Zu den komplexesten Fragen, mit denen sich sowohl die Sozialwissenschaft als auch die Historiographie bei der Beurteilung des Dritten Reiches konfrontiert sieht, gehört die Frage, in welcher Weise und in welchem Ausmaß sich der Nationalsozialismus auf die deutsche Gesellschaft vor und nach 1945 ausgewirkt hat. Daß das Jahr 1945 für den tiefsten und folgenreichsten Bruch in der neueren deutschen Geschichte steht, ist als Feststellung weithin anerkannt und unbestritten.
Die zwar populäre, aus wissenschaftlicher Sicht jedoch nicht haltbare Sicht von der „Stunde Null" macht deutlich, wie intensiv eine Mehrheit der westdeutschen Gesellschaft die Zäsur des 8. Mai 1945 empfunden hat. Umstritten bleibt jedoch, wo genau denn die Ursachen für den fundamentalen Wandel zu suchen seien. Die Frage nach der Bedeutung von vormodernen und modernen Elementen in Ideologie und Praxis des Nationalsozialismus ist dabei schon von den Zeitgenossen aufgeworfen worden, eine differenzierte Betrachtung der deutschen Gesellschaft im Dritten Reich ist aber erst möglich, seit in den sechziger Jahren zum ersten mal ernsthafte wissenschaftliche Untersuchungen auf diesem Gebiet durchgeführt wurden.
Größere Fortschritte konnten dann jedoch erst in den siebziger Jahren erzielt werden, als sich die Quellenbasis sowohl qualitativ als auch quantitativ stark verbesserte. Daher steht jetzt eine Fülle von Material zur Verfügung, wenn man sich mit den sozialen Auswirkungen des Nationalsozialismus beschäftigen will. Neben dem Problem der drohenden Unüberschaubarkeit des Literaturkorpus` ergeben sich noch weitere forschungspragmatische Probleme, denn es versteht sich von selbst, daß ein politisches System wie das des Nationalsozialismus oftmals sehr widersprüchliche Quellen hinterlassen hat und den Forscher schon deshalb vor größere Interpretationsschwierigkeiten stellt.
Auch die teilweise stark unterschiedlichen theoretischen Ausgangspositionen und die teilweise ideologisch bedingten Interpretationsperspektiven der mit dieser Thematik befaßten Sozialwissenschaftler haben Anteil an oftmals komplexen Interpretationsproblemen. Bekanntlich ist die Debatte gekennzeichnet durch eine grundsätzliche Uneinigkeit über das tatsächliche Wesen des Nationalsozialismus, seiner sozialen Zielsetzung, Motivation und Ideologie, aber auch der wissenschaftlichen Kriterien und Methoden, mit Hilfe deren man die unter dem Nationalsozialismus ablaufenden Veränderungen näher beschreiben könnte.
Inhaltsverzeichnis
- Fragestellung und Konzeption
- Methodisches Vorgehen
- Zur Begriffsproblematik des Modernisierungsansatzes und des Revolutionsterminus
- Nationalsozialismus und Modernisierung: Zur Frage der Anwendbarkeit und Leistungsfähigkeit der Modernisierungstheorie
- Dahrendorfs' These der 'sozialen Revolution': Komplementäre und konkurrierende Eklärungsansätze
- Marxistische Interpretationen
- Modemisierungstheorien
- Widersprüchliche Interpretationen
- Die neuere Forschung zu Nationalsozialismus und Modernisierung
- Operationalisierung der Fragestellung
- Die nationalsozialistische 'Volksgemeinschaft': Uberprüfung der Modernisierungsthese an den einzelnen gesellschaftlichen Sektoren
- Gab es eine moderne nationalsozialistische Wirtschaftspolitik?
- War die NS-Sozia1p01it1k zukunftsweisend?
- Das Ende der Klassengesellschaft? Soziale Mobilität im Dritten Reich
- Das Dritte Reich: Eine moderne Technokratie? Technokratische Elemente im politischen Totalitarismus des Dritten Reiches
- Der NS-Staat als • Brücke zu Bonn'?
- Eine 'NS-Sozia1revolution'? Versuch einer Bilanz
- Anmerkungen
- Abkürzungsverzeichnis
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Diplomarbeit befasst sich mit der Frage, inwiefern der Nationalsozialismus als modernisierende Kraft betrachtet werden kann. Die Arbeit analysiert die Modernisierungstheorie und ihre Anwendbarkeit auf die nationalsozialistische Diktatur, insbesondere im Hinblick auf die sozialen Veränderungen in Deutschland während der Zeit von 1933 bis 1939.
- Modernisierungstheorie und ihre Anwendung auf den Nationalsozialismus
- Die Rolle von Ideologie und Praxis des Nationalsozialismus in der deutschen Gesellschaft
- Die Auswirkungen der nationalsozialistischen Wirtschafts- und Sozialpolitik auf die deutsche Gesellschaft
- Soziale Mobilität und Chancengleichheit im Dritten Reich
- Die Frage nach einer möglichen „sozialen Revolution" im Nationalsozialismus
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel behandelt die Fragestellung der Diplomarbeit und stellt die Konzeption der Arbeit dar. Es werden die grundlegenden Begriffe „Modernisierung" und „Revolution" erörtert und ihre Problematik für die Analyse des Nationalsozialismus aufgezeigt.
Das zweite Kapitel beschreibt das methodische Vorgehen der Arbeit. Es wird dargelegt, wie die verschiedenen Theorien zur Modernisierung und Revolution auf den Nationalsozialismus angewendet werden sollen und welche Quellen und Methoden in der Arbeit verwendet werden.
Das dritte Kapitel befasst sich mit der Begriffsproblematik des Modernisierungsansatzes und des Revolutionsterminus. Es wird die Entwicklung des Begriffs „Modernisierung" in der Geschichte und in der Soziologie erläutert und die verschiedenen Theorien zur Modernisierung vorgestellt. Anschließend wird der Revolutionsterminus diskutiert und seine Anwendung auf den Nationalsozialismus kritisch beleuchtet.
Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der Frage der Anwendbarkeit und Leistungsfähigkeit der Modernisierungstheorie auf den Nationalsozialismus. Es werden die wichtigsten Vorwürfe gegen die Modernisierungstheorie, wie Linearität, Harmonismus und Normativität, diskutiert und ihre Relevanz für die Analyse des Nationalsozialismus bewertet.
Das fünfte Kapitel stellt Dahrendorfs These der „sozialen Revolution" im Nationalsozialismus vor und diskutiert die verschiedenen Erklärungsansätze, die von marxistischen und nicht-marxistischen Wissenschaftlern vertreten werden.
Das sechste Kapitel beleuchtet die neuere Forschung zu Nationalsozialismus und Modernisierung. Es werden die wichtigsten Ansätze und Thesen der neueren Forschung vorgestellt und ihre Kritik an Dahrendorfs These der „sozialen Revolution" diskutiert.
Das siebte Kapitel erläutert die Operationalisierung der Fragestellung. Es werden die wichtigsten Indikatoren für die Analyse des Modernisierungscharakters des Nationalsozialismus vorgestellt und die Herausforderungen der empirischen Forschung aufgezeigt.
Das achte Kapitel untersucht die Auswirkungen der nationalsozialistischen Politik auf die verschiedenen gesellschaftlichen Sektoren. Es werden die Wirtschaftspolitik, die Sozialpolitik, die soziale Mobilität und die Frage nach einer möglichen „Technokratie" im Dritten Reich analysiert.
Das neunte Kapitel befasst sich mit der Frage, ob der NS-Staat als „Brücke zu Bonn" betrachtet werden kann. Es wird diskutiert, inwiefern die nationalsozialistische Herrschaft Einfluss auf die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 hatte.
Das zehnte Kapitel fasst die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit zusammen und versucht, eine Bilanz über die Frage zu ziehen, ob der Nationalsozialismus als „soziale Revolution" betrachtet werden kann.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen den Nationalsozialismus, Modernisierung, soziale Revolution, Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, soziale Mobilität, Volksgemeinschaft, Technokratie, Deutschland, Geschichte, Soziologie, Historiographie, Politikwissenschaft.
- Arbeit zitieren
- Andreas-Salomon Süssmilch (Autor:in), 2000, Das nationalsozialistische Deutschland und die "soziale Revolution", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/5345
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