Über Hilfeverhalten und zivilcouragiertes Handeln


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

15 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhalt

Über Hilfeverhalten und zivilcouragiertes Handeln

1. Handlungen in konkreten Situationen

2. Zwei Konzepte: Zivilcourage und Hilfeverhalten
2.1 Hilfeverhalten: Theorien, Motive, Hemmungen
2.2 Zivilcouragiertes Handeln: Voraussetzungen und Hindernisse
2.3 Hilfeverhalten und Zivilcourage: Zur Ausländerproblematik
2.4 Zusammenfassung

3 Ausblick und Schluss

Über Hilfeverhalten und zivilcouragiertes Handeln

1. Handlungen in konkreten Situationen

Vor zwei Wochen geschah ein dramatischer Unfall an einer U-Bahn Haltestelle in München. Ein junges Pärchen ist mit seinem Hund mit der U-Bahn unterwegs. Der Hund springt an einer Station in letzter Sekunde aus dem Wagen, die Frau hinterher. Auch ihr Freund versucht, die U-Bahn noch zu verlassen. Doch die Türen sind schon zu. Er stemmt sie teilweise auf, aber bei diesem Unterfangen verklemmt er sich zwischen den Türen. Sein Oberkörper befindet sich außerhalb, der restliche Körper innerhalb des Waggons. Er versucht verzweifelt, sich aus seiner Lage zu befreien. Auch seine Freundin will ihm vom Bahnsteig aus helfen, läuft ihm hinterher, denn die Bahn fährt schon an. Doch ohne Erfolg. Die U-Bahn fährt bereits fast 40km/h, als der junge Mann mit dem Oberkörper gegen die Absperrung vor dem U-Bahn-Tunnel prallt. Er ist sofort tot. Die U-Bahn-Fahrerin hatte ihn nicht gesehen, da sie bereits den Rückblickspiegel (der an der Absperrung befestigt ist) mit der Fahrerkabine passiert hatte. Natürlich könnte man sagen, dass der junge Mann sehr gedankenlos gehandelt hat, aber war eine Rettung wirklich unmöglich? Haben die Passanten versucht, ihn wieder hinein- oder weiter herauszuziehen? Waren sie zu geschockt, um überhaupt zu handeln? Dieser Unfall geschah nur zwei Stationen vor meiner Haltestelle, auf meiner U-Bahnlinie und diese Fragen haben mich lange beschäftigt. Was hätte ich getan, wie hätte ich gehandelt, wie hätte ich helfen können? Kurz zuvor hatte ich ein Blockseminar zu dem Thema Zivilcourage besucht, dabei ging es um Hilfeverhalten, das richtige Handeln in Notlagen und das praktische Umsetzen in konkreten Situationen. Wir alle sind potentielle Helfer, wenn andere in unserer Umgebung in brenzlige Lagen geraten. Seien es durch Fremdenfeindlichkeit motivierte Äußerungen oder Übergriffe, Belästigungen oder Unfälle. Wieso hat niemand die Notbremse in der U-Bahn oder am Bahnsteig gezogen? Fühlte sich niemand verantwortlich oder war das Notrufsystem in den U-Bahnen einfach nicht bekannt? Da ich in diesem Fall nur die unterschiedlichsten Medienberichte als Informationsquellen hatte, ist die Beantwortung dieser Fragen kaum möglich. Doch immer wieder kommt es zu Situationen, zu Unfällen, in denen niemand eingreift, niemand hilft, niemand handelt. Situationen, in denen Menschen zu Tode kommen, weil um sie herum alle wegsehen. Es ist natürlich leicht zu sagen, dass man selbst alles anders gemacht hätte, doch ist dann tatsächlich eine solche Situation plötzlich da, wird trotz allem nicht immer gehandelt. Um den Beweggründen und Hemmnissen für Hilfeverhalten und zivilcouragiertes Handeln auf den Grund zu gehen, haben u.a. Psychologen Konzepte und Theorien entwickelt. Davon werde ich einige im Folgenden zunächst getrennt nach Hilfeverhalten und Zivilcourage erörtern, um dann noch einmal zusammenfassend auf die beiden Konzepte einzugehen, da eine klare Trennung kaum möglich ist. Im Anschluss wird noch im besonderen auf die Problematik der Fremdenfeindlichkeit als Beispiel hingewiesen. Im Abschluss wird noch einmal abschließend auf Zivilcourage, Hilfeverhalten und der Thematik der Fremdenfeindlichkeit eingegangen.

2. Hilfeverhalten und Zivilcourage: Konzepte und Theorien

2.1 Hilfeverhalten: Theorien, Motive, Hemmnisse

Um die beiden Konzepte, Hilfeverhalten und Zivilcourage, etwas voneinander abzugrenzen, ist zunächst eine getrennte Betrachtung von Nutzen.

München ist eine Großstadt. Täglich besuchen viele ausländische Touristen die Stadt. Wer wurde noch nicht in gebrochenem Englisch angesprochen und nach dem Weg gefragt? Meistens bemüht man sich korrekt und verständlich Auskunft zu geben. Allein diese kleine Geste ist schon Hilfeverhalten. Hilfreiches Verhalten wird auch prosoziales oder altruistisches Verhalten genannt. Definiert wird dieses Verhalten „als beabsichtigte Handlung zum Wohle einer anderen konkreten Person, die keinen Dritten schädigt, persönlichen Nutzen aber nicht ausschließt“ (Frey u.a. 2001: 95). Obwohl der Altruismus eigentlich von Handeln ohne persönlichen Nutzen ausgeht, wird er meist gleichbedeutend zum prosozialen Verhalten behandelt, wobei der Einfluss von persönlichem Nutzen nicht ausgeschlossen wird (vgl. ebd.). Wichtig für das Hilfeverhalten ist das freiwillige Handeln, das Helfen von sich aus. Die individuellen Absichten werden untergeordnet, um jemanden zu helfen (vgl. Bierhoff 2002).

Einem Fremden eine Wegbeschreibung zu geben ist natürlich mit weniger Risiken behaftet, als einen Passanten mit einer Herzattacke wieder zu beleben. Doch aus welchen Motivationen heraus handelt der Mensch prosozial und leistet Hilfe? Um dies zu erklären unterscheidet Bierhoff drei Analyseebenen von Hilfeverhalten, denen sich unterschiedliche Theoriekonzepte zuordnen lassen: 1. Die interpersonelle Ebene, der die Empathie-Altruismus Theorie zugewiesen wird. 2. Die normative Ebenen, auf der die Theorie der sozialen Verantwortung angesiedelt ist. 3. Die Persönlichkeitsebene mit der Theorie der dispositionalen Empathie (vgl. Bierhoff 2002).

Bei der Empathie-Altruismus Theorie ist die Empathie ein Ergebnis der Sozialisation. Dabei handelt es sich um eine stellvertretende Emotion, durch die wir die inneren Vorgänge anderer, die wir in Not wahrnehmen, nacherleben können (vgl. ebd.). In Studien konnte nun nachgewiesen werden, dass ein geringer, aber systematischer Zusammenhang zwischen Empathie und prosozialem Verhalten besteht. Empathie lässt sich als eine Sozialkompetenz verstehen, die ermöglicht, sich emotional in die Lage anderer zu versetzen und dadurch korrelieren Empathie und Hilfeverhalten positiv miteinander. Zu dieser Theorie gehört noch die altruistische Motivation. Ist die Handlung im Gegensatz zum Altruismus egoistisch motiviert, kommt es in Situationen, in denen zwar eine hohe Empathie besteht, aber ebenso Flucht möglich ist, oft zu keiner Hilfeleistung. Denn das „persönliche Unbehagen“ (Bierhoff 2002) kann dadurch beseitigt werden. Ist die Person jedoch altruistisch motiviert, ist dies nicht möglich, da sie als Ziel die Rettung des Notleidenden hat. Denn hier soll das Wohlergehen der anderen, nicht das eigene gesteigert werden (vgl. ebd.).

Bevor die normative Ebene betrachtet wird, kurz zur Persönlichkeitsebene, bei der die dispositionale Empathie eine Rolle spielt. Die bisher beschriebene Empathie war eine situative, eine Emotion, die sich direkt aus der Not des Opfers ergibt. Die dispositionale Empathie jedoch zeigt sich als „allgemeines Persönlichkeitsmerkmal“ (vgl. Bierhoff 2002), das auch außerhalb einer solchen Situation empfunden werden kann. Das Hilfeverhalten steht in engem Zusammenhang mit der dispositionalen Empathie (vgl. ebd.).

In den normativen Theorien sind die Werte und Normen, die das prosoziale Verhalten beeinflussen, bedeutsam. Vor allem die Norm der sozialen Verantwortung ist ein Faktor, der die Hilfsbereitschaft beeinflusst. Die Fähigkeit, sich in Situationen, im Beruf, gegenüber anderen oder der Einhaltung von Normen der Gesellschaft verantwortlich zu fühlen, wird in der Sozialisation erworben. Soziale Verantwortung setzt aber auch Eigeninitiative voraus und ihre Befolgung hängt mit der Empathie zusammen.

Wie kommt es nun zu einer Hemmung der Hilfsbereitschaft? Hierzu lassen sich drei Theorieerklärungen geben: Zum einen die Diffusion der Verantwortung. In Notsituationen, in denen viele Zeugen anwesend sind, empfindet jeder Einzelne weniger Verantwortung. Denn wenn jemand zum Beispiel alleine an einem Unfallort als potentieller Helfer gefragt ist, wird der Handlungsdruck viel größer. Bei vielen anderen Beteiligten, kann man sich der Zuschreibung der Verantwortung an die eigene Person leichter entziehen. Zudem wird das Eingreifen als bedrohlich und belastend empfunden, wodurch eine Tendenz besteht, die Situation zu meiden.

Die pluralistische Ignoranz ist eine weitere Theorie, um die Hemmungen der Hilfeleistung durch das passive Beispiel anderer Zeugen zu erklären. Das Verhalten der anderen, die nicht reagieren, wird fehlinterpretiert, es signalisiert, dass die Situation kein Eingreifen erfordert. Durch den negativen Vorbildeffekt der anderen wird die Notsituation ignoriert. Dies geschieht gleichzeitig von allen, da jeder die Situation gleichermaßen fehlinterpretiert.

Zum anderen wird das Hilfeverhalten bei mehreren Anwesenden gehemmt, wenn die Helfer unsicher sind, befürchten, sich lächerlich zu machen und sich vor den anderen zu blamieren. Auf diese Problematik geht die Theorie der Bewertungsangst ein.

Neben diesen Einflüssen auf die Hilfeleistung gibt es noch einen weiteren entscheidenden Faktor: die Kompetenz. Schätzt sich eine Person als wenig kompetent ein, die „richtige“ Hilfe zu leisten, wird sie weniger wahrscheinlich helfend eingreifen, besonders wenn andere Personen anwesend sind, die schnell als kompetenter beurteilt werden. Die eigene Verantwortung wird verneint. Aber auch wenn Kompetenz und soziale Verantwortung positiv eingeschätzt werden, können die Kosten den Nutzen der Hilfe übersteigen. Seien es Zeitaufwand oder Gefahren und Risiken für den Helfer selbst, die höher bewertet werden als der Nutzen der Hilfeleistung (vgl. Frey u.a. 2001).

[...]

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Über Hilfeverhalten und zivilcouragiertes Handeln
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Psychologie)
Veranstaltung
Seminar: Training zur Förderung von Zivilcourage gegen Fremdenfeindlichkeit
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2004
Seiten
15
Katalognummer
V53618
ISBN (eBook)
9783638490184
ISBN (Buch)
9783638779333
Dateigröße
464 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hilfeverhalten, Handeln, Seminar, Training, Förderung, Zivilcourage, Fremdenfeindlichkeit
Arbeit zitieren
Tamara Takac (Autor:in), 2004, Über Hilfeverhalten und zivilcouragiertes Handeln, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53618

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