Wunderbares, Märchenhaftes, Fiktionalität in Hartmanns von Aue 'Erec'


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

20 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung
Einführung in die grundlegende Thematik der vorliegenden Arbeit

II. Hauptteil
1. Fiktionalität – eine Begriffsbestimmung
2. Exkurs: Die literaturtheoretischen Hintergründe
3. Konkrete Beispiele für die Vermittlung von Fiktion im Text
3.1 Die Beschreibung von Enites Pferd (V. 7265 – 7766): Fiktiver Hörer-Erzähler-Dialog
3.2 Weitere ausgewählte Stellen im Text, in denen der Erzähler mit dem Hörer kommuniziert
4. Der Prolog
5. Wunderbares
5.1 Ein Beispiel für wunderbares Erzählen: die Zauberin Fâmurgân
5.2 weitere wunderbare Dinge.
6. Märchenhaftes.

III. Schluss
Zusammenfassung aller bisherigen Erkenntnisse und Bilanz

Literaturangaben

I. Einleitung

Einführung in die grundlegende Thematik der vorliegenden Arbeit

Hartmanns von Aue Werk Erec (entstanden zwischen 1180 und 1190) gilt als der erste deutsche Roman überhaupt. Zugleich setzt mit ihm in Deutschland die Tradition der beim Publikum sehr beliebten Artusromane ein. Zugrunde liegt dem ersten deutschen Roman das Werk Erec et Enide des französischen Dichters Chrétien de Troyes, das auf ungefähr 1165-70 datiert werden kann. Die französische Vorlage wird als erster europäischer „ (...) vulgärsprachliche(r) Roman des Mittelalters, den man als fiktiv bezeichnen darf“[1] gefeiert. Haug spricht sogar von der „(...) Entdeckung der Fiktionalität, die mit der Wende zur ‚Matière de Bretagne’ erfolgte (...)“[2]. Diese Behauptung ist in der gegenwärtigen Forschung nach wie vor umstritten, da bereits in der Antike die Fiktionalität in der Literatur thematisiert wurde, v. a. von Aristoteles, Platon und Cicero. Daher wurde Haugs These einige Jahre später von Ridder[3] abgeschwächt, indem jener davon ausgeht, dass nicht die Fiktionalität an sich, sondern die Reflexion zu diesem Thema entdeckt wurde: es kam „(...) im Hochmittelalter bei den Romanautoren zu einem neuen, spezifischen Fiktionsbewusstsein (...), das sich an ihren literaturtheoretischen Äußerungen ablesen lässt (...).“[4] Meiner Meinung nach lässt sich nicht leugnen, dass dies in mancher Hinsicht auch durchaus überzeugend ist. Da Hartmann sich bei der Abfassung seines eigenen Werkes eindeutig an Chrétiens Vorlage orientiert, diese aber noch ergänzt und ausgeschmückt hat, stellt sich also die Frage, ob sich auch in Hartmanns Werk Fiktionalitätssignale und wenn ja, in welcher Form bzw. ob der Erec überhaupt ein fiktionaler Roman ist. Die Beantwortung dieser Frage soll den Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit darstellen. Dafür muss zuerst geklärt werden, was sich hinter dem Begriff der „Fiktionalität“ überhaupt verbirgt. Dabei stütze ich mich weitestgehend auf Grünkorns Ergebnisse und die von ihr herausgearbeiteten Fiktionalitätskriterien[5]. In einem kleinen Exkurs wird auch kurz die Literaturtheorie der Antike und des Frühmittelalters zu diesem Thema angesprochen. Im weiteren Verlauf meiner Arbeit gilt es, zu überprüfen, inwieweit die Fiktionalitätskriterien nach Grünkorn in Hartmanns Erec erfüllt werden. Dies soll anhand konkreter Textstellen geschehen. Dazu wird aufgrund der Tatsache, dass Hartmanns Erec -Prolog leider nicht erhalten ist, der Iwein -Prolog mit einbezogen. Weiterhin ist es meiner Meinung nach unerlässlich, die in großer Anzahl vorkommenden Beispiele an wunderbaren und märchenhaften Passagen in die Analyse mit einzubeziehen.

Meine Ergebnisse werden dann schließlich im Schlussteil der Arbeit zusammengefasst und kommentiert.

II. Hauptteil

1. Fiktionalität – eine Begriffsbestimmung

Der Begriff „Fiktionalität“ ist ein derart vielschichtiges Phänomen, dass er sich nur schwer in einer allgemeingültigen Definition zusammenfassen lässt. Zuallererst lässt sich anmerken, dass „(...) der Begriff ‚Fiktionalität’ im Unterschied zu außerliterarischen Phänomenen eine ästhetische Dimension [besitzt]. (...) ‚fiktional’ [lässt sich daher] als eine ästhetische Qualität von Texten definieren, die fiktionale Texte von der sogenannten Gebrauchsliteratur, von didaktischen oder propagandistischen Texten unterscheidet.“[6] Grob vereinfacht kann man also davon ausgehen, dass fiktionale Texte in erster Linie der Unterhaltung dienen. Während wissenschaftliche Texte, Chroniken, Heiligenviten etc. dem Wahrheitsanspruch verpflichtet sind, haben die Verfasser fiktionaler Texte mehr Freiräume: sie stellen dar, was nicht wirklich passiert ist, können sogar verschiedene Möglichkeiten durchspielen und dennoch kann man fiktive Aussagen nicht als Lüge bezeichnen, denn Lüge ist „eine wider besseres Wissens aufgestellte nicht-wahre Behauptung (...)“.[7] Bei einer Lüge ist man sich der Wahrheit also sehr wohl bewusst. Bei einem fiktionalen Text hingegen können die Aussagen nicht auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft werden, sind also weder wahr noch falsch.

Zusammenfassend lassen sich also vier Kriterien für fiktionale Rede festmachen:

Fiktionale Rede

„(1) (...) erhält ihren spezifischen Status durch ihre Wahrheitsindifferenz. (...)
(2) (...) hat spezifische Kommunikationsbedingungen zur Voraussetzung, die sicherstellen, dass der Autor den direkten Bezug auf die Wirklichkeit nicht intendiert und dass der Rezipient dies auch erkennt und Erfundenes nicht für Wirklichkeit hält. (...)
(3) (...) [hat] trotz ihrer wahrheitsindifferenten Rede einen Sinn oder Erkenntniswert, der sich indirekt durch Interpretation ergibt. (...) Erkenntnis [wird] nicht ausgesagt, sonder gezeigt. (...)
(4) (...) schafft einen distanzierten Freiraum, der das Durchspielen von Denkmöglichkeiten, Wirklichkeitsentwürfen etc. ermöglicht.“[8]

Die eben genannten Kriterien wurden von Grünkorn 1994 veröffentlicht und gelten seitdem in der Debatte um Fiktionalität als maßgeblich. Doch bereits in der Antike wurde über Dichtung und Fiktionalität reflektiert. Die wesentlichen Punkte der antiken und frühmittelalterlichen Theoretiker sollen im folgenden Exkurs kurz erörtert werden.

2. Exkurs: Die literaturtheoretischen Hintergründe

In der griechischen Antike behauptet Platon, dass Dichter Lügner seien. Zwar wurde diese These durch Aristoteles etwas abgeschwächt, indem dieser sagt, dass Dichtung das ist, was wahrscheinlich ist; was es nicht gibt, aber geben könnte.

Trotzdem ist man im Mittelalter der Auffassung, dass Literatur nicht geeignet sei, um über Reales zu sprechen. Es gibt drei Gattungen: zum einen die fabula (eine reine Phantasieerzählung, die maximal der Unterhaltung dient), die historia (Faktisch Wahres wird berichtet) und das argumentum (eine Mischform: eine zwar erfundene Geschichte, die aber Wahrheit zur Anschauung bringt). Für Isidor von Sevilla (ca. 560 – 636), einem der bedeutendsten Gelehrten des Mittelalters, der zahlreiche Enzyklopädien verfasst hat, die mehrere Jahrhunderte lang als Referenzwerke galten, ist das einzige Wertkriterium bei der Literatur die „verax significatio“, also der Wirklichkeitsbezug.

Die mittelalterlichen Autoren standen also vor dem Dilemma, dass sie nichts Neues schaffen durften. Das lateinische Wort aut or bedeutet „Urheber, Verfasser“, aber im Mittelalter herrscht die gängige Meinung vor, dass das Schöpfen etwas ist, das allein Gott zusteht: „ solus creator est deus “ (Augustinus). Der Prediger Salomo fordert, dass es unter der Sonne nichts Neues geben darf (nihil sub sole novum). Bis ins 15. Jhd. hinein war menschliche Kreativität also undenkbar, denn mit der Schöpfung ist auch ein gewisser Wahrheitsanspruch verbunden. Im Mittelhochdeutschen heißt „dichterische Erfindung“ noch lüge: „ das wâr man mit lüge kleit “ sagt Thomasin von Zerklaere über âventiure-Geschichten[9]. Für „erfinden“ so wie wir den Begriff heute verstehen, gibt es bis ins 17. Jhd. hinein kein deutsches Wort. „ ervinden ist (...) weitgehend synonym mit vinden. Und wenn etwas in unserem Sinne ‚erfunden’ wird, dann sagt man [im Mittelhochdeutschen], dass man es vindet und bringt damit zum Ausdruck, dass man nur auf etwas stößt, was gewissermaßen schon vorhanden ist. (...) Und so kann vinden schließlich soviel wie ‚dichten’ heißen.“[10] Nicht nur im Deutschen fällt auf, dass es keine Wörter für „erfinden“ bzw. „dichten“ gibt. Das altprovenzalische Wort trobar, von dem sich die Bezeichnung des Troubadour (südfranzösische Dichter im Mittelalter) ableitet, bedeutet ebenfalls „finden“ (Neufranzösisch: trouver). Und auch das heutige französische Wort für „erzählen“, raconter, weist eine Auffälligkeit auf: raconter bedeutet streng genommen eigentlich „wiedererzählen“, also die Wiedergabe von bereits vorhandenen Stoffen, denn was bereits erzählt wurde, hat sich bewährt.

Die mittelalterlichen Autoren waren sehr darauf bedacht, nicht der Lüge überführt zu werden und haben deshalb unzählige Wahrheitsbekundungen, sowie die Versicherung, nichts hinzugefügt oder weggelassen zu haben, in ihre Werke eingebaut. Als Beispiel kann man hier den Pfaffen Konrad anführen. Im Epilog des Rolandslieds erklärt er:

9080 alsô ez an dem buoche gescriben stât

in franzischer zungen,

sô hân ich ez in die latîne betwungen,

danne in die tiutische gekêret.

ich nehân der nicht an gemêret,

9085 ich nehân der nicht überhaben.

Er hat die französische Vorlage also zunächst wortgetreu ins Lateinische übersetzt und dann ins Deutsche und dabei nichts hinzugefügt oder weggelassen. Umso erstaunlicher erscheint es, dass er dennoch im Prolog Gott darum bittet, ihm die Wahrheit der Offenbarung in den Mund zu legen, damit er nichts Falsches schreibe (Invocatio Dei):

5 dû sende mir ze munde

dîn heilege urkunde,

daz ich die lüge vermîde,

die wârheit scrîbe

Wahrheit bedeutet für den Pfaffen Konrad also nicht die getreue Wiedergabe historischer Fakten, sondern die Wiedergabe des Sinns, der in den Fakten liegt. Durch seine zahlreichen Quellenberufungen weist er jede Verantwortung für den Text von sich. Das Rolandslied des Pfaffen Konrad wird auf ungefähr 1172 datiert, ist also nur unwesentlich älter als Hartmanns von Aue Erec und bereits hier lässt sich durch die theoretischen Reflexionen in der Volkssprache erkennen, dass die Literatur im Begriff war, sich grundlegend zu verändern. Selbst Eingriffe in die Vorlage sind erlaubt, wenn sie dazu dienen, den Sinn heraustreten zu lassen.

[...]


[1] HAUG (1992); S. 91.

[2] HAUG (1992); S. 91.

[3] RIDDER (2001); S. 539.

[4] HAUG (2002); S. 118.

[5] wie dargestellt in GRÜNKORN (1994).

[6] GRÜNKORN (1994); S. 9.

[7] GABRIEL (1975); S. 49.

[8] GRÜNKORN (1994); S. 19

[9] HAUG (noch nicht erschienen); S. 5.

[10] HAUG (noch nicht erschienen); S. 5f.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Wunderbares, Märchenhaftes, Fiktionalität in Hartmanns von Aue 'Erec'
Hochschule
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Note
2
Autor
Jahr
2006
Seiten
20
Katalognummer
V53600
ISBN (eBook)
9783638490085
ISBN (Buch)
9783638799447
Dateigröße
684 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wunderbares, Märchenhaftes, Fiktionalität, Hartmanns, Erec
Arbeit zitieren
Monika Scholz (Autor:in), 2006, Wunderbares, Märchenhaftes, Fiktionalität in Hartmanns von Aue 'Erec', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53600

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