Die retrospektive Anwendung von Theorien reflexiven Denkens auf den Fall Frau A.

Eine Fallstudie


Fallstudie, 2018

16 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

1 Beratung – eine Praxis reflexiven Denkens

2 Der Fall Frau A
2.1 Reflektierendes Denken nach John Dewes
2.1.1 Dewes Theorie in Bezug auf den vorliegenden Fall
2.2 Reflexion im Kontext von Pierre Bourdieus Habitus-Konzept
2.2.1 Bourdieus Theorie in Bezug auf den vorliegenden Fall
2.3 Theorie des Denkens nach Wilfried Bion
2.3.1 Bions Theorie in Bezug auf den vorliegenden Fall
2.3.1.1 Die affektive Hemmung
2.3.1.2 Der freie Blick auf sich selbst

3 Schlussbetrachtung

Literaturliste

Zusammenfassung

An Hand einer retrospektiven Einzelfallstudie werden einige Formen reflexiven Denkens dargestellt und ihre spezifische Funktion innerhalb des Beratungsprozesses aufgezeigt: Die Gestalthafte Analyse der konflikthaften Situation, die Ergründung der eigenen Sozialisation sowie die Auflösung (kulturell bedingter) affektiver Blockaden, die die Entwicklung des Selbst verhindern, werden hierdurch als grundlegende methodische Werkzeuge beraterischer Tätigkeit vorgestellt.

1 Beratung – eine Praxis reflexiven Denkens

Vom Anbeginn der Supervision am Ende des 19. Jahrhunderts (vgl. Gröning 2012, S. 7) zeigte sich, dass der zu behandelnde Gegenstand supervisorischer Arbeit die emotionale Überforderung im beruflichen Feld ist. Supervision sollte helfen, „in schwierigen beruflichen Situationen mit den eigenen Gefühlen umzugehen, um handlungsfähig zu bleiben“ (vgl. ebd.). Gröning (2012, S. 7 ff.) führt weiter aus, dass sich Supervision – um eben dieser Aufgabe gerecht werden zu können – zu einem reflexiven Konzept entwickelte, das sich in vielfacher Weise die Möglichkeiten reflexiven Denkens erschloss.

Da Supervision als eine Form von Beratung anzusehen ist, die sich auf berufliche Felder konzentriert, ist die Entwicklung von Beratung auch im Allgemeinen als reflexives Konzept zu verstehen, dass seine Handlungsfelder auf alle menschlichen Lebensbereiche auszuweiten vermochte. Doch was heißt Reflexion? Welche Traditionen der Reflexion und des reflektierenden Denkens sind anwendbar für die Beratung? Und wie können diese praktisch im Beratungsprozess angewendet werden?

Die vorliegende Arbeit wird anhand einer retrospektiven Fallstudie verschiedene Formen reflexiven Denkens vorstellen und ihre spezifische Funktion im Beratungsprozess. Hierbei werden die Theorien John Dewes, Pierre Bourdiues und Wilfred Bions vorgestellt. Abschließend wird der vorgestellte Fall im Sinne der „Reflective function“ (vgl. Gröning 2012, S. 21) beleuchtet.

2 Der Fall Frau A.

Frau A. ist gebürtige Libanesin und wohnt seit ihrer frühen Kindheit in Deutschland. Sie ist mit einem Mann verheiratet, den sie vor einigen Jahren im Libanon kennengelernt hat und seither mit ihm verheiratet in Deutschland lebt; seine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland ist an die Ehe gekoppelt.

Frau A. ist gelernte Hotelkauffrau. Herr A. arbeitet in einem Autohandel bei Verwandten. Das Ehepaar hat zwei Söhne, fünf und acht Jahre alt. Die Familie wohnt zusammen mit den Eltern von Frau A. in einem Haus und erhalten durch diese Unterstützung bei der Betreuung der Kinder. Die Privatsphäre der Familie ist hierdurch jedoch auch nicht mehr gegeben bzw. sind die Eltern von Frau A. in all ihre Familienthemen involviert.

Frau A.’s Mutter leidet an einer Depression.

Frau A. kommt zur Erziehungsberatung, um ihre Erziehung noch förderlicher zu gestalten, da beide Kinder leichte Entwicklungsverzögerungen aufweisen und heilpädagogische bzw. sprachtherapeutische Unterstützung bekommen. Bei der Zieldefinition für den Beratungsprozess gibt Frau A. an, dass sie die Entwicklungsförderlichkeit ihres Erziehungsstils auf einer 10-stufigen Skala auf 7 einschätze. Ihr Ziel sei es, durch die Beratung ihre Förderlichkeit auf 8 weiterzuentwickeln. Während der ersten Exploration kristallisiert sich schnell heraus, dass ihr Ziel nicht auf mangelnden erzieherischen Kompetenzen, geringem Engagement oder gar fehlender mütterlicher Liebe basiert – im Gegenteil: Frau A. schildert plastisch die vielen Stunden, die sie ins Spiel und in Unternehmungen mit ihren Kindern investiert, sodass schnell deutlich wird, wie wichtig ihr ihre Söhne sind, und mit welcher Hingabe sie die beiden Jungen aufzieht. Schnell lässt sie jedoch durchscheinen, dass ihr seit einiger Zeit häufig die Kraft fehle für ihr bisheriges Engagement, da sie voller Kummer sei und ihr zunehmend die Lebensfreude abhanden komme. Während Frau A. hier weiterprozessiert, eröffnet sie, dass sie ihren Mann nicht mehr liebe und sie ihn auf Grund der komplexen, Familien-systemischen Interdependenzen nicht verlassen könne. Dabei sei sie abgestoßen von dem Selbstbild ihres Mannes, das noch sehr an dem libanesisch-traditionellen Männerbild ausgerichtet sei: Er begegne ihr patriarchalisch, sei kaum Dialog-fähig, und es bereite Frau A. nur noch Schmerzen, wenn er mit ihr geschlechtlich verkehre, was sie im Sinne einer Pflichterfüllung regelmäßig tue.

Gemeinsam wird in der Beratung reflektiert, welche systemischen Faktoren im Einzelnen die Situation aufrecht erhalten bzw. welche weiteren zu der von ihr skizzierten Gestalt-haften Lebensstimmung von Kummer und abhanden gekommener Lebensfreude führen. Folgende Punkte zeigten sich als System-aufrechterhaltene Komponenten:

1. Das libanesische Frauenbild

Frau A. würde Schande über ihre Eltern bringen, wenn sie sich von ihrem Mann trenne. Dabei habe sie ihren Mann bereits betrogen, als sie mit einem fremden Mann auf einer Chat-Plattform gechattet hat. Die Familie hat dies herausgefunden. Herr A., der von seiner Schwiegermutter als Wunschschwiegersohn bewundert wird, machte ihr vor der gesamten Familie schwere Vorwürfe, zeigte sich jedoch bereit, ihr zu verzeihen, sodass ihm seine Schwiegereltern dankbar sind, dass er bei ihrer Tochter bleibt und damit ihre Ehre rettet bzw. die Familie vor Schande bewahrt. Gleichzeitig fordern die Eltern Frau A.’s, dass auch Frau A. sich entsprechend dankbar und demütig zu verhalten habe. D.h. dass ein erster zarter Ausbruchsversuch aus der unglücklich machenden Beziehung zu einer Verschärfung derselben geführt hat.

Im Beratungsprozess wird die Schwere des Fremdgehens durch den (deutschen) Berater relativiert und Verständnis für Frau A.‘s Verhalten verbalisiert, zeigte sich darin doch letzthin nichts weiter als die Sehnsucht nach der platonischen Dimension von Liebe, die – so die gemeinsame Erörterung – zu einer Liebesbeziehung dazugehöre und die Frau A. berechtigter Weise seit langem ersehnt. Frau A. kann durch diese Sichtweise schnell die familiäre Schuldzuweisung relativieren und kann bald reflektieren, dass die Bewertung der Geschehnisse nun ein Machtinstrument ihres Mannes gegen sie darstellt, v.a. in der Verbindung mit der schwiegermütterlichen Bewunderung und den negativen Affekten, die das Verhalten Frau A.’s in ihren Eltern ausgelöst hat. Ebenso kann Frau A. weiter schlussfolgern, dass ihr Ehemann dieses Machtinstrument nun gegen sie einsetzt, da ihm die Abschiebung droht, wenn sie sich von ihm scheiden lassen würde. D.h. der Wunsch des Ehemannes, das bestehende Gefüge aufrecht zu erhalten, ist für ihn im sozio-ökonomischen Sinne existentiell und das Bedürfnis seiner Frau, sich zu trennen, hoch bedrohlich. Und nun hat er durch ihr Fremdgehen die Großfamilie als Machtmittel zur Hand, sein Bleiberecht gegen die Bedürfnisse Frau A.‘s zu sichern.

2. Die Söhne Frau A.’s

Frau A. bekräftigte stets, dass sie ihren Söhnen nicht den Vater nehmen wolle. Würde sie sich trennen, sei eine Abschiebung wahrscheinlich, und dies würde ihr schwer fallen. Gleichzeitig befürchte sie, dass eine Trennung psychische Schäden bei ihren Kindern hervorrufen würde; Frau A. gab in diesem Zusammenhang an, dass sie lieber ihr Leben bei ihrem Mann weiter verbringen würde, als ihren Kindern Schaden zuzufügen.

3. Die Familie Frau A.’s

Von den besonderen Wohnverhältnissen wurde bereits berichtet, und dass hierdurch auch eine Figuration entstanden ist, in der die Eheprobleme Frau A.’s auch zum Thema ihrer Eltern und ihres jüngeren Bruders wurden.

4. Frau A.’s Verantwortlichkeiten

Frau A. muss in dem gesamten Gefüge eine Vielzahl von Verantwortlichkeiten einlösen:

- dem Vater eine gute Tochter sein
- ihren Söhnen eine gute Mutter
- dem Ehemann eine gute Ehefrau
- Frau A.’s Mutter will zudem ihren Schwiegersohn behalten, der zu ihr immer sehr charmant ist
- Frau A.’s Bruder, der sich in ihr ebenfalls eine ehrenhafte Schwester wünscht, wenngleich er ihr Streben nach Selbstbestimmung auch verstehen kann.

Diese Verantwortlichkeiten, der Frau A. nachzukommen hat, kollidieren nun mit der Verantwortlichkeit sich selbst und dem Wunsch zur Selbstverwirklichung, welche – traut man den Theorien und Erkenntnissen der Motivationspsychologie – dem Menschen von Natur aus eigen sind (vgl. Maslow in Wissemann 2006, S. 70).

Bei einer Familien-Aufstellung stellt Frau A. ihre Familie mit Spielfiguren auf: Ihr Mann und sie selbst stehen Schulter an Schulter mit einem leichten Winkel, sodass sie keinen Blickkontakt miteinander haben; ihre Kinder stehen vor ihnen. Seitlich versetzt mit etwas Abstand stehen Frau A.’s Eltern: Die Mutter steht gebeugt, neben ihrem Mann ... nach einiger Zeit der Betrachtung beugt Frau A. auch ihre eigene Figur und erklärt, dass sie in den Fußstapfen ihrer Mutter stecke, die ebenfalls unglücklich verheiratet sei, aber ihr Leben neben ihrem Mann aus traditionellen Gründen friste. Anhand der Familienstellung zeigt sich ein transgenerationelles Thema, das sozio-kulturelle Frauenrolle und die Gestalt-hafte Situation, in der Frau A. steckt.

Frau A. wird angeboten, ein alternatives Bild zu stellen, eines, das sie sich wünsche, das für sie lebenswert und erstrebenswert sei. Frau A. richtet ihre Figur auf, stellt sie, ihren Mann und ihre Kinder in einen Kreis; alle schauen sich an und halten sich an den Händen. Begegnung, Lebensfreude und ein liebevolles Miteinander gehen von dieser Figuration aus.

Im weiteren Beratungsprozess kann erarbeitet werden, dass das von Frau A. aufgestellte Lebensglück nur in Form einer Entwicklung erarbeitet werden kann. Frau A. wird bewusst, dass dieser Prozess im Sinne eines Projektmanagements von jemandem geleitet werden muss. Traditionell sei das Familienoberhaupt der Mann. Frau A. stellt für sich jedoch fest, dass ihrem Mann hierfür vielerlei Kompetenzen und visionäre Kräfte fehlen, da er in seinem Habitus (vgl. Gröning 2012, S. 23 ff. & S. 46 f.; s.u. S. 10 f.) allzu sehr verfangen und darin unreflektiert ist, sodass sie für sich das Bild erstellt, die Kapitänin des Familienschiffes werden zu müssen.

Im weiteren Beratungsprozess stellt sich bald heraus, dass sie dieses Projekt mit ihrem Mann nicht durchführbar kann: Der Mann kann ihr auf Grund seines Selbst- und Fremdbildes nicht folgen, und das Abhängigkeitsgefüge, in dem er steckt (hatte seine Frau doch die Macht über sein Bleiberecht in Deutschland) ließ ihn weiterhin auf eine Aufrechterhaltung seiner informellen Macht bauen, basierend auf den familiären und sozio-kulturellen Einflüsse. Da er in dem bestehen Familiengefüge alle Karten in der Hand zu haben glaubt, lässt er sich auch nicht auf Kompromisse ein, bei denen die Ehe formal bestehen bleiben, es aber dennoch zu einer räumlichen Trennung zwischen ihm und seiner Frau kommen würde. Als Frau A. ihre strategische Sackgasse immer deutlicher vor Augen geführt wird, steigert sich der Konflikt in der Familie dermaßen, dass Frau A. ihren Mann vor ihren Eltern und ihrem Bruder offen attackiert, sie sprachlich mit aller Eindringlichkeit ihr Unglück verbalisiert, den Familienmitglieder unter Tränen deren Verhalten spiegelt und ihnen vorwirft, sie nicht zu unterstützen. In dieser Tage und Wochen andauernden offenen Auflehnung geschieht es letzthin, dass der Ehemann Frau A. schlägt –

Frau A. berichtet in der anschließenden Beratung, dass sie seit dem Moment körperlicher Gewalt die formelle Macht des deutsche Staates hinter sich weiß: Sie droht ihrem Mann nun offen mit einer Anzeige und einer Scheidung. Mit der formellen Macht des deutschen Staates hinter sich und der gewalttätigen Grenzüberschreitung vor Augen, ändern sich plötzlich die gesamten Verhandlungspositionen … der Ehemann bittet um einen Kompromiss. Frau A. erlaubt ihrem Mann im Haus der Großeltern und in Deutschland wohnen zu bleiben, während sie selbst eine eigene Wohnung im Nachbarhaus bezieht. Offiziell bleibt die Ehe bestehen. Der Mann darf sie in ihrer Wohnung jedoch niemals aufsuchen. Sie klärt das gemeinsame Sorgerecht, organisiert unter Einbezug ihrer Eltern die Besuchszeiten. In Folge ihres Kampfes zur Selbstbestimmung, zeigt sich, dass ihr Vater und ihr Bruder nun zu ihr stehen – der offene Gewaltakt hat auch für sie etwas verändert. Einzig die Mutter schweigt sich vor Frau A. aus, verweigert vielfach die Begegnung im Gespräch, was Frau A. jedoch für ihre neugewonnene Selbstbestimmung in Kauf nimmt –

In der abschließenden Beratungsstunde fragt der Berater, was Frau A. glaube, was ihre größte Ressource sei, dass sie all die Widerstände überwand und sich nicht hat abhalten lassen. Ihre Antwort war: Ihr scharfer Verstand, der, habe er einmal zu zweifeln begonnen, sie nicht mehr in Ruhe in lasse.

2.1 Reflektierendes Denken nach John Dewes

Reflektierendes Denken nach Dewes (vgl. Gröning 2012, S. 17 f.) wurzelt im Kontext der wissenschaftlich fundierten Lehre im Fachbereich Pädagogik. Auf Grund seines wissenschaftlichen Anspruches strebt Reflektierendes Denken grundlegend nach wahrer Erkenntnis. Nach Dewes spielen hierbei zwei Dimensionen des Denkens eine wechselwirkende Rolle:

Zum einen ist es das logisch-analytische Denken, das Einzelfakten und Bedingungen ordnet.

Zum anderen ist es das Bestreben danach, eben jene Einzelphänomene in einer Gestalt-haften Bedeutung zusammenzufügen, d.h. aus ihnen eine sinnhafte Ganzheit zu kreieren. Dewes nennt diese zweite Dimension verstehend sozialen oder seelischen Denkens „Psychologik“.

D.h. Dewes geht beim reflektierenden Denken von einem Ordnen von Tatsachen und Bedingungen aus. Methodisch bedient es sich dabei der Logik, der Analyse und Dekonstruktion. Dies prozessiert auf der Plattform einer Theorie, d.h. einer sinnhaften Ganzheit. Reflektierendes Denken kann hierbei zwei Richtungen annehmen: Zum einen können Tatsachen zu einer Erweiterung oder Modifikation der sinnhaften Ganzheit dieser theoretischen Plattform führen, andererseits können aus der angenommenen Ganzheit wiederum theoretische Einzeltatsachen abgeleitet oder überprüft werden.

Im Prozess des reflektierenden Denkens werden nach Dewes folglich Einzeltatsachen zu vorläufigen Annahmen führen, welche in einem hermeneutischen Akt falsifiziert oder zunehmend verifiziert werden. Das Aufkommen von Ideen, das Stellen von Hypothesen gehört deshalb nach Dewes ebenso in den Raum reflektierenden Denkens wie die Phantasie, da diese die Funktion erfülle, aus vagen Merkmalen bereits mögliche Gestalten in eben jenem Sinne einer sinnhaften Ganzheit schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt zu er-sinnen (vgl. ebd.).

2.1.1 Dewes’ Theorie in Bezug auf den vorliegenden Fall

In Bezug auf den skizzierten Fall zeigte sich durch das reflektierende Denken im Sinne Dewes bei der gemeinsamen Erörterung des Ehe-Problems, dass es in ein komplexes familiäres Gesamt-Gefüge eingebettet war. Die Reflektion im Sinne Dewes zeigte all die systemischen Einzelfaktoren auf, die der Befreiung der Klientin von ihrem Ehe-Unglück entgegenstanden:

- Kummer der Kinder im Falle einer Trennung
- die kulturell-religiös konstruierte Familienehre
- die Erwartungen des Vaters an seine Tochter vor dem Hintergrund kultur-spezifischer Frauenrollen
- der transgenerative Bruch mit der Mutter, die sich nie aus einer Ehe ohne Liebe befreit hat
- die Wohnsituation im Drei-Generationen-Haushalt
- das für Deutschland geltende Bleiberecht des Mannes, welches juristisch an die Ehe gebunden ist
- das taktische Kalkül Herrn A.’s, das sich blind gegen die Selbstverwirklichungsbedürfnisse (vgl. Maslow in Wissemann 2006, S. 70; s.o. S. 6) Frau A.’s macht und diesbezüglich keinem Kompromiss traut
- die Mutter, die in Herrn A. einen Wunschschwiegersohn gefunden hat usw.

Daneben konnten durch die Reflektion nach Dewes neben den oben aufgeführten System-aufrechterhaltenen Komponenten jedoch auch Personen- und Umwelt-bezogene Ressourcen Frau A.’s analysiert werden:

- die klare Ratio der Klientin, die ihr unnachgiebig Recht gab
- der Zuspruch ihrer Freundinnen
- die Liebe des Vaters, die ihr häufig wohl gesonnen war und ihr m.E. alles Glück der Welt wünschte, wobei die väterliche Liebe mit dem eigenen Habitus (vgl. Gröning 2012, S. 23 ff & S. 46 f.; s.u.) rang
- das Bemühen des Bruders, die Klientin im Spannungsfeld zweier Kulturen zu verstehen
- die Liebe zu ihren Kindern, die sie zum Vorleben eines emanzipatorischen Beziehungs- und Männermodells aufrief
- die deutsche Kultur mit all ihren alternativen Konzepten von Ehe, Frau-Sein usw. die sie in ihren Selbstverwirklichungstendenzen bestärkte.

Gleichsam ergab sich durch die Erarbeitung dieser Einzelfaktoren jedoch auch ein Gestalt-haftes Lebensgefühl, das sie mit einer spezifischen symbolischen Körperhaltung (Gebeugt-sein, hängende Arme und Schultern, kein (Blick)Kontakt zu ihrem Mann) beschreiben konnte. Diese Körperhaltung symbolisierte neben ihrer auch die Lebenssituation der Mutter, sodass sich hier ein transgenerationales Problem und damit eine noch größere Gestalt-hafte Ganzheit offenbarte. Von der erarbeiteten Körperhaltung als symbolischer Gesamtgestalt der aktuellen Situation konnte nun im Sinne einer Ziel-Definition eine Alternativ-Gestalt in Form einer neuen Körperhaltung und Figuration entwickelt werden: aufrechter Stand, Blickkontakt mit den Familienmitgliedern, gegenseitiges Halten (an den Hände). Anhand dieser „theoretischen Plattform“ (s.o. S. 8) konnte nun der gesamte Beratungsprozess ausgerichtet und erreichte Zwischenziele ermittelt bzw. im Prozess verortet werden: Jeder Akt der System- bzw. Gestalt-Veränderung konnte von nun an an eben jener anvisierten Alternativ-Gestalt ermessen werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die retrospektive Anwendung von Theorien reflexiven Denkens auf den Fall Frau A.
Untertitel
Eine Fallstudie
Hochschule
Universität Bielefeld  (Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung (ZWW))
Veranstaltung
Supervision und Beratung
Note
1,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
16
Katalognummer
V520771
ISBN (eBook)
9783346120380
ISBN (Buch)
9783346120397
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Anhand einer retrospektiven Fallstudie werden verschiedenen Formen reflexiven Denkens dargestellt, nachdem sie wissenschaftstheoretisch erörtert wurden. Es zeigt sich eine empirische Praktikabilität der Ansätze im Kontext von Beratungsprozessen.
Schlagworte
Reflexives Denken, Beratung, Supervision, Fallstudie
Arbeit zitieren
Sascha Kaletka (Autor:in), 2018, Die retrospektive Anwendung von Theorien reflexiven Denkens auf den Fall Frau A., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/520771

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