Berufsausbildung in Frankreich - ein Vorbild für Deutschland?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

23 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Geschichte des französischen Bildungssystems
1.1. Aufklärung: Descartes und der Rationalismus
1.2. Geschichte der Berufsausbildung in Frankreich
1.3. Die französischen Schulen: Bildung in der Vollzeitschulpflicht
1.3.1. Primarstufe
1.3.2. Sekundarstufe
1.4. Die universitäre Laufbahn in Frankreich

2. Das System der Berufsausbildung in Frankreich
2.1. Das Vollzeitmodell für die Berufsausbildung
2.2. Das Modell der Lehre (« Apprentissage ») in Frankreich
2.3. Möglichkeiten der Weiterbildung
2.4. Maßnahmen in Frankreich zur Senkung der Jugendarbeitslosigkeit

3. Berufsausbildung in Frankreich vs. dem dualen System Deutschland
3.1. Stärken des französischen Modells
3.2. Schwächen des französischen Modells

4. Schlusswort

5. Anhang
5.1. Literaturverzeichnis
5.2. Abbildungen
5.3. Abkürzungen

Einleitung

Die Beschäftigungsproblematik auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland hat eine neue ungekannte Dramatik erreicht. Nach einer ersten Reform des Sozialsystems durch Hartz IV werden auch über weitere Schritte nachgedacht, um den Arbeitsmarkt neu zu beleben. Vieles steht dabei auf dem Prüfstand, welches in der Vergangenheit als das Optimum gegolten hat. Die deutsche duale Berufsausbildung, vormals als das beste System der Berufsausbildung auf der Welt bezeichnet, könnte in naher Zukunft auch zur Diskussion stehen. Erste Ansätze einer Reformierung, wie z.B. der Trend zu einem erweitertem Angebot von verkürzten Berufsausbildungen („Einfachberufe“) zur Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen und einem schnellerem Einstieg in den Beruf, sind bereits zu beobachten.

Im Zuge der EU-weiten Annäherung der Hochschulabschlüsse an das System von Bachelor und Master, ist der Gedanke nahe liegend auch für eine europaweite Vergleichbarkeit der Berufsausbildung zu sorgen. Erste Schritte in diese Richtung sind bereits getan, jedoch unterscheiden sich die Berufsausbildungssysteme der verschiedenen EU Länder sehr gravierend. Zunächst ist also die Frage entscheidend worin sich im Detail die unterschiedlichen Wege zur beruflichen Ausbildung unterscheiden und was man daraus für das eigene System lernen kann.

In dem vorliegenden Text soll das Berufsausbildungssystem Frankreichs, mit dem in der Bundesrepublik Deutschland verglichen und deutliche Unterschiede aufgezeigt werden. Das Ziel ist aus dem Vergleich Schlüsse ziehen zu können, in welchen Punkten aus dem französischem System gelernt und das deutsche Modell verbessert werden kann.

Im direkten Vergleich mit dem französischem Berufsbildungsmodell zeigt das deutsche duale System aber auch seine großen Stärken die bei besseren konjunkturellen Voraussetzungen noch stärker zum Tragen kommen.

Im ersten Kapitel wird auf kulturelle und geschichtliche Hintergründe der Berufsausbildung, den gesetzliche Regelungen und die allgemein bildenden Schulen in Frankreich eingegangen, um die später aufgezeigten Unterschiede deutlich herausarbeiten zu können. Das System der Berufsausbildung in Frankreich und Elemente der Weiterbildung werden im zweiten Kapitel behandelt, um auf der Gegenüberstellung des in Frankreich dominierenden vollzeitlichen Systems der beruflichen Bildung und des deutschen Systems im dritten Kapitel vorzubereiten. Dort werden die Stärken und Schwächen verdeutlicht, die dann im Schlusswort für eine Verbesserung der deutschen Berufsausbildung ihren Niederschlag finden und die beiden Modelle reflektiert nebeneinander darstellen.

1. Geschichte des französischen Bildungssystems

1.1. Aufklärung: Descartes und der Rationalismus

Schon früh nach seinem Tod haben sich die philosophischen Lehren und Arbeiten von Descartes[1] stark verbreitet und prägten die philosophischen und naturwissenschaftlichen Diskussionen im 17. Jahrhundert entscheidend mit. Descartes wird als "Vater der neueren Philosophie" bezeichnet (vgl. Poser, H. 2003, S. 162), denn er begründete den von der Vernunft überzeugten modernen Rationalismus. Seine Arbeiten[2] beeinflussten das philosophische Denken und die Anfänge des modernen naturwissenschaftlichen Arbeitens besonders in Frankreich aber auch in Deutschland. Die Richtung des Denkens, die Descartes beeinflusste, wird auch Cartesianismus genannt. Seine Absicht ist nicht, die Wissenschaften auf die Mathematik zu reduzieren, sondern sie auf das Niveau der Mathematik zu erheben. Diese dient ihm nur als Mittel, eine Methode für die "vernünftige" (rationale), absolut gewisse, zweifelsfreie und nachvollziehbare Erkenntnis[3] zu gewinnen (vgl. Perler, D. 1998, S.245).

Nach Descartes zeigt es sich als erstrebenswert, dass die Wissenschaften gezwungen werden, dem Verstehen immer den Vorrang vor der Sache zu geben und nichts als wahr anzunehmen, bevor es nicht klar und deutlich, intuitiv oder in deduktiver Verkettung vom Verstand erkannt wurde. Als nicht erstrebenswert sieht er dogmatisch zweifelsfeindliche feststehende (metaphysische) Inhalte, die die Wissenschaften zur Umdeutung der realen Tatsachen veranlasst. Descartes prägte die Entwicklung der französischen Aufklärung[4], deren Entstehung auf philosophisch-erkenntnistheoretische Grundlagen beruht, in dem er die Lehre vom Zweifel und vom klaren und deutlichen naturwissenschaftlichem Erkennen methodische Impulse setzte. Unter klarem und deutlichem Erkennen versteht sie nicht die rationale Wesenserkenntnis, sondern die empirische Einsicht in die Erfahrungswelt. Natürlich gab es insbesondere aus theologischer Sicht große Konflikte mit den von Descartes erschienenen Werken. Besonders die katholische Kirche reagierte direkt nach dem Erscheinen seiner Bücher mit erbittertem Widerstand, bis sich die allgemeinen Ideen der Aufklärung auch im Klerus durchsetzten. Die Selbstbefreiung des Menschen und Loslösung von Dogmen nimmt ihren Anfang. Die Aufklärung fand schnell Anhänger in ganz Europa. Sie hatten zwar zum Teil sehr verschiedene philosophische Interessen und Ideen, aber sie waren sich einig darin, das alte, aus ihrer Sicht überholte, Denken der Vergangenheit hinter sich zu lassen und einen neuen Abschnitt in der Geschichte der Ideen zu begründen. In Deutschland verstanden sich unter anderem Leibniz und Kant als Anhänger der Aufklärung, in England John Locke und David Hume. Besonders verbreitet waren die Ideen der Aufklärung aber in Frankreich, das trotz der absolutistischen Monarchie im 18. Jh. von großer kultureller Freiheit und offener Diskussionskultur geprägt war und um die Mitte des Jahrhunderts Europas philosophisches Zentrum bildete. Aus dem von Descartes entstandenen Cartesianismus entstand die Bewegung des Rationalismus mit schwerwiegenden Konsequenzen für den französischen Staat. Die Forderungen der Aufklärung nach einer Unterordnung der Kirche durch den Staat, religiöse Toleranz und Freiheit, Redefreiheit, freier und wirtschaftlicher Wettbewerb und Bildung und Wohlfahrt der breiten Massen wurden lauter. Die Kräfte der Aufklärung entluden sich schließlich in Frankreich mit der Revolution von 1789 und der Entmachtung des Adels. Der Volksbegriff wandelte sich entscheidend, von dem mittelalterlichem Denken, bei dem nur der Adel als Volk zählte, zu der Pflicht der Herrschenden das Wohl seiner Untertanen zu sichern. Im Zuge des daraus entstandenen Abbaus sozialer Ungleichheiten kam der Bildung der Masse eine Schlüsselrolle zu.

Die im Hochmittelalter entstandenen handwerklichen Zünfte bildeten in Frankreich und Deutschland ein soziales, ökonomisches und religiöses Netzwerk mit großem Einfluss. Oftmals machten sie ihren Einfluss geltend durch das Vorschreiben von Produktionsmethoden und Techniken. Es gab einen Ehrenkodex und die Garantie des standesgemäßen, also der Zunft entsprechenden Lebensstandards. Im Zuge der gewaltigen, aus der Aufklärung entstandenen, gesellschaftlichen Umbrüche überlebte dieses Modell, im Gegensatz zu Deutschland, in Frankreich nicht und wurde schon 1791 abgeschafft. Paradoxerweise wurde damit ein traditionell lebendiger Ausbildungsweg für die Allgemeinheit beendet (vgl. CEDEFOP. 1994, S. 26). Durch die Aufklärung freigesetzte emanzipatorische Kräfte, der Ruf nach Gewerbefreiheit, nach Bildung für alle und der Abbau von Machtstrukturen überlebten die französischen Handwerkszünfte nicht. In Deutschland hingegen überlebten die Handwerkszünfte den Aufklärungsgeist fast unverändert bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Im Zuge der Industrialisierung und der zunehmenden Massenproduktion veränderten sich jedoch die Rahmenbedingungen und auch in Deutschland verloren die meisten Zünfte ihre ursprüngliche Funktion und Gestalt. Das mittelalterliche Zunftdenken, der Deutschen Handwerker, setzte sich jedoch in Ansätzen fort. Aus den handwerklichen Zunftgilden entstanden in Deutschland am 1.April 1900 nach Verordnung von Kaiser Wilhelm II. durch die „Handwerksordnung“ die Handwerkskammern (vgl. ZDH, 2005, S.15). Nach dem II. Weltkrieg wurde 1949 der DIHT als Dachverband aller Industrie- und Handelskammern Deutschlands gegründet. Sie repräsentieren die industriell produzierenden Betriebe im In- und Ausland durch die Auslandshandelskammern.

Aus der Tradition der alten Handwerksgilden in Kombination mit den auszubildenden Betrieben entstand das heutige duale Berufsausbildungssystem in Deutschland. Dies trifft auch auf Dienstleistungsberufe zu, wie. z.B. den Bankkaufmann, der noch heute über die Prüfungsordnung der IHK, also streng gesehen aus dem Handwerk, geprüft wird.

1.2. Geschichte der Berufsausbildung in Frankreich

Nach der Revolution 1789 bemühte man sich im 19. Jahrhundert um den Aufbau eines staatlichen Schulwesens und um eine Förderung der allgemeinen und beruflichen Bildung Erwachsener. In dieser Zeit wurden viele allgemein bildende Schulen gebaut und die Schulpflicht im Jahre 1882 eingeführt. Bis dato verstand man unter beruflicher Bildung vor allem die Ausbildung von Ingenieuren und Technikern (vgl. CEDEFOP. 1994, S. 26). Erst 1919 bemühte man sich um eine Entstehung der beruflichen Ausbildung oder Lehre mit dem Angebot von theoretischen Berufsschulkursen für Lehrlinge in betrieblicher Ausbildung. Dies geschah vor dem Hintergrund eines großen Mangels an qualifizierten Arbeitskräften durch die industrielle Umstellung (vgl. CEDEFOP. 1980, S.6). Ein daraufhin entstehendes Gesetz regelte den dauerhaften Aufbau von Berufsbildenden Schulen. In diesen Berufsbildungszentren wurde kostenloser Unterricht für Lehrlinge und Jungarbeiter während der Arbeitszeit angeboten, um nach drei Jahren einen Berufsbefähigungsnachweis (Certificat d’aptitude professionelle, CAP) abschließen zu können. In der III. französischen Republik (vor 1945) gab es zwar Fachhochschulen und Bildungseinrichtungen aber die Rolle der Berufsbildungszentren war nicht eindeutig definiert da er eine große Varianz im Sinne der Unterrichtsgestaltung gab. Nach dem Krieg verschärfte sich der Bedarf an Fachkräften und auf Veranlassung des Ministeriums für Arbeit konnten Arbeiter binnen 6 Monaten einen Beruf in den Bildungszentren erwerben. Die Volksbildung kam aufgrund verschiedenster Initiativen wieder in Schwung, konzentrierte sich aber immer auf die Erlangung höherer akademischer Grade anstatt grundständiger handwerklicher Ausbildungen (vgl. CEDEFOP. 1980, S.8).

Die Zeit des wirtschaftlichen und industriellen Wachstums nach 1958 begünstigte die Entwicklung einer neuen Berufsbildung in Frankreich. Die Unternehmen mussten sich zunehmend einer internationalen Konkurrenz, der industriellen Umstellung sowie der immer schnelleren wissenschaftlich-technischen Entwicklung stellen und die Bildung anpassen. In den 1960er Jahren verfolgte die französische Regierung eine aktive Beschäftigungspolitik und modernisierte das Schulsystem um Jugendlichen und Erwachsenen eine neue Ausbildungschance zu geben (vgl. CEDEFOP. 1980, S.9). Das schulpflichtige Alter wurde von 14 auf 16 Jahre verlängert und in den Schulen der Sekundarstufe reguläre berufsvorbereitende Zweige eingerichtet. Neben den allgemein bildenden Mittelschulen (Collèges) und Gymnasien (Lycées) wurden die berufsbildenden Mittelschulen (Collèges d’enseignement techniques) geschaffen, in denen Facharbeiter und einfache Angestellte ausgebildet werden sowie die berufsbildenden Gymnasien (Lycèes techniques) aus denen Techniker und höhere Techniker (Techniciens Supérieurs) hervorgehen. Im gleichen Zug verstärkte man die Möglichkeiten der Weiterbildung für Erwachsene mit Finanzierungsmodellen und gesetzlichem Bildungsurlaub. Die sozialen Unruhen und die politische Krise im Mai 1968[5] schufen die Voraussetzungen für eine weitere Reform des Bildungssystems und eine Verbesserung der Weiterbildungsmöglichkeiten. Aus dieser Zeit entstammt die Idee eines beruffachlichen Kurzstudiums an fachgebundenen Hochschulinstituten (Institutes Universitaires de Technologie, IUT). Zehn Jahre später gab es eine Ratifizierung der beruflichen Ausbildung durch eine neue Gesetzesinitiative. Diese hatte zum Ergebnis, dass es zu einer einheitlichen Regelung der beruflichen Ausbildung von Jungarbeitern, bezahlte Ausbildung für Arbeitslose und Bildungsurlaub mit Lohnfortzahlung kam. Mit dem „Gesetz vom 16.Juli 1971 über die Lehre“ wurde dieser Weg bekräftigt und um die Stärkung der Rolle von Betriebsräten erweitert (vgl. CEDEFOP. 1980, S.10-15). In den 1980er Jahren unternahm man nach einem Regierungswechsel Versuche das Bildungssystem zu reformieren und zu vereinfachen. Die Bildungsangebote wurden stärker durchlässig und hinsichtlich ihrer Qualität stärker kontrolliert.

[...]


[1] René Descartes, (* 31. März 1596 in La Haye, Frankreich; † 11. Februar 1650 in Stockholm, Schweden) Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler.

[2] Methode des philosophischen Denkens Descartes Veröffentlichung „Discours de la méthode“. Das Werk wurde 1637 anonym in Leiden herausgegeben. In einer späteren, posthum veröffentlichten, unvollendeten Abhandlung stellt Descartes Regeln auf, nach denen man vorgehen müsse, um zum wahren Wissen zu gelangen.

[3] Die neue Erkenntnistheorie wird in den Meditationen (Meditationes de prima philosophia, 1641) vorgestellt von denen insgesamt 6 Meditationen vorhanden sind.

[4] Der Geist der Aufklärung wird von dem Philosophen Immanuel Kant besonders treffend in dem Zitat beschrieben: "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. ... Sapere aude, habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!

[5] Von der Polizei blutig niedergeschlagener Generalstreik mit bürgerkriegsähnlicher Atmosphäre. De Gaulle veranlasst die Auflösung der Nationalversammlung und droht mit militärischem Einschreiten. Es kommt zu einer Beendigung des Streiks nach Lohnerhöhungen und Zusage von Sozialleistungen.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Berufsausbildung in Frankreich - ein Vorbild für Deutschland?
Hochschule
Europa-Universität Flensburg (ehem. Universität Flensburg)  (Berufsbildungsinstitut Arbeit und Technik)
Veranstaltung
Internationaler Vergleich verschiedener Systeme beruflicher Bildung
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
23
Katalognummer
V53597
ISBN (eBook)
9783638490061
ISBN (Buch)
9783640244065
Dateigröße
4363 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Beschäftigungsproblematik auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland hat eine neue ungekannte Dramatik erreicht. Nach einer ersten Reform des Sozialsystems durch Hartz IV werden auch über weitere Schritte nachgedacht, um den Arbeitsmarkt neu zu beleben. Vieles steht dabei auf dem Prüfstand, welches in der Vergangenheit als das Optimum gegolten hat.
Schlagworte
Berufsausbildung, Frankreich, Vorbild, Deutschland, Internationaler, Vergleich, Systeme, Bildung
Arbeit zitieren
Christian Lang (Autor:in), 2005, Berufsausbildung in Frankreich - ein Vorbild für Deutschland?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53597

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