Grenzüberschreitende Migration war und ist eine der Konstanten im Europa der letzten Jahrzehnte. Nach einer Erhebung des Statistischen Amtes der Europäischen Union (EUROSTAT) weisen „30% der in Europa lebenden unter 30-Jährigen eine persönliche Wanderungserfahrung“ auf. Damit ist Pluralitätserfahrung, das Zusammenleben verschiedenster Kulturen auf engem Raum, an vielen Orten Europas zur Normalität geworden. Die Zahl der Migranten wird in Zukunft eher noch zunehmen. Somit gewinnen Prozesse des Ausgleichs und der Vermittlung zwischen den verschiedenen Kulturen und Nationalitäten immer mehr an Bedeutung.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Bedingungsfeldanalyse
2.1 Die Schule
2.2. Klassensituation
3. Aufbau der Unterrichtsreihe, Begründung der Themenwahl und Lernziele
4. Sachanalyse
4.1 Migrationsliteratur
4.2 Ana Cristina de Jesus Dias – Wohin gehöre ich?
4.3 Dialog / Dialogisieren
5. Didaktische Überlegungen zum Text und Einordnung in die Unterrichtseinheit
6. Darstellung der ersten drei Stunden der Unterrichtseinheit
Die erste Stunde
Die zweite Stunde
Die dritte Stunde
7. Ausblick
8. Literaturangaben
9. Übersicht über die beigefügten Materialien
1. Einleitung
Grenzüberschreitende Migration war und ist eine der Konstanten im Europa der letzten Jahrzehnte. Nach einer Erhebung des Statistischen Amtes der Europäischen Union (EUROSTAT) weisen „30% der in Europa lebenden unter 30-Jährigen eine persönliche Wanderungserfahrung“[1] auf. Damit ist Pluralitätserfahrung, das Zusammenleben verschiedenster Kulturen auf engem Raum, an vielen Orten Europas zur Normalität geworden. Die Zahl der Migranten wird in Zukunft eher noch zunehmen.[2] Somit gewinnen Prozesse des Ausgleichs und der Vermittlung zwischen den verschiedenen Kulturen und Nationalitäten immer mehr an Bedeutung.
Ein Konzept, dass sich die „Interaktion zwischen allen Angehörigen einer multikulturellen Gesellschaft, unabhängig davon, welcher Nationalität sie sind, welche Sprache(n) sie sprechen, welche Religionen sie ausüben, welcher sozialen Schicht sie angehören, welchen Geschlechts sie sind und welches Alter sie haben“[3] auf die Fahnen geschrieben hat, ist das interkulturelle Lernen. Als Prinzipien und Merkmale interkultureller Lernkonzepte führt Pommerin-Götze[4] Folgendes auf: Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturen aufspüren, Unterschiede auffinden und sich der Heterogenität bewusst werden, diese als gegenseitige Lernchance begreifen, um die eigene Begrenztheit zu überwinden, Empathie zu lernen und Vorurteile abzubauen. Weiterhin intendieren nach Pommerin-Götze interkulturelle Lernkonzepte Erziehung zur Mehrsprachigkeit. Sie sind Teil einer Anti-Rassismus- und Friedenserziehung und durch Community-Education integriert.[5]
Interkulturelles Lernen kann zwar in der Schule stattfinden, bleibt aber bei weitem nicht auf diesen Bereich beschränkt. Trotzdem bietet der Lernort Schule beste Voraussetzungen für das Gelingen eines interkulturellen Lernprozesses. Wie lassen sich aber einige dieser ambitionierten Ziele in einem konkreten Unterrichtskontext praktisch umsetzen? Der Versuch, eine mögliche Antwort auf diese Frage zu finden, wurde in dem vorliegenden Unterrichtsentwurf unternommen. Dabei ist die nachfolgend vorgeschlagene Unterrichtseinheit mit einer konkreten Lerngruppe vor Augen entwickelt worden. Das ist die Klasse 7fs der Albert-Schweitzer-Oberschule in Berlin-Neukölln, in der ich ein Unterrichtspraktikum im Fach Deutsch absolviert habe. Die vorgeschlagene Unterrichtsreihe behandelt das Thema „Heimat / Fremde“ anhand von deutschsprachiger Migrationsliteratur. Oberstes Lernziel ist eine vielgestaltige, reflektierte Auseinandersetzung mit dem Spannungsverhältnis von Fremdheitserfahrungen und Heimat(-suche), um Prozesse des interkulturellen Lernens in Gang zu bringen bzw. zu fördern. In dieser Darstellung werden neben einem Abriss über den geplanten Verlauf der gesamten Unterrichtsreihe die ersten drei Stunden der Einheit ausführlich dargestellt.
2. Bedingungsfeldanalyse
2.1 Die Schule
Die Albert-Schweitzer-Oberschule ist ein Neuköllner Gymnasium mit etwa 360 Schülern, das sich in der Karl-Marx-Straße 14, nahe dem Herrmannplatz, an der Grenze zu Kreuzberg befindet. Der Einzugsbereich der Schule ist primär Neukölln-Nord, allerdings besuchen auch einige Schüler aus anderen Neuköllner Ortsteilen und vereinzelt Schüler aus anderen Bezirken die Schule. An der Schweitzer-Oberschule lernen Schüler der unterschiedlichsten Nationalitäten zusammen. Der Anteil von Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache beträgt über 50 Prozent. Im Berliner Sozialstrukturatlas 2003[6] weist das Einzugsgebiet einen der ungünstigsten Sozialindexwerte überhaupt auf. So liegt das Gebiet um das Rathaus Neukölln auf Platz 295 von 298, die benachbarten Verkehrszellen um die Thomasstraße und Leinestraße auf den Rängen 287 und 288.
Sowohl von Schülerseite, besonders aber von der Lehrerseite wird häufig über eine als unbefriedigend wahrgenommene Gesamtsituation an der Schule (z.B. Medienausstattung, Motivation der Schüler bzw. Lehrer, etc.) geklagt. Trotz der als problematisch empfundenen Situation herrscht nach meiner Wahrnehmung eine sehr freundliche und offene Atmosphäre im Umgang der Schüler untereinander und mit den Lehrern. Diese Einschätzung wurde in vielen Gesprächen von Schülern und Lehrern bestätigt.
2.2 Klassensituation
Die 7fs besteht aus 32 Schülern zu je 16 Mädchen und Jungen. Nach dem Probehalbjahr wurde eine der vier siebenten Klassen an der Schweitzer-Oberschule aufgelöst und die restlichen Schüler auf die übrigen Klassen verteilt. So kamen vor ein paar Wochen acht neue Mitschüler in die 7fs. Leider besteht durch diese Situation ein extremes Raumproblem. Der Klassenraum ist viel zu klein für 32 Schüler, es befinden sich manchmal nicht genügend Stühle im Zimmer. Aufgrund des Platzmangels ist keine andere Sitzordnung als die Aufteilung in Wand- und Fensterreihe, zum Lehrertisch hin ausgerichtet, möglich.
Für den Deutschunterricht ergeben sich aufgrund der Klassenzusammensetzung einige spezielle Lernvoraussetzungen. Zwar haben 20 der 32 Schüler einen deutschen Pass, eine Umfrage unter den Schülern ergab jedoch, dass knapp 70% der Eltern eine nichtdeutsche Muttersprache aufweisen. Die Herkunftssprachen sind relativ heterogen. Neben Türkisch, dass noch vor Deutsch die häufigste Muttersprache der Kinder und ihrer Eltern ist, finden sich Polnisch, Kroatisch, Russisch, Griechisch, Spanisch, Arabisch, Bulgarisch und Tamil.
Nach meinen Beobachtungen nehmen die Fachlehrer keinerlei Differenzierungen vor. Der Unterrichtsstil ist in allen Fächern eher konservativ. Gängige Unterrichtsmethode ist der lehrerzentrierte Frontalunterricht bzw. das fragend-entwickelnde Unterrichtsgespräch. Alternative Sozialformen wie Gruppenarbeit habe ich während meinen Hospitationen in dieser Klasse nicht erlebt. Die Schüler sind überwiegend motiviert und beteiligen sich gern am Unterricht.
Der Umgang der Schüler miteinander kann als kameradschaftlich und freundlich bezeichnet werden. Gewalttätigkeiten oder Mobbing sind mir fast überhaupt nicht aufgefallen, eine Beobachtung, die bei der heterogenen Klassensituation als besonders positiv hervorzuheben ist.
3. Aufbau der Unterrichtsreihe, Begründung der Themenwahl und Lernziele
Wie ich in der Bedingungsfeldanalyse bereits dargestellt habe, weisen über zwei Drittel der Jugendlichen in der Klasse einen Migrationshintergrund auf. Auch für die deutschen Schüler ist das direkte Zusammenleben verschiedenster Kulturen auf engstem Raum längst Realität, selten jedoch werden die damit zusammenhängenden Probleme und Chancen in der Schule thematisiert. Deshalb erschien mir das Thema „Heimat/Fremde“ von der Anlage her ideal geeignet.
Der Unterrichtsgegenstand bietet in der gegebenen Klassensituation aus verschiedenen Gründen nahezu ideale Voraussetzungen für interkulturelles Lernen. Der Themenkomplex liegt sehr nah an der Erfahrungswelt der Schüler, ist relevant für die derzeitige und zukünftige Lebenssituation der Jugendlichen, sollte Interesse an der Sache wecken und lässt breiten Raum für Eigenaktivitäten der Schüler und eine abwechslungsreiche Unterrichtsgestaltung.
Es ist davon auszugehen, dass die Auseinandersetzung mit zentralen Fragen wie „Wo ist meine Heimat?“, „Was ist das überhaupt?“, „Wie gehe ich mit Fremdheitserfahrungen um?“, „Wie kann man Multikulturalität produktiv nutzen?“ auf breites Interesse stoßen wird. Überdies ist bei der Themenstellung von didaktisch vielfach nutzbarem Vorwissen und eigenen Erfahrungen der Schüler auszugehen. Fast zwangsläufig werden bei der Erarbeitung des Themas auch weitere, für die Gegenwart und Zukunft der Schüler äußerst relevante Problembereiche wie Vorurteile gegen Minderheiten, kulturelle Unterschiede und der Umgang mit ihnen behandelt.
Insgesamt soll die Unterrichtseinheit etwa 9-10 Stunden umfassen. Die folgende grobe Übersicht gibt einen Eindruck über die zu behandelnden Unterthemen, Texte und Schüleraktivitäten:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Übersicht der abgehaltenen Stunden
Durch das recht weitläufig formulierte Oberthema und die Zielsetzung eines multimethodischen und textsortenübergreifenden Zugangs ergeben sich vielfältige Möglichkeiten und Übereinstimmungen mit den Lerninhalten und –zielen interkultureller Lernkonzepte.[7] Hierzu gehört einerseits das Aufspüren von Gemeinsamkeiten zwischen Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft, andererseits aber auch das Bewusstwerden von Unterschieden.[8] Beides soll auch in dieser Einheit bei den Lernern dazu führen, dass sie Heterogenität als Lernchance auffassen, die eigene Begrenztheit überwinden, Vorurteile abbauen und Empathiefähigkeit lernen.[9]
[...]
[1] Gogolin 2003: 97.
[2] Vgl. z.B. Fassmann / Münz 1996.
[3] Pommerin-Götze 2001: 974.
[4] Vgl. Pommerin-Götze 2001: 978.
[5] Vgl. ebd.
[6] Kurzfassung, S. 11, online verfügbar unter: http://www.berlin.de/SenGesSozV/statistik/veroeffentlichungen/spezialberichte/veroef_spezial.html.
[7] Da es sich bei dem vorliegenden Unterrichtsentwurf um eine Arbeit für das Proseminar „Interkulturelles Lernen“ handelt, wurde auf den sonst üblichen expliziten Bezug zum Berliner Rahmenplan verzichtet. Es bleibt allerdings festzuhalten, dass diese integrativ angelegte Unterrichtseinheit in vielen Bereichen mit den vom Rahmenplan für die Klassenstufe 7 geforderten Lerninhalten übereinstimmt.
[8] Vgl. Pommerin-Götze 2001: 978.
[9] Vgl. ebd.
- Arbeit zitieren
- Martin Lehmannn (Autor:in), 2005, Interkulturelles Lernen in der Schule - Vorstellung einer Unterrichtsreihe zum Thema 'Heimat / Fremde', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53430
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