Belastungen von betrieblichen Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern unter besonderer Berücksichtigung des Rollenstresskonzeptes


Magisterarbeit, 2005

94 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


A. Einführung in das Thema

1. Einleitung

Die Interessenvertretung auf betrieblicher Ebene begründet sich in der Bundesrepublik Deutschland auf der materiellen Rechtsgrundlage des Betriebsverfassungsgesetzes. Darin wird die Betriebsratsarbeit als Interessenvertretung bzw. als betriebliche Mitbestimmung verstanden, ein Muster, das auf das Betriebsrätegesetz von 1920 zurückgreift und sich von ihrer institutionellen Form von den Ausprägungen anderer europäischer Industrienationen – so vor allem England mit seinem „collective bargaining“, die den Gewerkschaften bzw. Unions in den Betrieben eine stärkere Handlungsmacht zubilligt (Kotthoff, 1981), unterscheidet. Als 1952 die erste Fassung des Betriebsverfassungsgesetzes rechtskräftig wurde, blieb der Protest der Gewerkschaften nicht aus, welche sich nicht zuletzt durch die Erfahrung der Zerschlagung der Gewerkschaften während der NS-Diktatur eine Stärkung ihrer Position in einer neu geordneten Wirtschaft nach 1945 erhofften (Schneider, 2000). Betriebsratstätigkeit heute ist de jure gewerkschaftsunabhängig und basiert auf den sozialpartnerschaftlichen Idealen der Zusammenarbeit zwischen den zu vertretenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, sowie der Arbeitgeberseite andererseits. Der Betriebsrat wird per legem in eine umfassende Friedenspflicht eingebunden und zur vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber verpflichtet, während die Grundelemente der unternehmerischen Freiheit in Form von wirtschaftlicher Entscheidungsfreiheit und Führung erhalten bleiben (Schneider, 2000). Das Betriebsverfassungsgesetz wurde nach 1952 noch zweimal novelliert. Mit der letzten Reformierung im Jahre 2001 waren von gewerkschaftlicher Seite große Hoffnungen geknüpft in Form einer erweiterten Mitbestimmungsmöglichkeit und einer rechtlichen Anpassung an die veränderten wirtschaftlichen und organisatorischen Strukturen von heute (Heilmann, 2001). Ob und inwieweit dies gelungen ist, wird auch in juristischen Kreisen konträr diskutiert (vgl. Richardi, 2001).

Gewerkschaft und Betriebsrat bilden die grundlegenden Bezugssysteme der „dualen Interessenvertretung“ (zur Genese dieses Begriffes vgl. Müller-Jentsch, 1997). Schmidt und Trinczek (1993) weisen darauf hin, dass zwar formal die Bezüge zwischen Gewerkschaft und Betriebsrat wenig ausgeprägt sind, jedoch faktisch auf personaler und funktionaler Ebene eine enge Verschränkung vorhanden ist. Betriebsrätinnen und Betriebsräte sind in hohem Maße gewerkschaftlich organisiert, so sind nach Kotthoff (2004) ca. 75% der Betriebsratsangehörigen Mitglieder einer DGB – Gewerkschaft. Zum anderen stellen Betriebsräte den Großteil am aktiven Gewerkschaftskader (Schmidt & Trinczek, 1993). Auch sind Betriebsrätinnen und Betriebsräte in hohem Maß auf die intensive Schulungsarbeit der Gewerkschaften angewiesen. Müller-Jentsch (1997) beleuchtet die Verflechtung hinsichtlich des Konfliktverarbeitungsaspektes: die Tarifpolitik der Gewerkschaften, die eine ihrer ureigenen Aufgaben darstellt, sowie die Umsetzung der „Anwendungsbedingungen“ auf betrieblicher Ebene auf der Basis der Betriebsverfassung bilden „Arenen“ zur Austragung und Verarbeitung von Interessengegensätzen. Hervorgehoben wird dieser Umstand, weil nach genauerem Besehen deutlich wird, in welchem Spannungsfeld sich die Betriebsratsarbeit befindet, die inmitten unterschiedlicher Erwartungen und Interessen seitens der Belegschaft eines Unternehmens, der Unternehmensleitung und der Gewerkschaften steht. Diese Beziehungsstrukturen können unter unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven zu betrachten sein. So gibt es z. B. eine Vielzahl an industriesoziologischen Untersuchungen (zum Überblick über den neueren Stand der Forschung vgl. Braun, 2002), die die (industriellen) Beziehungen zwischen den verschiedenen Akteuren der betrieblichen Mitbestimmung empirisch und theoretisch beleuchtet.

Wie ist es aber um den (arbeits-)psychologischen Blickwinkel bestellt? Und was bedeutet dies, um spezifischer zu werden, für die Belastungs- bzw. Beanspruchungsforschung? Seidl (1999) kritisiert, dass gerade in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Problematik von Stress, Druck und Belastung den betrieblichen Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern wenig Interesse geschenkt worden ist, obgleich das Thema Stress in der psychologischen Literatur zunehmende Aktualität erlangte und ein regelrechter Forschungsboom zu verzeichnen ist (Dücker, 1995), der mitunter eine kaum mehr überschaubare Zahl an Publikationen hervorbrachte. So fanden sich in der Datenbank für psychologische Literatur „ZPID“ über 720.000 Einträge (Stand: Oktober 2005), die unter dem Suchbegriff „Stress“ erschienen. Bislang ist aber die Liste von empirischen Untersuchungen im Hinblick auf die Betriebsratsarbeit kurz. Im deutschsprachigem Raum ist es zunächst Schienstock (1979), der sich dem Thema annimmt. Er schreibt: „Das Schlagwort Managerkrankheit sagt, dass es ein allgemeines Bewusstsein darüber gibt, welche Belastungen und gesundheitlichen Risiken eine Tätigkeit in höheren Rängen der Betriebshierarchie mit sich bringen kann. Dass es auch in der Betriebsratsarbeit Stressfaktoren gibt, die sich negativ auf das Wohlbefinden und die Gesundheit auswirken können, scheint dagegen weitgehend unbekannt zu sein.“ (Schienstock, 1979, S. 144). Ein Forschungsdefizit, das, wie Seidl (1999) hinweist, nicht grundlegend beseitigt wurde.

Trotz der eher geringen Zahl an arbeitspsychologischen Veröffentlichungen zu dem Thema, soll in dieser Magisterarbeit versucht werden, Belastungen im Hinblick auf die Betriebsratsarbeit zu thematisieren. Zunächst soll dazu der Aufgaben- und Tätigkeitsbereich der betrieblichen Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter skizziert werden. Dann soll das Spektrum der vielfältigen Ansätze der Belastung-, Beanspruchungs- bzw. Stressforschung beleuchtet werden. Wie noch aufzuzeigen sein wird, eignet sich das Konzept des Rollenstress von Kahn, Wolfe, Quinn, Snoek und Rosenthal (1964) in ganz besonderer Weise, die stressspezifischen Momente der Betriebsratstätigkeit aufzuzeigen. Der empirische Teil stellt einen Versuch dar, diesen Ansatz in die Praxis zu tragen. Dabei wurden über zwanzig Interviews mit betrieblichen Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern durchgeführt, um bestimmte Konfliktkonstellationen herausarbeiten zu können. Mehr noch. Meines Wissens wurde in der Literatur noch nie explizit diskutiert, inwieweit sich die Konfliktkonstellationen in rollenstresstheoretischer Hinsicht zwischen freigestellten und nicht-freigestellten Betriebsräten unterscheiden. Ab einer Betriebsgröße von 200 Beschäftigten ist nach dem Betriebsverfassungsgesetz eine Mindestfreistellungsgröße festgelegt. Das bedeutet, dass sich die Betriebsrätin bzw. der Betriebsrat ganz der Tätigkeit der betrieblichen Interessenvertretung widmen kann, während bei einer Nichtfreistellung die Betriebsratsarbeit neben der beruflichen Tätigkeit ausgeführt wird. Angesichts dieses Umstandes erscheint es sinnvoll, nicht von einer Belastungssituation per se auszugehen, sondern einen differenzierten Blick auf die Gegebenheiten zu versuchen.

2. Rahmenbedingungen der Arbeit von betrieblichen Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern

Das Mitbestimmungssystem in der Bundesrepublik Deutschland beruht auf den Säulen der Mitbestimmungsrechte sowohl auf betrieblicher Ebene wie auch auf Unternehmensebene. Letzteres Recht wird im Wesentlichen durch das Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) geregelt, das die Beteiligung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Aufsichtsrat größerer Unternehmen ermöglicht. Wie bereits kurz dargelegt, begründet sich die Mitbestimmung auf betrieblicher Ebene bzw. die Betriebsratstätigkeit auf der Grundlage des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG), heute in seiner aktuellen Form nach der Novellierung vom 01.08.2001. Betriebsrätinnen und Betriebsräte nehmen als zentrale Institution die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wahr. Dabei ist das Betriebsratsamt ein privatrechtliches Wahlamt, sowie ein Ehrenamt (Roos, 2002). Durch die einschlägigen Vorschriften des BetrVG und des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) sollen die innere und äußere Unabhängigkeit der Interessenvertreterin bzw. des Interessenvertreters gewährleistet werden. Dies bestimmt sich alleine schon aus der Unentgeltlichkeit der Amtsführung. Zudem darf den betrieblichen Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern weder Vor- bzw. Nachteile aus dem Amt erwachsen. Das Arbeitsverhältnis bleibt von dem ausgeführten Amt unberührt (Roos, 2002). Für die Betriebsrätin bzw. den Betriebsrat ergibt sich aus der Rechtssituation die Aufgabe als Repräsentantin bzw. Repräsentant der Belegschaft, die auf dem Grundsatz der „vertrauensvollen Zusammenarbeit“ mit der Geschäftsleitung fußt. Zwar verbietet sich eine parteipolitische Tätigkeit im Zusammenhang mit der Betriebsratstätigkeit, jedoch ist eine gewerkschaftspolitische Tätigkeit, die verfassungsrechtlich aus dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit erwächst, grundsätzlich durch die rechtlichen Bestimmungen möglich und auch geschützt. Für die Gewerkschaften ist einerseits eine Ausschöpfung der Rechtsvorschriften Voraussetzung, um in den Betrieben wirksam arbeiten zu können, so z. B. durch den Aufbau von gewerkschaftlichen Vertrauenskörpern in den Betrieben, sowie der Einbindung der Betriebsratstätigkeit in die gewerkschaftliche Betriebspolitik. Andererseits lässt das BetrVG bis dato nur Handlungsmöglichkeiten zu, die den tarifautonomen Regelungen nicht zuwiderlaufen. Schnell wird erkennbar, dass sich Betriebsratstätigkeit in mindestens drei verschiedenen Beziehungsstrukturen betrachten lässt. Einerseits spielt das Verhältnis zur Belegschaft im Sinne als Repräsentationsorgan eine Rolle. Andererseits ist der Betriebsrat zur vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber verpflichtet, wobei ihm per legem eine Friedenspflicht verordnet wird. Das Verhältnis zwischen Betriebsratsgremium und Arbeitgeberseite kann dabei von unterschiedlichster Art sein. Ersichtlich ist ein Interessengegensatz, der in verschiedenen Arbeitsinhalten wie z. B. hinsichtlich Entlohnung und Arbeitsbedingungen etc. zu erkennen ist. Dabei spielt es eine Rolle, in welcher Position sich das Betriebsratsgremium im Verhältnis zur Geschäftsleitung sieht. Thannheiser (2002) nennt hier verschiedene denkbare, jedoch nicht empirisch ermittelte Positionen, so z. B. den Betriebsrat als „neutralen Interessenvermittler“, der seine Position als „Neutrum“ zwischen den Beschäftigten und dem Unternehmer sieht oder als, in einer Pufferstellung befindlichen, „Beschützer“, der sich vor die Belegschaft stellt, sowie den Betriebsrat, die sich als Primus inter Pares versteht – im Sinne der Belegschaft und für diese handelnd. Mögen solche idealtypischen Beziehungspositionen nicht einmal theoretisch durchzuhalten sein, kann vielleicht nur verdeutlicht werden, dass die Beziehung zwischen Betriebsrat, Belegschaft und Geschäftsleitung des Betriebes bzw. Unternehmens von unterschiedlicher Art und Ausprägung ist, weil sie von unterschiedlichen Aspekten determiniert ist. Ebenso verhält es sich mit der Beziehung zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft. Schmidt und Trinczek (1993) unterschieden dabei drei verschiedene, aus empirischen Befunden gewonnene Konstellationen zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft. Eine „Verschmelzung“ findet statt bei Betriebsrätinnen und Betriebsräten, die quasi ihre Rolle als auf betrieblicher Ebene agierende Gewerkschaftssekretärinnen bzw. Gewerkschaftssekretäre sehen. Bei einer „Verschränkung“ versuchen die betrieblichen Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter einen Abgleich zwischen gewerkschaftlichen und den jeweiligen betrieblichen Interessen herbeizuführen. „Entkoppelt“ ist dann der Betriebsrat von der Gewerkschaft, wenn er in ihr eine reine Service-Abteilung im Sinne eines Schulungs- und Expertenapparates für rechtliche Fragen sieht. Wie auch immer das Verhältnis im speziellen Falle aussehen mag, lässt sich doch ein Spannungsverhältnis nicht leugnen: Einerseits müssen die Gewerkschaften, die nach dem Industrieverbandsprinzip organisiert sind, zu einer Konsensfähigkeit gelangen, die mobilfähige Wirkung hat, andererseits fällt den betrieblichen Interessenvertretern die Aufgabe zu, die Organisation gegenüber den schwer integrierbaren Partikularinteressen einzelner Belegschaftsmitglieder abzuschirmen (Schmidt & Trinczek, 1993). Für die tarifliche Ebene bedeutet das, dass von den Betriebsrätinnen und Betriebsräten Gestaltungsmacht dort verlangt wird, wo kein tariflicher Schutz der Gewerkschaften vorhanden ist. Gleichzeitig ist hier dann zu diskutieren, ob nicht die Antriebskräfte geschwächt werden, die zur Veränderung der tariflichen Defizite erforderlich sind (Kittner, 1992). So spricht Kotthoff (2004) von einer neuen Belastung zwischen Betriebsrat und Gewerkschaften durch die Verbetrieblichung der Tarifpolitik, die Hälker (2004) so beschreibt: „Diese Verbetrieblichung ist gekennzeichnet durch verschiedene Merkmale, deren Auftreten sich in wechselnder Form und Intensität feststellen lässt, die aber alle eines gemeinsam haben: Vormals ausschließlich oder vorwiegend zentral geregelte Konditionen der Arbeitsbeziehungen erfahren eine Dezentralisierung.“ (Hälker, 2004, S. 9). Die Bedingungen der betrieblichen Interessenvertretung zeichnen sich also nicht nur zwischen den Bruchlinien der verschiedenen, an der Mitbestimmung beteiligten Akteure ab, sondern sind auch nicht von dem Hintergrund sich verändernder politischer, rechtlicher und ökonomischer Gegebenheiten zu lösen, die in einem komplexen Wirkungszusammenhang Einfluss nehmen.

2.1. Die Organisation des Betriebsrates

Die Betriebsgröße, wie auch die Anzahl der Mitglieder des Betriebsrates, die das Betriebsratsgremium stellen, sind entscheidende Faktoren für die Interessenvertretung (Dörnen, 1998). Ab einer Zahl von fünf Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmern im Betrieb kann ein Betriebsrat gewählt werden. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind nach der Novellierung des BetrVG alle Angestellten und Arbeiter bzw. Auszubildenden, auch solche, die sich im Außendienst befinden, oder Tele- bzw. Heimarbeit verrichten. Das novellierte Gesetz ermöglicht auch die Wahlberechtigung von sogenannten Leiharbeitern, sofern sie länger als drei Monate im Betrieb beschäftigt sind. Die Zahl der Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter bestimmt sich nach den Vorschriften des § 9 BetrVG. Dabei wird je nach Größe der Arbeitnehmerzahl die entsprechende Zahl an Betriebsratsmitglieder vorgegeben. Verfügt ein Betriebsrat über mehrere Mitglieder, wird aus seiner Mitte eine Vorsitzende bzw. ein Vorsitzender und die jeweilige Vertretung gewählt. Diese, bzw. dieser übernimmt die Berufung und Organisation der Betriebsratssitzungen und leitet die Betriebsversammlungen. Hat ein Betriebsrat neun oder mehr Mitglieder, so bildet er einen Betriebsausschuss, dem stets die Betriebsratsvorsitzende bzw. der Betriebsratsvorsitzende und die Vertretung beiwohnt. Der Betriebsausschuss führt die laufenden Geschäfte des Betriebsrates. In Betrieben mit mehr als hundert Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern können Ausschüsse und Kommissionen gebildet werden, so z. B. Arbeitssicherheits- und Gesundheitsausschüsse, Umweltausschüsse, Sozialausschüsse, EDV-Ausschüsse, Gehaltskommissionen etc. Dem Wirtschaftsausschuss kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Dort sollen wirtschaftliche Angelegenheiten mit der Unternehmensführung beraten werden. Das bedeutet also, dass in größeren Unternehmen die betriebliche Mitbestimmung in spezifische arbeitsteilige Strukturen zerlegt wird und so an Komplexität gewinnt. Zentral ist auch die Höhe der freigestellten Betriebsräte, die nach § 38 BetrVG von ihrer beruflichen Tätigkeit, je nach Größe der Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerzahl, freizustellen sind. Dies beginnt ab einer Zahl von mindestens zweihundert Beschäftigten, wobei ein Betriebsratsmitglied, welches in geheimer Wahl aus der Mitte der Betriebsräte gewählt wird, als freigestellte Betriebsrätin bzw. freigestellter Betriebsrat die Aufgaben der Interessenvertretung wahrnehmen kann. Im Gesetz werden allerdings nur Mindestfreistellungsgrößen angegeben. In Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen kann darüber hinaus gegangen werden, wenn dies zu einer ordnungsgemäßen Durchführung der Betriebsratsarbeit notwendig ist (Gnade, Kehrmann, Schneider, Blanke & Klebe, 1999). Eine zahlenmäßige Vertretung gemäß der Organisationsstruktur und Anzahl an Arbeiterinnen und Arbeitern bzw. Angestellten wird in der novellierten Fassung des BetrVG nicht mehr vorgesehen. Wohl aber nach wie vor eine angepasste Zusammensetzung nach Beschäftigungsarten und Geschlechtern. Weiterhin spricht das Gesetz von der Errichtung einer betrieblichen Jugend- und Auszubildendenvertretung, wobei dies kein gleichberechtigtes Organ der Interessenvertretung darstellt, sondern eher Unterstützungsfunktion des Betriebsrates hat. Durch die unterschiedlichen Gremien wie das des Gesamtbetriebsrates (in einem Unternehmen bestehen mehrere Betriebsräte) bzw. des Konzernbetriebsrates (in mehreren Tochterunternehmen bestehen Betriebsräte) soll die Interessenvertretung komplexeren Unternehmensstrukturen gewahrt bleiben. Zusätzlich gibt es noch in international agierenden Unternehmen europäische Betriebsräte bzw. Weltbetriebsräte. Rechtlich stützt sich der europäische Betriebsrat auf das „Europäische Betriebsräte Gesetz“ und erfasst in seinem Geltungsbereich gemeinschaftsweit operierende Unternehmen und Unternehmensgruppen mit jeweils mindestens tausend Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in den Mitgliedsstaaten, wobei eine bestimmte Mindestanzahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in mindestens zwei Mitgliedstaaten beschäftigt sein muss (Klinkhammer & Welslau, 1995). Mitbestimmung ist also, wie noch unter Punkt 2.2.4. problematisiert werden soll, immer im Zusammenhang von komplexen, sich auf internationale Ebene ausweitende, Unternehmensstrukturen zu sehen.

Für die Organisation des Betriebsrates ist ebenso die gewerkschaftliche Einbindung in den Betrieb von Bedeutung. Zunächst entscheidet die Branchenzugehörigkeit des Betriebes über die Zuordnung zu einer Industriegewerkschaft. Dabei kann es in Unternehmen jedoch durchaus verschiedene Wahlalternativen z. B. durch betriebliche Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerbündnisse bzw. gewerkschaftsähnliche Gruppierungen geben. So erfährt also ein Betriebsratsgremium ggf. eine sehr heterogene Zusammensetzung. Werden mehrere Wahlvorschläge eingereicht, führt dies zu einem Umstand, der zu gesonderten Wahlmodalitäten führt. So werden in diesem Falle sogenannte Listenwahlen durchgeführt, wobei jede Gewerkschaft bzw. Wahlalternative, die sich an der Wahl beteiligt, eigene Kandidatenlisten erstellt. Die Wählerinnen bzw. die Wähler haben dann die Möglichkeit, zwischen den Listen zu wählen, währenddessen bei einer Personenwahl eine einzelne Bewerberin bzw. ein einzelner Bewerber direkt gewählt werden kann. Die Aufstellung von Listen für gewerkschaftlich organisierte Bewerberinnen und Bewerber ist insbesondere Aufgabe der Vertrauenskörper in den Betrieben. Dies ist ein Gremium, das sich aus den Vertrauensleuten zusammensetzt, welche neben den Betriebsrätinnen und Betriebsräten die zweite Form der Interessenvertretung im Betrieb wahrnehmen und ehrenamtlich als Vermittler zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und der örtlichen Gewerkschaftsleitung arbeiten (Koopmann, 1981). In der Regel sind Betriebsrätinnen und Betriebsräte im Vertrauenskörper vertreten und übernehmen ggf. auch die Vertrauenskörperleitung, was zusätzlich zu einer Verschränkung zwischen betrieblicher Interessenvertretung und Gewerkschaftsarbeit führt.

2.2. Die Aufgaben der betrieblichen Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter

Die Aufgaben der Betriebsrätin bzw. des Betriebsrates erstrecken sich über ein breites Spektrum, welches sich aus den Rechten bzw. Pflichten des BetrVG ergibt. Von der Friedenspflicht bzw. der Pflicht zur vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber wurde bereits gesprochen. Darüber hinaus bestehen Geheimhaltungs- und Verschwiegenheitspflichten was Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse anbelangt. Das BetrVG beinhaltet ein System von verschiedenen Beteiligungsrechten, die in ihrer Intensität nach abgestuft sind und vom Informationsrecht über ein Mitwirkungsrecht bis hin zum sog. echten Mitbestimmungsrecht reichen. Von letzterem wird immer erst dann gesprochen, wenn im Streitfall zwischen Betriebsrat und Unternehmen die Einigungsstelle angerufen werden muss, deren Entscheidung dann rechtlich bindend ist (Thannheiser, 2002). Ein bedeutsames Mittel der vertraglichen Regelung zwischen Interessenvertretung und Unternehmer sind sowohl in den kollektivvertraglichen Regelungen der Tarifverträge wie auch in den zwischen betrieblicher Interessenvertretung und Arbeitgeberseite abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen zu sehen. Diese sollen eben jene Stellen schließen, die nicht durch gesetzliche oder tarifliche Vorschriften geregelt sind. Die Beteiligungsrechte sollen hier nochmals kurz skizziert werden aufgrund der Systematik des vierten Teiles des BetrVG, in der die Mitbestimmung in soziale, personelle und wirtschaftliche Angelegenheiten gegliedert wird, wobei nur einige Aspekte beleuchtet werden können und auf eine ausgewogene Darstellung rechtlicher Probleme verzichtet werden muss.

2.2.1. Beteiligung in sozialen Angelegenheiten

Die Mitbestimmungsrechte für soziale Angelegenheiten sind in § 87 BetrVG geregelt. Hier hat der Betriebsrat, sofern keine gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen bestehen, Mitbestimmungsrechte beispielsweise den Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeiten oder vorübergehende Verkürzungen oder Verlängerungen der üblichen Arbeitszeiten, sowie Zeit, Ort und Art der Zahlung der Arbeitsentgelte etc. Gerade in größeren Unternehmen stellt die Aufgabe der Ausgestaltung und Verwaltung von Sozialeinrichtungen, wie Erholungseinrichtungen, Kantinen und Werkswohnungen einen wichtigen Faktor der Betriebsratsarbeit dar. Mit der Novellierung des BetrVG ist zudem ein Vorschlagsrecht bzw. Initiativrecht des Betriebsrates zur Beschäftigungssicherung mit aufgenommen worden. Hier kann der Betriebsrat aktiv mit bestimmten Vorschlägen wie z. B. zur flexiblen Gestaltung der Arbeitszeit, neuen Formen der Arbeitsorganisation etc. Vorschläge zur Beschäftigungssicherung machen. Grundsätzlich setzen jedoch die verschiedenen Formen der Beteiligungsrechte ein Informationsrecht voraus. Dies folgt aus einem allgemeinen Informationsanspruch nach § 80 Abs. 2 BetrVG. Hier wird ausdrücklich davon gesprochen, dass der Betriebsrat rechtzeitig und umfassend von der Unternehmensseite zu unterrichten ist, was in der betrieblichen Praxis ein durchaus sensibles Thema darstellen kann. Im Grunde sind die in § 80 BetrVG aufgelisteten allgemeinen Aufgaben der Interessenvertretung, primär soziale Aufgaben, wenn man an die Aufgaben über die Einhaltung gesetzlicher und tarifvertraglicher Vorschriften denkt, sowie die Durchsetzung der tatsächlichen Gleichstellung zwischen Frau und Mann oder die Eingliederung Schwerbehinderter, bzw. die Förderung älterer Arbeitnehmer im Betrieb.

2.2.2. Beteiligung in personellen Angelegenheiten

Im BetrVG gibt es Vorschriften, die zum einen generelle personalwirtschaftliche Planungsinstrumente und zum anderen personelle Einzelmaßnahmen betreffen. Zu ersterem gehören z. B. die Erstellung von Personalfragebögen, Beurteilungsgrundsätzen und dem Aufstellen von Auswahlrichtlinien. Diese bedürfen der Zustimmung des Betriebsrates. Personelle Einzelmaßnahmen sind Aufgaben der Einstellung, Versetzung und Kündigung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Frage, ob für die Interessenvertretung im Bereich der personellen Angelegenheiten ein echtes Mitbestimmungsrecht darstellt, wie dies Dörnen (1998) ausführt, ist fraglich, da z. B. bei Einstellung und Versetzungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern lediglich ein Widerspruchsrecht bzw. ein Zustimmungsvorbehalt besteht. Im Falle einer Kündigung muss der Betriebsrat beispielsweise unterrichtet werden. Ein Widerspruch führt indessen nicht zur Unwirksamkeit einer Kündigung, allerdings aber zu einer einstweiligen Weiterbeschäftigung bis zur, im Extremfall, rechtskräftig herbeigeführten Entscheidung in einem Kündigungsrechtsstreit. Man kann hier eher von einer Mitwirkung als von einer Mitbestimmung sprechen (Klinkhammer & Welslau, 1995). Einen anderen wichtigen Aspekt stellt die Förderung der Berufsbildung dar. Hier wird ein weitreichendes Spektrum der Einflussnahme betrieblicher Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter berührt, das z. B. von dem Informationsrecht über die berufliche Entwicklung einzelner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis zur Teilnahme an Planungen über die betriebliche und außerbetriebliche Berufsbildung im Zusammenhang mit dem Initiativ- und Beratungsrecht reicht. (Dörnen, 1998).

2.2.3. Beteiligung in wirtschaftlichen Angelegenheiten

In dieser Hinsicht besteht die geringste Möglichkeit für die betriebliche Interessenvertretung, Einfluss zu nehmen (Dörnen, 1998). Es besteht praktisch nur ein Unterrichtungsrecht und ein Beratungsrecht des Betriebsrates (Klinkhammer & Welslau, 1995). Wie oben erwähnt, ist ab einer Betriebsgröße von hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Unternehmen ein Wirtschaftsausschuss zu bilden, wobei aus den höchstens sieben Mitgliedern, die dem Wirtschaftsausschuss angehören, lediglich mindestens ein Mitglied dem Betriebsrat angehören muss. Die Besonderheit daran ist, dass der Wirtschaftsausschuss kein Entscheidungsorgan ist. Ihm kommt eine Beratungs- und Unterrichtungsfunktion zu, bezüglich der wirtschaftlichen und finanziellen Lage des Betriebes, sowie über geplante Rationalisierungsmaßnahmen etc. Jedoch steht dies unter dem Vorbehalt, dass Informationen von der Geschäftsleitung nur soweit herausgegeben werden sollen, soweit dadurch nicht Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gefährdet werden. Die Erstellung eines Sozialplanes schließlich bezieht sich auf den in § 111 BetrVG beschriebenen Fall der Betriebsänderung, wie z. B. bei der Einschränkung oder Stilllegung des Betriebes bzw. von Betriebsteilen. Hier kommt dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zu und es muss ein Interessenausgleich zwischen Unternehmen und Betriebsrat erfolgen. Wenn dies nicht der Fall ist, bzw. eine Einigung über den Sozialplan nicht zustande kommt, führt dies unter Umständen zum Prozedere des Versuchs einer Einigung über eine Einigungsstelle. Allerdings gibt es im Falle der geplanten Betriebsänderung bei der Entlassung einer bestimmten Anzahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Möglichkeit eines durch den Arbeitgeber erzwingbaren Sozialplanes. Auch ist ein Sozialplan erzwingbar bei einem Stellenabbau von Betrieben eines Unternehmens innerhalb der ersten vier Jahre seiner Gründung. So sind dem Mitbestimmungsrecht der betrieblichen Interessenvertretung deutliche Grenzen gesetzt. Dörnen (1998) kritisiert, dass die geringe Einflussmöglichkeit der betrieblichen Interessenvertretung im wirtschaftlichen Bereich problematisch ist, gerade im Hinblick auf die fortschreitende Technisierung sowie anstehenden organisatorische Veränderungen im Zuge moderner Flexibilisierungs- und Internationalisierungstendenzen.

2.2.4. Betriebliche Interessenvertretung vor neuen Aufgaben

Dörnen (1998) diskutiert den Wandel der traditionellen Betriebsratstätigkeit und führt dies auf gegenwärtige Tendenzen der Flexibilisierung, Deregulierung und Globalisierung zurück. Deiß (2000) veranschaulicht moderne Wettbewerbsbedingungen am Beispiel der Automobilzulieferindustrie: weltweite Konkurrenz, Outsourcing, unregelmäßiger Lieferabruf, Global Sourcing im Hinblick auf Teilebeschaffung, Internationalisierung der Produktion, Unternehmenskonzentrationen und Dezentralisierung der Betriebe mit mehr oder weniger abhängigen Business Units brechen traditionelle Strukturen der betrieblichen Interessenvertretung auf. Diese tiefgreifenden Veränderungen der Wettbewerbsbedingungen stellen an die Betriebsratsarbeit unterschiedlichste neue Anforderungen dar. Zum einen besteht das Problem, dass durch Outsourcing und Betriebsabspaltungen die betriebliche Interessenvertretung zunächst wegbricht und neu organisiert werden muss (zum Überblick über die rechtlichen Konsequenzen von Unternehmensumstrukturierungen auf die Betriebsverfassung vgl. Brockschmidt, 1997). Zum anderen sind in international agierenden Unternehmen neue Formen transnationaler Interessenvertretung von Bedeutung. Deiß (2000) weist darauf hin, dass Betriebsrätinnen und Betriebsräte vornehmlich den Erhalt an Arbeitsplätzen im Auge haben, was zum Beschluss von betrieblichen Standortsicherungspaketen führt, welche andererseits überbetrieblich fixierte Lohn- und Arbeitsbedingungen substituieren. Der Spagat für die betrieblichen Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter wird größer, je mehr betriebsinterne Interessen sich von der unternehmensübergreifenden Tarifpolitik unterscheiden. Neben dieser Tendenz nennt Kotthoff (2001) noch weitere Faktoren, die die Betriebsratsarbeit verändern. Durch die Zentralisierung wirtschaftlicher Macht, durch Unternehmensfusionen und Ankäufe würden strategische Entscheidungen auf Ebenen verlagert werden, die für die lokal agierenden Betriebsräte nicht erreichbar wären. Außerdem, so der Autor, werde durch die moderne Shareholder-Value-Philosophie Mitbestimmung als systemfremd marginalisiert. Ein weiteres Problem stellt auch das Wachstum des Dienstleistungssektors dar. Diese Betriebe seien in der Mehrzahl Kleinst- oder Kleinbetriebe, die nur in wenigen Fällen einen Betriebsrat haben. Zumal zeigt gerade die Angestelltenkultur eine große Distanz gegenüber den Gewerkschaften auf (Kotthoff, 2004). In dieser Hinsicht kündigt sich ein Wandel des Selbstverständnisses betrieblicher Interessenvertretung an. Deiß (2000) bemerkt, dass veränderte wirtschaftliche Strukturen zu neuen Anforderungen hinsichtlich der facheigenen Kompetenzen von betrieblichen Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern führen, was überfachliches Wissen und betriebswirtschaftliche Kenntnisse notwendig machten. Darüber hinaus führt dies zu einem neuen Rollenverständnis der Betriebsrätinnen und Betriebsräte (Hälker, 1999) und verändert jedoch die Beziehung zu Belegschaft, Geschäftsleitung und Gewerkschaft, da der Vertretungsprozess auf betrieblicher Ebene „von oben ins Rollen kommt“ (Kotthoff, 1994) und die Beziehung zur Gewerkschaft neu definiert werden muss. Diese Veränderung der Betriebsratsarbeit, wird häufig mit dem Begriff des Co-Managements verbunden (Bierbaum, 2000). Bundesmann-Jansen und Frerichs (1995) verstehen unter dem Begriff des Co-Managements die Übernahme bzw. Teilnahme an Managementaufgaben durch den Betriebsrat mit der Unterstützung der Beschäftigten zur Wahrnehmung und Wahrung von deren Interessen. Darin steckt eine Grundkonzeption, die nicht von dem Hintergrund neuer Managementkonzepte wie Lean Management, TQM oder Change Management, zu lösen ist (Bierbaum, 2001). Dies wurde gerade in den 90er Jahren zu einem Gegenstand idealisierter Vorstellungen von Betriebsratsarbeit, wie Dörre (2002) anmerkt: „Die Firmenbürokratie mit ihren starren Hierarchien hat abgedankt. Intelligente Organisationen benötigen denkende, kreative, selbständige Mitarbeiter. In Unternehmen, die aus höchst egoistischen Motiven an der Pflege ihres Humankapitals interessiert sind, ist der Klassenkampf passé. Firmenleitung und Betriebsräte werden zu Partnern im globalen Wettbewerb. An die Stelle des standhaften Interessenvertreters tritt der wendige Co-Manager. Und eine umfassende Beteiligung der Beschäftigten löst antiquierte Mitbestimmungsrituale ab.“ (Dörre, 2002, S. 15). Innerhalb der Gewerkschaften wird dieses Betriebsratsverständnis kontrovers diskutiert (Wehner, 2001), und ruft jene Gegner auf den Plan, die einen unüberwindbaren Gegensatz von Arbeit und Kapital postulieren. Ein Problem, dem sich Hälker (2004) in einer empirischen Untersuchung nähert, von der in Punkt 2.3. nochmals die Rede sein soll. Im Kern führt die Auseinandersetzung mit dem Co-Management-Begriff aber zu einer Diskussion, die durchaus auch als Wertedebatte verstanden werden kann: „Während die einen den Begriff des „Co-Managements“ positiv im Sinne einer Professionalisierung der Betriebsratsarbeit interpretieren, die auf Gestaltung unternehmerischer und betrieblicher Prozesse abzielt – und dabei eben durchaus der Tätigkeit des Managements vergleichbar ist -, stellt für andere „Co-Management“ die Chiffre für eine in die Unternehmensziele integrierte und damit dem Kapital unterworfene, also subalterne Interessenvertretung dar“ (Bierbaum, 2002, S. 147). Denn gerade die traditionelle Rolle der Betriebsratstätigkeit erwuchs zunächst aus dem Gedanken der Schutzfunktion und positionierte sich als Gegenmacht zu den Kapitalinteressen. Der Begriff der Gegenmacht ist letztlich in der marxistischen Konzeption von Klassen und dem Grundgedanken der Polarisierung der Gesellschaft in die Lager der Bourgeoisie und Proletariat verwurzelt (Hälker, 1999) und hatte eine besondere Bedeutung für die Kohäsionskräfte innerhalb der Arbeiterbewegung (Steinberg, 1991). So ist einerseits der Begriff des Co-Managements innerhalb der Gewerkschaften hoffähig geworden (Hälker, 1999), erfährt aber andererseits große Kritik, da dieser an der gegenwärtigen Lage vorbeigehe: „Altes und Neues steht nebeneinander und überlagert sich: Tayloristische und moderne Produktionskonzepte, alte Hierarchien und offene Managementformen, das traditionelle Arbeitsverhältnis (Normalarbeitsverhältnis) mit Geltung für 70% der Arbeitnehmer, und neue (flexible) Vertragsgestaltungen. Die Gemengelage zwischen traditionell und modern lässt noch nicht den Schluss zu, dass die Knotenlinie des industriellen Maßverhältnisses eines Umschlags in die postfordistische Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft erreicht ist.“ (Wehner, 2001, S. 63). Dies spricht gegen das Resümee, das Kotthoff (1994) in einer neueren industriesoziologischen Untersuchung in Bezug auf den Wandel der Mitbestimmung zieht: „Der Diskurs über Ziele und Folgen der Mitwirkung ist in den Betrieben ent-ideologisiert. Er ist kein dramatisches Thema mehr. Beide Seiten haben mit dem, was dabei herausgekommen ist, zu leben gelernt. Die heiße Luft des ideologischen Kampfes ist raus. Die Diskussion ist sachlicher geworden. Damals war der Diskurs über Mitbestimmung eine Auseinandersetzung über ein gesellschaftspolitisches Programm. Heute ist das Reden über Mitbestimmung ein nüchternes Berichten über betriebliche Praxis.“ (Kotthoff, 1994, S. 41, Hervorhebung durch den Autor).

2.3. Betriebliche Interessenvertretung als Forschungsobjekt

Seidl (1999) weist auf die Brüchigkeit sozialwissenschaftlichen Interesses im Hinblick auf die Betriebsratstätigkeit hin. Dabei ist die Betriebsratstätigkeit unter den Gesichtspunkten verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen, wie z. B. in der soziologischen und in jüngerer Zeit in der betriebs- und personalwirtschaftlichen Literatur beleuchtet worden (Seidl, 1999). Bosch (1997) unterteilte die industriesoziologische Forschung in verschiedene Phasen. Die Autorin nennt erstens die klassische Phase bis zum Beginn der 60er Jahre, worunter die Arbeiten von Dahrendorf (1959) und Fürstenberg (1958) zu zählen sind. Bereits in diesen Arbeiten wurden in betrieblichen Strukturanalysen zum einen typische Rollenkonflikte des Betriebsrates und zum anderen die Bedeutung informeller Prozesse im Hinblick auf die formalen Regelungen betrieblicher Übereinkünfte diskutiert (Bosch, 1997). So sprach Fürstenberg (1958) bereits von der „Puffersituation“ von Betriebsräten, welche auf einem dreifachen Spannungsverhältnis zwischen Belegschaft, Gewerkschaft und Geschäftsführung basieren. Zweitens wird in der marxistisch beeinflussten Phase der Aspekt der gegensätzlichen Interessen beleuchtet, bis schließlich zum Ende der 70er Jahre die Beziehung zwischen Management und Betriebsrat thematisiert wurde und vor allem die Arbeit von Kotthoff (1981) Bedeutung erlangte, weil hier erstmals der monolithische Betriebsratsbegriff mittels einer Typologie differenziert wurde und auf große Resonanz in der Industriesoziologie stieß (Seidl, 1999). In der Phase der „arbeitspolitischen Wende“ wurde die Beziehung zwischen Management und Betriebsrat, die beide soziale Gruppierungen darstellen, im Hinblick auf die betriebliche Sozialordnung bzw. Sozialverfassung untersucht (Bosch, 1997). Kotthoff (1994) beschreibt den Paradigmenwechsel folgendermaßen: „Mit dem Konzept „betriebliche Sozialordnung“ soll die ökonomisch-materialistische Sichtweise des Betriebes durch die Wiederentdeckung und Akzentuierung „des Sozialen“ im Betrieb ergänzt werden. Der Betrieb soll handlungssoziologisch als sozialer Prozess, als ein Beziehungsfeld begriffen werden, das der Subjektivität und der Beziehungsgeschichte der Akteure Beachtung schenkt.“ (Kotthoff, 1994, S. 22). Dabei wird das ursprüngliche „Kontrollparadigma“ in der Industriesoziologie kritisiert, das den Betrieb als Zwangsverband und Unterwerfungsapparates konstruiert (Kotthoff, 1994). In seiner vorhergehenden Untersuchung, die noch in der theoretischen Tradition von Dahrendorf steht, welche die Mitbestimmung als Institutionalisierung des industriellen Konfliktes thematisiert (Braun, 2002) unterscheidet Kotthoff (1981) sieben verschiedene „idealtypische“ Interaktionsmuster zwischen Betriebsrat und Management, die hier kurz skizziert werden sollen:

1. Der ignorierte Betriebsrat

Die Betriebe selbst sind in organisatorischer wie auch sozialer Sicht überschaubar. Es besteht eine direkte Allgegenwart des Chefs. Dem Betriebsrat fehlen Arbeits- und Mitwirkungsmöglichkeiten, da der Chef ihn mit keinem Entscheidungsbereich betraut, diesen auch nicht informiert. Der Einfluss der Gewerkschaften ist gering. Der Betriebsrat ist auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer etwas Nebensächliches.

2. Der isolierte Betriebsrat

Der isolierte Betriebsrat ist hauptsächlich in Betrieben anzutreffen, die in der Regel vom Firmeneigentümer geleitet werden. Es herrscht ein Klima der Willkürherrschaft. Arbeitsrechtliche und tarifrechtliche Verletzungen sind an der Tagesordnung. Der Betriebsrat ist selbst davon betroffen und eine Mitwirkung wird ihm verweigert. Das Verhältnis zur Gewerkschaft begründet sich auf keiner konstruktiven Basis, auch wenn die Betriebsratsmitglieder die Gewerkschaften als notwendig ideologisch-politischen Unterstützungsfaktor sehen.

3. Der Betriebsrat als Organ der Geschäftsleitung

Dieser Betriebsrat ist in die Herrschaftsstrukturen des Betriebes, dem „patriarchalischen Privatunternehmen“ integriert, was bei verschiedenen Betriebsgrößen der Fall sein kann. Es herrscht eine eigene Philosophie des Hauses, gewerkschaftliche Integration wird abgeblockt, Vertrauensleute gibt es keine. Die Belegschaft begegnet dem Betriebsrat mit Distanz. Dieser Typus war in der Untersuchung des Autors am häufigsten vertreten.

4. Der respektierte zwiespältige Betriebsrat als Ordnungsfaktor

Diese Partizipationsform findet sich in überwiegender Zahl in größeren Betrieben, die sich nicht in Privatbesitz befinden. Der Betriebsrat wird von der Geschäftsleitung als autonomes Vertretungsorgan aber jedoch nicht als „Pressure Group“ der Belegschaft akzeptiert. Es herrscht ein hoher gewerkschaftlicher Organisationsgrad. Der Betriebsrat zielt auf eine ausgleichende, moderate Vertretung der Belegschaft ab.

5. Der respektierte, standfeste Betriebsrat

Hier definieren sich die Betriebsratsmitglieder aufgrund ihrer Rolle als Interessenvertreter der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es besteht eine regulierte Konfliktbeziehung zur Geschäftsleitung. Der Betriebsrat vertritt beharrlich die Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Die Vertrauensleute sprechen das entscheidende Wort bei der Aufstellung für die Betriebsratswahlen.

6. Der Betriebsrat als kooperative Gegenmacht

Es besteht eine intensive Kommunikation zwischen Betriebsrat, Belegschaft, Vertrauensleuten und eine offensive Konfliktbeziehung zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung. Die Geschäftsleitung bringt dem Betriebsrat Vertrauen entgegen. Dieser selbst ergeht sich innerhalb seines Gremiums nicht in Status- und Machtkämpfe. Der Betriebsrat versteht sich auch als gewerkschaftliche Interessenvertretung und fühlt sich auch gegenüber seinen Vertrauensleuten verantwortlich.

7. Der klassenkämpferische Betriebsrat

Dieser, von Kotthoff (1981) als Ausnahmetypus beschrieben, repräsentiert den Betriebsrat, der rechtliche Regelungen ablehnt. Das Verhältnis zu den Vertrauensleuten und zur Belegschaft ist sehr eng und solidarisch, jedoch ist das Klima zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung sehr angespannt und jede Form der Kooperation wird abgelehnt.

In zweidrittel aller untersuchten Unternehmen fand Kotthoff (1981) eine defiziente Form der Interessenvertretung vor (also Partizipationsmuster der Typen 1 bis 3).

Kotthoff (1994) wies nun in seiner Folgestudie auf veränderte Rahmenbedingungen hin, die u.a. in einer Veränderung des mitbestimmungspolitischen Diskurs-Klimas in den Betrieben von einem konfliktären zu einem kooperativen und sachbezogenen Verhältnis führten. Auch ein Wandel in der Beziehung zwischen Betriebrätinnen und Betriebsräten und Gewerkschaft ist nach Kotthoff erkennbar: der erstarkte Betriebsrat nutzt zwar die Gewerkschaft als Serviceapparat, lässt sich aber in betriebspolitischen Dingen nicht hineinreden, obgleich ein Bewusstsein darüber herrscht, dass die Macht des Betriebsrates in einem Unternehmen von seiner Identifikation mit der Gewerkschaft abhängt. Der Autor zeigt eine deutliche Zunahme von effizienten Interessenvertretungsmustern auf, was mit der Veränderung der Mitbestimmungspolitik, die parallel zu einem Niedergang patriarchalischer Herrschaftsstrukturen innerhalb der betrieblichen Sozialordnung verläuft, begründet wird. Autorinnen wie Osterloh (1993) und Bosch (1997) konzentrierten sich auf einen weiteren Ansatz, der die Interaktionsbeziehungen zwischen Management und Betriebsrat in ihrem prozessualen Wandel berücksichtigt. Die gemeinsame Botschaft der Untersuchungsergebnisse lautet (Koffhoff, 2001), dass die betriebliche Mitbestimmung heute an Konturen gewonnen hat und sowohl von der Mehrzahl an Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, wie auch in weiten Bereichen der Wirtschaft akzeptiert wird. Bosch (1997) resümiert: „Die Interaktionskultur zwischen Management und Betriebsrat ist einem Prozess der Entpolitisierung und Versachlichung unterworfen und hat auch veränderte Interaktionsformen hervorgebracht.: Ein sachbezogener Pragmatismus ist mittlerweile das dominante Muster der Kommunikation; politisierte und polarisierende Interpretationsmuster betrieblicher Probleme treten zunehmend in den Hintergrund.“ (Bosch, 1997, S. 185. Hervorhebung durch die Autorin).

Eine sozialwissenschaftliche Untersuchung, die Rollenkonflikte (dieser Begriff wird unter Punkt 3.2.1.1. eingehender diskutiert) von Betriebsratsmitgliedern thematisiert, die sich als Co-Manager bzw. sich in der traditionellen, gegenmachtsorientierten Rolle sehen, liefert Hälker (2004). In der Untersuchung, in der 79 Interessenvertreter der Duisburger Metallindustrie mittels einer quantitativen Erhebungsmethode befragt wurden, ging der Autor von der zentralen Hypothese aus: „Betriebsräte, die als Co-Manager agieren, geraten mit dieser neuen kooperativen Rolle in einen Konflikt mit ihrer traditionellen Rolle als gegenmachtsorientierte Gewerkschafter.“ (Hälker, 2004, S. 28). Zwar konnte diese Hypothese nicht bestätigt werden, jedoch postulierte Hälker generelle Rollenkonflikte sowohl für die Gruppe der Co-Manager wie auch für die der „traditionellen“ Betriebsratsmitglieder. Erklärt wurde dies anhand der widersprüchlichen Aussagen, die von den Befragten geäußert wurden. Z. B. stimmten 60,8% der Befragten zu, dass die IG Metall als Kampforganisation stärker kämpferisch auftreten sollte, andererseits meinten 79,2% der Befragten, dass die IG Metall eine verstärkt vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Unternehmen suchen sollte. Widersprüchliches Antwortverhalten dieser Art wurde von dem Autor mit dem Vorhandensein von Rollenkonflikten begründet.

2.4. Diskutierte spezifische Belastungen von betrieblichen Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern in der psychologischen Literatur

Wie bereits angedeutet, sind Veröffentlichungen bzw. empirische Arbeiten über Betriebsratstätigkeit in der deutschsprachigen (arbeits-)psychologischen Literatur eher rar. Neben der Veröffentlichung von Schienstock (1979) untersucht Seidl (1999) Befindensbeeinträchtigungen und Beanspruchungen von 83 Betriebsrätinnen und Betriebsräten aus fünf österreichischen Bundesländern mittels computergestützter Fragebögen. Eine vergleichbare empirische Untersuchung in der Bundesrepublik Deutschland steht noch aus. Schienstock (1979) beschreibt im einzigen Beitrag innerhalb des deutschen Sprachraumes (Seidl, 1999) in dem Artikel „Interessenkonflikt und Stress. Belastungen in der Betriebsratsarbeit“ verschiedene Stressfaktoren.

1. Belastungen durch Rollenkonflikt

Der Betriebsrat muss mehreren Personengruppen gerecht werden, was zu einem Rollenkonflikt führt: „Rollenkonflikt ist dem Betriebsrat sozusagen per Gesetz durch die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes verordnet. (…) Diese Rechtsnorm lässt erkennen, wie viele Spannungsmomente die Rolle des Betriebsrates enthält, sichert sie doch mindestens drei Gruppen einen Einfluss auf das Verhalten des Betriebsrates: der Belegschaft, dem Unternehmer bzw. der Geschäftsleitung und den Gewerkschaften.“ (Schienstock, 1979, S. 145).

2. Verantwortung als Stressfaktor

Die Betriebsratstätigkeit ist mit Verantwortung in Bezug auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Betriebes verbunden. Verstärkt wird dies vor allem, wenn hohe Erwartungen an den Betriebsrat herangetragen werden, die er aus gesetzlichen Restriktionen heraus gar nicht erfüllen kann, oder die aus einer wachsenden Krisenbetroffenheit entstehen.

3. Geringe Mitbestimmungsrechte

Das Gefühl der Machtlosigkeit kann in Situationen entstehen, in denen die Betriebsrätinnen und Betriebsräte sich nicht in der Lage sehen, schwerwiegende Nachteile von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern abzuwenden, bzw. bei einem restriktiven Arbeitsverhältnis zur Geschäftsleitung nicht einmal in der Lage sind, rechtliche Möglichkeiten auszuschöpfen.

4. Fehlende Information

Wie erwähnt, ist zwar das Unternehmen dazu verpflichtet, den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend zu informieren. Eine bewusst restriktive Informationspolitik des Unternehmens kann das Handlungsspektrum des Betriebsrates stark einschränken, alternative Vorstellungen und Strategien können nicht verwirklicht werden. Dies spielt gerade eine Rolle bei wirtschaftlichen Angelegenheiten des Betriebes: „Betriebsräte müssen, da sie immer damit zu rechnen haben, dass ihnen wesentliche Informationen über die betriebliche Planung vorenthalten werden, ständig darauf vorbereitet sein, dass in den obersten Betriebsetagen Investitionspläne vorliegen oder entwickelt werden, die zumindest eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, wenn nicht einen Personalabbau mit sich bringen. Sie selbst können sich für einen solchen Tag X in der Regel nur schlecht vorbereiten, da sie, wenn sie überhaupt von solchen Plänen erfahren, meistens nur bruchstückhafte Informationen über das gesamte Ausmaß des geplanten Vorhabens, über die auslösenden Faktoren und über verschiedene Alternativen einer Problemlösung erhalten.“ (Schienstock, 1979, S. 156).

5. Stress durch Arbeitsüberlastung

Eine aktive Betriebsratsarbeit unter wachsendem Problemdruck dürfte die Folge eines erhöhten Zeit- und Arbeitsaufwandes nach sich ziehen, gerade dann, wenn die rechtlichen Möglichkeiten voll ausgeschöpft werden sollen, so z. B. bei der Wahrnehmung von Initiativrechten. Nehmen Betriebsrätinnen und Betriebsräte noch zusätzlich gewerkschaftliche oder andere ehrenamtliche Ämter wahr, führt diese „Ämterhäufung“ nach Schienstock sehr häufig zur Überforderung.

6. Gruppenkonflikte

Probleme wie Meinungsverschiedenheiten im Betriebsratsgremium, Vertretung von Sonderinteressen spezifischer Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmergruppen, unterschiedliche Zugehörigkeiten zu bestimmten Gewerkschaften sowie zu Unorganisierten können belastend sein, zumal ja der Anspruch besteht, sich als Interessenvertreterin bzw. Interessenvertreter solidarisch gegenüber den Beschäftigten zu verhalten.

7. Statusunsicherheit

Einerseits genießt die Betriebsrätin bzw. der Betriebsrat einen gewissen Status bzw. ein gewisses Prestige, was aber durch eine mögliche Abwahl wieder verloren werden kann. Dies kann einerseits zur persönlichen Enttäuschung führen. Andererseits steht bei freigestellten Betriebsräten die Belastung des Überwechselns in den alten Beruf an.

Seidl (1999) verwarf die Klassifikation von Schienstock (1979) jedoch als Grundlage für eine empirische Untersuchung, „(…) weil sie – wie oft in Untersuchungen zu dem Thema Stress – relativ unsystematisch und weitgehend ohne Berücksichtigung von Modellen der Stresstheorie erfolgt.“ (Seidl, 1999, S. 90). Vielmehr griff er auf die fünf Subkonstrukte von psychischen Befindensbeeinträchtigungen von Mohr (1991) zurück. Die Autorin geht von einer transaktionalen Stresskonzeption (siehe dazu Punkt 3.1.3.) mit der Entwicklung von fünf Subkonstrukten psychischer Befindensbeeinträchtigung aus. Dies stellt einen neueren Versuch dar, Indikatoren zur Erfassung von Krankheit und Gesundheit zu finden. Die Autorin stellt den Stellenwert psychischer Befindensbeeinträchtigungen heraus und beschreibt diese wie folgt: „Psychische Befindensbeeinträchtigungen bezeichnen also einen Zustand von dem angenommen wird, dass er subjektives Leiden ausdrückt, individuelle und gesellschaftliche Kosten verursacht, handlungsbestimmend wird, als Frühwarnsystem genutzt werden kann und keiner, bzw. geringer Stigmatisierung unterliegt.“ (Mohr, 1991, S. 93). Anhand dieser fünf Subkonstrukte (1. Angst bzw. Einschätzung einer Bedrohung; 2. Depressivität bzw. Verlust der Kontrolle; 3. Selbstwertgefühl bzw. Ergebnisse von Vergleichen mit anderen; 4. psychosomatische Beschwerden und 5. Gereiztheit/Belastetheit bzw. Erschöpfung psychischer Ressourcen) werden psychische Befindensbeeinträchtigungen ermittelt.

In seiner breit angelegten empirischen Untersuchung, die einem Multimethodenansatz zugrunde lag, befragte Seidl (1999) zum einen durch ein computergestütztes Diagnoseverfahren (CEPAR) Variablen hinsichtlich demographischer Daten, dem Befinden (das über die fünf Subkonstrukte von Mohr ermittelt wurde), psychosomatischen Beschwerden (ermittelt durch die Freiburger Beschwerdeliste), Suchtproblematik, Gesundheitsverhalten, verschiedene Bedingungen der Arbeit, sowie Fragen zum privaten Bereich wie Partnerschaft, Familie, Hausarbeit und Freizeit bzw. sonstiger Belastungen. Zudem wurden durch halbstrukturierte Interviews den betrieblichen Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern ermöglicht, ihren persönlichen Erfahrungshintergrund einzubringen. Insgesamt wurden 83 Betriebsrätinnen und Betriebsräte befragt, davon waren 16 freigestellt. Hier sollen nun einige Ergebnisse kurz skizziert werden, die zugleich auf den Belastungsaspekt der Freistellung /Nichtfreistellung Bezug nehmen.

Freigestellte Betriebsräte sind zu 25 % in der Dimension Gereiztheit/Belastetheit beeinträchtigt. 25% fühlen sich in keinem Bereich beansprucht. Bei den Beanspruchungen dominieren im Bereich des Arbeitsinhaltes die hohe Komplexität, gefolgt von der hohen Intensität (Termin- und Zeitdruck) und der hohen Verantwortung der Tätigkeit. Was die Rahmenbedingungen der Arbeit anbelangt, werden organisatorische Veränderungen und die Arbeitszeit als Beanspruchungsfaktoren angeführt. Fachliche Probleme, mangelnde Unterstützung durch die Belegschaft und Geschäftsleitung werden als Beanspruchungen im sozialen Bereich erlebt. Durch die durchgeführten Interviews wurde der Befund unterstützt, dass aufgrund der exponierten Stellung der freigestellten Betriebsrätinnen und Betriebsräte ein besonders starker Druck erlebt wurde. Seidl interpretiert dies mit einer verstärkten Grenzrolle von freigestellten Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern, deren Tätigkeit ja nicht mehr in den Arbeitsalltag der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gebettet ist und dafür ein stärkerer Austausch mit dem Management vorhanden ist. Dieser „intermediäre Charakter“ führt, so der Autor, offenbar zu einem spezifischen Beanspruchungsprofil.

Nicht-freigestellte Betriebsräte sind in einem stärkeren Maße als die freigestellten Kolleginnen und Kollegen, nämlich zu 40,3% in den Dimensionen Gereiztheit/Belastetheit, Depressivität/Verstimmung, Angst und Selbstwertprobleme, belastet. 70,2 % sind wenigstens in einem Bereich beansprucht. Beanspruchungsfaktor der Arbeitsinhalte ist vor allem die hohe Verantwortung. Soziale Faktoren schlagen in der geringen Unterstützung durch die Belegschaft als Beanspruchungsfaktoren zu Buche. Beide letztgenannten Faktoren sind jedoch geringer im Vergleich zu den freigestellten Kolleginnen und Kollegen ausgeprägt. Eine stärkere Beanspruchung ist in Bezug auf die organisatorischen Änderungen zu sehen. Auch physiologische Beanspruchung und Bedrohung durch Arbeitslosigkeit spielen eine größere Rolle. Seidl spricht hier von den möglichen Ursachen einer „Arbeitsverdichtung“ durch gleichzeitige Berufstätigkeit und Betriebsratstätigkeit. Auch die Interviewergebnisse zeigen die Schwierigkeiten der Doppelbelastung.

2.5. Anmerkungen zur Rollenkonzeption

Rollenkonzeptionen haben vor allem in der amerikanischen sozialwissenschaftlichen Literatur eine lange Tradition (Seidl, 1999) und wurden vor allem mit Dahrendorfs Veröffentlichung des „Homo Sociologicus“ (1958) auch in der Bundesrepublik mit aufgenommen (Haug, 1991). Dabei setzte sich dann die Rollenkategorie vor allem in der Soziologie, Sozialpsychologie und Kulturanthropologie durch (Wiswede, 1977). In der Soziologie wird gerade das Rollentheorem im Zusammenhang mit der Vergesellschaftung des Menschen diskutiert. Der Begriff der Rolle nimmt dabei Bezug auf den Begriff der sozialen Position: „Soziale Positionen (amerik. Autoren sprechen häufig von Status) bezeichnen dabei dauerhafte, von einzelnen Personen ablösbare Schnittpunkte sozialer Beziehungen im gesellschaftlichen Beziehungsgeflecht (z. B. Vater, Lehrer).“ (Peuckert, 1998, S. 290). Individuen nehmen demnach bestimmte soziale Positionen ein und stehen so bestimmten Bezugsgruppen gegenüber. Die normative Rollenkonzeption definiert die soziale Rolle als: „ein Bündel normativer Verhaltenserwartungen, die von einer Bezugsgruppe oder mehreren Bezugsgruppen an Inhaber bestimmter sozialer Positionen herangetragen werden. Rollen sorgen für regelmäßiges, vorhersagbares Verhalten als Voraussetzung für kontinuierlich planbare Interaktionen und erfüllen somit eine allgemeine soziale Orientierungsfunktion.“ (Peuckert, 1998, S. 290). Die Rolle wird also in der normativen Konzeption verstanden als eine Teilklasse sozialer Erwartungen (Wiswede, 1977). In der behaviouralen Konzeption wird die Bedeutung der sozialen Rolle als Verhalten herausgehoben, wobei in den Sozialwissenschaften die normative Konzeption vorherrscht (Wiswede, 1977). Jedoch gibt es Kritiker des Rollenbegriffes, da der Terminus gewisse Unschärfen mit sich führt und es fraglich ist, welche Erwartungskonstellationen jeweils rollenkonstituierend sind (Wiswede, 1977). Zu diskutieren ist darüber hinaus die wie auch immer geartete Trennbarkeit zwischen Rolle und Mensch: „Soziologen insistieren häufig darauf, dass die soziale Rolle auch unabhängig von den beteiligten Akteuren (z. B. den Erwartungshegern) eine Realität sui generis sei, die gewissermaßen ein Eigenleben führe und als Leerstelle der sozialen Struktur, als jederzeit verfügbare Hülse für austauschbare Rollenspieler bereitstehe.“ (Wiswede, 1977, S. 17). Auf einen Leistungsaspekt der Bedeutung des Rollenkonzeptes macht Haug (1991) aufmerksam, nämlich auf die theateranaloge Verwendung des Rollenbegriffes, die sowohl in der Soziologie wie auch in der Sozialpsychologie eine Rolle spielt (Seidl, 1999; Wiswede 1977) und besonders plausibel wirkt, da sie von gewissen Alltagserfahrungen geprägt ist (Haug, 1991). Die Welt wird zur Bühne und der Mensch wird zum Spieler der Rollen. Problematisch ist nur der Umstand, dass das Maß an Identifikation der Rolleninhaber noch nicht ausgemacht ist und danach gefragt werden muss, wer eigentlich die Rollenvorschriften zuerteilt. Auf diese Frage wird an späterer Stelle noch einmal einzugehen sein. Wurde zwar die Theateranalogie in der Soziologie von Autoren wie Goffmann (2003) aufgegriffen (so beschrieb er die Selbstdarstellung des Individuums im sozialen Kontakt, welcher zur Bühne wird) und im Symbolischen Interaktionismus fortgeführt, gilt die theateranaloge Verwendung des Rollenbegriffes in der Sozialpsychologie jedoch nach Wiswede (1977) als überholt. Neuberger (1995a) skizzierte zusammenfassend drei verschiedene Ansätze der Rollentheorie: das strukturalistische Paradigma weitet die Theatermetapher systematisch aus; dabei geben andere vor, was der Rollen- bzw. Positionsinhaber zu tun hat. Die Rollenmuster unterliegen so einer gewissen Starrheit. Im funktionalistischen, systemorientierten Ansatz wird die Auffassung vertreten, dass die Rolle ein mehr oder weniger willkürliches, auf den Rolleninhaber vereinigtes „Funktionsbündel“ darstellt. Diese Perspektive herrscht bei den Überlegungen zu den Führungsrollen und Führungssubstitution vor. Die dritte Position wird dem Symbolischen Interaktionismus bzw. Konstruktivismus zugeordnet: „Die verschiedenen Rollen liegen nicht als vorgestanzte Behältnisse bereit, sie werden „im Verlauf der Geschichte“ entwickelt, geschaffen, ausgehandelt, angeboten, zurückgewiesen. Sie sind nicht fertig, objektiv, generell gültig, sondern immer einmalig und fragwürdig.“ (Neuberger, 1995a, S. 982). Für Haug (1991) ist es die „didaktische Einfachheit und einprägsame Bildhaftigkeit, die der Rollenkategorie zur Durchsetzung verhalf.“ (Haug, 1991, S. 485). Wiswede (1977) diskutiert die Rollentheorie im Zusammenhang mit der Systemtheorie und weist darauf hin, dass Rollen nicht unisoliert in der Beziehung zu anderen (aufeinander abgestimmte) Rollen zu sehen sind (man denke an die Mutter – Kind – Rolle oder an die Vorgesetzten – Mitarbeiter – Rolle). Kahn et al. (1964) schufen in ihrem Modell der Rollenepisode die Sequenz einer Rollenbeziehung zwischen zwei Interaktionspartnern, dem Rollensender und Rollenempfänger. Im Rahmen des Rollenstresskonzeptes soll dieses Modell weiter unten noch einmal ausführlich dargestellt und diskutiert werden. Wichtig ist folgendes festzuhalten: „(…) ein solches (kybernetisches) Systemmodell [dient] vor allem dazu, Organisationen als Systeme von Positionen/Rollen zu beschreiben. Neben der rein deskriptiven Bedeutung des Systemmodells behaupten die Autoren dessen Erklärungskraft bei der Analyse von Diskrepanzen zwischen gesendeter und empfangener Rolle, sowie beim Studium des Rollenkonflikt.“ (Wiswede, 1977, S. 29). Aus dem rollentheoretischen Episodenmodell entwickelten Kahn et al. (1964) ein rollentheoretisches Stressmodell. Der Begriff des Rollenstress wurde bereits 1960 von dem amerikanischen Soziologen William J. Goode (Goode, 1973) gebraucht. Er thematisierte das Problem der „Konflikthaftigkeit“ von Rollenbeziehungen im gesellschaftlichen Rahmen. Kahn et al. (1964) diskutierten jedoch die „Konflikthaftigkeit“ von Rollen in einem organisationalen Rahmen, genauer das Ausmaß an Konflikt bzw. Harmonie und Klarheit bzw. Ambiguität von Rollenanforderungen und den organisationalen Ursachen im Zusammenhang mit der Wirkung auf den Einzelnen (Frieling & Sonntag, 1999). Dabei unterschieden Kahn et al. (1964) verschiedene Konfliktarten, die noch eingehend darzustellen sind. Die Grundidee, dass Stress dann entsteht, wenn unklare oder unvereinbare Rollenanforderungen an eine Person herangetragen werden griffen - bezogen auf die Betriebsratsarbeit - wie erwähnt schon Schienstock (1977) und vor ihm Fürstenberg (1964) auf. Auch Seidl (1999) gibt, nachdem er sich in seiner empirischen Untersuchungen auf andere konzeptionelle Grundlagen bezog, zu bedenken, dass gerade die Auseinandersetzung mit der Betriebsratsrolle reizvoll und fruchtbar ist.

2.6. Zielsetzung der empirischen Untersuchung im Rahmen der Magisterarbeit

Die Untersuchung soll sich im Rahmen der Magisterarbeit auf die qualitative Methode stützen. Dabei werden jeweils zehn freigestellte und nicht-freigestellte Betriebsrätinnen und Betriebsräte interviewt. Anhand des transkribierten Materials sollen Konfliktkonstellationen anhand sprachlicher Kategorien herausgearbeitet werden. Dabei wird angenommen, dass sich Betriebsrätinnen und Betriebsräte in Rollenkonflikten befinden, da die verschiedenen zentralen Bezugsgruppen der betrieblichen Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter, also konkret die Geschäftsführung bzw. Unternehmensleitung, die Belegschaft und die Gewerkschaft wie auch das Betriebsratsgremium unterschiedliche Anforderungen an die „Rollenträger“ stellen. Zudem wird davon ausgegangen, dass freigestellte Betriebsrätinnen und Betriebsräte ein spezifisches „Konfliktprofil“ haben, da sie im verstärktem Maße vom Arbeitsalltag ihrer Kolleginnen und Kollegen abgetrennt sind.

a.) Geschäftsführung bzw. Unternehmensleitung

Wie bereits durch die Kotthoffsche Typologie skizziert, ist das Verhältnis zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung nicht starr. Bedeutsam ist, inwieweit das Unternehmen die betriebliche Interessenvertretung mit einbindet, welche Management-Konzepte bzw. Unternehmensphilosophien es verfolgt. Des Weiteren nennt Schienstock (1979) verschärfte Konfliktsituationen, die zu veränderten Beziehungsstrukturen führen, wie z. B. Betriebsstilllegungen und Entlassungen. Nach Johannson (1977) bestehen verschiedene Erwartungen der Geschäftsleitung gegenüber dem Betriebsrat, so z. B. Verhinderung von Unruhen im Betrieb, Einhaltung der Arbeitsordnung, Kommunikation von Absichten der Geschäftsleitung an die Belegschaft, Zurückweisung kostenaufwendiger Wünsche der Belegschaft, Abschwächung von Widerständen gegen Maßnahmen der Geschäftsleitung und Gewährleistung geringer Kosten der Betriebsratsarbeit. (Johannson, 1977, S. 54).

b.) Belegschaft

Betriebsrätinnen und Betriebsräte haben ein Wahlamt inne. Zwar hat die Belegschaft während der Wahlperioden keine direkten Einwirkungsmöglichkeiten auf den Betriebsrat (Seidl, 1999), so wird durch die Wahl ein entscheidendes Feedback gegeben, was einen bedeutsamen Einfluss auf berufliche und persönliche Sphären der Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter hat. Johannson (1977) nennt verschiedene Erwartungen der Belegschaft, die mit den Erwartungen der Geschäftsleitung kollidieren: Schutz vor Entlassungen und Kündigungen, Sicherung und Verbesserungen von Lohn/Gehalt, menschengerechte Arbeitsplätze, Verhinderungen eines erhöhten Arbeitstempos, soziale Einrichtungen im Betrieb, zukunftssichere Ausbildung im Betrieb (Johannson, 1977, S. 54). Nun sind aber, wie Seidl (1999) schildert, auch Situationen denkbar, in denen „objektive“ Interessen der Belegschaft, „subjektive“ gegenüberstehen, wie z. B. die Ablehnung von neuen, Überstunden verhindernden Arbeitszeitmodellen aus finanziellen Gründen. Außerdem muss der Betriebsrat eine heterogene Belegschaft vertreten, so z. B. sowohl Arbeiter, als auch die ggf. geringer gewerkschaftlich organisierten Angestellten. Er befindet sich so, wie Schienstock (1979) und Seidl (1999) darstellen, zwischen den Stühlen.

c.) Gewerkschaft

Gewerkschaften agieren auf überbetrieblicher Ebene, wie weiter oben dargelegt, gibt es aufgrund der hohen Organisationszahlen von Betriebsrätinnen und Betriebsräten, ihre ggf. vorhandene Doppelfunktion als Gewerkschaftsvertreterinnen und Gewerkschaftsvertreter (so z. B. als Vertrauensleute) eine Verschränkung zwischen betrieblicher Interessenvertretung und Gewerkschaft. Ein hoher Organisationsgrad beeinflusst auch die Mitbestimmungspraxis. Kemper (1986) zeigte in seiner Studie, dass DGB-Mitglieder weniger an kooperativer Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung interessiert waren. Zu bedenken ist aber, dass das Rollenverständnis der Betriebsratsarbeit einem Wandel unterworfen ist, was sich ja gerade in der Diskussion um den Co-Management-Begriff ausdrückt.

d.) Betriebsratsgremium

Interessanterweise wird das Betriebsratsgremium von Seidl (1999) nicht als zentrale Bezugsgruppe der betrieblichen Interessenvertretung vorgestellt. Nun erscheint dies aber sinnvoll, da sich die Gremien wie erwähnt in der Praxis sehr heterogen zusammensetzen können. Auch Schienstock (1979) skizzierte Meinungsverschiedenheiten im Betriebsratsgremium als Gruppenkonflikte. Diese, wie auch immer geartete Zusammenarbeit des Gremiums hat, und hier sei noch einmal auf die Kotthoffsche Typologie hingewiesen, Einfluss auf die konkrete Handlungsfähigkeit der Interessenvertretung.

B. Theoretischer Hintergrund/Modelle

3. Begriffsdefinitionen: Belastung, Beanspruchung, Stress

In der Psychologie stellen Belastung und Stress wichtige Forschungsparadigmata dar. Dabei werden die Begriffe oft nicht einheitlich verwendet, zumal sich der Stressbegriff als „Gebietsbegriff“ eher im angloamerikanischen Sprachraum durchgesetzt hat (Greif, 1991) und in dem Bereich der deutschsprachigen Arbeitswissenschaften sich zunächst in den 70er Jahren mit dem Begriffspaar „Belastung“ und „Beanspruchung“ gearbeitet wurde (Greif, 1991). Antoni und Bungard (1987) postulieren jedoch, dass die angelsächsischen Stresstradition und die deutschsprachige Belastungstradition zunehmend konvergieren, wobei eine begriffliche Bedeutungsvielfalt und daraus resultierende Übersetzungsproblematiken bestehen (Greif, 1991).

a.) Belastung und Beanspruchung

Das Belastungs- und Beanspruchungskonzept ist in verschiedenen arbeitswissenschaftlichen Disziplinen ein leitender theoretischer Entwurf, der im Zusammenhang mit negativen psychischen und physischen Konsequenzen verschiedener Arbeitsbedingungen zu diskutieren ist (Frieling & Sonntag, 1999). Nach der Untersuchung von Rohmert und Rutenfranz (1975) bezog sich die deutschsprachige Arbeitswissenschaft immer wieder auf die von den Autoren vorgeschlagene Begriffstrennung. Belastung wird demnach als objektive Größe verstanden, die von außen her auf den Menschen einwirkt, während unter Beanspruchung die subjektiven Folgen dieser Belastungen auf den Menschen verstanden wird (Rohmert & Rutenfranz, 1975). Seit 1987 existiert eine Normierung der Begriffe als DIN-Norm. „Psychische Belastung wird verstanden als die Gesamtheit der erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und auf ihn psychisch einwirken“ (Normenausschuss Ergonomie im deutschen Institut für Normierung, 1987, zitiert nach Greif, 1991, S. 4). Dagegen wird „Psychische Beanspruchung (…) verstanden als die individuelle, zeitlich unmittelbare und nicht langfristige Auswirkung der psychischen Belastung im Menschen in Abhängigkeit von seinem individuellen Voraussetzungen und seinem Zustand“ (Normenausschuss Ergonomie im Deutschen Institut für Normung, 1987; zitiert nach Greif, 1991, S. 4). Unter ingenieurswissenschaftlicher Sicht kann nun die Beziehung zwischen Belastung und Beanspruchung als Kausalverhältnis gesehen werden. Die Begriffe können weiterhin unter die in der behaviouristischen Psychologie herrschenden Stimulus-Response- Kategorien subsumiert werden (Frieling & Sonntag, 1999). Dabei haben Belastungs- und Beanspruchungskonzepte Bedeutung innerhalb der Ergonomie und Arbeitsmedizin erlangt, wobei mit zunehmend komplexeren Modellen gearbeitet wurde (Dücker, 1995).

b.) Stress

Der Begriff „Stress“ wird im alltagssprachlichen Kontext unterschiedlich gebraucht (Greif, 1991, Seidl, 1999). Man spricht davon, Stress zu haben oder im Stress zu sein und meint damit, sich im Zustand der Angespanntheit zu befinden oder mit einer Situation konfrontiert zu sein, die mit erhöhten Anforderungen an einen selbst verbunden ist.

Das Wort „stress“ lässt sich auf das lateinische Begriffspaar „stringere/strictus“ zurückführen und erlebte im angloamerikanischen Sprachraum einen häufigen Bedeutungswandel (Dücker, 1995). Frühe Stresstheorien basieren auf physikalisch-technischen Überlegungen wie z. B. dem Hookschen Gesetz, das den Ursache- bzw. Wirkungszusammenhang zwischen „load“ (eine auf einen Festkörper einwirkende äußere Kraft ), „stress“ (die dadurch ausgelöste innere Spannung) und „strain“ (die resultierende Verformung des Körpers) beschreibt (Nitsch, 1981). Bei all der Problematik einer Übertragbarkeit auf den menschlichen Bereich (so führt der Autor die erschwerte Messbarkeit von Kraft, Spannung und Verformung und die erhöhte Kompliziertheit von intervenierenden Prozessen im Humanbereich an), bemerkt Seidl (1999) eine Erleichterung der begrifflichen Zuordenbarkeit durch die Analogiebildung. Dabei weist Dücker (1995) darauf hin, dass viele humanwissenschaftliche Stresskonzepte sich auf diese Analogiebildung beziehen, wie z. B. das „Stress-Strain-Modell“ in der Arbeitsmedizin, wobei jedoch unter „Stress“ die äußere Einwirkung bzw. Belastung und unter „Strain“ die innere Zustandsveränderung bzw. Beanspruchung verstanden wird (Rutenfranz, 1981) . Das „Load-Stress-Strain-Konzept“ erlaubt nach Nitsch (1981) vielleicht am ehesten die Differenzierung zwischen Stressor (im Sinne von Einwirkung), Stress (im Sinne einer Zustandsveränderung) und Krankheit (im Zusammenhang mit der Stressfolge). Der Begriffvielfalt liegt aber die Tendenz zugrunde, das Stressgeschehen als Umweltvariable (mit Begriffen wie Belastung, Belastungsfaktor, Load, Stressor, Stressfaktor) oder als Personenvariable zu begreifen (hier werden Begriffe wie Beanspruchung, Fehlbeanspruchung, Stress, Stressreaktionen und Strain gebraucht). (Udris & Frese, 1999, S. 429).

Greif (1991) kritisiert die uneinheitliche Verwendung des Stressbegriffes, der gerade in der psychologischen Fachliteratur unter verschiedenen Akzentuierungen, nämlich einmal als Stimulus oder als Reaktion diskutiert wird. Der Autor diskutiert einen Stressbegriff, der sich von technisierten Analogiebildungen löst und sich als Synonym zu dem Stressempfinden versteht:

„Stress ist ein subjektiv intensiv unangenehmer Spannungszustand, der aus der Befürchtung entsteht, dass eine

– stark aversive,
– subjektiv zeitlich nahe (oder bereits eingetretene) und
– subjektiv lang andauernde Situation

sehr wahrscheinlich nicht kontrollierbar ist, deren Vermeidung aber subjektiv wichtig erscheint.“

(Greif, 1991, S. 13).

Diese Definition erhält also einen Aspekt, der nach Semmer (1984) „personenbezogen“ ist: die individuelle Interpretation bezüglich des Stressgeschehens ist ausschlaggebend (hinsichtlich der subjektiven Empfindung bzw. subjektiven Bewertung der Situation). Im Übrigen liegt hier ein Trend in der neueren Stressforschung, wie noch detaillierter beschrieben werden soll. Hier lassen sich schon erste Schwierigkeiten hinsichtlich der Generalisierbarkeit von Stressmodellen erkennen: problematisch ist die schwere Voraussagbarkeit darüber, inwieweit welche Personen in welcher spezifischen Weise auf jeweils bestimmte Stressoren reagieren. Scherer (1985) kritisiert den Mangel an Generalisierbarkeit von stresstheoretischen Modellen in dreifacher Hinsicht: erstens besteht das Problem der Generalisierbarkeit durch die individuelle Unterschiedlichkeit hinsichtlich des Stressentstehens bzw. der Stressreaktion und dem damit verbundenen Problem der Konstruktion von nomothetischen Stressmodellen, die a priori eine Vorhersagbarkeit von Stressreaktionen bestimmter Personengruppen möglich machen sollen. Zweitens besteht ein Problem hinsichtlich der Generalisierbarkeit von Reizen, da aversive Reize unterschiedliche Reaktionsformen hervorrufen können. Eine Lösung bestünde in der Suche nach Gruppen von Reizen, die ähnliche Reaktionsmuster hervorrufen. Schließlich liegt ein Problem in der Reaktionsspezifität, also in der Schwierigkeit replizierbarer Reaktionsmuster mit ihren psychologischen und physiologischen Zusammenhängen. Geht eine physikalisch-technische Stresstheorie noch von der Wertneutralität des Stressbegriffes aus (Nitsch, 1981), werden in der neueren Stressforschung zunehmend emotionale Aspekte thematisiert. Richter und Hacker (1998) beschrieben Stress unter den phänomenalen (Erlebnis-) Leitmerkmalen der erregt-geängstigten Gespanntheit, der Unruhe und Sorge und Unerfüllbarkeit der Aufgabe. Semmer (1984) thematisiert Stress-Emotionen wie Angst, Ärger, Hoffnungslosigkeit und diffuses Unwohlsein. Stress wird des Weiteren immer wieder diskutiert im Zusammenhang mit negativen Stressfolgen, also der beeinträchtigenden Wirkung auf Gesundheit und Wohlbefinden im physischen wie auch psychischen, bzw. psychosomatischen Bereich. Auch für Lazarus (1966) ist Stress per definitionem etwas, was mit Schädigung einhergeht: „The province of stress is most clearly demarcated when we are dealing with the extremes of disturbance of biological and psychological functioning.“ (Lazarus & Folkmann, 1966, S.3). Andererseits vertritt ein Autor wie Selye (1981) eine holistische Auffassung von Stress (Fraser, 1984). Im Fokus stehen bei ihm physiologische Aktivierungsprozesse: Stress ist nicht das Ergebnis einer Schädigung sondern ist zunächst unter dem Paradigma der Aktivation zu sehen. Im Folgenden sollen verschiedene Stresstheorien diskutiert und ihre Grenzen und Möglichkeiten gerade auch im Hinblick auf die Arbeits- und Organisationspsychologie ausgelotet werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 94 Seiten

Details

Titel
Belastungen von betrieblichen Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern unter besonderer Berücksichtigung des Rollenstresskonzeptes
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Institut für Arbeits- und Organisationspsychologie)
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2005
Seiten
94
Katalognummer
V53516
ISBN (eBook)
9783638489492
ISBN (Buch)
9783656796954
Dateigröße
1096 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Belastungen, Interessenvertreterinnen, Interessenvertretern, Berücksichtigung, Rollenstresskonzeptes
Arbeit zitieren
M.A. Roswitha Zirngibl (Autor:in), 2005, Belastungen von betrieblichen Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern unter besonderer Berücksichtigung des Rollenstresskonzeptes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53516

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