Christliche Ikonographie bei Rembrandt dargestellt anhand ausgesuchter Werke von Christian Tümpel


Bachelorarbeit, 2005

59 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Christian Tümpels Beitrag zur Rembrandt – Forschung
2.1. Zusammenfassender Überblick der Werke Tümpels
2.2. Tümpels Thesen zusammengefaßt
2.2.1. Simultan – Darstellungen
2.2.2. Herauslösung

3. Diskussion über die „Eigentümlichkeit“ Rembrandts
3.1. Rembrandts Lehrer und die sog. Prärembrandtisten
3.1.1. Rembrandts Lehrer: Jacob Isaacz. van Swanenburgh
3.1.2. Rembrandts Lehrer: Pieter Lastman
3.1.2. Die „Prärembrandtisten“

4. Die Ikonographie Rembrandts
4.1. Die Barockikonographie

5. Vergleich und Analyse der Werke Christian Tümpels / Schlußbetrachtung

6. Literaturverzeichnis
6.1. Quellen
6.2. Bildquellen
6.3. Sekundärliteratur

7. Anhang

1. Einleitung

„Rembrandt-Entmythologisierung“ – heißt das Schlagwort der Stunde. Man wünscht Objektivität in jeder Hinsicht, und auch die Echtheitskritik will sich in den Dienst der Bestrebungen stellen. Was die Interpretation betrifft, werden die zeitbedingten oder individuellen Deutungen der Persönlichkeit Rembrandts und seiner Kunst zurückgewiesen. Nur historische Wahrheit soll gelten. Demgemäß geht es darum, das Oeuvre des Meisters von allen trübenden Bestandteilen, von Schülerarbeiten und Imitationen, zu reinigen. Denn es herrscht die Überzeugung, daß die Leistungen der Echtheitskritik, an den Fortschritten ikonographischer, lebens- und wirkungsgeschichtlicher Forschung gemessen, äußerst bescheiden waren.[1]

Was hier m. E. nach mit viel Unmut von dem Kunsthistoriker Werner Sumowski festgestellt wird, nämlich daß die Werke Rembrandts und sein künstlerisches Schaffen objektiv zu betrachten seien, hat dazu geführt, daß viele Werke des Künstlers richtig gedeutet und ihm entweder zugesprochen oder abgesprochen wurden. Der Rembrandt – Forschung ist es im Laufe des 20. Jahrhunderts, dank einer moderneren Betrachtungsweise der Kunstwissenschaft, gelungen, Rembrandt von Mythen und Legenden, die ihn umrankten, größtenteils zu befreien. Von den 700 Gemälden, die dem Meister aus Leiden zugeschrieben wurden, sind es noch rund 300, die er gemalt haben soll.[2] Diese Untersuchungsergebnisse resultieren aus wissenschaftlichen Methoden wie Röntgenstrahlen und Infrarot- und Farbanalyse, die in der Forschung angewendet werden. Vor allem arbeitet das Rembrandt Research Project (RRP)[3] u.a. mit diesen Methoden. Das RRP besteht aus einer Gruppe von Kunsthistorikern, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, nach objektiven Untersuchungen der malerischen Fakten die eigenhändigen Werke von Rembrandt aus den Unmengen von Gemälden herauszufiltern, die unter seinem Namen bekannt sind. Jedoch sind es nicht nur die naturwissenschaftlichen Methoden gewesen, die Erkenntnisse in Rembrandts Oeuvre gebracht haben, sondern auch die zeitgenössischen Urkunden und viele weitere Quellen (wie z.B. Bilder anderer Künstler, die vor oder zeitgleich mit ihm gewirkt hatten) aus Archiven und Bibliotheken. Diese gewährten einen besseren Einblick in Rembrandts Leben, seine Persönlichkeit, seine Vorgehensweise und über sein soziales Leben. Dadurch, daß man Rembrandt näher „kennengelernt“ hatte, war man in der Lage, Bildinhalte zu erkennen und zu deuten. „Die in den letzten Jahren veröffentlichten Aufsätze über die Inhalte der Werke von Rembrandt, besonders die Arbeiten Christian Tümpels, haben unser Verständnis der Kunst dieses Meisters vertieft und heute sehen wir ohne Zweifel viel klarer und in vielen Fällen genauer, wie die inhaltliche Bildgestaltung bei Rembrandt aussah.[4]

Christian Tümpel, um dessen Thesen es in der Arbeit „Christliche Ikonographie bei Rembrandt: Dargestellt anhand ausgesuchter Werke von Christian Tümpel“ gehen wird, wuchs in Ahrensburgs auf, studierte Theologie und Kunstgeschichte und promovierte über Rembrandt. 14 Jahre lang war er als Pastor an der Matthäuskirche in Winterhude tätig. Anschließend lehrte er 18 Jahre lang Kunstgeschichte im holländischen Nijmegen, wo er Ausstellungen organisierte und diverse Bücher u.ä. über Rembrandt veröffentlichte. Nach seiner Pensionierung kehrte er 2003 nach Ahrensburg zurück. Momentan beschäftigt er sich mit der Planung zweier Rembrandt – Ausstellungen in Amsterdam und Berlin für das Jahr 2006, dem 400. Geburtstag des großen Künstlers.[5]

Bevor ich aber Tümpels Werke über die Ikonographie Rembrandts näher betrachten und anhand von Beispielen verdeutlichen werde, stelle ich seine Aufsätze

- Ikonographische Beiträge zu Rembrandt. (1966),
- Ikonographische Beiträge zu Rembrandt: Zur Deutung und Interpretation seiner Historien. (1968),
- Studien zur Ikonographie der Historien Rembrandts: Deutung und Interpretation der Bildinhalte. (1969) und zuletzt den Aufsatz,
- Ikonographische Beiträge zu Rembrandt: Zur Deutung und Interpretation einzelner Werke (II). (1971)

und seine Monographie „Rembrandt. Mythos und Methode“ (1986) (Punkt 2.1.) vor. Die Aufsätze sollen inhaltlich auf die wichtigsten Aussagen reduziert werden; bei der Monographie werde ich mich darauf beschränken, Tümpels Vorgehensweise zu erläutern und die Informationen wiederzugeben, die für meine Arbeit relevant sind. In Punkt 2.2. möchte ich seine Thesen zusammenfassen, um aufzuzeigen, welchen Beitrag Christian Tümpel für die Rembrandt – Forschung geleistet hat. Einige der in diesem Abschnitt genannten Abbildungen sollen erst im weiteren Verlauf der Arbeit untersucht werden. Die Punkte 2.2.1. und 2.2.2. behandeln Rembrandts Maltechniken: die Simultandarstellung und die Herauslösung. Dabei werde ich mit Hilfe der Tümpelschen Aufsätze Bildbeispiele angeben und diese besprechen. Der Frage, ob sich Schwierigkeiten für die Deutung der Werke durch diese Maltechniken ergeben, soll hier nachgegangen werden.

Im dritten Punkt meiner Arbeit werde ich mich bemühen, mit dem Mythos der „Eigentümlichkeit“ Rembrandts aufzuräumen. Hierbei werde ich verschiedene Ansichten aus dem ausgehenden 19. und dem 20. Jahrhundert der Rembrandt – Forschung aufführen und diese anhand der Ergebnisse Christian Tümpels widerlegen. Dabei werde ich die Fragen beantworten, mit welchen Methoden Rembrandt seine Werke inhaltlich so „rätselhaft“ hat gestalten können, daß die Forscher glaubten, man könne seine Werke nicht deuten. Dies soll anhand des „Gethsemane“ - Beispiels erläutert werden. In den Punkten 3.1.1. und 3.1.2. stelle ich Rembrandts Lehrer vor und in 3.2. werde ich die „Prärembrandtisten“ behandeln. Meine Intention dabei ist es, zu verdeutlichen, daß Rembrandt sich von anderen Künstlern anregen ließ, gleichwohl in welcher Form dies geschah. Um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen, werden diese drei Unterpunkte nur kurz behandelt.

Hierauf folgt das Hauptthema meiner Arbeit (Punkt 4), nämlich die Untersuchung der Ikonographie Rembrandts. Mein Ziel ist es, wie bei Tümpel, Rembrandts Gemälde in eine literarisch – religiöse und künstlerische Tradition einzubetten. In diesem Abschnitt soll näher auf die Geschichte der christlichen Ikonographie eingegangen werden. Hierbei werde ich vorerst der Frage nachgehen, wie sich die Darstellung biblischer Themen in der Kunst im Laufe der Geschichte gewandelt hat. Was ist erhalten geblieben und was ist verloren gegangen? Worauf legten die Künstler des 17. Jahrhunderts bei der Darstellung biblischer Historien wert? Welche Vorlagen benutzte Rembrandt für seine Werke? Welche Themen behandelte er; wie ging er dabei vor? Weiterhin werde ich das Bildbeispiel „Die Abreise des sunamitischen Weibes“ diskutieren. Auch hier lasse ich einige Forscher zu Wort kommen, die sich mit dem Inhalt dieses Gemäldes beschäftigt haben. Es ist immer wieder wichtig für die Interpretation eines Bildthemas, die jeweilige Geschichte zu kennen; aus diesem Grunde werde ich zu einigen Bildbeispielen die biblische Geschichte anführen müssen. Hiernach werde ich die Barockikonographie (Punkt 4.1.) näher betrachten. Folgende Fragen sollen beantwortet werden: Wie setzte Rembrandt biblische Themen, die vor ihm noch nicht in der Malerei behandelt worden waren, ikonographisch und formal um? Ließ er seiner Phantasie freien Lauf oder hielt er sich auch bei solchen Themen, die noch nicht malerisch dargestellt worden waren, an gewisse formale und ikonographische Regeln? Wenn ja, welche Art von Vorlagen wählte er aus?

Im letzten Teil meiner Arbeit möchte ich einen Vergleich zwischen den Werken Tümpels ziehen. Maßgebend sollen hier die Fragen sein, wie die Texte zueinander stehen, also ob sie inhaltlich zusammenhängend oder unabhängig voneinander sind. Was hat sich verändert? Sind neue Erkenntnisse hinzugekommen? Da Tümpels Werke in den vorangehenden Punkten besprochen werden, gehe ich bei der Ausarbeitung des Vergleichs nicht ins Detail, da es sonst zu Wiederholungen käme. Die Analyse soll hierauf folgen. Dabei werde ich meine Auffassung darüber darlegen, wie die Werke Tümpels zu beurteilen sind.

2. Christian Tümpels Beitrag zur Rembrandt - Forschung

2.1. Zusammenfassender Überblick der Werke Tümpels

In seinen seit 1966 in verschiedenen kunsthistorischen Zeitschriften veröffentlichten Aufsätzen, die im Jahre 1986 in seinem Werk „Rembrandt. Mythos und Methode“ mündeten, möchte Christian Tümpel aufzeigen, daß Rembrandt Harmenszoon van Rijn (15.7.1606 - 4.10.1669) von Themen und Darstellungen der ikonographischen Tradition der Druckgraphiken des späten 15. und 16. Jahrhunderts inspiriert worden ist. Dank des Buchdruckverfahrens und der Druckgraphik sind Themen und Typen, die bis dato auf eine Schule oder ein Land beschränkt waren, international bekannt geworden und konnten so in den Besitz Rembrandts gelangen.[6] Insbesondere bei den Historiendarstellungen mit biblischen Themen sieht Tümpel inhaltliche und motivische Verbindungen zu Werken von Künstlern, die sowohl in den Niederlanden als auch im Ausland gelebt haben. Weiterhin untersucht Tümpel literarische Quellen, die Rembrandt besessen oder vermutlich gelesen hat, wie bestimmte Ausgaben der Bibel, die Apokryphen und weitere Schriften religiösen Inhalts, die ihm bei seinen Werken als Vorlage gedient haben könnten.[7]

Tümpels Monographie „Rembrandt. Mythos und Methode“ von 1986 behandelt, in kurzen Kapiteln verteilt, die Biographie Rembrandts, sein Schaffen in zeitlicher Reihenfolge, ikonographische Themen, Rembrandts Auftraggeber und auch die Geschichte Hollands und die der Hauptstadt. Bei der Deutung einzelner Werke verzichtet Tümpel gänzlich auf technische Einzelheiten, da er auf die Ergebnisse des Rembrandt Research Projects verweisen kann.[8] Sein Hauptaugenmerk richtet er auf den Versuch, den Inhalt eines jeden Werkes zu erschließen, da, seiner Ansicht nach, diesem Aspekt in der Rembrandt – Forschung bis dato wenig Beachtung geschenkt worden sei. Wichtig ist es ihm auch, zu klären, welche Themen Rembrandt in seinen Werken behandelte, welchen sozialhistorischen Einflüssen er ausgesetzt war, welche künstlerischen Vorbilder er gehabt hat und in welcher Beziehung zur Heiligen Schrift stand.[9] Weiterhin möchte der Autor zur „Entromantisierung“ des Künstlers beitragen, indem er Rembrandts Gemälde in die Tradition einbettet.[10]

2.2. Tümpels Thesen zusammengefaßt

Christian Tümpel möchte in seinen Werken beweisen, daß Rembrandt oft eine ikonographisch eindeutige Szene aus einer Vorlage herauslöst, in der gleichzeitig mehrere Szenen wiedergegeben sind, wie es bei dem Gemälde „Die Abreise des sunamitischen Weibes“ der Fall ist (vgl. Abb. 1). Diese Darstellungsweise beinhalte jedoch das Problem, daß die jeweilig herausgelöste Szene in einigen Fällen ikonographisch nicht eindeutig sei, sondern erst durch eine vorangehende oder folgende Szene erklärt werde (s. Abb. 2 „Jael sagt Barak, daß sie Sisera erschlagen habe.“). Um dieses Problem zu umgehen, macht Rembrandt seine aus einem Kontext herausgelösten Darstellungen erkennbar, indem er durch ikonographische Motive oder durch das Verhalten der dargestellten Personen den Gesamtzusammenhang der Historie andeutet (vgl. Abb. 2 und 3 „Haman erkennt sein Schicksal.“).

Weiterhin möchte Tümpel beweisen, daß Rembrandt eine Hauptgruppe aus einer mehrfigurigen Szene herauslöst, um die Reaktionen einzelner Personen in einer historischen Begebenheit, oder die Verhältnisse von historischen Personen zueinander, intensiver zum Ausdruck bringen zu können (s. Abb. 4 „Isaak und Rebekka“ und 5 „Rembrandt und Saskia in der Szene vom verlorenen Sohn im Bordell“). Es sei bemerkenswert, daß die Entwürfe des Künstlers für die Herauslösung von Gruppen vielfigurig seien und durch diese herausgelösten Personen der geschichtliche Kontext der Szene wiedergegeben werde. Das es sich bei den ausgesuchten Werken tatsächlich um Herauslösungen einer Gruppe handelt und diese nicht beschnitten worden sind, wurde anhand von Untersuchungen bestätigt.[11]

Um die Werke Rembrandts ikonographisch deuten zu können, ist es, nach Tümpel, wichtig, das jeweils dargestellte Thema und seine Geschichte zu erkennen.[12] Hierin liegt auch die große Leistung Tümpels für die Rembrandt – Forschung: Indem er sich von der „Eigentümlichkeit“ Rembrandts löste und versuchte, seinen Malstil in die traditionelle Malerei zurückzuführen, gelang es ihm, Themen zu erkennen, die bis dahin ungeklärt blieben.

2.2.1. Simultandarstellungen

Rembrandt benutzte Vorlagen, die aus mehreren Blättern (vgl. Abb. 1a) bestanden, in denen Szenen der biblischen Geschichte simultan wiedergegeben wurden. Aus solchen Bildserien entnahm er einzelne Szenen und löste sie aus ihrem erzählerischen Kontext heraus. Ikonographische Deutungsschwierigkeiten entstünden dann, wenn Rembrandt eine Szene herauslöse, die erklärend für die Historie sei und diese sich auf eine vorherige oder nachfolgende Begebenheit beziehe. Dieses Problem wird anhand der Zeichnung „Jael sagt Barak, daß sie Sisera erschlagen habe“ (Abb. 2) erläutert:

Der Kunsthistoriker und Kunstsammler Cornelius Hofstede de Groot hat diese Zeichnung im Jahre 1906 als „Delila, die den Philistern die Ueberwindung Simsons mitteilt“ gedeutet.[13] Diese Deutung könne nicht zutreffen, denn in der Erzählung wird berichtet, daß Simson, in dem Moment, als Delila die Soldaten herbeiruft, auf ihrem Schoß liegt. „Und sie ließ ihn entschlafen auf ihren (sic!) Schoß und rief einem, der ihm die sieben Locken seines Hauptes abschöre. Und sie fing an, ihn zu zwingen; da war seine Kraft von ihm gewichen (Richter 16, 19).“[14] So, wie es der Text hergibt, wurde diese Historie stets in der Malerei wiedergegeben, auch von Rembrandt. Er nahm für die Darstellung des alttestamentarischen Themas die Illustration von Lucas van Leyden in einem Holzschnitt (vgl. Abb. 2a) als Vorlage:

Sisera, ein kanaanistischer Feldhauptmann, ist ein Feind der Israeliten gewesen. Nachdem er eine Schlacht gegen diese verloren hatte, floh er in die Hütte der Jael, die einem Stamm angehörte, die den Israeliten freundlich gesinnt war. Sie bewirtet ihn (Hintergrund links, Abb. 2a) und er legt sich danach hin und schläft. Jael schlägt ihm dann einen Nagel in den Kopf (vorne links Abb. 2a). In dem Moment, als der Führer der Israeliten in die Nähe ihrer Hütte kommt, geht sie ihm entgegen und sagt: „Gehe her! Ich will dir den Mann zeigen, den du suchst (V. 22, Mittelgrund rechts) .“[15]

Betrachtet man Leyden’s Holzschnitt, dann sieht man, daß Jael in allen drei genannten Szenen vorkommt, während Sisera nur in den ersten beiden Szenen zu sehen ist. Im dritten Bild deutet Jael auf die Szene, in der sie Sisera erschlägt. Diese letzte Szene ist demnach auf die vorangehende bezogen und wird erst durch sie verständlich.[16]

Rembrandts Zeichnung (Abb. 2) ist schwieriger zu deuten, da er die letzte Szene aus dem simultanen Kontext herauslöste. Den Aufbau entlehnte er von Leyden. Auch er unterteilt seine Zeichnung in drei Abschnitte. Auf der linken Seite steht ein Bett, im Mittelpunkt ist Jael und rechts sind die eintretenden Soldaten zu sehen. Tümpel vermutet, daß Rembrandt Jael in den Mittelpunkt stellte und ihr einen Nagel in die Hand gab, um an die vorangehende Szene zu verweisen, weil er diese aus den erklärenden Szenen herausgelöst hatte. Sisera ist nirgends zu sehen; auch im Text muß Jael erst die Soldaten darauf hinweisen, daß der gesuchte Feind Israels bei ihr sei (vgl. obiges Zitat). Somit ist Jael für Rembrandt die Hauptperson dieser Historie.[17] Diese Art der Darstellung ist charakteristisch für den Künstler; er deutet die Handlung lediglich an und erreicht dennoch ein Höchstmaß an psychischer Spannung.[18]

Ein weiteres Indiz dafür, daß es sich hierbei um die korrekte Deutung der Zeichnung handelt, ist, daß Rembrandt den Holzschnitt von Lucas van Leyden auch für seine Zeichnung „Jael erschlägt Sisera“ (Abb. 2b) verwendet.[19]

Aus anderen Bildserien entlehnte Rembrandt hauptsächlich die Ikonographie; den Aufbau übernahm er aus anderen Darstellungen gleichen Themas. Wenn aber die Ikonographie altertümlich war und daher nicht seinem Stil entsprach, formte er sie von der Historie her um (vgl. ab S. 19).[20]

2.2.2. Herauslösungen

Den Begriff der „Herauslösung“ gebraucht Christian Tümpel statt der Begriffe „Monolog“ und „Beschränkung“, die für einen Bildtypus stehen, in der ein Künstler den psychologischen Gehalt einer Szene stärker zum Ausdruck möchte, indem er die für ihn relevanten Hauptfiguren herauslöst und eigenständig darstellt. Bei der Herauslösung handle es sich um „künstlerische Neuschöpfungen und nicht um ein Herauskopieren“.[21] Aus diesem Grunde drücke der Begriff „Herauslösung“ die ikonographische Besonderheit dieses Typus‘ stärker aus. Diese Technik wurde bereits in der mittelalterlichen Kunst bei Andachtsbildern angewandt. Einzelne biblische Persönlichkeiten oder auch Gruppen wurden aus dem szenischen Kontext herausgelöst und in den Mittelpunkt gestellt, um deren religiöse Emotionen hervorzuheben.[22]

„Die Leistung des 14.Jhhs. liegt in der Herauslösung des Gefühlsgehaltes aus der szenischen Folge, in der Sichtbarmachung isolierter Gefühlsgehalte. Es ist jedesmal eine Eroberung des Dichterischen... Allein das Wesentliche ist wirklich die Herauslösung des Gefühlsgehaltes aus der innerlich erlebten Folge... Alle diese Gefühlsgehalte, die ein dem Lyrischen nachspürender Sinn, ein verweilendes und auskostendes Mitleid, hier aus dem Dramatischen herauszufinden vermochte, konnten ihren szenischen Charakter verlieren und in sich zusammenwachsen, die Kombination abgeschöpfter Gefühlsgehalte sich zu einer repräsentativen Gestalt verdichten...“.[23]

Im 16. und 17. Jahrhundert wurde die Herauslösung von den Künstlern besonders bei traditionellen Themen angewendet. Rembrandt machte auch von dieser Technik Gebrauch. Speziell bei biblischen und mythologischen Themen wandte er die Herauslösung an, da es ihm darum ging, die menschlichen, und nicht die religiösen Emotionen der biblischen Gestalten hervortreten zu lassen.

[...]


[1] Zitiert nach: Sumowski, W., Kritische Bemerkungen zur neuesten Gemäldekritik, in: Neue Beiträge zur Rembrandt – Forschung, Hrsg. Simson, O. v. und Kelch, J., Berlin 1973, S. 91 – 108, hier S. 91.

[2] Vgl.: http://www.bautz.de/bbkl/r/rembrandt.shtml, (hierbei handelt es sich um ein biographisch – bibliographisches Kirchenlexikon), gesehen, am 29.09.2005.

[3] Das „RRP“ wurde im Jahre 1968 von fünf Kunsthistorikern (J. Bruyn, B. Haak, S. H. Levie, P. J. J. van Thiel und E. van de Wetering) gegründet. Dieses Projekt hat es sich zur Aufgabe gemacht, die gesamten Rembrandt – Gemälde anhand naturwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden zu überprüfen. Als Grundlage diente ihnen der Werkekatalog von BREDIUS. Aus: Wagner, C. Quelle und Erfindung im Leidener Frühwerk Rembrandts: Kritik der Rembrandtikonologie, Hildesheim o.J., zugl. Diss. Osnabrück 1992, S. 4.

[4] Zitiert nach: Bialostocki, J., Der Sünder als tragischer Held bei Rembrandt: Bemerkungen zu neueren ikonographischen Studien über Rembrandt, in: Neue Beiträge zur Rembrandt – Forschung, Hrsg. Simson, O. v. und Kelch, J., Berlin 1973, S. 137 – 151, hier. S. 137.

[5] http://www.abendblatt.de/daten/2005/01/11/385422.html, vom 02.09.2005.

[6] Tümpel, Chr., Studien zur Ikonographie der Historien Rembrandts: Deutung und Interpretation der Bildinhalte, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 20 (1969), S. 107 – 198, hier: S. 107.

[7] Wagner [Anm. 3], S. 6f.

[8] Vries, L. d., Rezension von: Tümpel, Christian, Rembrandt. Mythos und Methode, Königstein i.T. 1986., in: Kunstchronik 40 (1987), S. 621 – 638, hier S. 622.

[9] Vgl.: Tümpel, Chr., Rembrandt: Mythos und Methode, Königstein 1986., Inhaltsverzeichnis.

[10] Vries [Anm. 8], S. 622.

[11] Tümpel, Chr., Ikonographische Beiträge zu Rembrandt, in: Kunstchronik 19 (1966), S. 300 – 302, hier: S. 301.

[12] Ebd., S. 301

[13] Vgl.: Hofstede de Groot, C., Die Handzeichnungen Rembrandts. Versuch eines beschreibenden und kritischen Katalogs, Haarlem 1906, Nr. 672.

[14] Zitiert nach: Tümpel, Chr., Ikonographische Beiträge zu Rembrandt: Zur Deutung und Interpretation seiner Historien, in: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen 13 (1968), S. 95 – 126, hier: S. 105.

[15] Ebd., S. 105.

[16] Ebd., S. 106.

[17] Ebd., S. 106.

[18] Vgl.: Müller Hofstede, C., Studien zur Geschichte des biblischen Historienbildes im XVI. und XVII. Jahrhundert in Holland, zugl. Diss. Berlin 1925, S. 141.

[19] Tümpel, Historien [Anm. 14], S. 106.

[20] Ebd., S. 106.

[21] Zitiert nach: Ebd., S. 113. (Anm. 53)

[22] Vgl.: Ebd., S. 113f.

[23] Zitiert nach: Pinder, W., Die deutsche Plastik vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance, 1. in: Handbuch der Kunstwissenschaft, Hrsg. A. E. Brinckmann, Wilpark-Potsdam 1929, S. 93 und 95.

Ende der Leseprobe aus 59 Seiten

Details

Titel
Christliche Ikonographie bei Rembrandt dargestellt anhand ausgesuchter Werke von Christian Tümpel
Hochschule
Universität Bielefeld
Veranstaltung
Rembrandt
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
59
Katalognummer
V52340
ISBN (eBook)
9783638480864
ISBN (Buch)
9783656793175
Dateigröße
3532 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit besteht aus ca. 34 Seiten Themenbehandlung, der Rest besteht aus Literaturverzeichnis und Bildanhänge von Rembrandt, Swanenburgh, Lastman, etc.
Schlagworte
Christliche, Ikonographie, Rembrandt, Werke, Christian, Tümpel, Rembrandt
Arbeit zitieren
Arzu Yilmaz (Autor:in), 2005, Christliche Ikonographie bei Rembrandt dargestellt anhand ausgesuchter Werke von Christian Tümpel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/52340

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