Verhaltensauffälligkeiten dürfen nicht als objektive Gegebenheiten betrachtet, sondern müssen in Abhängigkeit von der Wahrnehmung und Bewertung des Verhaltens durch den jeweiligen Erzieher gesehen werden. Verhaltensauffälligkeiten generieren sich als ein Phänomen, in dem subjektive Momente mit dem wahrgenommenen konkreten Verhalten verschmelzen, um einem dialektischen Moment, eine neue Begriffsqualität zu bilden. Der Fokus wird also in erster Linie auf die Wahrnehmung von Verhaltensauffälligkeiten gerichtet, die sich schließlich durch ihre Subjektivität charakterisieren lässt. In Anlehnung an Havers (1978, S. 24) werden deshalb Verhaltensstörungen als Regelübertretungen fokussiert, „die vom Handelnden selbst oder von jemandem, der sich ihm gegenüber in einer Machtposition befindet, als störend und unangemessen beurteilt wird.“ Entscheidend für die vorliegende Diskussion ist, Verhaltensstörungen als Abweichung von einer „Norm“ zu betrachtet, die Störungen als das Ergebnis eines Etikettierungsprozesses thematisiert.
Die Schule, die eine wichtige Sozialisationsinstanz im Leben eines Kindes darstellt, ist unter dem Aspekt „abweichendes Verhalten“ vor allem der Ort, an dem, der Schüler einer ständigen Bewertung durch Mitschüler und Lehrer unterliegt. Somit werden in der Schule neben den Persönlichkeitsmerkmalen des Schülers, die Normen und die Erwartungshaltungen von Lehrern, sowie Mitschülern bedeutsam. Alle diese verschiedenen Faktoren wirken über einen permanenten Beurteilungsprozess bei der Definition des Verhaltens jedes einzelnen Schülers mit.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die ökologische Perspektive
- Entwicklung im systemisch-ökologischen Kontext
- Das systemtheoretische Konzept
- Das Mehrebenen-Modell von Bronfenbrenner
- Das Mikrosystem
- Das Mesosystem
- Das Exosystem
- Das Makrosystem
- Der ökosystemische Ansatz als theoretische Standortbestimmung
- Theoretische Grundlegung des Symbolischen Interaktionismus
- Theorien zur Interaktion
- Der „labeling approach“ als mögliche Perspektivenerweiterung
- Der prozesshafte Charakter abweichenden Verhaltens
- Determinanten der Etikettierung
- Vermittlung der Lehrererwartungseffekte
- Der „labeling approach“ als mögliche Perspektivenerweiterung
- Intervention
- Das Beispiel der kooperativen Beratung
- Schlussbemerkung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht das Konzept der „Verhaltensstörung“ aus einer ökosystemischen Perspektive und betrachtet auffälliges Verhalten nicht als objektive Gegebenheit, sondern als ein Produkt der Wahrnehmung und Bewertung durch den jeweiligen Erzieher. Der Fokus liegt auf der subjektiven Wahrnehmung von Verhaltensauffälligkeiten und deren Konstruktionen durch soziale Interaktionen.
- Die ökosystemische Perspektive auf „Verhaltensstörungen“
- Der Einfluss von sozialen Interaktionen und Etikettierungsprozessen
- Die Rolle der Umwelt und des Kontextes in der Entstehung von Verhaltensauffälligkeiten
- Die Bedeutung des Symbolischen Interaktionismus für die Analyse von Lehrer-Schüler-Interaktionen
- Das ökologische Modell von Bronfenbrenner als Rahmen für die Analyse verschiedener Umweltebenen
Zusammenfassung der Kapitel
- Die Einleitung präsentiert die zentrale These der Arbeit: Verhaltensauffälligkeiten werden als Regelübertretungen betrachtet, die von einer Machtposition aus als störend und unangemessen beurteilt werden. Diese Definition unterscheidet sich von denjenigen, die Verhaltensstörungen als psychische Erkrankungen verstehen.
- Das Kapitel „Entwicklung im systemisch-ökologischen Kontext“ stellt das systemtheoretische Konzept von Bronfenbrenner vor und erläutert dessen Mehrebenen-Modell, das verschiedene Umweltebenen (Mikrosystem, Mesosystem, Exosystem, Makrosystem) umfasst.
- Das Kapitel „Der ökosystemische Ansatz als theoretische Standortbestimmung“ beleuchtet die theoretische Grundlegung des Symbolischen Interaktionismus, welcher die Bedeutung sozialer Interaktionen und der Konstruktion der Realität durch gemeinsames Handeln betont.
- Das Kapitel „Theorien zur Interaktion“ behandelt den „labeling approach“ und dessen zentrale Annahme, dass abweichendes Verhalten durch den Prozess der Etikettierung entsteht. Die Determinanten der Etikettierung und die Vermittlung von Lehrererwartungseffekten werden näher betrachtet.
Schlüsselwörter
Ökosystemischer Ansatz, Verhaltensstörung, Etikettierung, Symbolischer Interaktionismus, Lehrer-Schüler-Interaktion, Bronfenbrenner, ökologisches Modell, Umwelt, sozialer Kontext, subjektive Wahrnehmung.
- Quote paper
- Magister Artium Rene Limberger (Author), 2004, Versuch einer ökosystemischen Reflexion der Etikettierung "Verhaltensstörung", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53115