Betrachtet man heute junge Menschen in Bezug auf ihr Moralverständnis, gilt der kalkulierte Regelverstoß unter vielen als akzeptabel und angemessen. Darf man sich beispielsweise ein fremdes Fahrrad aneignen, das seit Jahren im Keller verstaubt? Die junge Generation hat sich ein völlig neues Wertesystem aufgebaut. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie „Sozio-historischer Wandel in der Struktur moralischer Motivation“. Gertrud Nunner-Winkler hat die moderne Moralvorstellung junger Erwachsener untersucht und festgestellt, dass die junge Generation überwiegend den Prinzipien Gleichheit, Unparteilichkeit, Schadensvermeidung und Achtung der Menschenwürde folgt. Dagegen werden religiöse Argumente oder überlieferte Traditionen mehrheitlich abgelehnt. „Bei schwierigen Entscheidungen treten junge Menschen in einen inneren Dialog. Sie wägen ab: moralisch sein oder den Profit genießen“, so die Expertin. Nunner-Winkler bewertet diese Entwicklung nicht als unmoralischer. Im Gegenteil, das moderne Moralverständnis erfordere sogar ein höheres Urteilsvermögen.1Wie kommt es zu einem solchen Wandel? Zu Beginn der 70er Jahre fing eine Gruppe von Lehrern um Lawrence Kohlberg an, in Unterrichtsversuchen intensive Dilemmadiskussionen einzubringen. Diese Versuche standen unter dem Konzept „Entwicklung als Ziel der Erziehung“, welches Kohlberg prägte. Man wollte eine höhere Stufe des moralischen Urteils stimulieren, was jedoch bald als zu eng empfunden wurde. Da dieser Prozess meist anhand hypothetischer Dilemmata ablief, sah man diesen Ansatz als zu kognitiv an. Eine Forderung nach moralischer Entwicklung anhand echter Konflikte wurde immer lauter. Als erzieherisches Problem wurde zudem der mangelnde Handlungsbezug empfunden. Die rein kognitive Anregung ist für Kohlberg zwar ein notwendiger Hintergrund der Moralentwicklung, bringt diese jedoch nicht unmittelbar hervor. Von größerer Bedeutung sind die Rollenübernahme-Gelegenheiten genannten Faktoren der generellen sozialen Erfahrung und Anregung. Bei der sozialen Erfahrung wird die Handlung anderer nachvollzogen, ihre Gedanken und Gefühle vergegenwärtigt und sich in ihre Lage versetzt. Wenn die emotionale Seite der Rollenübernahme hervorgehoben wird, nennt man sie auch Empathie. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der Ansatz Lawrence Kohlbergs
- Die Begünstigung der moralischen Entwicklung
- Der Übergang zur Errichtung einer Gerechten Gemeinschaft in Schulen
- Theorie vs. Praxis einer Schule der Gerechten Gemeinschaft
- Das Hauptprinzip der Gerechten Schulgemeinschaft
- Die Struktur einer Gerechten Schulgemeinschaft
- Gerechte Schulgemeinschaft und Demokratie
- Kritische Bemerkungen
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit dem „Just Community“-Ansatz von Lawrence Kohlberg und dessen Implikationen für die pädagogische Praxis. Ziel ist es, Kohlbergs Theorie der moralischen Entwicklung darzustellen und die Übertragung auf die Schulpraxis im Konzept der „Gerechten Schulgemeinschaft“ zu analysieren. Die Arbeit untersucht, inwiefern Kohlbergs Ansatz zu einer demokratischen Schulgemeinschaft beitragen kann und kritisch hinterfragt das Modell der „Just Community“.
- Moralische Entwicklung und die Bedeutung von Rollenübernahme
- Das Konzept der „Gerechten Schulgemeinschaft“ als pädagogisches Modell
- Die Struktur und Funktionsweise einer „Gerechten Schulgemeinschaft“
- Die Beziehung zwischen „Gerechter Schulgemeinschaft“ und Demokratie
- Kritik am „Just Community“-Modell
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Moralentwicklung und der aktuellen Moralvorstellungen junger Menschen ein. Anschließend wird der Ansatz von Lawrence Kohlberg vorgestellt, wobei seine Theorie der moralischen Entwicklung und die Entstehung des „Just Community“-Konzepts beleuchtet werden. Im dritten Kapitel wird die Theorie mit der Praxis in Beziehung gesetzt, indem am Beispiel der Johannes-Gutenberg-Realschule in Langenfeld die Struktur und Funktionsweise einer „Gerechten Schulgemeinschaft“ analysiert werden. Abschließend wird die Verbindung zwischen „Gerechter Schulgemeinschaft“ und Demokratie beleuchtet und das Modell kritisch diskutiert.
Schlüsselwörter
Die zentralen Schlüsselwörter dieser Arbeit sind „moralische Entwicklung“, „Just Community“, „Gerechte Schulgemeinschaft“, „Demokratie“, „Rollenübernahme“, „Dilemmadiskussion“, „pädagogische Praxis“ und „hidden curriculum“. Die Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie moralische Entwicklung gefördert werden kann, und untersucht das Konzept der „Just Community“ als Instrument der moralischen Erziehung. Die zentralen Themen sind die Struktur und Funktion einer „Gerechten Schulgemeinschaft“, deren Verhältnis zur Demokratie und die kritische Auseinandersetzung mit dem „Just Community“-Modell.
- Arbeit zitieren
- Wiebke Vieljans (Autor:in), 2005, Der "Just Community" Ansatz Lawrence Kohlbergs und seine Implikationen für die pädagogische Praxis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53024