Max Horkheimer und die "Frühe kritische Theorie"


Seminararbeit, 1989

19 Seiten, Note: sehr gut - gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

".Anfang Verzeichnis V.

Einleitung

1. Die Entstehung des Frankfurter Kreises

2. Status der Interdisziplinarität (interdisziplinärer Materialismus)

3. Auswertung der Forschungsergebnisse

4. Die Bedeutung der Psychoanalyse

5. Arbeiter- und Angestelltenuntersuchung - wo ist das revolutionäre Subjekt?
5.1 Hintergrund der Studie
5.2 Das psychoanalytisches Verständnis von Fromm
5.3 Auswertung der Ergebnisse

6. Faschismusanalyse
6.1 Kontinuitätsthese
6.2 Theorie des Staatskapitalismus

7. Traditionelle und Kritische Theorie

Literaturverzeichnis

.Ende Verzeichnis V."

Einleitung

Die politischen Vorstellungen Max Horkheimers und der anderen Mitglieder des Frankfurter Kreises entstanden in einer Zeit des politischen Wandels in Deutschland. Die Niederlage des Ersten Weltkriegs führte zum Untergang der Monarchie, und der erste Versuch einer demokratischen Staatsform in der Weimarer Republik endete in einem totalitär-faschistischen Regime.

Der dem Marxismus anhängende Horkheimer mußte miterleben, wie sich der Kommunismus in der Sowjetunion zum Stalinismus wandelte, was zu einer Distanz Horkheimers gegenüber der Sowjetunion und der Politik der KPD führte.

Darum galt Horkheimers Kritik in erster Linie auch der herrschenden Gesellschaft, die diese Entartungen hervorgebracht hatte. Horkheimers Kritik wandte sich aber auch gegen andere Denker und philosophische Strömungen. Aus der Unzulänglichkeit des Positivismus und der Metaphysik, aber auch zur Erweiterung der marxistischen Lehre, entwickelte er ein Programm der interdisziplinären Sozialforschung.

Die folgende Arbeit untersucht Horkheimers frühe Reflexionen in den Jahren 1930 bis 1945, die von seinen politischen und historischen Erfahrungen geprägt waren. Diese Phase wird allgemein auch als "Frühe Kritische Theorie" bezeichnet.

1. Die Entstehung des Frankfurter Kreises

Max Horkheimer, der spätere Begründer der Frankfurter Schule, hoffte nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Novemberrevolution von 1918, ausgelöst durch die Meuterei auf der deutschen Schlachtflotte, auf das Entstehen einer "besseren Welt". Konkret hieß das für ihn, daß MSPD und USPD die bürgerliche Gesellschaft Deutschlands in Richtung auf eine soziale Demokratie und somit einer humaneren Gesellschaft entwickeln.

Tatsächlich standen am Anfang der Weimarer Republik zwei Entwicklungsmöglichkeiten der Gesellschaft offen, die hätten beschritten werden können. Der eine Weg hätte zu einer revolutionären Umgestaltung, der andere zu einer bürgerlich demokratischen Republik geführt. Der Weg, den schließlich die SPD wählte, hatte eine bürgerliche, kapitalistische und parlamentarische Demokratie zur Folge. Die Hoffnung der USPD und des Spartakusbundes (ab Dez. 1918: KPD) auf eine sozialistische Demokratie beziehungsweise eine Räterepublik, wie sie ebenfalls der marxistisch orientierte Horkheimer hatte, erfüllte sich nicht. Ihre ursprüngliche Absicht, eine sozialistische Regierung ohne die SPD durchzusetzen, konnten diese Parteien auch nicht verwirklichen.

Die Säulen des Kaiserreiches, die Bürokratie, die Justiz und das Militär, mithin der Herrschafts- und Geistesapparat, blieb nach wie vor bestehen, sowohl in seiner Bedeutung, als auch in seiner personellen Besetzung. Mit der Zerschlagung des kommunistischen Widerstandes gegen diese bürgerliche Republik, zeichnete sich für Horkheimer schon der Niedergang der deutschen Arbeiterbewegung ab.

Zu dieser Zeit, Anfang der 20er Jahre, bildete sich um Felix J. Weil in Frankfurt ein Kreis von Leuten, die über die "reine" marxistische Lehre diskutierten. Auf der "Ersten Marxistischen Arbeitswoche ", die im Sommer 1922 in Ilmenau/Thüringen stattfand, traf sich dieser Kreis mit Vertretern der verschiedenen marxistischen Richtungen, um zu ergründen, wer der wahren Lehre von Marx folgt; die Bolschewisten in der Sowjetunion, die Sozialdemokraten oder die Kommunisten in Ungarn und Deutschland[1]. Neben Felix J. Weil, nahmen unter anderem auch Georg Lukács, Friedrich Pollock und Karl Korsch an diesem Seminar teil.

Weil faßte daraufhin den Entschluß, ein Institut zu gründen, das die Geschichte und Theorie der Arbeiterbewegung, die Wechselwirkungen zwischen den wirtschaftlichen und kulturellen Lebensbereichen der Gesellschaft, sowie die Entwicklungstendenz der modernen Gesellschaft untersuchen sollte[2]. Seine Initiative führte 1922 zur Gründung einer privaten Stiftung, der "Gesellschaft für Sozialforschung e.V.".

Zu der offiziellen Gründung des "Instituts für Sozialforschung" am 3. Februar 1923 in Frankfurt, wurde der Wiener Professor für Rechts- und Politikwissenschaft, Carl Grünberg, als Direktor berufen, nachdem sein Vorgänger Kurt Albert Gerlach von der TU Aachen im Oktober 1922 verstorben war. Den Schwerpunkt seiner Arbeit legte Grünberg in seiner Rede zur Eröffnung des Instituts-Hauses im Jahre 1924 dar[3]. Sein Forschungsgegenstand war in erster Linie die Geschichte der Arbeiterbewegung und die politökonomische Theorie von Marx, deren Ergebnisse er im "Grünberg Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung" herausbrachte. Grünberg faßte auch ein klares Bekenntnis zum Marxismus als wissenschaftliche Methode[4]. Vorherrschendes Prinzip am Institut war dann auch zu dieser Zeit die marxistische Lehre, wobei Grünberg für die Ergebnisse seiner Forschungen keine endgültige Geltung beanspruchte, sondern nur relative, jeweils geschichtlich bedingte Bedeutung. Seiner Auffassung nach, aber auch nach der, jener Vertreter der späteren Kritischen Theorie, ist der wahre Marxismus nicht dogmatisch und suche nicht nach ewigen Gesetzen.

Im Jahre 1931 wurde Max Horkheimer Leiter des Instituts, bei dem er schon seit der Gründung mitgearbeitet hatte. Entgegen der am Institut herrschenden marxistischen Ökonomie versuchte Horkheimer auch die Psychoanalyse bei seinen Arbeiten zu berücksichtigen[5]. Schwerpunkt seiner Forschungen war die Geschichte der Sozialphilosophie und die Frage der Interdisziplinarität. Horkheimer wollte dabei Philosophie und Gesellschaftsanalyse verbinden.

2. Status der Interdisziplinarität (interdisziplinärer Materialismus)

Die Forschung des Instituts erstreckte sich unter Horkheimer also nicht nur auf politökonomische Faktoren, sondern bezog auch die Wissenschaften über Recht, Psychologie, Literatur, Musik und Philosophie mit ein.

In seiner Antrittsrede legte Max Horkheimer dar, warum er der interdisziplinären Sozialforschung, mithin der Integration aller Überbauphänomene, einen so hohen Stellenwert einräumte. Für ihn hatten alle Lehren der Sozialphilosophen einen entscheidenden Mangel. Sie bestehen nur aus bloßer Thesen- und Bekenntnishaftigkeit, besitzen aber kaum eine methodisch-fachwissenschaftliche Fundierung[6]. Außerdem kritisierte er, daß die einzelwissenschaftliche Empirie und die philosophierende Theorie nebeneinander stehen, ohne daß eine systematische Verschränkung der Forschungsergebnisse stattfindet[7]. Das heißt, daß eine extreme Spezialisierung der einzelnen Fachwissenschaften einhergeht mit der Ausdifferenzierung und Abschottung wissenschaftlicher Disziplinen voneinander. Was übrig bleibt, sind einzelwissenschaftliche Ergebnisse, die höchstens additiv verbunden und somit aber auch nur theorielos zusammengefaßt werden können. Damit sind die empirisch-analytischen Fachwissenschaften aber nicht in der Lage, die Strukturen der Realität ausreichend zu erfassen. Diese Schwäche der einzelnen Fachwissenschaften werden im bürgerlichen Bewußtsein durch unwissenschaftliche Metaphysik verdeckt. Dieses Grundmuster zeigte sich für Horkheimer auch in der Positivismus und Metaphysik - Diskussion.

Der Positivismus besteht auf die empirische Forschung. Er verherrlicht bloßes Faktenwissen, ohne dabei über die Gegebenheiten hinauszudenken[8]. Der Verstand klassifiziert die einzelnen Ergebnisse, gelangt zu einer Abstrahierung, deren Zusammenhang aber unerkannt bleiben muß. Die Metaphysik hingegen macht sich Gedanken über die elementare Sinnfrage des "Wozu - der menschlichen Existenz?". Beide Auffassungen von Wissenschaft stehen sich als ideologieähnliche Richtungen gegenüber, statt sich gegenseitig zu befruchten.

Marx verknüpft nun schon Theorie und empirische Forschung. Deshalb darf die Kritik der politischen Ökonomie von Marx nur historisch reflektiert betrachtet werden. Um die Gesellschaft als unvergleichbares, sich fortwährend umstrukturierendes Ganzes zu begreifen, muß deshalb die Theorie und die empirische Forschung den jeweiligen gesellschaftlichen Problemen Rechnung tragen. Eine "materialistische Gesellschaftstheorie", die die empirischen und analytischen Ergebnisse der Einzelwissenschaften in der dialektischen Theoriebildungsform zusammensetzt, ist für Horkeimer geeigneter, um die Realität abzubilden. Die dialektische Theoriebildungsform ist ein Konzept, das die empirisch gewonnenen Begriffe zueinander in eine Beziehung bringt und somit den einzelwissenschaftlichen Ergebnissen erst den Darstellungswert gibt, den sie zur Konstruierung der Realität benötigen[9].

Sein Fazit bestand darin, daß aufgrund aktueller philosophischer Fragestellungen Forschungsarbeiten unternommen werden müssen, an denen Philosophen, Soziologen, Nationalökonomen, Historiker und Psychologen zusammenarbeiten[10]. Dabei soll die "Philosophie als aufs Allgemeine, <Wesentliche> gerichtete theoretische Intention den besonderen Forschungen beseelende Impulse geben und zugleich weltoffen genug sein, um sich selbst von dem Fortgang der konkreten Studien beeindrucken und verändern zu lassen"[11].

Horkheimer spricht sich in diesem Zusammenhang gegen die idealistische Dialektik Hegels aus, die die einzelnen fachwissenschaftlichen Ergebnisse unter die spekulative Philosophie subsumiert[12]. Im Gegensatz dazu steht die marxistische Dialektik, die auf einer wechselseitigen Bestimmung durch Hinzufügen von Ergebnissen der Fachwissenschaften und der Philosophie beruht. Beiden Dialektikansätzen liegt jedoch zugrunde, daß ein Erkenntnisobjekt niemals als isoliertes, aus seinem allgemeinen Zusammenhang herausgenommenes Objekt wahrgenommen wird, sondern nur in Bezug auf ein zumindest latent mitgegebenen Ganzen. Diese erkenntnistheoretische Maxime nennt man auch das Prinzip der "konkreten Totalität".

Das traditionelle Totalitätsverständnis diente nach Horkheimers Ansicht in erster Linie der Legitimation des Bestehenden. Empirische Einzeldaten wurden miteinander verknüpft, damit kann aber nur das abgebildet werden, was ohnehin schon besteht. Sie werden einem hypothetischen Ganzen zugeordnet und bleiben unverändert. Totalität für Horkheimer soll hingegen alle Interessen der Individuen zu einem Gesamtbild der bestehenden Gesellschaft verbinden, unter dem Gesichtspunkt der Veränderung des Gegebenen[13]. Man darf nicht den Begriff von dem isolieren, auf den er sich bezieht. Auch sind alle Erkenntnisstücke, die in dem Ganzen eingefügt sind, in ständiger Bewegung zu sehen.

Diese "Neuordnung" der wissenschaftlichen Arbeit bezieht Horkheimer aber nur auf die Sozialforschung, also auf die wissenschaftliche Untersuchung von "Gesellschaft"[14].

Seinem Konzept entsprechend waren in dem Institut für Sozialforschung Vertreter der von ihm genannten Wissenschaften beschäftigt: Max Horkheimer, später auch Herbert Marcuse als Philosophen, Friedrich Pollock als Ökonom, Erich Fromm als Psychoanalytiker, Henryk Grossmann als Volkswirt, Leo Löwenthal als Literatursoziologe und Theodor W. Adorno als Musikästhetiker und Kulturkritiker. Die Arbeiten des Instituts erschienen dann auch typischerweise in Form von Aufsätzen in der "Zeitschrift für Sozialforschung", die das "Grünberg Archiv" ablöste.

[...]


[1] Helmut Gumnior / Rudolf Ringguth, Max Horkheimer in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1973, S. 28ff.

[2] Das Institut für Sozialforschung, Horkheimer Archiv, zit. bei Gumnior / Ringguth, aaO, S. 29.

[3] Carl Grünberg, Festrede, gehalten zur Einweihung des Instituts für Sozialforschung an der Universität Frankfurt am Main am 22. Juni 1924, in: Frankfurter Universitätsreden XX, Frankfurt/Main 1924, S. 11.

[4] Martin Jay, Dialektische Phantasie, Frankfurt/Main 1976, S. 29.

[5] Carl-Friedrich Geyer, Kritische Theorie, Freiburg/München 1982, S. 10.

[6] Max Horkheimer, Die gegenwärtige Lage der Sozialphilosophie, in: Max Horkheimer. Sozialphilosophische Studien (Werner Brede, Hrsg.) Frankfurt/Main 1972, S. 39.

[7] Horkheimer, aaO (Fn. 6), S. 41.

[8] Jay, aaO, S. 70; Horkheimer, Der neueste Angriff auf die Metaphysik, in: ZfS 6, 1937, S. 27.

[9] Horkheimer, Zum Problem der Wahrheit, in: ZfS 4, 1935, S. 351.

[10] Horkheimer, aaO (Fn. 6), S. 40.

[11] Horkheimer, aaO (Fn. 6), S. 41.

[12] Horkheimer, Zum Rationalismusstreit in der gegenwärtigen Philosophie, in: ZfS 3, 1934, S. 24.

[13] Geyer, aaO (Fn. 5), S. 21.

[14] Helmut Dubiel, Wissenschaftsorganisation und politische Erfahrung, Frankfurt/Main 1978, S. 150.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Max Horkheimer und die "Frühe kritische Theorie"
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Institut für Politikwissenschaft)
Note
sehr gut - gut
Autor
Jahr
1989
Seiten
19
Katalognummer
V53482
ISBN (eBook)
9783638489249
ISBN (Buch)
9783656802327
Dateigröße
445 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Horkheimer, Frühe, Theorie
Arbeit zitieren
Dr. Gerald G. Sander (Autor:in), 1989, Max Horkheimer und die "Frühe kritische Theorie", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53482

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