Wie verändert das Fernsehen die Wahrnehmung der Gesellschaft? Kritisches Verhalten der Literatur gegenüber dem Medium anhand von Arno Reinfranks Gedicht "Fernsehabend"


Hausarbeit, 2017

14 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhalt

Einleitung: Fernsehen als Gegenstand der Literaturwissenschaft

Interpretation und Analyse von Fernsehabend von Arno Reinfrank
Alltaglichkeit des Fernsehens
Wahrnehmung von Ferne und Nahe
Generationskonflikt und Verlust der Horkultur
Reizuberflutung und Gotzenherrschaft des Fernsehens
Appell zum Umbruch der Gesellschaft
Kritik am Medium oder der konsumierenden Gesellschaft?

Zusammenfassung der Ergebnisse

Literaturverzeichnis

Einleitung: Fernsehen als Gegenstand der Literaturwissenschaft

Inhalt der Hausarbeit soll die Frage danach sein, wie das Medium Fernsehen innerhalb der Literatur eingefugt ist. Hauptaugenmerk soll dabei die „verschobene Wahrnehmung von Ferne und Nahe“ der Gesellschaft, entstanden durch das Fernsehen, die haufig kritisiert wird, sein. Dies soll anhand des Gedichts Fernsehabend 1 (werden im Folgenden Zitationen aus dem Gedicht genannt, gilt die gleiche FuBnote) von Arno Reinfrank veranschaulicht werden. Zuvor soll allerdings ein allgem einer Uberblick daruber gegeben werden, in welcher Wechselwirkung Literatur und Fernsehen zueinanderstehen. Uwe Japp (1996) beschaftigt sich innerhalb seines Aufsatzes Das Fernsehen als Gegenstand der Literatur und der Literaturwissenschaft 2 damit, wie die Literatur Bezug zum Fernsehen nimmt. Er spricht von drei unterschiedlichen Typen: die kritische, die konstatierende und die kontaminierende Bezugnahme. Bei der kritischen Bezugnahme geht es darum, dass Autoren der Literatur sich hauptsachlich kritisch dem Fernsehen gegenuber auBern. Man muss hierbei zwischen kritischem Verhalten dem Fernsehen im Allgemeinen oder dem Fernsehen als Charakteristikum einer modernen Welt unterscheiden.3 Die konstatierende Bezugnahme beschaftigt sich damit, wie Fernsehen als Gegenstand in literarische Werke eingebaut wird, d.h. welche Wirkung der Gegenstand an sich auf das Umfeld von Protagonisten hat.4 Der letzte Typ der Bezugnahme ist die Kontaminierende, bei der es darum geht, wie sich das Fernsehen auf das Verhalten von Autoren und beispielsweise deren Schreibstil auswirkt.5 Die Wirkung des Fernsehen auf Autor und Rezipienten und deren Beziehung ist bisher kaum erforscht worden und man findet unterschiedliche AuBerungen von Literaten zu diesem Thema. Hans Wollschlager (1986) spricht beispielsweise davon, wie sich Schriftsteller gezwungenermaBen von der Literatur abwenden, um durch das moderne Medium Fernsehen eine gesicherte Anstellung garantiert zu bekommen.6 Andererseits erwahnt er innerhalb seines „Wunsch - Kataloges“, dass er sich fur seine Bucher wieder mehr Leser wunsche, was den Eindruck erweckt, dass er dem Fernsehen enorm verbittert gegenubersteht, weil es seine Lebensgrundlage eben bedroht. Dem gegenuber steht eine Aussage Adornos, der darauf pladiert, dass das Fernsehen eine gegensatzliche Wirkung habe und dazu fuhre, dass Dichter das Bedurfnis haben, den Kontakt zu ihren Rezipienten zu suchen:

„Das Fernsehen mit seiner tief von der Gesamtperson miterlebten Seinsform brachte junge Dichter plotzlich dazu, ihre Gedichte in Kaffeehausern, Parks oder sonst irgendwo vorzutragen. Durch das Fernsehen spurten sie das Bedurfnis nach personlichem Kontakt mit ihrem Publikum.“7

Unabhangig davon, wie sich Autoren und Literaturwissenschaftler zum Fernsehen auBern, sagt es bereits etwas uber sie aus, wenn sie Fernsehen als Literaturgegenstand behandeln. Es ist unwahrscheinlich, dass das Fernsehen keinerlei Auswirkung auf das Schreibverhalten sowie die Wahrnehmung von Autoren hat. Allein die Tatsache, dass das Fernsehen, wenn es in einem literarischen Werk auftritt, den historischen Kontext eingrenzt, zeigt auf, dass es die Berechtigung besitzt, als literarischer Gegenstand gehandhabt zu werden.8 Japp (1996) macht innerhalb seines Aufsatzes durch unterschiedliche Beispiele deutlich, in welcher Art und Weise das Fernsehen in der Literatur genutzt wird, um Kritik zu uben. Ein Punkt ist dabei immer wieder die Entfremdung der Menschen vom echten Leben, sowie ein Generationskonflikt, der durch den Eintritt des Fernsehens entstanden ist. Beide dieser Kritikpunkte werden auch von Arno Reinfrank in seinem Fernsehabend behandelt und sollen im weiteren Verlauf naher erlautert werden. Dass Fernsehen mittlerweile zu einem Bestandteil der Literaturwissenschaft geworden ist, ist nicht mehr von der Hand zu weisen. Es gibt genugend literarische Werke, die es zu ihrem Hauptthema machen (z.B. Die Widmung von Bodo StrauB oder Der Fernsehgast von Kurt Oesterle) oder sich an ihm bedienen, indem sie es als Gegenstand fur eine Hintergrundkulisse miteinbeziehen. Es geht hieraus hervor, dass sich Literatur und Fernsehen gegenseitig bedingen. So ist die Literatur zum Teil schon dazu gezwungen, das Medium Fernsehen aufzunehmen, da dieses literarische Inhalte verarbeitet, sei es in Form von Filmen oder Serien, was gleichzeitig bedeutet, dass das Fernsehen sich an literarischen Werken bedient.9

Nachdem nun erlautert wurde, wie Literatur und Fernsehen sich gegenseitig bedingen, soil naher untersucht werden, wie einige der Kritikpunkte innerhalb des sachlyrischen Gedichts Fernsehabend von Arno Reinfrank behandelt werden.

Interpretation und Analyse von Fernsehabend von Arno Reinfrank

Arno Reinfrank behandelt in seinem sachlyrischen Gedicht Fernsehabend kritisch das Verhalten der Gesellschaft, welches sich durch den Eintritt des Fernsehens verandert hat. Inhalt dieser Interpretation soll vor allem die Behandlung der kritisierten verschobene Wahrnehmung von Nahe und Ferne und dem damit einhergehenden Verlust der Wirklichkeit, sowie der durch das Fernsehen entstandene Generationskonflikt sein.

Alltaglichkeit des Fernsehens

Bereits in der ersten Strophe spricht das lyrische Ich von der Alltaglichkeit, die das Fernsehen, als „helles Fenster“ beschrieben, schnell gewonnen hat („Wie schnell gewohnten wir uns an das kleine helle Fenster,/durch das wir taglich schweigend in die Ferne sehen“). Dieses Stilisieren des Fernsehens als Fenster, durch das man wie aus seinem Haus in die Ferne schauen kann, ohne daran teilnehmen zu mussen, sondern nur als stiller Beobachter wirkt, macht bereits den ersten Kritikpunkt am Medium und dem Umgang mit diesem deutlich. Es geht hierbei um die Passivitat, die Fernsehzuschauer oftmals einnehmen. Im spateren Verlauf wird dieser Punkt weiter vertieft.

Wahrnehmung von Ferne und Nahe

Im weiteren Verlauf der ersten Strophe wird zudem auf das Bewusstsein hingedeutet, dass das Fernsehen nur Bilder und nicht die Wirklichkeit zeigt („wenngleich wir nur die Bilder sehen, nicht die Wirklichkeit.“) Was hier in lyrischer Form verfasst wird, ist einer der Kritikpunkte, die von Medien- und Literaturwissenschaftlern immer wieder angesprochen wird: Das Fernsehen zeigt als analoges Medium einen naturlichen Raum nicht in seiner Wirklichkeit, sondern nur, wie dieser vermittelt werden kann, also als artifiziellen Raum.10 Mit dieser Entwicklung geht einher, dass sich die Dimension der Wirklichkeit verschiebt, d.h. die im Fernsehen dargestellte Wirklichkeit hat ofmals nichts mehr mit der eigentlichen Realitat zu tun, was vom Zuschauer nicht immer berucksichtigt und hinterfragt wird. Gunther Anders (1956) spricht hierbei von der Phantomhaftigkeit, die Fernsehbilder besitzen.11 Die Grenzen zwischen Sein und Schein werden flieBend und gezeigte Ereignisse finden gleichzeitig statt und nicht statt, indem sie zum einen durch den Fernsehapparat ins Wohnzimmer geholt werden und zur gleichen Zeit wieder daraus verbannt werden konnen, indem das Programm einfach abgestellt wird. Das lyrische Ich spricht innerhalb des Gedichts hier von der Folge des Verlusts der Tatsachenerfahrung, die die Generationen vor dem Eintritt des Fernsehens in den Alltag durch die Erfahrung der Wirklichkeit durch die Fremde machen konnten. („Fur sie war Ferne Tatsachenerfahrung/die sie mit der Wirklichkeit verglichen...“) Diese AuBerung lehnt sich an die im Voraus genannten Passivitat an, d.h. sie nimmt immer mehr zu, eigene Erfahrungen, um die Ferne und das damit einhergehende Unbekannte wahrzunehmen, sind kaum mehr notwendig und auch Fernsehbilder werden primar angeschaut, statt sie zu sehen und vor allem zu verstehen.12

Was als verschobene Wahrnehmung der Dimension der Wirklichkeit und somit den Verlust von einem Gefuhl fur Ferne und Nahe kritisiert wird, kann jedoch auch als falschen Umgang mit dem Medium verstanden werden. Folgt man dem Gedankengang Klaus Schenks (1998), der die eigentliche Aufgabe des Fernsehens versucht zu definieren, ergibt sich daraus, dass das Fernsehen das Ferne nicht nah bringen, sondern lediglich ein ambivalentes Verhaltnis der beiden Raumlichkeiten erzeugen soll. Er bezieht sich dabei auf das Cover des Buches „Neu geschaute Welt“ aus den 50er Jahren, auf welchem eine Fernsehkamera zu einem Teleskop stilisiert wird. Anders als bei der Tatigkeit des Fernsehens, was das griechische Aquivalent zum Wort Teleskop bildet, ist die unmittelbare Umgebung beim Medium Fernsehen konstitutiv, d.h. es findet ein Zusammenspiel aus Aufnahme, Ubertragung und Wiedergabe statt, die einen Abgleich mit Fremd- und Selbsterfahrung fordert.13 Daraus lasst sich die Vermutung aufstellen, dass das Fernsehen nicht grundsatzlich zu einem Verkommen der Erfahrungen, bzw. einem Verlust der Tatsachenerfahrung fuhrt, sondern die Zuschauer zu wenig uber das Gesehene reflektieren, um die Grenzen zwischen Ferne und Nahe zu verstehen und somit ein mogliches Potential des Fernsehens durch falsche Nutzung verloren geht.

Generationskonflikt und Verlust der Horkultur

Dieser Punkt stellt zudem den angesprochenen Generationskonflikt dar. Der Verlust von Tatsachenerfahrung wirkt sich auch auf den Umgang mit beispielsweise Kriegserinnerungen aus, was wiederum zu Diskrepanzen zwischen Generationen fuhrt. Im Fernsehabend ist in der zweiten Strophe auffallig, wie handwerklich und simpel die Menschen vor dem Eintritt des Fernsehens dargestellt werden. Gleichzeitig weist das Schlusswort „schaukelnd“ auf die Motorik, also Bewegung und Echtheit hin, die nun fehlt. (Im handgewebten Tuchrock, GerberschweiB am Schuh/erfuhren sie die Welt im Pferdewagend schaukelnd.) In der dritten Strophe werden sie weiter als fuhlende und somit scheinbar echte Menschen dargestellt, die durch die direkte Erfahrung der Wirklichkeit Emotionen wie Verzweiflung und Stolz noch selbst empfinden konnen. („Verzweifelnd an der Niederlage, stolz am Sieg“)

Das lyrische Ich unterstellt im weiteren Verlauf der „neuen“ Gesellschaft, dass sie die Fahigkeit, Gefuhle zu empfinden und diese auch nutzen zu konnen, verloren hat. Sie ist „von sich technisch abgeruckt“ und vertraut nun „dem Film des Lebens“ mehr als sich selbst. Diese Unterstellung deckt sich mit der Annahme Max Simoneits (1954), dass das Fernsehen „seelisch-geistiges Potential“ verkummern lasst.14 Simoneit spricht weiter von einer „Verkummerung des Horens und Lauschens“ mit der der Verlust einer „Horkultur“ einhergeht. Der Zugang zu „Urgefuhlen“ geht durch den falschen Umgang und Konsum des modernen Mediums verloren, d.h. erste Gefuhle, die aus einer wahrnehmenden Wirklichkeit entstehen, sind nicht mehr zuganglich. Die Vermutung dieser Entwicklung lasst sich mit Erfahrungen Reinfranks decken, der sich wahrend seiner Auffuhrungen seines Fernseh - Abends dazu gezwungen sah, seine Faktenpoesie visuell zu unterstutzen:

„Ich projizierte die Texte der Poesie der Fakten auf eine Leinwand, das Publikum befreite sich von aller Spannung, und nicht mehr aufs Gehor angewiesen konnte jeder Leser die Diapositiv Texte mit eigenen Augen erfassen.“15

[...]


1 Reinfrank, Arno (1975): Fernseh - Abend. Poesie der Fakten 2. Limes Verlag, Wiesbaden und Munchen. S. 20.

2 Japp, Uwe (1996): Das Fernsehen als Gegenstand der Literatur und der Literaturwissenschaft. In: Fernsehgeschichte der Literatur. Voraussetzungen - Fallstudien - Kanon. (Hrsg.: H. Schanze) Fink, Munchen. S. 17-28

3 Ebd. S. 18

4 Ebd. S. 19

5 Ebd. S. 19

6 Wollschlager, Hans (1986): In diesen geistfernen Zeiten. Konzertate Noten zur Lage der Dichter und Denker fur deren Volk. Haffmans, Zurich. S. 21

7 Adorne, Theodor W. (1977): Prolog zum Fernsehen. In: Gesammelte Schriften. Kulturkritik und Gesellschaft II. Bd. 10 (Hrsg.: R. Tiedemann) Frankfurt am Main.

8 Japp, Uwe (1996): Das Fernsehen als Gegenstand der Literatur und der Literaturwissenschaft. (Wie Anmerkung 1) S. 18

9 Ebd. S. 17

10 Rusch, G./Schanze, H./Schwering G. (2007): Theorie der neuen Medien. Kino - Radio - Fernsehen - Computer. Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Paderborn. S. 44

11 Anders, Gunther (1956): Die Antiquiertheit des Menschen. S. 100

12 Adorno, Theodor W. (1977): Prolog zum Fernsehen. In: Gesammelte Schriften. Kulturkritik und Gesellschaft II. Bd. 10. (Hrsg.: R. Tiedemann) Frankfurt am Main. S. 514

13 Schnenk, Klaus (1998): Das Fernsehgedicht. Medienbezuge in deutschsprachiger Lyrik der sechziger und siebziger Jahre. In: Bildschirmfiktion. Interferenzen zwischen Literatur und neuen Medien. (Hrsg.: J. Griem) Narr, Tubingen. S. 89 - 115

14 Simoneit, Max (1954): Fernsehen - kulturpsychologisch gesehen. In: Rundfunk und Fernsehen, 2. S. 1 -9

15 Reinfrank, Arno (1975): Fernseh - Abend. Poesie der Fakten 2. Limes Verlag, Wiesbaden und Munchen. S. 69

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Wie verändert das Fernsehen die Wahrnehmung der Gesellschaft? Kritisches Verhalten der Literatur gegenüber dem Medium anhand von Arno Reinfranks Gedicht "Fernsehabend"
Hochschule
Philipps-Universität Marburg
Note
2,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
14
Katalognummer
V537144
ISBN (eBook)
9783346127754
ISBN (Buch)
9783346127761
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fernsehen, Gesellschaft, Literatur, Neue deutsche Literatur, Arno Reinfrank, Fernsehabend
Arbeit zitieren
Jana Hartmann (Autor:in), 2017, Wie verändert das Fernsehen die Wahrnehmung der Gesellschaft? Kritisches Verhalten der Literatur gegenüber dem Medium anhand von Arno Reinfranks Gedicht "Fernsehabend", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/537144

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