Durch das Aufzeigen von Irrationalismus in nationalsozialistischen Erziehungsvorstellungen und Ideologie erfolgt innerhalb dieser Auseinandersetzung der Versuch, damalige Vorgänge, Hintergründe und Zusammenhänge verständlich und nachvollziehbar zu gestalten. Anstelle vorschneller Abstemplung des Nationalsozialismus bedarf es unbedingt Verständnis und einer Aufarbeitung, auch um ein „weiteres Auschwitz“ verhindern zu können.
Pädagogische Vorstellungen bekannter nationalsozialistischer Ideologen sollen dafür in Erinnerung gerufen werden und deren kritische Reflexion eine Wiederholung derartiger Geschehnisse, wie etwa die brutale Ermordung und Deportation von Juden und Minderheiten, verhindern. Der Schwerpunkt dieser Betrachtung liegt auf pädagogischen und ideologischen Überlegungen. Zur zeitlich-historischen Analyse muss weitere Literatur herangezogen werden.
Anschließend an Hitlers Gedankengut und Massenpsychologie werden Ideen und Philosophie Alfred Rosenbergs erwähnt. Sein rassistisches Denken und die propagierte Rassentheorie inkludieren irrationale Momente dabei aufkommender biologischer Begründungsversuche und darwinistischer Elemente.
Eine durch Pädagogen der damaligen Zeit, wie etwa durch Alfred Baeumler, passierte „Nazifizierung“ und zweckdienliche Vereinnahmung Nietzsches wird erläutert. Nietzsches „Der Wille zur Macht“ rechtfertigte scheinbar den Antisemitismus, führte jedoch auch zu unterschiedlichen Auffassungen und Positionen innerhalb der nationalsozialistischen Ideologie.
Die Erziehung zum „Heroischen Realismus“ bildete sich um eine Gruppe von Vertretern wie unter anderem Alfred Baeumler, Werner Best und Ernst Jünger. Sichtweisen dieser und die Stellung des Krieges als „verherrlichter Zustand“ bedürfen einer kritischen Rückschau.
Trotz unterschiedlicher nationalsozialistischer Erziehungsvorstellungen und Betrachtungen lässt sich in den Gesetzmäßigkeiten dieser Ideologie eine irrationale Weltanschauung erkennen. Aktuelle Entwicklungen und Geschehnisse mögen nicht nur Assoziationen zu derartigen Begründungselementen der damaligen Zeit erlauben, sondern ebenso gegenwärtig irrationale Momente in der Erziehung deutlich und eine Auseinandersetzung notwendig machen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Der Begriff des Irrationalen und Irrationalismus
2.1 Irrationalismus und Mythen im Nationalsozialismus
3 Ideologisches und Pädagogisches Denken Hitlers
4 Indoktrinierung eines völkischen Rassestolzes
4.1 Alfred Rosenberg als Propagandist
5 Nietzsche als „Kultfigur“ und „Vorreiter“ des Nationalsozialismus
5.1 Vereinnahmung und „Nazifizierung“ des Philosophen
6 „Heroischer Realismus“ – Baeumler, Best und Jünger als Exponenten
7 Zusammenfassung und Ausblick
8 Literaturverzeichnis
9 Anhang
1. Einleitung
Keinesfalls rechtfertigt sich eine Abwertung des Nationalsozialismus als nur negativ, „schlecht“ oder „dunkel“, anstelle der Abstemplung bedarf es unbedingt Verständnis und einer Aufarbeitung, um ein „weiteres Auschwitz“ verhindern zu können. In dieser Arbeit erfolgt der Versuch, durch das Aufzeigen von Irrationalismus in nationalsozialistischen Erziehungsvorstellungen und Ideologie, Vorgänge, Hintergründe und Zusammenhänge dieser Zeit verständlich und nachvollziehbar zu machen.
Zuerst werden im Kapitel 2 die Begriffe irrational und Irrationalismus, auch in Unterscheidung zu Rationalismus, deklariert.
Im Weiteren erfolgt eine Beschreibung der Auffassung und Auswirkung von Irrationalismus im Kontext zum Nationalsozialismus. Eine zeitlich-historische Betrachtung passiert in Kürze und eine Separierung dieser Zeit muss als ausgeschlossen resümiert werden.
Im Kapitel 3 wird auf das pädagogische und ideologische Denken Adolf Hitlers eingegangen, wobei der Schwerpunkt auf dessen Massenpsychologie und Erziehungs-einstellungen liegt. Einige Stellen aus seinem Buch: „Mein Kampf“ werden in Zusammenhang zitiert, auf praktische Umsetzung nationalsozialistischer Erziehung wird verwiesen.
Das rassistische Denken und die im Nationalsozialismus propagierte Rassentheorie wird im Folgenden in Kapitel 4 aufgezeigt und das Irrationale dabei aufkommender biologi-scher Begründungsversuche und darwinistischer Elemente herausgestellt.
Im Unterschied zu Hitlers Denken werden dann Ideen und Philosophie Alfred Rosenberg als einem extremen Vertreter der Rassentheorie erwähnt, der wesentlich zur Ermordung und Deportation beitrug.
In Kapitel 5 wird der Frage nachgegangen wie es zu einem Bezug zwischen Nationalsozialismus und Friedrich Nietzsche kommen konnte und wie sich dessen Denken in den Irrationalismus des Nationalsozialismus fügte.
Eine durch Pädagogen der damaligen Zeit, wie etwa durch Alfred Baeumler, passierte „Nazifizierung“ und Vereinnahmung Nietzsches wird verdeutlicht und in diesem Kontext auf „Der Wille zur Macht“ von Nietzsche eingegangen. Durch dieses Werk rechtfertigte sich scheinbar der Antisemitismus und Rassewahn, brachte jedoch zugleich Schwierigkeiten mit sich und eine zwiespältige Position zeigt sich durch unterschiedliche Auffassungen von Nationalsozialisten sowie auch noch nach deren Zeit.
Abschließend wird in Kapitel 6 die Erziehung zum „Heroischen Realismus“ herausgestellt, welche sich um eine Gruppe von Vertretern wie u. a. Baeumler, Best und Jünger bildete. Sichtweisen dieser und die Stellung des Krieges als „verherrlichter Zustand“ werden aufgezeigt.
2. Der Begriff des Irrationalen und Irrationalismus
In Enzyklopädien muss häufig unter Rationalismus nachgeschlagen werden, um den Irrationalismus sodann als Gegensatz beschrieben zu finden. Rationalismus „bezeichnet im gängigen Gebrauch den Glauben an den gesunden Menschenverstand, den jeder hat, an die Vernunft, ihre logischen Prinzipien [...], wissenschaftlich [...] die epistemologi-sche Überlegenheit der Modelle von Rationalität, die, fortschreitend über alle anderen geistigen Aktivitäten, erarbeitet wurden [...], philosophisch [...] der Tradition nach die meta-physischen Systeme, die nacheinander und unter verschiedenen Formen der Vernunft den absoluten Wert eines ontologischen und gnoseologischen Prinzips zuerkannt haben (Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften 1990, S. 23f.)“.
In der Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie (1984, S. 297) definiert sich „Irrational / Irrationalismus [...] im Gegensatz zu >rational< bzw. >Rationalismus<“ als „Bezeichnung für Verhältnisse und Orientierungen, die ohne auf Rationalität gestützte Geltungsansprüche sind bzw. gegen derartige Geltungsansprüche vertreten werden“. Dabei lässt sich als Maßstab eine oppositionelle Bedeutung der Vernunft, auch des Verstandes, herausstellen. Der Vernunft werden im Irrationalismus Glaube, Natur oder Irrationales entgegengestellt (vgl. auch Hübner 1981, S. 11f.; Reich 1995, S. 16).
Irrationalismus kann jedoch nicht schlicht oppositionell zu Rationalismus verstanden werden. Schnädelbach stellt fest: „Weil der Irrationalismus ziemlich viel Rationalität voraussetzt, ist es so schwer, ihn genau zu identifizieren und gegen ein eindeutiges Gegenteil abzugrenzen. Nie wird sich darum ein Irrationalist seine eigene Rationalität absprechen lassen, und er tut auch recht daran; wer bloß irrational ist, kann auch kein Irrationalist sein (1981, S. 157)“. Eine Asymmetrie lässt sich dadurch herausstellen, da ein Vertreten des Rationalismus als methodisches Prinzip im Gegensatz zum Irrationalismus möglich ist und der Rationalismus, anders als der Irrationalismus, Grenzen aufweist (näher in: Schnädelbach 1981, S. 155f.).
Irrationalismus ist von Irrationalität zu unterscheiden: „Irrationalität ist ein Faktum, Irrationalismus hingegen eine theoretische Position, die sich auf dieses Faktum bezieht (1981, S. 156)“ und macht das Irrationale zum Prinzip (in: Schnädelbach 1981, S. 157f.). Obwohl Irrationales dasjenige definiert, welches sich, so Erdheim, „der wissenschaftlichen Erklärung entzieht (1981, S. 505)“, kann es nicht gleichgesetzt werden mit Unbekanntem. Zudem kann eine wissenschaftliche Bezeichnung eines Phänomens erst erfolgen, wenn es auch von nicht-wissenschaftlichen Kategorien erfasst wird. Versteht man Irrationales als im Spannungsfeld Stehendes und erst in die Wissenschaft Hereinzuholendes, verliert es danach jedoch die Qualität des Irrationalen (vgl. dazu Erdheim 1981, S. 505f.). Erdheim bringt dies auf folgenden Nenner: „Das Irrationale taucht dort auf, wo die wissenschaftliche Erklärung aufgrund anderer Bewältigungsversuche der Realität in Frage gestellt wird (1981, S. 505)“.
Irrationalismus kann keinesfalls als selbstständige, einheitliche philosophische Strömung verstanden werden, sondern ist vielmehr Moment und Bestandteil der verschiedensten philosophischen, und im Weiteren politischen, Strömungen und Systeme (vgl. Schnädelbach 1981, S. 158). Mit wissenschaftlichen Mitteln vollzogene Erkenntnis durch den Menschen wird durch den Irrationalismus für unmöglich erklärt und dem wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungsgedanken wird entgegnet. Die Realität, oder bestimmte ihrer Bereiche, etwa psychische oder geschichtliche Prozesse, wird ihrem Wesen nach als nicht von Gesetzen und Gesetzmäßigkeiten beherrscht verstanden. Wissenschaftliches Denken wird zugunsten höherer Erkenntnisfunktionen, auch zugunsten der Intuition, abgebaut und Vorstellungen orientieren sich an außerrationalen Formen menschlicher Erkenntnis zur individuellen Gewissheit des Seins (vgl. u.a. Schnädelbach 1981, S. 155f.).
Irrationalismus ist nach Schnädelbach demnach als Weltanschauung zu verstehen: „Weltanschauungen sind universelle, sich immer selbst bestätigende Weltdeutungs-schemata, die ihren Inhabern zu einem Lebenssinn verhelfen, nach dem sie zu leben bereit sind. In diesem Sinne ist der Irrationalismus eine Weltanschauung. (Daneben existiert auch ein bloß theoretischer Irrationalismus, der sich als bloßes Kontrast-programm mit dem praktischen Rationalismus ganz gut verträgt.) (1981, S. 161)“.
2.1 Irrationalismus und Mythen im Nationalsozialismus
Irrationalismus ist nicht nur unmöglich als einheitliche philosophische Strömung auszu-machen, auch in politischen Theorien und Programmen, sowie darin propagierten Erzie-hungsvorstellungen, weist er differente Erscheinungsformen auf. Die Bezeichnung dient, neben der Beschreibung als dem Verstand nicht zugänglicher Verhältnisse, auch zur Charakterisierung „[ ... ] von Orientierungen, die geltende Rationalitätsstandards nicht ent-sprechen und z.B. durch einen Primat des Gefühls oder anderer Formen der Innerlich-keit bestimmt sind (Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie 1984, S. 297)“. Als Weltanschauung tritt Irrationalismus gerade in gesellschaftlichen Krisenzeiten als Versuch zur Ordnung und Bewältigung der Krise, sozialer und politischer Art, auf. Theoretisch passiert dies in der Gegenüberstellung zu philosophisch aufgeklärtem oder rationalistischem Denken (vgl. hierzu etwa: Starkl 2000, S. 81f.; 31.01.06, http://lexi.donx.de/?action=details&show=Irrationalismus).
Deutschland befand sich um die Jahrhundertwende in einer ökonomischen und sozialen Umbruchsituation, die Industrialisierung der Wirtschaft stellte die Menschen vor ihnen un-bekannte Lebenssituationen. Adolf Hitler entdeckte „Verfallserscheinungen einer lang-sam abfaulenden Zeit (Starkl 2000, S. 85)”, etwa in seinem Hass gegenüber dem Bol-schewismus, der Weimarer Regierung und dem Versailler Diktat sowie dem Abschrecken und Ekel vor der amerikanischen Technik und den schädlichen Auswirkungen der Industrialisierung. Diese Tatsachen legten wohl einen Grundstein für Irrationalismus und bedingten eine führerzentrierte Massenbegeisterung zur aufkommenden Zeit des Nationalsozialismus (vgl. etwa Starkl 2000, S. 81f).
Berman (vgl. hierzu näher 1983) versucht in „Wiederverzauberung der Welt“, worin eine Beschreibung des Zeitverlaufes passiert, der u. a. anschaulich die Veränderung des Denkens und des Erlebens durch diesen Wandel darstellt, zeitliche Entwicklungen, vom 16. Jahrhundert ausgehend, als Einheit zu begreifen und resümiert eine immerwährend mögliche Wiederholung des geschichtlichen Phänomen der Herausbildung einer führerzentrierten Massenbegeisterung. „Deutschland nach dem 1. Weltkrieg [...] war eine Gesellschaft, in der Mythos und Symbol, Sexualität und Okkultismus, das „Natürliche“ und das Irrationale vorsätzlich kultiviert wurden als Gegengewicht zu einer künstlerischen, überintellektualisierten, bürokratisierten Lebensweise. [ ... ] Die psychische Energie, die dort frei gesetzt wurde, war enorm und wurde von den Nazis auf brillante Weise besetzt (Berman 1983, S. 256f.)“.
„Wiederverzauberung der Welt“ wurde von Morris Berman (vgl. 1983) als simpler Angriff an die moderne Wissenschaft, keinesfalls zur „Abschaffung“ dieser, in bewusster Umkehrung zu Webers „Entzauberung der Welt“ so bezeichnet. Nach Weber kommt es durch die zunehmende Intellektualisierung und Rationalisierung (vgl. 1992, S. 17) zur „Entzauberung der Welt“, was grundsätzlich bedeutet, bei Bedarf jederzeit alles durch Berechnen beherrschen und somit alles erfahren zu können. Technische Mittel und Berechungen ersetzen das Greifen zu magischen Mitteln und begingen eine Entmystifizierung und Entnaturalisierung der Welt. Das Problem stellt sich für Weber also als ständiges Wachsen der Komplexität der Lebenssituationen bei gleichzeitigem Verlust spiritueller Erklärungsmuster. Durch den dadurch bedingten Wegfall von Werten kommt es jedoch auch zum Wegfall des „Sinn der Welt“, Weber hat dies herausgestellt und ähnliche Konsequenzen wie auch Nietzsche bei seinem „Übermenschen“ gezogen (vgl. hierzu näher Piecha 2002, S. 170f.). Diese „Suche nach Sinn“ beinhaltet im historischen Kontext fortwährend Vorläufiges, sowie Irrationales und bringt stets Enttäuschungen mit sich. Im Nationalsozialismus bediente man sich der Formel der „Rasse“ zum Ende dieser Suche (näher in: Kapitel 4; Nolte 1971, S. 515f. & 535f.; Piecha 2002, 163f.).
Der Faschismus, hier auch im Nationalsozialismus, ist nach Nolte „Widerstand gegen die praktische Transzendenz und Kampf gegen die theoretische Transzendenz in einem. Aber dieser Kampf ist doch zugleich notwendig verhüllt, da die ursprünglichen Antriebe niemals ganz entbehrlich werden (1971, S. 544)“.
Der Widerstand gegen die praktische Transzendenz im Nationalsozialismus wird von Piecha (vgl. 2002, S. 173) gleichbedeutend mit „Widerstand gegen die Moderne“ beschrieben und bedeutet demnach ein Aufbegehren gegen praktische Folgen. Weber hält in diesem Kontext fest: „Die wissenschaftliche Arbeit ist eingespannt in den Ablauf des Fortschrittes [...] dem heute üblicherweise in so außerordentlich negativer Art Stellung genommen wird (1992, S. 15f.)“.
Genauso wie von einer separaten Zurückführung der Zeit des Nationalsozialismus auf Adolf Hitler nicht ausgegangen werden kann (vgl. hierzu u. a. Auerbach 1993, S. 13f.; Nolte 1971, S. 485f.), ist Irrationalismus nicht an diese Epoche gebunden zu verstehen, Irrationalismus besteht im Nachhinein weiter und war bereits davor existent (vgl. dazu auch Piecha 2002, S. 39f.; Schonig 1973, S. 11f.; Berman 1983). In Lukàcs` „Zerstörung der Vernunft“ werden Parallelen der Zeit vor dem Aufschwung des Nationalsozialismus mit der Zeit Wilhelm II herausgestellt (vgl. 1966, S. 14f.), er macht Weltanschauungs-zusammenhänge zugänglich, die nach ihm „im Deutschland des 19. Jahrhunderts den philosophischen Irrationalismus als objektive Vorbereitung der Hitlerzeit aufzeigen (1966, S. 7f.)“.
Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft, so Schonig (vgl. 1973, S. 11f.), wurde die Möglichkeit einer Reform in Deutschland nicht entsprechend wahrgenommen, u. a. durch eine kollektive Verdrängung der Erfahrungen und Geschehnisse. Anstelle der nötigen Bewusstwerdung und Reflexion kam es zu einer erneuten explosiven industriellen Entwicklung und Verdeckung der Wunden durch Erfolge von Werktätigkeit. Auch in der pädagogischen Theorie und Praxis vollzog sich dieser Restaurationsprozess, der ent-scheidenden Frage wurde jedoch nicht ausreichend nachgegangen: wie „Auschwitz“ und eine Erziehung danach passieren konnte (vgl. etwa Schonig 1973, S. 12; Adorno 1995) und anstelle der Verarbeitung kam es wohl zur widerstandslosen Verdammung des bis zum Zusammenbruch einhaltlos „Geliebten“. Die Verhinderung einer weiteren Massenverfolgung und unmenschlichen Massenvernichtung kann allerdings nur durch Verständnis und Aufarbeitung dieser Zeit erfolgen (näher in: Piecha 2002, S. 288f.). Mit einer isoliert betrachteten Zurückführung auf den Irrationalismus und der Verleugnung des Rationalen darf eine Erklärung der Zeit allerdings auch nicht abgetan sein (vgl. hierzu Piecha 2002, S. 41f.).
Obwohl Hitlers Judenhass und Größenwahn aktuell und stets brisant scheinen, werden seinen Hintergründen und Motiven von Weltanschauungsphantasien immer noch wenig Aufmerksamkeit zugeteilt (vgl. Sünner 2001, S. 54). Sünner hält fest: Hitler „hielt [...] sich in der Öffentlichkeit mit esoterischen und mythologischen Spekulationen zurück, was aber eher etwas über sein taktisches Geschick als über die eigentlichen Hintergründe seiner taktischen Weltanschauung aussagt, die alles andere als rational waren (2001, S. 54)“.
Gerade für zwei zentrale ideologische Ziele wurden im Nationalsozialismus Mythen und auch Symbole und Rituale instrumentalisiert, erstens sollten suggestive Feindbilder geschürt und als Gefahr für die eigene Kultur empfunden werden und zweitens galt es die eigene auserwählte Stellung emotional zu vertiefen (vgl. Sünner 2001, S. 110f.).
3. Ideologisches und Pädagogisches Denken Hitlers
Zum Aufschwung und zur Machterreichung des Nationalsozialismus galt es als essen-tielles Ziel die Masse durch bewusste Beeinflussung und Erziehung zu begeistern, diese galt es für die nationalsozialistische Weltanschauung gefügig zu machen (vgl. dazu Reich 1979, S. 59f.). Adolf Hitler erkannte dies durch Propaganda und Erziehung zu verwirklichen und schrieb Grundlagen und Umsetzung seines Welterklärungsmodells und seiner Weltauffassung in „Mein Kampf“ während seiner Zeit in der bayrischen Festung Landsberg nieder. In Anbetracht der Tatsache, dass das Buch nicht die nötige Anzahl an Anhängern finden würde, waren Hitler öffentliche Reden von viel größerer Bedeutung, in der Tätigkeit des Redners zeigte er auch mehr Kompetenz als in jener des Schriftstellers (vgl. Nolte 1971, S. 445; Hitler 1935, S. 518f.). „Denn die Rede eines Staatsmannes zu seinem Volk habe ich [...] zu messen [...] an der Wirkung, die sie auf das Volk ausübt (Hitler 1935, S. 534)“.
In Abgrenzung zum Marxismus entwickelte Hitler, blieb aber auf dessen Basis der Massenorganisation auch durch Bewunderung derer aus ihrem weltanschaulichen Fun-dament gewonnener Dynamik politischer Wirkung, eine eigene Propagandatechnik und appellierte an nationalistische Gefühle der Masse, in der er den Hauptadressaten aller Agitation und den präsumtiven Verbündeten seiner Politik sah (vgl. Reich 1979, S. 61f.; Nolte 1971, S. 449). Das Ansprechen der Masse durch ein Operieren mit deren Gefühlen und bewusstes Vermeiden vernunftgeleiteter Argumente sowie das Ausnutzen von Vorgängen in den Massen (vgl. Reich 1971, S. 59f.) zeigt sich an verschiedenen Stellen seines Buches, etwa im Kapitel „Kriegspropaganda“ (Hitler 1935, S. 193f.): „Die Aufnahmefähigkeit der großen Masse ist nur sehr beschränkt [...]. Aus diesen Tatsachen heraus hat sich jede wirkungsvolle Propaganda auf nur sehr wenige Punkte zu beschränken [...] (1935, S. 198)“ und Propaganda wurde infolge „[...] auf einige Gesichtspunkte gestützt, ausschließlich berechnet für die Masse, mit unermüdlicher Beharrlichkeit betrieben (1935, S. 203)“.
Durch Appellieren an das Unbewusste der Massengesellschaft konnte Macht erreicht werden, selbst wenn Erfolge nicht einsehbar oder bekannt waren. Nach Berman kam es zu einer Wiederbelebung einer „beweglichen, wurzellosen, hochtechnisierten, sexuell verdrängenden Massengesellschaft (1983, S. 256)“. Reich zeigt in „Massenpsychologie des Faschismus“, dass Formen organisierten Mystizismus auf „unbefriedigte orgastische Sehnsucht der Massen“ bauen (näher: 1979, S. 22f.). Wodurch, ohne auf eine nähere Begriffsdefinition von Faschismus und Nationalsozialismus an dieser Stelle einzugehen (vgl. dazu Reich 1979; Schieder 1983, Nolte 1971; S. 343f.), auch gegenwärtig dem Phänomen der Massenpsychologie und der irrationalen Struktur von „Massenmenschen“ Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Reich stellt fest: „Der Faschismus ist in seiner reinen Form die Summe aller irrationalen Reaktionen des durchschnittlichen menschlichen Charakters. (1979, S. 16) [ ... ] und keine Tat eines Hitler oder Mussolini (1979, S. 23)“. Reich hält auch fest: „Daß diese Massenorganisation gelang, lag an den Massen und nicht an Hitler (1979, S. 64)“. Eine freiheitsängstliche und autoritäre Struktur der Massen, welche im Nationalsozialismus und gerade von Hitlers durch Erziehungsvorstellungen und das Abschreiben schöpferischen Handeln und Denken der Masse angestrebt wurde, trug wohl zum Gelingen der Umsetzung bei. Es kam im Nationalsozialismus zum „Blut-und-Boden-Mythos“, durch den der Bauernstand verherrlicht wurde, vor allem deswegen, weil dieser auf Grund seiner Größe die Massenbasis der Macht darstellte und zudem grundsätzlich eine Industrialisierung und Verstädterung ablehnte (vgl. dazu Reich 1971, S. 64f.).
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- Quote paper
- Eva Wittmann (Author), 2006, Irrationalismus in nationalsozialistischen Erziehungsvorstellungen und Ideologie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/52523
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