Die Finanzierbarkeitsproblematik der Krankenkassenleistungen ist ein allgegenwärtiges Thema. Die rasant steigenden Gesundheitskosten führen zu jährlich wachsenden Prämien, welche nicht selten einen so hohen Anteil an den Lebenshaltungskosten einnehmen, dass der Staat mit Subventionen unterstützend eingreiffen muss. Der Markt versagt und ein Ende dieser Tendenzen ist nicht absehbar. Die vorliegende Arbeit geht die Problematik der Finanzierbarkeit mittels eines bisher wenig genutzten Ansatzes an. Mit Hilfe des Sensitivitätsmodells von Professor Frederic Vester, werden die Krankenkassen in das System des Gesundheitswesens eingegliedert und die unterschiedlichsten Einflussfaktoren in einem fundierten Netzwerk verknüpft und einander gegenübergestellt. So entstehen Erklärungs- und Lösungsansätze, welche die Interessen der einzelnen Anspruchsgruppen sowie die Rückkoppelungen und Wechselwirkungen der Variablen untereinander berücksichtigen. Diese interdisziplinäre Betrachtungsweise hilft uns die Problematik vollumfänglicher zu erfassen und kritische Variabeln zielgerechter zu identifizieren als dies mit gängigen Ursache-Wirkungsmodellen der Fall ist. Starke Einfluss- sowie Lenkungsmöglichkeiten wurden für die Variablen „Politik“, „Technischer Fortschritt“, „Pharmabranche“, sowie „Medizinaltechnik“ eruiert. All diese Faktoren sind aber in einem Regelkreis, welcher die Finanzierbarkeit der Krankenkassenleistungen skizziert, einer Verhaltensänderung der Konsumenten sowie der Ärzte und Spitäler vorgelagert. Ein Umdenken innerhalb und zwischen den beteiligten Parteien ist daher von zentraler Bedeutung, um die sich zuspitzende Finanzierungsproblematik der Gesundheitskosten zu stoppen. Diese Verhaltensänderung kann aber, wie im weiteren Verlauf der Arbeit aufgezeigt, gezielt gefördert werden; Wenn Sparanreize für Ärzte und Spitäler wie auch für die Konsumentinnen und Konsumenten mittels umfassenden und adäquaten Programmen impliziert werden, können durchaus weitreichende Verbesserungen, über einen Rückgang der beanspruchten Leistungen oder deren Kosten, erreicht werden.
Inhaltsverzeichnis
Executive Summary
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung
1.3 Vorgehen
2. Krankenkassen im Wirkungsgefüge
2.1 Krankenkasse - Patient
2.2 Krankenkassen - Leistungserbringer
2.3 Leistungserbringer - Patient
2.4 Fazit
3. Allgemeine Aspekte der Systemtheorie
3.1 Entscheidungsproblematik
3.2 Denk- und Biokybernetische Modelle
3.3 Sensitivitätsmodell als Leitfaden
4. Anwendung Systemtheorie
4.1 Systembeschreibung und relevante Einflussgrössen
4.2 Das Sensitivitätsmodell
4.3 Die Einflussmatrix
4.4 Systemanalyse und Implikationen
4.4.1 Wirksame Schalthebel
4.4.2 Schwache Schalthebel
4.4.3 Beschleuniger/Katalysatoren
4.4.4 Unnütze und neutrale Eingriffe
5. Schlussfolgerungen und Ausblick
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Grundsätzliche Austauschbeziehungen im Gesundheitswesen
Abbildung 2: Gesundheitskosten der Schweiz, Redaktionsteam Interpharma 2005
Abbildung 3: Klassischer Regelkreis, in Anlehnung an Vester 2002
Abbildung 4: Systembeschreibung in Anlehung an Vester 2002
Abbildung 5: Rollenverteilung in Anlehnung an Vester 2002
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Einflussmatrix in Anlehnung an Vester 2002
Tabelle 2: Systemkennzahlen in Anlehnung an Vester 2002
Executive Summary
Die Finanzierbarkeitsproblematik der Krankenkassenleistungen ist ein allgegenwärtiges Thema. Die rasant steigenden Gesundheitskosten führen zu jährlich wachsenden Prämien, welche nicht selten einen so hohen Anteil an den Lebenshaltungskosten einnehmen, dass der Staat mit Subventionen unterstützend eingreiffen muss. Der Markt versagt und ein Ende dieser Tendenzen ist nicht absehbar.
Die vorliegende Arbeit geht die Problematik der Finanzierbarkeit mittels eines bisher wenig genutzten Ansatzes an. Mit Hilfe des Sensitivitätsmodells von Professor Frederic Vester1, werden die Krankenkassen in das System des Gesundheitswesens eingegliedert und die unterschiedlichsten Einflussfaktoren in einem fundierten Netzwerk verknüpft und einander gegenübergestellt. So entstehen Erklärungs- und Lösungsansätze, welche die Interessen der einzelnen Anspruchsgruppen sowie die Rückkoppelungen und Wechselwirkungen der Variablen untereinander berücksichtigen. Diese interdisziplinäre Betrachtungsweise hilft uns die Problematik vollumfänglicher zu erfassen und kritische Variabeln zielgerechter zu identifizieren als dies mit gängigen Ursache- Wirkungsmodellen der Fall ist.
Starke Einfluss- sowie Lenkungsmöglichkeiten wurden für die Variablen „Politik“, „Technischer Fortschritt“, „Pharmabranche“, sowie „Medizinaltechnik“ eruiert. All diese Faktoren sind aber in einem Regelkreis, welcher die Finanzierbarkeit der Krankenkassenleistungen skizziert, einer Verhaltensänderung der Konsumenten sowie der Ärzte und Spitäler vorgelagert. Ein Umdenken innerhalb und zwischen den beteiligten Parteien ist daher von zentraler Bedeutung, um die sich zuspitzende Finanzierungsproblematik der Gesundheitskosten zu stoppen. Diese Verhaltensänderung kann aber, wie im weiteren Verlauf der Arbeit aufgezeigt, gezielt gefördert werden; Wenn Sparanreize für Ärzte und Spitäler wie auch für die Konsumentinnen und Konsumenten mittels umfassenden und adäquaten Programmen impliziert werden, können durchaus weitreichende Verbesserungen, über einen Rückgang der beanspruchten Leistungen oder deren Kosten, erreicht werden.
Die vorliegende Arbeit soll die Finanzierbarkeitsproblematik der Krankenkassen unter Einbezug des gesamten schweizerischen Gesundheitssystems analysieren und wirksame Schalthebel aufzeigen. Kostentreibende Faktoren sowie falsche Leistungs- und Konsumanreize werden hervorgehoben sowie Implikationsmassnahmen als Resultat einer umfassenden Systemanalyse dargestellt und kritisch diskutiert.
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
Die Kosten des schweizerische Gesundheitswesen, zu dessen Hauptakteuren rund 7 Millionen Versicherte, 600 Spitäler, 15'000 Ärzte und 100 Krankenkassen gehören, wachsen Jahr für Jahr2. Für die Versicherten bedeutet dies jährlich steigende Krankenkassenprämien, welche für einen immer grösser werdenden Anteil der Versicherten zu einem finanziellen Problem werden. Bereits heute erhalten über einen Drittel der Versicherten die eigentlich für Härtefälle gedachte staatliche Prämienverbilligung. Und laut Berechnungen des Think-Tanks Avenir Suisse wird in zehn Jahren die Mehrheit der Bevölkerung staatliche Unterstützung brauchen, wenn die Kosten weiter steigen wie bisher3. Das Ziel, den Kostenanstieg zu stoppen, bzw. gar zu senken ist klar, dessen Erreichung jedoch durch viele Zielkonflikte erschwert. Niemand ist bereit auf das Gut Gesundheit auch nur geringfügig zu verzichten, nach dem Motto: „Gesundheit ist das höchste Gut und um die Gesundheit zu erhalten, ist nichts zu teuer.“ Auf eine Stabilisierung zu hoffen, die man sich bereits 1996 von der Einführung des Krankenversicherungsgesetztes versprach, ist illusorisch. Wir müssen das System unseres Gesundheitswesens in seiner Gesamtheit betrachten und verstehen, damit gezielt an den richtigen Hebeln angesetzt werden kann, um ein Aufschaukeln bis zum Kollaps zu verhindern und das System zu stabilisieren.
1.2 Zielsetzung
Das schweizerische Gesundheitswesen soll aus systemtheoretischer Sicht be- und durchleuchtet werden, die relevanten Variablen identifiziert, Zusammenhänge erkannt und Lenkungs- bzw. Eingriffsmöglichkeiten aufgezeigt werden.
1.3 Vorgehen
In einer Einleitung mit den Unterkapiteln Problemstellung, Zielsetzung und Vorgehen, wird die Fragestellung und deren Relevanz erörtert. Im Kapitel zwei sollen die Funktion der Krankenkassen erläutert werden. Im nächsten Kapitel werden die theoretischen Grundlagen der Systemtheorie dargelegt. Im Kapitel vier soll die Systemtheorie auf das Gesundheitssystem übertragen werden und im Speziellen auf die Fragen der Finanzierbarkeit der Leistungen und der Interessen der Stakeholders eingegangen werden. Welches sind die Variablen, mit denen wir die Kostenentwicklung stabilisieren können und welche bringen das System noch weiter zum Aufschaukeln. In der abschliessenden Diskussion werden die Ergebnisse zusammengefasst und kritisch gewürdigt.
2. Krankenkassen im Wirkungsgefüge
Im Gesundheitswesen gibt keine eigentliche Käufer- Verkäuferbeziehung, sondern eine Dreiecksbeziehung mit den Parteien Patient, Leistungserbringer und Kostenträgern. In diesem Kapitel soll erläutert werden wie sich die ungewöhnliche Parteienkonstellation auf das Gesundheitssystem auswirkt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Grundsätzliche Austauschbeziehungen im Gesundheitswesen4
2.1 Krankenkasse - Patient
Jeder in der Schweiz lebende Mensch hat sich obligatorisch bei einer der fast hundert Krankenkassen gegen Krankheit zu versichern. Im Gegenzug hat er Anspruch auf die Leistungen aus dem Grundkatalog. Darüber hinaus kann sich Jede/r zusätzlich versichern. Den Versicherungsbeitrag, die Prämie, entrichtet jeder Einwohner pro Kopf. Sie unterscheidet sich nur nach der Region, nicht nach der Person, ihrem Einkommen, ihrem Alter oder Geschlecht. Durch die Wahl der Franchise, bis zu CHF 2500, kann der Versicherte die monatliche Prämie stark senken, muss jedoch die bis zur Höhe der Franchise anfallenden Kosten selbst tragen. Von Gesetzes wegen darf kein Kunde abgewiesen werden.
2.2 Krankenkassen - Leistungserbringer
Die Beziehung zwischen den Krankenkassen und den Ärzten und Spitälern, die sogenannten Leistungserbringer, wird auch vom Staat beeinflusst. Die Kassen stehen unter Vertragspflicht, das heisst sie müssen mit jedem Arzt und mit jedem vom Kanton bewilligten Spital abrechnen. Die Aufhebung des Vertragszwangs, welche vom Parlament schon zweimal abgelehnt wurde, würde den Wettbewerb zwischen den Ärzten und Spitälern anheizen, zu teure Leistungserbringer könnten von den Kassen ausgemustert werden5. Aber selbst die Befreiung vom Vertragszwang würde noch nicht automatisch Wettbewerb garantieren, da der Grundleistungskatalog politisch vorgegeben ist6. Die heutige Situation hat lediglich den Vorteil, dass keine Kasse Transaktionskosten für die Suche der günstigsten Leistungserbringer hat.
2.3 Leistungserbringer - Patient
Auf die Beziehung Arzt - Patient haben die Krankenkassen keinen Einfluss, auch nicht indirekt über die Abrechnung, im Sinne eines Ausschlusses der zu teuren Ärzte, aufgrund der Vertragspflicht. Es gilt: „Das Angebot schafft sich seine Nachfrage“. Ob ein Patient einen Tag länger im Spital liegt und damit die Auslastung des Spital verbessert oder ein Arzt, um seinem Qualitätsanspruch genüge zu werden, eine zusätzliche Röntgenaufnahme macht, um sein Gerät zu amortisieren, wird vom Patienten meist gar nicht wahrgenommen. Bezahlt wird ohnehin von der Krankenkasse. Dies führt zu Überproduktion und Verschwendung: überflüssige Untersuchungen, überlange Spitalaufenthalte und Tonnen von Medikamenten, die von den Kassen bezahlt und irgendwann weggeworfen werden7. Die Schweiz hat beispielsweise doppelt so viele Spitalbetten pro 1000 Einwohner wie Schweden und die Schweizer liegen doppelt so lange in diesen Betten wie die Skandinavier8.
2.4 Fazit
Der Kostenanstieg im Gesundheitswesen hat komplexe Ursachen, welche einerseits mit dem Angebot und andererseits mit der Nachfrage des Gutes Gesundheit zusammenhängen. Mit anderen Worten tragen alle Akteure zur Kostensteigerung bei9:
Auf der Angebotsseite:
- Wachsende Spezialisierung und Technisierung
- Zunehmende Anzahl privat praktizierender Ärzte Jede neue Praxis verursacht heute jährliche Kosten von einer halben Million Franken10.
- Die Entwicklung neuer Therapien
Aids-, Krebsmedikamente, künstliche Lebenserhaltungssysteme Auf der Nachfrageseite:
- Strukturelle Entwicklung der Bevölkerung und der Haushalte
- Abnehmende soziale Solidarität Selbsthilfe, ehrenamtliche Tätigkeiten usw.
- Verbesserter Zugang der Bevölkerung zu qualitativ hoch stehenden Pflegeleistungen
Die Auswirkung unseres so konstruierten und gewachsenen Gesundheitssystems, das sozusagen über keine Sparanreize verfügt, sind jährliche Gesundheitskosten in der Höhe von rund 50 Milliarden Franken (2003). Zwischen 1996 und 2003 sind die Gesundheitskosten um 31.6% angestiegen, während sich die Prämien in der Grundversicherung im gleichen Zeitrahmen sogar um 55.5% erhöht haben.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Gesundheitskosten der Schweiz, Redaktionsteam Interpharma 2005, S. 22
Die Schmerzgrenze der Prämienbelastung scheint aber noch nicht erreicht, bzw. stellt sich die Frage ob, wegen vermehrter Prämienverbilligung für eine Grossteil der Bevölkerung, eine solche überhaupt jemals erreicht wird. Fakt ist, dass die Bereitschaft der Schweizerinnen und Schweizer, persönliche Einschränkungen hinzunehmen, wenn dadurch die Kosten gesenkt würden, sehr gering ist. So wären nur gerade sechs (2004: zehn) von hundert Stimmberechtigten sofort bereit, die freie Spitalwahl aufzugeben. Rund ein Drittel könnte sich je nach Höhe der Kostenreduktion allenfalls dazu entschliessen. Für 55% kommt eine Beschneidung der freien Arztwahl nicht in Frage11. Auch der Abbau von Überkapazitäten ist schier unmöglich, bei Personal und Gewerkschaften kommt es zu lauten Protesten wie: „Abbau“, „Gefährdung der Gesundheit“ oder „Zweiklassenmedizin“. Der Volkszorn hat schon mehr als ein halbes Dutzend reformwilliger Regierungsräte abgewählt12.
Ein Ausweg scheint ohne wirkliche Reformen angesichts der verhärteten Fronten nicht möglich.
[...]
1 Vgl. Vester 2002
2 Vgl. Kappler 2005, S. 23
3 Vgl. Gygi 2005, S. 66
4 Vgl. Christen 2003, S. 27
5 Vgl. Kappeler 2005 S. 24
6 Vgl. Gygi 2005 S. 64
7 Vgl. Gygi 2005 S. 65
8 Vgl. Kappeler 2005, S. 21
9 Bundesamt für Statistik, Medienmitteilung, Neuchatel, 21. März 2005
10 Vgl. Kappeler 2005, S. 21
11 Vgl. Redaktionsteam Interpharma 2005, S. 22
12 vgl. Kappeler 2005, S. 22
- Quote paper
- Hannes Burkhalter (Author), Philipp Rufer (Author), 2006, Krankenkassen - Finanzierbarkeit der Leistungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53337
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