Das Gesundheitskonzept Salutogenese

Förderung des Kohärenzgefühls bei Menschen mit einer Anpassungsstörung im psychiatrischen stationären Setting


Hausarbeit, 2019

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Methodisches Vorgehen Ein- und Ausschlusskriterien

3. Das Gesundheitskonzept der Salutogenese
3.1. Entstehung und Gesundheitsverständnis der Salutogenese
3.2. Generalisierte Widerstandsressourcen und Einflussfaktoren
3.3. Das Kohärenzgefühl

4. Anpassungsstörungen im Kontext der Salutogenese
4.1. Psychiatrische Diagnose „Anpassungsstörung“ und klinische Relevanz
4.2. Der Salutogenese-Ansatz bei Anpassungsstörungen

5. Förderung des Kohärenzgefühls als fachpflegerische Expertise
5.1. Pflegemaßnahmen zur Salutogenese
5.2. Psychoedukation als pflegerische Intervention

6. Kritische Reflexion

7. Resümee/ Ausblick

Literatur

Anlagenverzeichnis

Anhang 1 Fragebogen zur Lebensorientierung (SOC-29)

1. Einleitung

Stellen Sie sich einen Fluss vor an dem sie einmal gewesen sind. Sie werden sich vielleicht an einen Fluss erinnern, der ruhig und gemächlich floss und zum Baden einlud. Vielleicht erinnern Sie sich aber auch an einen Abschnitt des Flusses, der schnell und reißend gewesen ist und die Stromschnellen dort eine große Gefahr darstellten. Die Metapher eines Flusses griff Aaron Antonovsky in seinem Gesundheitsmodell der Salutogenese auf und steht dabei synonym zum Leben einschließlich seiner Höhen und Tiefen. Jeder einzelne Mensch ist Schwimmer im Fluss des Lebens. Auch Herr Müller befindet sich in diesem Fluss. Herr Müller ist ein 30jähriger Mann der vergangene Woche im Nachtdienst in der psychiatrischen Notfallambulanz am Klinikum Nürnberg vorstellig wurde. Er gab gedrückte Stimmung an, könne nicht mehr schlafen, sei unruhig, gereizt und leide unter Suizidgedanken. Als Ursache für seine aktuelle psychische Verfassung gab der Patient psychosoziale Belastungsfaktoren an. Herr Müller habe sich vor etwa zwei Monaten von seiner Partnerin getrennt und habe aktuell Schwierigkeiten am Arbeitsplatz. Der junge Mann wurde mit der Diagnose Anpassungsstörung (ICD-10: F.43) auf eine psychiatrische Allgemeinstation aufgenommen. Der aktuelle Psychoreport der DAK-Gesundheit macht deutlich, dass dies längst kein Einzelfall mehr ist. Laut der Langzeitstudie stieg die Anzahl von Fehltagen bedingt durch die Diagnose Anpassungsstörung vor allem in den vergangenen Jahren rapide an, die Anzahl der Ausfalltage habe sich seit 2000 fast verdreifacht (DAK, 2019).

Antonovsky schreibt dem Kohärenzgefühl eine maßgebliche Bedeutung zu, um Krisen bzw. Stressoren bewältigen zu können. Durch ein stark ausgeprägtes Kohärenzgefühl sind Menschen in der Lage Ressourcen zu aktiveren um Anforderungen flexibel begegnen zu können. Personen mit einem schwach ausgeprägten Kohärenzgefühl hingegen verfügen über weniger Ressourcen und zeigen Schwierigkeiten bei der Bewältigung mit den gestellten Anforderungen (Bengel, Strittmatter & Willmann, 2009). Antonovsky erkennt: „Die Person mit einem starken SOC [Kohärenzgefühl] wählt die bestimmte Coping-Strategie aus, die am geeignetsten scheint, mit dem Stressor umzugehen, dem sie sich gegenüber sieht“ (Antonovsky, 1997, S. 130).

Bei Patienten[1] wie Herrn Müller wird deutlich, dass diese Personen über keine ausreichenden Strategien verfügen um auf Stressoren reagieren zu können. Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit der Fragestellung: Wie kann das Kohärenzgefühl von Menschen mit einer Anpassungsstörung im psychiatrisch stationären Setting gefördert werden?

Der Schwerpunkt dieser Hausarbeit liegt auf dem Gesundheitskonzept der Salutogenese und dem darin inhärenten Kohärenzgefühl. Die Diagnose „Anpassungsstörung“ wird dabei unter salutogenen Gesichtspunkten beleuchtet und Interventionen für die psychiatrische Pflege daraus abgeleitet.

2. Methodisches Vorgehen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ein- und Ausschlusskriterien

Die aufgelisteten Treffer in der oben aufgeführten Tabelle wurden nach wichtigen Artikeln, Beiträgen und Studien selektiert. Es wurden ausschließlich deutschsprachige Literatur und Quellen berücksichtigt. Bei der Recherche lag die Priorität auf dem Gesundheitskonzept der Salutogenese sowie deren empirische Gültigkeit und auf Möglichkeiten zur praktischen Umsetzung. Ebenfalls im Mittelpunkt stand die Anpassungsstörung. Während der Recherche kristallisierte sich die pflegerische Intervention der Psychoedukation als mögliches Instrument heraus, welche ebenfalls in den Vordergrund der Recherche rückte.

3. Das Gesundheitskonzept der Salutogenese

Seit Jahrtausenden beschäftigen sich wissenschaftliche Disziplinen wie Medizin, Theologie, Psychologie und Soziologie sowie Dichter und Schriftsteller mit der Bedeutung und der Charakterisierung von Gesundheit (Franke, 2017).

Die WHO definierte: „Gesundheit ist der Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur des Freiseins von Krankheit und Gebrechen“ (WHO, 1948, o.S.). Die Definition des Gesundheitsbegriffes der WHO wurde vielseitig kritisiert, denn vor allem die formulierte Idealnorm sei realitätsfern (Bengel et al., 2009).

Bis heute ist es nicht geglückt eine einheitlich verwendete Definition von Gesundheit festzulegen und auch im Hinblick auf die Theoriebildung diesbezüglich ist wenig in der Literatur zu finden (Franke, 2017). Die Ursache hierfür liegt in der Historie begründet, denn die Auseinandersetzung mit Krankheitsmodellen nahm einen deutlich höheren Stellenwert ein als die Beschäftigung mit Gesundheitsmodellen (Franke, 2017). Der Ursprung der heute vorherrschenden naturwissenschaftlichen Sichtweise von Krankheiten geht auf die 1850er Jahre zurück und ist auf Rudolf Virchows begründete Zellularpathologie zurückzuführen. Krankheit ist demnach das Resultat aus pathologischen Organveränderungen und deren Entstehung ist auf biologische Ursachen zurückzuführen. Das biomedizinische Krankheitsmodell konzentriert sich auf die Betrachtung der Krankheit und vernachlässigt dabei Aspekte der Gesundheit miteinzubeziehen. Der Fokus ist stets die Erkrankung an sich, allerdings nicht der von ihr betroffene Mensch. Der dichotome Denkansatz kategorisiert dabei den Menschen als krank oder gesund (Franke, 2017). Erst seit den 1970er Jahren begannen Forscher an Gesundheitsmodellen zu arbeiten, die heute zusammenfassend als salutogenetische Modelle bezeichnet werden (Franke, 2017). Das Salutogenese-Modell von Aaron Antonovsky gehört dabei zu den einflussreichsten Gesundheitskonzepten (Bengel et al., 2009).

Antonovsky kritisierte den Reparaturbetrieb der Medizin und den vorherrschenden pathologischen Blick auf die Gesundheit. Er forderte einen Paradigmenwechsel weg von der zentralen Frage nach krankmachenden Faktoren, hin zu Ressourcen und Potenzialen (Wydler, Kolip & Abel, 2010). Antonovsky prägte den Neologismus der „Salutogenese“ und verwendete diesen als Gegenbegriff zur Pathogenese. Salutogenese setzt sich aus dem Wort „ salus “ (= Gesundheit) und „ genese “ (= Entwicklung und Entstehung) zusammen und ist dadurch konträr zum Begriff der Pathogenese, welche primär die Entstehung von Krankheiten forciert. Salutogenese setzt sich mit der Erforschung von Faktoren und Prozessen auseinander, welche Gesundheit erhalten und fördern (Franke, 2017).

3.1. Entstehung und Gesundheitsverständnis der Salutogenese

Aaron Antonovsky wurde 1923 in Brooklyn geboren und war ein amerikanisch-israelischer Professor der Soziologie. Im Jahr 1960 emigrierte er gemeinsam mit seiner Ehefrau nach Israel und nahm in Jerusalem eine Stelle als Medizinsoziologe am Institut für angewandte Stressforschung an. Während der Datenanalyse einer Untersuchung von Antonovsky über die Adaption von Frauen in Israel an das Klimakterium entdeckte er, dass einige der Frauen in Konzentrationslagern inhaftiert gewesen waren. Trotz der Gräueltaten durch das NS-Regime und der damit verbundenen unvorstellbaren Traumatisierung, die die Frauen erleben mussten, gaben 29% der Betroffenen einen guten psychischen Gesundheitszustand an. Antonovsky beschrieb diese Erkenntnis als Kehrtwendung in seiner Arbeit als Medizinsoziologe. Er begann zu erforschen, wie es diesen Frauen gelang trotz dieser massiven Belastung gesund zu bleiben und entwickelte das Konzept der Salutogenese (Antonovsky, 1997).

Das Gesundheitsverständnis der Salutogenese sticht vor allem durch die Theorie der Heterostase heraus. Der Blickwinkel der Heterostase ist die Vorstellung vom gesunden Menschen, der aufkommenden Störungen aktiv begegnen und diese überwinden kann. In dieser Theorie ist Gesundheit nicht gleichbedeutend mit dem Fernbleiben von Krankheiten, sondern vielmehr die Flexibilität der Gesundheit und das stetige Sich-weiter-Veränderns. Krankheiten sind demzufolge ein essentieller Bestandteil der menschlichen Existenz. Antonovsky griff dabei die Metapher eines Flusses auf, der nicht immer gerade verläuft, sondern Biegungen, Stromschnellen und Turbulenzen beinhaltet. Manche Menschen im Fluss schaffen es sich selbst aus dem Strudel zu befreien, andere hingegen müssen vor dem Ertrinken gerettet werden (Franke, 2017).

Ein großes Augenmerk der Salutogenese liegt auf dem multidimensionalen Gesundheits-Krankheits-Kontinuum konträr zur Dichotomie. Dabei können Menschen als mehr oder weniger krank bzw. gesund eingestuft werden. Die salutogenetische Orientierung fokussiert dabei Faktoren, die zu einer Bewegung in Richtung des gesunden Poles des Kontinuums beitragen (Antonovsky, 1997). In der Pathogenese werden für die Entstehung von Krankheiten Risikofaktoren bzw. Stressoren identifiziert, die es zu bekämpfen gilt. Im salutogenetischen Ansatz hingegen wird eine Stärkung von Ressourcen forciert, welche den Organismus gegen schwächende Einflussfaktoren widerstandsfähiger werden lassen soll. Die Betrachtung der Person mit ihrer individuellen Lebensgeschichte ist dabei zentral (Bengel et al., 2009). Antonovsky postulierte: „Die Konfrontation mit einem Stressor, so nahm ich an, resultiert in einem Spannungszustand, mit dem man umgehen muß [sic!]. Ob das Ergebnis pathologisch sein wird, neutral oder gesund, hängt von der Angemessenheit der Spannungsverarbeitung ab. Damit wird die Untersuchung der Faktoren, die die Verarbeitung von Spannung determinieren, zur Schlüsselfrage der Gesundheitswissenschaften“ (ebd., 1997, S.16). Als Antwort auf diese Frage formulierte der Soziologe das Konzept der generalisierten Widerstandsressourcen (Antonovsky, 1997).

3.2. Generalisierte Widerstandsressourcen und Einflussfaktoren

Nach dem Verständnis der Salutogenese ist eine Erkrankung ein Prozess, welcher in der Lebensgeschichte eines Menschen eingebettet ist. Dieser Prozess kann nur verstanden werden, wenn der Mensch mit seiner gesamten inneren und äußeren Situation betrachtet wird, einschließlich seiner gesunden Anteile. Laut dem mehrdimensionalen Kontinuum ist ein Mensch immer in gewissem Maße gesund solange er lebt. Befindet sich ein Betroffener aktuell auf einer Dimension nahe dem Krankheitspol, so kann er jedoch auf einer anderen Dimension durchaus gesund sein (Franke, 2017).

Für die Lokalisation des Menschen auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum sind Stressoren und deren Bewältigung ausschlaggebend. Analog der interaktiven Coping-Ansätze gelten Stressoren im Konzept der Salutogenese als Anforderungen, auf die der Organismus keine automatisch einsatzbereiten Reaktionen zur Verfügung hat. Stressoren sind durch stetige Konfrontation omnipräsent, gelten jedoch nicht zwangsläufig als schädlich, da eine erfolgreiche Bewältigung auch gesundheitsfördernde Auswirkungen haben kann. Die Komponenten, die eine Bewegung zum Gesundheitspol hin fördern, werden als generalisierte Widerstandsressourcen („Generalized Resistence Resources“, GRR) bezeichnet (Franke, 2017). Generalisierte Widerstandsressourcen stehen dem Individuum selbst zur Verfügung, sind jedoch auch in dessen Umfeld und der Gesellschaft zu finden. Franke formuliert treffend: „Sowohl die Bedingungen des Flusses als auch die individuellen Schwimmfertigkeiten entscheiden darüber, wie unversehrt jemand die Schwimmstrecke bewältigt“ (Franke, 2017, S. 173). Gesellschaftliche Widerstandsressourcen betreffen Komponenten der Makroebene und beinhalten politische und ökonomische Stabilität sowie Frieden und intakte Sozialstrukturen. Individuelle Widerstandsressourcen werden in kognitive, psychische, physiologische sowie ökonomische und materielle Ressourcen unterteilt (Franke, 2017). Zu den kognitiven Ressourcen zählen Wissen, Intelligenz und die Problemlösungsfähigkeit eines Individuums. Als psychische Ressourcen gelten Selbstvertrauen, Selbstsicherheit, Optimismus und Ich-Identität. Physiologische Ressourcen sind anlagebedingte oder körperliche Stärken und Fähigkeiten. Als ökonomische und materielle Ressourcen können Geld, finanzielle Unabhängigkeit, der Zugang zu Dienstleistungen und ein sicherer Arbeitsplatz identifiziert werden (Franke, 2017). Die genannten generalisierten Widerstandsressourcen sind ausschlaggebend dafür, wie ein Individuum mit Dauerkonfrontation und Stressoren umgeht und es ihr gelingt, diese erfolgreich bewältigen zu können (Franke, 2017).

[...]


[1] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde im Text ausschließlich die männliche Form gewählt, es sind stets Personen weiblichen und männlichen Geschlechts gemeint.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Das Gesundheitskonzept Salutogenese
Untertitel
Förderung des Kohärenzgefühls bei Menschen mit einer Anpassungsstörung im psychiatrischen stationären Setting
Hochschule
Hamburger Fern-Hochschule
Note
1,0
Autor
Jahr
2019
Seiten
24
Katalognummer
V535689
ISBN (eBook)
9783346139412
ISBN (Buch)
9783346139429
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Salutogenese Kohärenzgefühl Anpassungsstörung psychiatrische Pflege
Arbeit zitieren
Melanie Stark (Autor:in), 2019, Das Gesundheitskonzept Salutogenese, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/535689

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