Bilinguale Erziehung von Kindern in Vor- und Grundschule


Hausarbeit, 2005

40 Seiten, Note: gut


Leseprobe

Gliederung

Einleitung

1. Interkulturelle Erziehung
1.1. Die Notwendigkeit von Verständigung durch Sprache
1.2. Was verbirgt sich hinter interkultureller Erziehung?

2.Die Bedeutung der Muttersprache
2.1. Der Stellenwert der Muttersprache beim Erwerb einer Zweitsprache
2.2. Zweisprachigkeit - eine Chance?

3.Bilinguale Erziehung an Grundschule
3.1. Richtungen bilingualer Erziehung
3.1.1. Die Immersion
3.1.2. Das „bilingual education“ - Konzept
3.2. Praxisbeispiele an Grundschule
3.2.1. Ergebnisorientierter Fremdsprachenunterricht (Hamburg)
3.2.2. Begegnung mit einer Fremdsprache
(Nordrhein-Westfalen / Baden-Württemberg)
3.2.3. Kooperationsunterricht (Berlin)
3.2.4. Early Partial Immersion (Altenholz bei Kiel)
3.3. Zusammenfassung der Modelle

4. Schlusswort

Literatur

Eidesstattliche Erklärung

Einleitung

Wenn man die zunehmende Globalisierung mit in Anbetracht zieht, sollte jedes Mitglied einer Gesellschaft Interesse am friedvollen Zusammenleben haben und sich in bestimmter Weise mit anderen Kulturen auseinander setzen können.

Sei es die kroatische Familie aus dem Haus zu grüßen oder beim Italiener um die Ecke seine Lieblingspasta zu essen. Wir alle kommen in Berührung mit anderen Kulturen, warum sollten wir dann nicht auch am Verstehen dieser Kulturen interessiert sein?

Wie verstehen wir aber andere Kulturen?

HAMMES-DI BERNANDO sagt dazu „Zum Verständnis für den Anderen gehört auch das Verstehen von Sprachen.“ (ebd.2001, S.37)

Wir können jetzt natürlich nicht 3 bis 7 Sprachen lernen, nur um beispielsweise im Restaurant das Essen in der Landessprache des Kellners zu bestellen.

Wir können aber, gestärkt durch unsere eigenen Interessen, Sprachkurse einer Sprache absolvieren, um unseren Kommunikationshorizont zu erweitern. Und wir können (unsere) Kinder ermuntern, fremde Sprachen zu erlernen, sowie MigrantInnen dabei helfen unsere Sprache zu erlernen.

Über die Notwendigkeit des Erlernens einer anderen Sprache werde ich in einem späteren Kapitel näher eingehen.

„Einige Migrantenkinder, ebenso wie Kinder der dominanten Kultur, lernen in verschiedenen Welten zu leben. Dies gehört zu ihrer Identität, zu ihren Schwierigkeiten und zu ihren besonderen Kompetenzen. Wir können heute nicht mehr von bruchlosen einheitlichen Räumen und Identitäten ausgehen. Auch ein deutsches Kind bewegt sich häufig in ganz unterschiedlichen Systemen - bei der Oma, in der Stieffamilie und beim leiblichen Vater. Die Fähigkeit, sich in verschiedenen Welten zurechtzufinden und Übergänge zu bewältigen ist heute eine Schlüsselkompetenz, und dies ist eine Fähigkeit, die selbstbewusste bikulturelle und zweisprachige Kinder in besonderem Maße entwickeln können.“ (ULICH 2005, S.1)

Genau hier setzt die interkulturelle Erziehung, insbesondere die bilinguale Erziehung an.

Die interkulturelle Erziehung will aus ihrer Funktion heraus das Zusammenleben verschiedener Kulturen unterstützen und fördern. So lässt die lateinische Bedeutung „inter = zwischen“ ein Bindeglied zwischen den Kulturen und deren Austausch untereinander vermuten.

Interkulturelle Erziehung versteht sich auch als Vorbereitung auf ein gemeinschaftliches Leben unterschiedlicher Lebenswelten in einer multikulturellen Gesellschaft. ULICH sagt dazu: „Interkulturelle Pädagogik sieht in der unterschiedlichen Herkunft und Sprache eine Chance, voneinander zu lernen, um dadurch eine Vielfalt an Lebensformen kennen zu lernen. Oftmals wird deshalb auch von Interkulturellem Lernen statt von Interkultureller Erziehung gesprochen. Interkulturelles Lernen bedeutet also, sich Neuem und Unbekanntem zu öffnen und es als Teil der alltäglichen Realität zu akzeptieren. Dies entspricht auch der Art, wie Kinder der Welt begegnen.“ (ebd.2005, S.1)

Um nun diese Vorbereitung in die Realität umzusetzen, sind in den letzten Jahren vermehrt interkulturelle Projekte ins Leben gerufen worden, welche die Sprachförderung von Kindern, insbesondere Zuwandererkinder fördern sollen. Kinder entwickeln aufgrund ihrer natürlichen Neugier aber auch durch eigenes Erleben Konstrukte und Bilder von Menschen, welche aus anderen Kulturkreisen stammen. Damit sie diese aber auch verstehen, ist es sinnvoll sich anderen Kulturen und Sprachen auf spielerische Weise zu nähern.

Mit dieser Arbeit möchte ich folgendes erreichen: Ich möchte im ersten Teil der Arbeit eine kurze Einführung in die Notwendigkeit der Verständigung durch Sprache und die interkulturelle Erziehung geben. Des weiteren soll die Bedeutung der Muttersprache veranschaulicht werden und gleichzeitig dargestellt werden, welchen Stellenwert sie einnimmt in Hinblick auf den Erwerb einer Zweitsprache. Außerdem möchte ich einige Definitionsansätze und Bedeutungsmuster von Zweisprachigkeit untersuchen.

Im dritten Teil der Arbeit möchte ich den Fremdsprachenunterricht untersuchen. Der Schwerpunkt liegt hier auf den verschiedenen Konzepten des Fremdsprachenerwerbs, wobei ich die Grundschulen fokussiert vorstellen und betrachten werde. Im Anschluss möchte ich dann einige Praxismodelle aus Deutschland aufzeigen.

1. Interkulturelle Erziehung

1.1. Die Notwendigkeit von Verständigung durch Sprache

Die Sprache ist eines der wichtigsten Elemente der Menschheit. Durch den Sprachgebrauch können wir mit anderen Menschen in Kontakt treten und Emotionen ausdrücken. Durch Sprache nehmen wir uns in unserer sozialen Umwelt wahr und können diese Umwelt interpretieren. Sie ist eine Brücke zwischen Individuen und deren Kultur. Sprache dient somit als Kulturträger.

MERTEN versteht Kultur hierbei als Handlungen die mit bestimmten Mustern einer Gesellschaft übereinstimmen. Weiter sagt er:

„Über die Sprache wird die Kultur einer Gemeinschaft erfahrbar. Über Sprache ist Kultur zu erschließen und zu interpretieren. Sprache ist das Ergebnis vielfältiger kultureller Handlungen im gesellschaftlichen und historischen Kontext. Gleichzeitig schafft sie die Voraussetzung für solche Handlungen. Durch das Erkennen kulturspezifischer Merkmale in einer ganz bestimmten Sprache werden die Bedingungen für die Kommunikation mit Angehörigen dieser Sprachgemeinschaft geschaffen.“ (MERTEN 1995, S.36)

Durch das Erlernen von Sprache wird nicht nur die Kommunikation und Regelung des sozialen Miteinanders ermöglicht, es werden auch Bedeutungsmuster einer Gesellschaft übertragen. Sprache ist somit auch Bedeutungsträger für spezifische Erfahrungs- und Handlungsprozesse. Diese Zusammenhänge werden begleitend zum Spracherwerb aus dem sozialen Umfeld des Erlernenden übertragen. Nach Auffassung der Psychologen WYGOTSKI und PIAGET entwickelt sich das Individuum durch paralleles Erlernen sprachlicher und kognitiver Elemente zu einer sozialen und individuellen Persönlichkeit. SCHERFER äußert sich folgendermaßen dazu:

„ Die vorherrschende Rolle der Sprache bei der Sozialisation und Enkulturation: immer wenn erzogen wird, wenn politische Tatsachen, Meinungen, Einstellungen etc. vermittelt werden, wenn Kultur tradiert wird, wird auch gesprochen.“ (ebd. 1988, S. 67)

Jedes Individuum, welches eine Erst- und / oder Zweitsprache erlernen will, sollte zunächst versuchen die Kultur und Weltanschauung der Sprachgemeinschaft (der Erst- und / oder Zweitsprache) zu verstehen. So ist neben dem Spracherwerb eben auch der Erwerb kultureller und sozialer Kenntnisse erforderlich. Abschließend kann mit OKSAAR zusammengefasst werden:

„Spracherwerb ist kulturelles Lernen. Das bedeutet, dass man, wenn man eine Sprache erwirbt - egal ob es sich um die Erst-, Zweit- oder Drittsprache handelt - viel mehr lernt als die Beherrschung der Aussprache, der Lexik und der grammatischen Regeln. Man lernt die Wirklichkeit zu erfassen und zu strukturieren, und man lernt die Fähigkeit, in einer Interaktionssituation verbale, nonverbale und extraverbale Handlungen zu vollziehen und zu interpretieren, gemäß den soziokulturellen und soziopsychologischen Regeln der Gruppe - und man lernt die interaktionale Kompetenz.“ (OKSAAR 1984, S. 249)

Oftmals wird hierbei auch von sprachlicher Handlungskompetenz gesprochen. Der Erwerb dieser ganzheitlichen Kenntnisse von Sprache, Kultur und spezifischen Lebens- und Verhaltensweisen und die Umsetzung dieses Wissens wird auch interkulturelle Kompetenz genannt. Interkulturelle Kompetenz bedeutet demnach, sein eigenes Handeln und Denken, dem Verhalten Individuen aus anderen Kulturkreisen anzupassen. Das Erreichen dieser Kompetenz sollte somit als ein Teil der interkulturellen Erziehung nicht nur in den Fremdsprachenunterricht integriert sein.

1.2. Was verbirgt sich hinter interkulturelle Erziehung?

Die interkulturelle Erziehung tritt erst in den 70er Jahren in Deutschland in Erscheinung. Erst später etablierte sich der Begriff der interkulturellen Erziehung oder interkulturellen Pädagogik.[1]

NIEKE unterscheidet drei Phasen der Theoriebildung von der Ausländerpädagogik bis hin zur interkulturellen Erziehung.

Phase 1. Ausländerpädagogik als kompensatorische Erziehung und Assimilationspädagogik

Zu Beginn der 70er Jahre entstanden als Antwort auf die Gastarbeiter, die in den

60er Jahren durch Arbeitsmigration nach Deutschland kamen. Unter der

Bezeichnung Ausländerpädagogik lag der Schwerpunkt dieser Pädagogik auf

Ad-hoc Hilfen und bildungspolitischen Maßnahmen, die dazu dienten

ausländische Kinder und Jugendliche in Schule einzugliedern. Das Konzept der

Ausländerpolitik wurde eher als Sonderpädagogik für ausländische Kinder und

Jugendliche gesehen. Als dominantes Problem wurde damals die Sprachbarriere

wahrgenommen. So sollten die Kinder und Jugendlichen schnellstmöglich,

mittels muttersprachlichen Ergänzungsunterricht in den Unterricht integriert

werden. Um die Rückkehr ins Heimatland nicht zu gefährden, wurde ihre

kulturelle Identität erhalten.

Phase 2. „Kritik der Ausländer-Sonderpädagogik und der Assimilationspädagogik“

Diese Phase setzte in den 80er Jahren ein, als erkannt wurde, dass die Probleme

der Migrantenfamilien in der Gesellschaft zu suchen waren. Zeitgleich kam die

Bundesrepublik zu der Einsicht, jetzt ein Einwanderungsland geworden zu sein.

Durch das Heranwachsen der ausländischen Kinder entfachte sich die

Diskussion um die außerschulische Bildung, Sozialarbeit und Ausbildung dieser

Jugendlichen. So wurde von staatlicher Seite die Berufsvorbereitung und -

ausbildung gefördert. Aus der Tatsache heraus, die MigrantInnen als einen

festen Bestandteil in einer multikulturellen Gesellschaft anzuerkennen, wurden

erste Konzepte zur interkulturellen Erziehung entwickelt.

Phase 3 . „Interkulturelle Erziehung für eine multikulturelle Gesellschaft“

NIEKE entwickelt hier zwei Leitmotive und regt damit zur Diskussion an. Zum einen das Motiv der kulturellen Begegnung und Bereicherung und zum anderen das Motiv der Konfliktbewältigung. In der weiteren Diskussion verlaufen sich die Meinungen. Diese einzelnen Ansichten reichten vom Verständnis der interkulturellen Erziehung als eine soziale Integration, um soziale Benachteiligung abzubauen, oder dem Abbau von Diskriminierung bis hin zur stärkeren Einbeziehung der Muttersprache und Migrantenkultur in der Ausbildung ausländischer Kinder und Jugendlicher

(vgl. NIEKE 1986, S. 462ff).

In diese Diskussion möchte ich nun im Folgenden eingehen.

In der Fachsprache hat sich neben dem interkulturellen auch der multikulturelle Terminus etabliert. In der Diskussion hat der multikulturelle Begriff eher normative Bedeutung. Er bezeichnet die Koexistenz der verschiedenen Kulturen, Sprachen, Traditionen, Sozialisationen, Wertvorstellungen und Lebensstile. Dem zu Folge steht Multikulturalität als Ziel und Aufgabe. Für HOHMANN steht multikulturell, im Gegensatz zum Attribut interkulturell, für: „die beobachtbare gesellschaftliche Situation und die sich darin abzeichnenden Entwicklungsprozesse [...].“ (ebd. 1983, S.5)

Fest steht, dass sich die Zielsetzung der interkulturellen Erziehung auf den Gedanken der multikulturellen Gesellschaft bezieht. Oder wie STING es ausdrückt: „Interkulturelle Erziehung basiert auf der Wahrnehmung der kulturellen Vielfalt in der Gesellschaft, die als eine ‚multikulturelle’ Situation beschrieben wird.“ (ebd. 1995, S. 124)

Was aber genau verbirgt sich hinter interkultureller Erziehung und wie wirkt sie sich in Hinblick auf Schule aus?

HOHMANN definiert die interkulturelle Erziehung wie folgt: „[...] das Attribut ‚interkulturell’ [...] zur Bezeichnung der pädagogischen, politischen und sozialen Zielvorstellung und Konzepte verwenden.“ (ebd. 1983, S.5) Andere sprechen von einer Strategie, das Leben in einer multikulturellen Gesellschaft zu bestehen. So bedeutet für PORCHER die interkulturelle Erziehung die Bezugnahme der verschiedenen Kulturen auf einander und nicht das bloße Nebeneinander unterschiedlichster Kulturkreise (vgl. ebd. 1984, S.37). HOHMANN erklärt weiter, dass in der interkulturellen Erziehung zwei Aspekte von Bedeutung sind. Zum einen der Kontakt zu anderen Kulturen als Bereicherung, zum anderen aber auch die Arbeit an interkulturellen Konflikten (vgl. ebd. 1983). Für POMMERIN ist diese Konfliktarbeit ein „[...] Beitrag zur Friedenserziehung [...].“ (ebd. 1984, S.106) Weiter sagt sie „Interkulturelle Erziehung sei schließlich stadtteilbezogen, handlungsorientiert und erfahrungsoffen.“ (ebd. 1984, S.106) Andere Vertreter dieser Diskussion vertiefen diese Grundsätze der interkulturellen Erziehung um weitere Aspekte, wie:

eine Erziehung zur Toleranz, Akzeptanz und Verständigung unterschiedlicher Kulturen,

universelle Moralerziehung im Sinne der Menschenrechte,

Erziehung zur traditionsunabhängigen Selbstbestimmung,

Erziehung zur Empathie,

Erziehung zur Solidarität[2]

Ausgehend von einer kulturellen Inhomogenität in der Gesellschaft hat die Pädagogik mit Maßnahmen zur interkulturellen Erziehung reagiert. Diese Erziehung soll Individuen mit unterschiedlichen kulturellen Lebenswelten und Herkunft auf ein Zusammenleben in dieser Gesellschaft vorbereiten und eine Integration, die von einer wechselseitigen Begegnung ausgeht, ermöglichen. Neben dem Verständnis für fremdkulturelle Lebenskonzepte, wie Wahrnehmen, Werten, Denken und Handeln erfordert interkulturelle Erziehung die Reflexion der eigenen Lebenskonzepte. Um einen Kulturkonflikt zu vermeiden sollte die Erziehung auf dem Grundsatz eines unbeständigen Kulturbegriffs basieren und Kulturwandel als Prozess oder Chance anerkennen.

[...]


[1] Die vielfältigen Ausdrücke zeigen immer noch die verschiedenen Dispute zur Begriffsdefinierung. Es hat sich aber die interkulturelle Erziehung durchgesetzt, gefolgt von der interkulturellen Pädagogik. Auch Termini wie interkulturelle Bildung oder bikulturelle Erziehung werden in der Fachdiskussion verwendet.

[2] Diese Vertreter sind u.a. HALLER 1991, Hoff 1988, DIECKOPP 1986, BOTERAM 1990, ZIMMER 1986 alle zit n. STRING 1995, S. 126, WERNER 1997, S.6ff und AUERNHEIMER 1990, S.170ff

Ende der Leseprobe aus 40 Seiten

Details

Titel
Bilinguale Erziehung von Kindern in Vor- und Grundschule
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Institut für Pädagogik)
Note
gut
Autor
Jahr
2005
Seiten
40
Katalognummer
V53655
ISBN (eBook)
9783638490450
ISBN (Buch)
9783656773009
Dateigröße
563 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bilinguale, Erziehung, Kindern, Vor-, Grundschule
Arbeit zitieren
Steffi Hennig (Autor:in), 2005, Bilinguale Erziehung von Kindern in Vor- und Grundschule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53655

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