Jürgen Habermas - Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie oder Über die Möglichkeit eines demokratischen Prozesses in Europa


Hausarbeit, 1999

14 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Der Vortrag „Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie“
1.1 Auswirkungen der Globalisierung auf nationalstaatliche Demokratien
1.2 Öffnung und Schließung der Lebensformen
1.3 Die Zukunft der Europäischen Union

2. Diskussion: „Integration oder Entsolidarisierung?“
2.1. Die wirtschaftliche Dimension der Globalisierung und der Sozialstaat
2.2 Kollektive Identität
2.3 Perspektiven für die eine postnationale Demokratie?

3. Schlußbemerkung

Literaturverzeichnis

„Die bürgerlichen Produktions- und Verkehrsverhältnisse, die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse, die moderne bürgerliche Gesellschaft, die so gewaltige Produktions- und Verkehrsmittel hervorgezaubert hat, gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor.“[1]

Einleitung

Die beachtlichen globalen Umwälzungen seit dem Ende des „Kalten Krieges“ haben die gesellschaftliche Realität vielerorts erheblich verändert. Die Entwicklung neuer technologischer Möglichkeiten[2] stellt die überkommenen gesellschaftlichen Strukturen in Frage. Die weitgehende Liberalisierung der Wirtschaft und der wachsende Einfluß transnationaler Unternehmen bedrohen zunehmend die staatliche Autonomie. Politische Entscheidungen geraten mehr und mehr unter den Druck ökonomischer Interessen. Wo einst die Politik lenkend in das wirtschaftliche Geschehen eingriff, findet heute eine Umkehr dieses Kräfteverhältnisses statt. In diesen Zusammenhang stellte Jürgen Habermas seine Rede vom 5. Juli 1998, „Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie“, die er im Vorfeld der Bundestagswahlen vor dem Kanzlerkandidaten der SPD, Gerhard Schröder, hielt. In dieser Rede, die der Philosoph und Soziologe bewußt als politisches Instrument einsetzt[3], thematisiert er eben diese grundsätzlichen, globalen Veränderungen, mit Blick auf deren politische Auswirkungen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll zunächst der Inhalt der Rede zusammengefaßt werden. Eine interpretatorische Annäherung, bei der vor allem die wirtschaftliche Dimension der Globalisierung und deren Auswirkung auf den Sozialstaat sowie der Gedanke einer kollektiven europäischen Identität näher beleuchtet werden, bildet den zweiten Abschnitt. Die Diskussion soll dabei von der Frage getragen werden, ob es brauchbare Perspektiven für eine Neugestaltung der Demokratie jenseits des Nationalstaats überhaupt gibt. An dieser Stelle auch nur auf die wichtigsten von Habermas thematisierten Probleme erschöpfend einzugehen, ist in diesem begrenzenden Rahmen kaum möglich. In der abschließenden, bewertenden Schlußbemerkung sollen die Ergebnisse der Untersuchung zusammengetragen und nochmals kommentiert werden. Um ein gründliches Verständnis des behandelten Textes zu erzielen, ist es wichtig, den o.g. politischen Kontext, in den die Rede gestellt wurde, nicht aus den Augen zu verlieren.

1. Der Vortrag „Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie“

Jürgen Habermas eröffnete seinen Vortrag „Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie“ mit dem Verweis auf ein „normatives Selbstverständnis“ in der „politischen Öffentlichkeit“, welches von der Veränderbarkeit sozialer und politischer Mißstände ausgeht. Dieses Bewußtsein bildet die Folie, vor der gesellschaftliche Konflikte ihre bedrohliche Potenz entfalten können. Von diesem Ausgangspunkt entwickelt Habermas seine Argumentation, die im Kern von der Sorge um eine durch ungehemmte wirtschaftliche Expansion bedrohte Demokratie getragen wird. Er fragt daher nach der Möglichkeit, ob und wie ein demokratisches System im postnationalen Rahmen zu verwirklichen sei. Die Plausibilität seiner Fragestellung erhärtet Habermas, indem er auf die Wurzeln der Demokratie, ihre Entstehungsbedingungen im Rahmen der Ausbildung des Nationalstaates verweist. Nur im Konstrukt des Nationalstaates sei es den Gesellschaften bisher gelungen, sich überzeugend demokratisch zu konsolidieren. Dem Bedeutungsverlust nationaler Grenzen und der damit einhergehenden Bedrohung der politischen Einheit Staat im Zuge zunehmender Globalisierung, steht die Politik jedoch weitgehend ratlos gegenüber. Der daraus resultierenden, zunehmenden Entpolitisierung der Politik stellt Habermas sich entgegen:

„Eine Alternative zur aufgesetzten Fröhlichkeit einer neoliberalen Politik, die sich selbst ‚abwickelt‘, könnte jedoch darin bestehen, für den demokratischen Prozeß geeignete Formen auch jenseits des Nationalstaates zu finden. (...) Mich interessiert die Frage, ob eine erneute politische ‚Schließung‘ dieser globalen Gesellschaft wünschbar, und wie sie gegebenenfalls möglich ist.“[4]

Um diesen Sachverhalt zu beleuchten, werden die globalen Veränderungen untersucht und ihre Bedeutung für den Nationalstaat erörtert. Im Vordergrund steht hierbei die wirtschaftliche Dimension der Globalisierung und die damit verbundene Form des verschärften Wettbewerbs, der durch die Aktivitäten transnationaler Konzerne, durch die zunehmende Eigendynamik von Finanzkreisläufen, durch vermehrte Direktinvestitionen im Ausland, durch die Tendenz zu Fusionen etc. gekennzeichnet ist. Doch der Begriff der Globalisierung umfaßt u.a. auch Aspekte wie ökologische Veränderungen oder organisiertes Verbrechen, Phänomene, die durch territoriale Abgrenzungen nicht, bzw. in immer geringerem Maße einzudämmen sind.

1.1 Auswirkungen der Globalisierung auf nationalstaatliche Demokratien

Die nationalstaatlichen Demokratien werden durch den Prozeß der Globalisierung in vielfältiger Weise berührt. Die erhöhte Mobilität des Kapitals schwächt die Fähigkeit der staatlichen Verwaltung Steuern einzuziehen, bzw. sie überhaupt zu erheben. Ohne die benötigten Steuereinnahmen gerät auch der Sozialstaat zunehmend unter Druck, wodurch Spannungen innerhalb der Gesellschaft provoziert werden.

Die wachsenden wechselseitigen Abhängigkeiten innerhalb der Staatenwelt geben Anlaß zu der Frage, ob nationale Politik noch mit dem „Schicksal der nationalen Gesellschaft“ übereinstimmt. Tatsächlich, so Habermas, betreffen politische Entscheidungen einer staatlichen Regierung immer seltener die Population der in dem Staat (und dem betreffenden Territorium) lebenden Bürger. Die ohnehin bedrohte Souveränität der Staaten wird teilweise durch überstaatlich agierende Organisationen kompensiert, die aber nicht hinreichend legitimiert sind.[5]

Als eine Folge der zwischenstaatlichen Verknüpfungen identifiziert Jürgen Habermas den modernen Multikulturalismus. Der Gesellschaft, die verschiedene Ethnien in sich vereint, steht ein sich radikalisierender Rassismus entgegen, der alles Fremde als zu bekämpfende Konkurrenz betrachtet. Diesen Tendenzen gilt es entgegenzuwirken und eine Einbeziehung („Inklusion“) ohne „Ghettoisierung“ zu verwirklichen. Habermas zeichnet die Perspektive wie folgt:

„Weil der demokratische Prozeß schon dank seiner Verfahrenseigenschaften Legitimität verbürgt, kann er, wenn nötig, in die Lücken sozialer Integration einspringen und im Hinblick auf eine veränderte kulturelle Zusammensetzung eine gemeinsame politische Kultur hervorbringen.“[6]

Die genannte Transformation der politischen Kultur mündet in einen abstrakten „Verfassungspatriotismus“, der die neue Basis für gesellschaftliche Solidarität bilden soll. Um der Gefahr einer Entsolidarisierung innerhalb der Gesellschaft und der Herausforderung der Internationalisierung zu begegnen, muß eine demokratische Politik der sozialen Gerechtigkeit dienen. Der Sicherung von „sozialen, natürlichen (und) kulturellen Lebensbedingungen“ mißt der Sozialwissenschaftler hohen Wert bei, er setzt den Kampf um die Sozialpolitik gleich mit dem Kampf gegen den Verfall der zivilisierten Gesellschaft. Den Marktkräften ungeschützt überlassen, ist die soziale Infrastruktur in ihrer Existenz erheblich bedroht – und somit auch ihre die Demokratie legitimierende Kraft:

„Der aus den Grundrechten selbst begründete sozialstaatliche Interventionismus erweitert die demokratische Selbstgesetzgebung der Bürger eines Nationalstaates zur demokratischen Selbststeuerung einer nationalstaatlich definierten Gesellschaft.“[7]

[...]


[1] Karl Marx/ Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, S. 25.

[2] Hier sind in jüngerer Vergangenheit vor allem die rasanten Veränderungen im Bereich der Datenverarbeitung und Informationstechnologie, aber auch die Expansion der Biotechnologie zu konstatieren.

[3] So bekennt er gegenüber Journalisten: „Ich säße nicht hier, wenn ich nicht einen sozialdemokratischen Wahlsieg wünschen würde.“ Und: „Gerhard Schröder ist es zuzutrauen, daß er Menschen zusammenführen kann.“ (Die Tageszeitung vom 8.6.1998).

[4] Jürgen Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, S. 805.

[5] In der ausführlichen Version seines Vortrages erwähnt Habermas Organisationen wie den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank, die Weltgesundheitsorganisation u.a.

[6] Habermas, Postnationale Konstellation, S. 809.

[7] Habermas, Die postnationale Konstellation. Politische Essays, S. 101.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Jürgen Habermas - Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie oder Über die Möglichkeit eines demokratischen Prozesses in Europa
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto Suhr Institut)
Note
1,0
Autor
Jahr
1999
Seiten
14
Katalognummer
V52210
ISBN (eBook)
9783638479820
ISBN (Buch)
9783656809272
Dateigröße
501 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Jürgen, Habermas, Konstellation, Zukunft, Demokratie, Möglichkeit, Prozesses, Europa
Arbeit zitieren
Magister Artium Thorsten Beck (Autor:in), 1999, Jürgen Habermas - Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie oder Über die Möglichkeit eines demokratischen Prozesses in Europa, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/52210

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