Virtuelle Computerwelten: Fiktion, Realität, Gesellschaft


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

31 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. INHALT, AUFBAU UND INTENTION DER ARBEIT

2. VIRTUELLE COMPUTERWELTEN: EINE EINORDNUNG
2.1 DER TERMINUS WIRKLICH IM MENSCHLICHEN ALLTAG
2.2 DER MENSCH UND DAS FIKTIONALE
2.3 VIRTUELLE COMPUTERWELTEN: FIKTION ODER REALITÄT

3. GESELLSCHAFT UND VIRTUELLE WELTEN
3.1 MILITÄR
3.2 MEDIZIN
3.3 SCHULUNG UND BILDUNG
3.4 INDUSTRIE UND WIRTSCHAFT
3.5 SONSTIGE ANWENDUNGEN

4. VOR- UND NACHTEILE EINER CYBERSOCIETY

5. FAZIT

6. BIBLIOGRAPHIE

1. Inhalt, Aufbau und Intention der Arbeit

In den letzten beiden Jahrzehnten ist über die gesamte moderne Zivilisation ein techno-kulturelles Phänomen hereingebrochen, dass unser Leben und unsere Gesellschaft nachhaltig beeinflusst und einen so umfassenden Siegeszug angetreten hat wie keine andere technische Neuerung zuvor: Der Computer. Von den primitiven Lochkartensystemen der vorherigen Jahrzehnte abgesehen, war es der moderne digitale, platinenbetriebene Heimcomputer, der ab Anfang der 1980er Jahre, vor allem durch den Konzern Commodore vermarktet, zu einem festen Bestandteil der Arbeit, der Unterhaltung aber auch der Kommunikation der Menschen wurde. Über die 90 er Jahre, die immer leistungsfähigere Rechner, die modernen PCs, und die umfassende Einführung des Internets mit sich brachten, ging die Entwicklung innerhalb von wenigen Jahren rasend schnell bis in unsere Gegenwart voran, in der der Computer das elementare Medium zur Kommunikation, Information, Arbeitsorganisation, Steuerung von technischen Abläufen, Simulation und nicht zuletzt zur Unterhaltung geworden ist. Wer könnte sich heute noch ein Leben ohne Internet oder Computerspiele vorstellen? Es ist wohl nicht zu hoch gegriffen, wenn man diese Frage mit „kaum jemand“ beantwortet. Bei aller Integration von virtuellen Computerwelten in unseren Alltag und aller Gewöhnung an das Leben mit dem virtuellen Räumen, die der Computer uns eröffnet, bleiben allerdings zwei Fragen offen: Wie sind virtuelle Computerwelten eigentlich in die Lebenswelt der Menschen hinsichtlich der menschlichen Alltagskategorien Fiktion und Realität einzuordnen und welche Auswirkungen können sie auf die moderne Gesellschaft haben? Genau diesen Fragen will die Abhandlung auf den Grund gehen, indem sie zu Beginn versucht virtuelle Computerwelten auf ihre fiktionalen und ihre mit der Realität verbundenen Aspekte hin zu untersuchen, um zunächst einmal zu einer Einordnung dieser Welten im Bezug auf ihre Zugehörigkeit zu Fiktion oder Realität zu gelangen. Dabei soll keine komplizierte philosophische Diskussion darüber, was Fiktion und Realität denn überhaupt sind geführt werden, es sollen vielmehr diese als entgegengesetzte Pole des menschlichen Alltagsdenkens vorausgesetzt werden, die jedes Individuum als Maßstab zur Orientierung in unserer Welt benutzt, ohne vorher erst großartige Reflektionen über deren Gehalt anzustellen. Auf der Basis dieser Einordnung soll der zweite Abschnitt der Arbeit anhand von verschiedenen Beispielen die mannigfaltige Verwendung von Cyberspace und virtuellen Computerwelten in unserer heutigen Gesellschaft und deren Abhängigkeit vom Computer als universelles Medium verdeutlichen. Vom rein deskriptiven Niveau löst sich der Text, wenn er im Folgenden zu einer Einschätzung bezüglich Chancen und Gefahren kommt, die Computer und Virtualität für den Menschen und die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts in sich bergen. In einem abschließenden Fazit sollen dann noch einmal die wesentlichen Erkenntnisse die sich aus den Ausführungen ergeben zusammengefasst werden.

2. Virtuelle Computerwelten: Eine Einordnung

2.1 Der Terminus „wirklich“ im menschlichen Alltag

„Wir bezeichnen nicht nur etwas als „wirklich“ sondern wir heben es dadurch zugleich von anderem ab, das im gleichen Zug als weniger wirklich oder scheinhaft, als virtuell, uneigentlich, bloß möglich, unwirklich, unwahr etc. qualifiziert wird. Eine solche Doppelaktion gehört zu jeder Verwendung des Terminus „wirklich“ [...]. „Wirklich“ ist ein Terminus der Kontrastbildung.“ (Welsch 1998, 201/202)

Wenn Wolfgang Welsch in dem angeführten Zitat aus seinem Aufsatz „Wirklich“ von einem Vorgang der Kontrastbildung zwischen dem Wirklichen und davon abgesetzt, dass absolute Gegenteil verkörpernd, dem nicht wirklichen, der Fiktion spricht, so tut er dies in der „Wir-Form“ und verdeutlicht damit den universellen Anspruch der Aussage, da sie auf jeden Menschen und dessen Alltagswelt gleichermaßen zutrifft. Denn die Kategorien des Wirklichen und des Unwirklichen (im Folgenden sollen sie als Realität und Fiktion bezeichnet werden) stellen Produkte einer ganz natürlichen Einteilung dar, die jeder Mensch sich zunutze macht, wenn er die ihn umgebende Welt in zwei Ebenen einteilt: Die geistig geschaffene, fantastische und in diesem Sinne fiktionale einerseits und andererseits die materielle, unabhängig von uns selbst existierende Ebene der Realität.

Dabei ist die Dualität zwischen Realität und Fiktion nicht etwas, dass kategorial erst in einer komplizierten philosophischen Reflexion und Diskussion entsteht, sondern ganz im Gegenteil ein Kontrast, der zur alltäglichen Sicht eines jeden gehört und bereits mit der Sprache eingeübt wird. Welsch verweist hier auf das „Beispiel der Erwähnung“ (Welsch 1998, 202), indem er klar macht, dass man in diesem „Sprachspiel“ (Welsch 1998, 202) die Behauptung eines Anderen wiedergibt, egal ob man vom Wahrheits- oder Wirklichkeitsgehalt dieser Aussagen überzeugt ist oder nicht. Der Unterschied zwischen Behauptungs- und Zitationscharakter tritt hier in den Vordergrund. Man differenziert zwischen unterschiedlichen Wirklichkeitsansprüchen: „In der Erwähnung beansprucht man nur, daß der Zitierte das, was man berichtet tatsächlich behauptet, nicht jedoch, daß diese Behauptung [...] der Wirklichkeit entspricht“ (Welsch 1998, 203). Viele andere sprachliche Muster, wie z.b. die Ironie oder auch die Lügengeschichte, zeigen die Festigung der Kategorien real und fiktional in unserem täglichen Sprachgebrauch. Der Sprachgebrauch gibt hier selbstverständlich nur ein Beispiel für die Verwendung der Kategorien. In der Kunst gerade auch in der Literatur, wie wir im nächsten Abschnitt noch sehen werden, unterscheiden wir beispielsweise klar zwischen den beiden Ebenen. Eines soll allerdings im Rahmen dieser Arbeit keinesfalls außer Acht gelassen werden: Bei aller Verfestigung und scheinbarer Unumstößlichkeit der Kategorien, die unser Leben so stark bestimmen, ist keinesfalls klar ob dieser Kontrast nicht auch hinterfragt werden muss, gerade vor dem Hintergrund der neuen Medien und der Virtualität. Es muss die Frage gestellt werden, „ob es zwischen den beiden Seiten [...] auch Umbesetzungen und Wechselwirkungen geben kann“ (Welsch 1998, 202), die vielleicht die festen Grenzen verschwimmen lassen können? Genau dieser Frage wird die Arbeit im Hinblick auf die Einordnung von Cyberspace und virtuellen Computerwelten bezüglich ihrer fiktionalen und realen Anteile versuchen auf den Grund zu gehen. Als Ausgangspunkt dieser Einordnung wollen wir uns aber zunächst auf die Ebene des Fiktionalen und seine Bedeutung für die menschlichen Kultur konzentrieren.

2.2 Der Mensch und das Fiktionale

„Es gehört zu den großen Begierden der Menschen, die Grenzen ihrer alltäglichen Erfahrung zu verschieben und [...] zu überschreiten, imaginär oder mit Hilfe diverser Körperbeeinflussungsmittel in Welten ein- wie abzutauchen, die Gegenentwürfe zur haptischen [...] sinnlich erfahrbaren Realität darstellen, die darüberhinausgehen, jene mehr oder weniger radikal hinter sich lassen.“ (Zielinski 1995, 49)

Der Mensch bedient sich bei diesem Ausstieg oder der Flucht aus der Realität, die Siegfried Zielinski so treffend beschreibt, verschiedenster Mittel: Er versetzt sich durch Drogen in entsprechende Zustände, er hegt Tagträume oder er rezipiert die Visionen und Fiktionen, in die er sich hineinversetzt, in Form von Kunst, Literatur, Film, Radio, Hörspiel und Musik. Gerade in der Literatur der letzten Jahrhunderte finden sich endlos viele Beispiele für den Stellenwert der Fiktion für den Menschen, der sich besonders in den Genres der Fantasy und der Science-Fiction manifestiert: „Reisen in unbekannte nur als Fiktion existierende Städte und Landschaften, wie sie zum Beispiel Italo Calvano schreibend und seine weltweite Fan-Gemeinde lesend unternehmen“ (Zielinski 1995, 49), sind Ausdruck des selben elementaren Verlangens des Eintauchens in fiktionale Welten, das auch den großen Erfolg von Douglas Adams „ausgeflippten Kulturromanen“ (Zielinski 1995, 50) „Hitchhikers Guide to the Galaxy“ und „The Restaurant at the End of the Universe“ erklärt. Ebenso sind an dieser Stelle die großen Science-Fiction Visionen von H.G. Wells, „Krieg der Welten“ und „Die Zeitmaschine“ zu erwähnen, die Generationen von Lesern fasziniert und in eine düstere Zukunft der Erde entführt haben. Isaac Asimov und Stanislaw Lem sind mit ihren Werken Beispiele dafür, wie eine auf wissenschaftlichen Theorien beruhende Science-Fiction mit ihren Visionen von der Zukunft der Menschheit im Weltall in der Lage ist unzählige Leser weltweit in ihren Bann zu ziehen und das Bedürfnis nach nicht Realem im Menschen zu befriedigen. Im Bereich der Fantasy-Literatur gibt es neben den düsteren Gruselszenarien die Edgar Alen Poe im 19. und H.P. Lovecraft zu Beginn des 20. Jahrhunderts kreierten, ein ganz besonders berühmtes Beispiel aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, das bis heute eine Auflage von ca. 110 Millionen verkauften Exemplaren erreicht hat: J.R.R. Tolkiens „Lord of the Rings“ das seit seinem Erscheinen 1954 nichts von seinem Reiz eingebüßt zu haben scheint, was sich auch im Boom manifestiert, den die Film-Adaptionen von Peter Jackson erst kürzlich verursacht haben. Hier zeigt sich besonders deutlich, wie generationen- und zeitunabhängig der Wunsch nach Fiktion und fiktionalen Welten, als Gegenentwürfe zu unserer Realität besteht. Zahlreich vorhanden sind natürlich neben den literarischen auch poetische und musikalische Werke, die die Welt des Fantastischen und der Fiktion thematisieren. Es bleibt allerdings kein Raum hier näher auf die einzelnen Genres einzugehen. Film und Fernsehen jedoch müssen im Hinblick auf die kulturgeschichtliche Entwicklung des Fiktionalen in den Medien bis zum heutigen Zeitpunkt ohne Zweifel ihre Beachtung finden: „ Von des Zauberers Georges Méliès phantastischen Reisen ins Unmögliche [...] über den dadaistischen Tagtraumspuk René Clairs oder Hans Richters“ (Zielinski 1995, 50), führt der Weg zu den großen Science-Fiction Produktionen des mittleren bis späten 20. Jahrhunderts, wie Raumschiff Orion, Gene Rodenberrys Star Trek, Stanley Kubricks Odyssee 2001, George Lucas Star-Wars Epos oder Ridley Scotts Visionen in Blade Runner und Alien. All diese Produktionen aus Film und Fernsehen haben eines gemeinsam: Für ihre Zeit innovative Spezialeffekte und Kamerafahrten, revolutionäre Computeranimationen und neue Schnitttechniken. Kurz gesagt technische Mittel, die als Ziel „die möglichst optimale Illusionierung der Zuschauer, das virtuelle hereinholen des Kultur-Menschen in die Zweidimensionale Fläche der Leinwand als Projektionsort des Unbekannten“(Zielinski 1995, 51) haben. Die Fiktionen werden somit immer involvierender, immer realer. Im Gegensatz zu Literatur und Musik oder Hörspielen bieten Film und Fernsehen Realisation der Fiktion auf audio-visueller Ebene. Sie kommen damit einer echten Sinneserfahrung wesentlich näher und schaffen es die Rezipienten stärker in ihren Bann zu ziehen als die oben erwähnten Medien es in ihrer Darstellung der Fiktion bewerkstelligen können. „Expanded Reality“ (Zielinski 1995, 54) ist der Begriff, den Siegfried Zielinski benutzt, um diese zunehmend realer werdenden Darstellungen von Fiktionalen Welten in Film und Fernsehen zu beschreiben. Ein Begriff der sehr gut verdeutlicht wohin der Weg bezüglich Fiktion in den audiovisuellen Medien geht: Die Rezipienten empfinden die Darstellungen zunehmend als adäquate, reale Sinneseindrücke und nehmen oft keine absolut strenge Trennung zwischen dem fiktionalen Gehalt dieser Produktionen und der Realität mehr vor. Sie neigen eher dazu das Wahrgenommene als „erweiterte Realität“ zu akzeptieren und vermischen die Ebene des Fiktionalen mit ihrer Lebenswelt und ihren Erfahrungen in der Realität. Die Bewegung geht also in Richtung einer erweiterten Realität, die durch eine Entwicklung vom Materiellen unserer Natur und Umwelt, hin zum Immateriellen von künstlichen Welten in Film und Fernsehen geprägt ist. Aber nicht nur durch Film und Fernsehen wird diese Entwicklung repräsentiert. Im letzten Jahrzehnt war es vor allem der Computer und die virtuellen Welten, die in ihm und durch ihn erschaffen werden können, die symbolhaft für diese Entwicklung stehen.

„Betrachten wir den Cyberspace als neues technokulturelles Phänomen in der Tradition filmischer Illusionsbildung“ (Zielinski 1995, 58), so scheinen virtuelle Computerwelten ebenfalls mit Zielinskis Begriff der „erweiterten Realität“ in enger Verbindung zu stehen und hinsichtlich ihres Realitätsanspruches durch diesen definierbar zu sein. Ob eine solche Einordnung allerdings dem Status dieser Welten vollkommen gerecht wird ist eine Frage, die im folgenden Abschnitt näher beleuchtet werden soll

[...]

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Virtuelle Computerwelten: Fiktion, Realität, Gesellschaft
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Zentrum für Kommunikations- und Medienwissenschaft)
Veranstaltung
Virtualität: Theorie und Praxis
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
31
Katalognummer
V53436
ISBN (eBook)
9783638488914
ISBN (Buch)
9783656618393
Dateigröße
527 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Virtuelle, Computerwelten, Fiktion, Realität, Gesellschaft, Virtualität, Theorie, Praxis, Computer, Cyberspace, VR, Medientheorie
Arbeit zitieren
Benedikt Fuchs (Autor:in), 2005, Virtuelle Computerwelten: Fiktion, Realität, Gesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53436

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