die Worte „sein“ und „leben“ weisen eine tiefere Bedeutung auf, als das Verb „vertrauen“. Allerdings wird das Verb „vertrauen“ sehr oft im christlichen Kontext als Synonym für „glauben“ genommen, sodass man darauf schließen kann, dass der Mensch mit diesem Wort mehr Anschluss an die Textstelle finden kann. Dennoch entspricht die Dimension der HFA nicht den anderen Übersetzungen. Einen weiteren Unterschied findet man im zweiten Satz des zehnten Verses: In der HFA heißt es „Die Heilige Schrift sagt […]“, in den anderen Übersetzungen findet sich nur die Formulierung „es steht geschrieben“. Die Formulierung „Heilige Schrift“ in der NFA lässt darauf schließen, dass die gesamte Heilige Schrift (AT und NT) gemeint ist, was ein Fehlschluss wäre. Gemeint sind die mosaischen Gesetze, die sich nur im Alten Testament wiederfinden. Einen weiteren Unterschied findet man in dem darauffolgenden Zitat aus 5 Mose 27,26: Bei der Elberfelder Übersetzung „ist“ der Mensch, der nicht alles was in den Gesetzeswerken steht befolgt, verflucht. Man geht hier also von der Gegenwart aus. In der Lutherübersetzung und der Studienbibel wird futuristisch mit dem Konjunktiv I übersetzt, sodass sich der Satz an die Zukunft richtet. Die Übersetzung mit dem Wort „ist“ macht hier dennoch, betrachtet man Paulus Absichten, am meisten Sinn. Der Fluch ist für ihn gegenwärtig für alle Menschen und kommt nicht erst in naher Zukunft zu den Menschen. Er ist seit der Sünde Adam und Evas da. Die HFA spricht hier mit dem Indikativ des Verbs „sollen“ eine Folge an, die noch nicht eingetreten ist. Betrachtet man den nächsten Vers (11), so lassen sich große Ähnlichkeiten in allen vier Übersetzungen feststellen. Bei Luther wird niemand vor dem Gesetz gerecht, in der Elberfelder wird niemand vor dem Gesetz gerechtfertigt. Lediglich die Hoffnung für alle übersetzt mit dem Substantiv „Anerkennung“, was sich mit dem leichteren Verständnis für die Leser begründen lässt. Das Zitat aus Habakuk 2,4 betreffend, schwächt die HFA die eigentliche Bedeutung des Verses ab, indem sie die Gerechtigkeit nicht weiter thematisiert. Das Verb „vertrauen“ steht im Vordergrund, im Unterschied zu den anderen drei Übersetzungen, bei welchen es heißt: „der Gerechte wird aus Glauben leben“. Der nächste Vers (12) ähnelt sich in allen vier Übersetzungen sehr. Sie zeigen, dass Gesetz und Glaube voneinander getrennt werden sollen. Lediglich bei Luther und der Studienbibel wird der „Mensch“ explizit angesprochen, in den anderen Übersetzungen steht anstelle des Menschen ein Fragewort oder ein Pronomen. Diese haben die Wirkung, dass sich der Mensch beim Absorbieren dieser Worte, direkt angesprochen fühlt.

In Vers 13 übersetzen alle, ausgenommen der HFA, mit dem Wort „losgekauft“. Die HFA hingegen übersetzt mit dem Wort „erlöst“. Diesen Begriff findet man auch in einem Kommentar von Luther (1519)58. Das Wort „loskaufen“ ist ein Begriff aus dem Alltag, „erlösen“ hingegen stellt eher einen geistlichen Begriff dar. Der Hauptgedanke beider Übersetzungen ist dennoch derselbe, da es um die Befreiung von dem Gesetz durch den Tod Jesu Christi geht, der den Fluch auf sich genommen hat. Den Kreuzestod erwähnt die HFA als einzige, was wahrscheinlich dem besseren Verständnis dienen soll. Der Ausdruck: Christus hat den „Fluch auf sich genommen“ in der HFA hat eine eindeutig schwächere Bedeutung als „da er zum Fluch wurde“ in den anderen Übersetzungen. Der Unterschied dieser Bedeutung erscheint gravierend, da ein Unterschied darin besteht, ob jemand zum Fluch wird oder ob er ihn auf sich nimmt. Die Tat Jesu Christi sollte aber nicht abgeschwächt werden, denn er hat die Menschen von ihren Sünden befreit und nur durch ihn können sie leben. Der letzte Vers (14) der hier abgegrenzten Perikope zeigt eine unterschiedliche Übersetzung für den Empfängerbegriff des Segen Abrahams. Während Luther und die Studienbibel die „Heiden“ ansprechen, wie es auch die paulinische Mission vorgesehen hatte, geht es bei der Elberfelder um „Nationen“. Hier werden also nicht nur die Heiden, sondern viele unterschiedliche Völker angesprochen. Auch in der HFA werden „alle Völker“ genannt. Betrachtet man den historischen Hintergrund der Textstelle, so möchte Paulus trotz seiner vorherigen paulinischen Heidenmission, das Evangelium an alle verkünden. So steht beispielsweise in der Studienbibel das Wort „verheißen“. In der Verheißung an Abraham auf die sich Gal 3,14 bezieht heißt es in 1 Mose 17,5: „denn ich habe dich zum Vater vieler Völker gemacht“. Dies bestätigt den zuvor beschriebenen Ansatz.

[...]


1 Lutherbibel Gal 3,10

2 Vgl. Lutherbibel Gal 3,11

3 Lutherbibel Gal 1,12

4 Vgl. Lutherbibel Gal 3,13

5 Vgl. Bauer, Thomas Johann S. 167

6 Vgl. Lutherbibel Gal 4,8f; 5,2f.; 6,12f.

7 Vgl. Lutherbibel Gal 2,16; 3,5; 3,11; 3,22; 5,4f.

8 Vgl. Bauer, Thomas Johann S.195

9 Vgl. Bauer, Thomas Johann S. 381

10 Vgl. Lutherbibel Gal 3,11

11 Vgl. Reinmuth, Eckart: Paulus S. 194

12 Vgl. Reinmuth, Eckart: Paulus S. 233f.

13 Vgl. Lutherbibel Gal 3,10-14

14 Vgl. Luther, Martin: Kommentar zum Galaterbrief

15 Vgl. Luther, Martin: Epistel Auslegung S. 8

16 Vgl. Luther, Martin: Epistel Auslegung S. 20

17 Vgl. Lutherbibel Gal 3,10

18 Luther, Martin: Kommentar zum Galaterbrief S.131

19 Vgl. Luther, Martin: Kommentar zum Galaterbrief S. 131

20 Vgl. Luther, Martin: Kommentar zum Galaterbrief S. 132

21 Lutherbibel Hab 2,4

22 Vgl. Lutherbibel Gal 3, 11

23 Vgl. Luther, Martin: Kommentar zum Galaterbrief S.134

24 Vgl. Lutherbibel 3 Mos 18,5

25 Vgl. Luther, Martin: Kommentar zum Galaterbrief S. 135

26 Lutherbibel Mt 23,27

27 Vgl. Luther, Martin: Kommentar zum Galaterbrief S. 135

28 Lutherbibel Gal 3,13

29 Luther, Martin: Kommentar zum Galaterbrief S. 136

30 Lutherbibel Gal 3,11

31 Vgl. Luther, Martin: Kommentar zum Galaterbrief S. 137

32 Vgl. Luther, Martin: Kommentar zum Galaterbrief S. 137

33 Vgl. Luther, Martin: Kommentar zum Galaterbrief S. 138

34 Vgl. Schnelle, Udo S. 306

35 Vgl. AaO. S. 306

36 Vgl. AaO. S.306

37 Vgl. AaO. S. 306

38 Vgl. AaO. S. 307

39 Vgl. AaO. S. 307

40 Vgl. Wick, Peter: Paulus

41 Vgl. Wick, Peter S.54

42 Vgl. Wick, Peter S.54

43 Vgl. Wick, Peter S. 54

44 Vgl. Lutherbibel Apg 9

45 Vgl. Wick, Peter S. 54 (Scriptura sui interpres)

46 Vgl. Wick, Peter S.55

47 Vgl. Lutherbibel Hab 2,4

48 Wick, Peter 2006 S.55

49 Vgl. Wick, Peter S. 55

50 Vgl. Wick, Peter S. 55

51 Vgl. Lutherbibel Gal 3,13

52 Vgl. Wick, Peter S. 55

53 Vgl. Lutherbibel Gal 3,6-14

54 Lutherbibel Gal 3, 10

55 Lutherbibel Gal 3,10

56 Lutherbibel Gal 3, 9

57 Vgl. Arthur, John Mac: Studienbibel

58 Vgl. Luther,Martin: Kommentar zum Galaterbrief S. 135

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Exegese zu Galater 3, 10-14: "Der Fluch des Gesetzes"
Untertitel
Sinn und Funktion des Gesetzes
Hochschule
Pädagogische Hochschule Karlsruhe
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
33
Katalognummer
V520686
ISBN (eBook)
9783346113313
ISBN (Buch)
9783346113320
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Galaterbrief, Exegese, Fluch, Gesetzeswerke
Arbeit zitieren
Sirka Martin (Autor:in), 2018, Exegese zu Galater 3, 10-14: "Der Fluch des Gesetzes", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/520686

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