Wer hat Angst vorm bösen Volk? Die direkte Demokratie in der Sicht der Parteien (SPD, Grüne, CSU, DVU)


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

26 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Der rot-grüne Vorstoß 2002 und die Beschäftigung der Parteien mit der direkten Demokratie
2.1. Die rot-grüne Regierungskoalition
2.2. Die CSU

3. Analyse der Plebiszitdebatte: Die Parteien in der Zwickmühle
3.1. Die eine Gefahr: Politikverdrossenheit
3.1.1. Die DVU als Nutznießer
3.2. Die andere Gefahr: Verlust des Agenda-Settings

4. Fazit

Literatur

Sekundärliteratur

Quellen

1. Einleitung

Im Jahre 1998 vereinbarte die rot-grüne Regierungskoalition den Versuch zu unternehmen das Grundgesetz zu ändern und die auf kommunaler und Länderebene schon praktizierten plebiszitären Elemente Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid auch auf der Bundesebene einzuführen. Es gelang ihr jedoch erst gegen Ende der Legislaturperiode, sich auf einen dahingehenden Gesetzesentwurf zu einigen.

Als im Jahr 2002 schließlich im Bundestag über selbigen abgestimmt wurde, stellten sich CDU und CSU dagegen – obwohl diese Parteien ganz offenbar bezüglich dieses Themas innerlich gespalten waren. Das Parlament nahm daher den Vorschlag zwar mit einfacher Mehrheit an, die zur Änderung der Verfassung nötige Zweidrittelmehrheit und damit die Umsetzung des Vorschlags wurde allerdings nicht erreicht. Das Thema „direkte Demokratie“ war damit erst einmal vom Tisch – oder etwa doch nicht?

Die Vorgänge um den rot-grünen Vorstoß für mehr direkte Demokratie sollen hier dargestellt werden (2.). Dies kann am anschaulichsten anhand einer Beschreibung der Entwicklung des Umgangs mit dem Thema innerhalb der Regierungskoalition geschehen, bei der auch der rot-grüne Gesetzesentwurf von 2002 im Detail beschrieben wird (2.1.). Doch auch auf Seiten der Opposition fand die direkte Demokratie – trotz aller Geschlossenheit bei der Ablehnung des rot-grünen Entwurfs im Bundestag – Freunde, was sich besonders gut am Beispiel der in dieser Hinsicht stark gespaltenen CSU zeigen lässt (2.2.).

Die Beschäftigung der Parteien mit dem Thema Volksgesetzgebung wird daraufhin kritisch untersucht werden. Dazu ist es vonnöten das Phänomen darzustellen, das maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die direkte Demokratie auf Bundesebene überhaupt auf die rot-grüne Agenda gekommen ist: Die zunehmende Politikverdrossenheit in Deutschland, die die Legitimation des repräsentativen Systems gefährdet (3.1.).

Doch nicht nur die Regierungskoalition auch radikale Parteien machten sich vor diesem Hintergrund die Forderung nach plebiszitären Elementen zu eigen, was am Beispiel der DVU zu zeigen ist (3.1.1.). Bei dem, was sich diese Parteien von diesen Elementen allerdings versprechen, sind wir auch bei dem Punkt angekommen, der den Bundestagsfraktionen den Umgang mit diesem Thema offenbar schwer macht: Der Verlust des Entscheidungsmonopols der etablierten Parteien. Es soll hier der Versuch unternommen werden, darzulegen, warum die Parteien dieser Verlust so schmerzen könnte (3.2.).

Es wird hier eine weitere Gefahr für die Parteien erkennbar werden – eine Gefahr, die ihr durch die direkte Demokratie droht. In einem Fazit sollen schließlich beide Gefahren gegeneinander abgewogen werden (4.)

2.Der rot-grüne Vorstoß 2002 und die Beschäftigung der Parteien mit der direkten Demokratie

2.1. Die rot-grüne Regierungskoalition

1989 nahm die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) die Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung durch Volksbegehren und Volksentscheid auch auf Bundesebene in ihr Grundsatzprogramm auf. Diese sollten „in Gemeinden, Ländern und Bund parlamentarische Entscheidung ergänzen“.[1] Sie war damit nach Jahrzehnten von der Ablehnung gegenüber direkter Demokratie abgewichen. Im Parlamentarischen Rat gehörten die Sozialdemokraten zu der Mehrheit, die sich gegen derartige Beteiligungsformen aussprach.[2] Auch später bissen Forderungen nach Volksentscheiden „bei der SPD auf Granit“[3].

Wenn auch stets die „traditionellen direktdemokratischen Strömungen in der Sozialdemokratie“[4] bestanden haben mögen, durchsetzen konnten sie sich erst unter dem Eindruck der deutschen Wiedervereinigung, denn dass „auf manche Fragen das Volk selbst und nicht seine Repräsentanten in den Parlamenten Antwort geben kann, hatte das Volk [hier] eindrucksvoll bewiesen“[5].

Bewegung gab es in dieser Frage jedoch erst bei den Koalitionsverhandlungen mit den Grünen 1998 – und auch hier erst auf Forderung des kleinen Koalitionspartners.

Für Bündnis 90 / Die Grünen, mit ihrer basisdemokratischen Ideologie bildete die „Forderung nach direkter Demokratie gewissermaßen programmatisches Urgestein“[6]. Sie hatten bereits 1992 einen ersten Gesetzesentwurf für mehr direkte Demokratie in den Bundestag eingebracht mit der Begründung: „Sie (die Menschen; Anm. VS) lehnen es zunehmend ab, als Steuer- und Beitragszahler die Entscheidungen der Politik zu verantworten, auf deren Zustandekommen aber keinen Einfluß nehmen zu können.“[7]

Als frischgebackene Regierungspartei 1998 war die Partei aber in diesem Punkt gespalten. Spitzenleute wie Joseph Fischer lehnten die Forderung nach mehr Volksbeteiligung als „typische Oppositionsforderung“[8] ab. Die Befürworter direkter Demokratie um Gerald Häfner mussten sich bei der Parteispitze erst massiv dafür einsetzen, bevor diese Forderung in die Koalitionsverhandlungen aufgenommen wurde und dann auch später im Koalitionsvertrag festgeschrieben wurde: „Wir wollen die demokratischen Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger stärken. Dazu wollen wir auch auf Bundesebene Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid durch Änderung des Grundgesetzes einführen.“[9] Dabei blieb es aber zunächst.

Erst die Parteispendenaffäre der CDU 1999 heizte die Diskussion um mehr direkte Demokratie wieder an. Die Grünen reagierten hierauf schneller als die SPD, sie konnten dabei allerdings auch auf einen bereits 1998 von ihnen in den Bundestag eingebrachten Gesetzentwurf[10] zurückgreifen. Die SPD musste ihre Position erst von einer Arbeitsgruppe erarbeiten lassen.

Am 6. September 2000 stellten die Grünen, am 19. März 2001 die SPD ihr Konzept vor.[11] Mit ihren Eckpunktepapieren gingen die Regierungsparteien mehrfach auf die Opposition zu, man wollte „am Runden Tisch“ eine Grundgesetzänderung aushandeln. Dies scheiterte jedoch an der CDU, die ein solches Vorgehen strikt ablehnte und von der Koalition einen Gesetzesentwurf verlangte.[12]

Die Regierungsparteien bildeten darauf eine gemeinsame Arbeitsgruppe, in der sich jedoch alsbald abzeichnete, dass die „koalitionsinterne Zusammenarbeit ... sich alles andere als erfreulich“ gestaltete, auch ließ sich vor allem bei den Spitzenleuten ein zunehmendes Desinteresse erkennen[13].

Die Anschläge des 11. Septembers taten dann ein übriges, dieses Vorhaben von der Tagesordnung zu verdrängen – auch die Basis der SPD zeigte in einer im Herbst 2001 begonnenen Mitgliederbefragung, dass ihr dieses Thema „weniger wichtig“ erschien.[14]

Nichtsdestotrotz unternahm man Anfang 2002 einen neuen Anlauf. Die Fraktionsvorsitzenden Struck und Müller, sowie die beiden Unterhändler Bachmaier und Häfner einigten sich am 29. Januar 2002 auf Eckpunkte einer Regelung und auf das weitere Vorgehen. Wieder begannen die Verhandlungen zu einem Gesetzesentwurf und am 8. Februar verkündete Häfner die grundsätzliche Einigung der Koalition. Die öffentlichen Auftritte überließ die SPD-Fraktion indes dem kleinen Koalitionspartner[15] – Bundeskanzler Schröder hielt sich gar völlig aus der Debatte heraus. Insgesamt kam dieser Entwurf wohl auch maßgeblich auf das Bestreben der Grünen, vor allem von Gerald Häfner zustande[16] – aber auch hier fand das Projekt keine Unterstützung durch die Parteispitzen.

Nach der Prüfung durch das Innen- und das Justizministerium wurde der Entwurf[17] am 13. März in den Bundestag eingebracht. Der rot-grüne Gesetzentwurf, der „neues Engagement und Bereitschaft zu Mitverantwortung ... wecken“ und dadurch auch zur „Festigung und Belebung der parlamentarischen Demokratie“ beitragen sollte, behandelt ein dreistufig angelegtes Volksgesetzgebungsverfahren. Dieses führt von der Volksinitiative über das Volksbegehren zum Volksentscheid:

1. Volksinitiative: Nicht nur die Bundesregierung, Bundestagsabgeordnete oder der Bundesrat soll Gesetzesvorlagen in den Bundestag einbringen können, sondern auch jeder Bürger. Jedoch muss dies als ausformulierter und mit Gründen versehener Gesetzesentwurf geschehen, den 400.000 Bürger mit ihrer Unterschrift unterstützen. Ist dies der Fall, müsste der Bundestag die Vertreter der Volksinitiative anhören und sich mit deren Gesetzesvorlage befassen. Mögliche Ergebnisse hierbei sind entweder die Zustimmung oder die Ablehnung des betreffenden Gesetzentwurfes oder die Verabschiedung eines ähnlichen Gesetzes, das das Anliegen der Volksinitiative aufgreift.
2. Volksbegehren: Hat das Parlament das von der Volksinitiative geforderte Gesetz nicht innerhalb von acht Monaten verabschiedet bzw. den von der Initiative geforderten Entwurf abgelehnt, können die Vertreter der Volksinitiative entscheiden, ob sie die Durchführung eines Volksbegehrens einleiten. Für dessen erfolgreiches Zustandekommen wären fünf Prozent der Stimmberechtigten erforderlich. Dies bedeutet: Wenn ca. drei Millionen Bürger mit ihrer Unterschrift die Einleitung einer Volksabstimmung über den betreffenden Gesetzesentwurf unterstützen, ist das Volksbegehren zustande gekommen und der Volksentscheid wird eingeleitet.
3. Volksentscheid: Auch hier besteht für den Bundestag wiederum die Möglichkeit das begehrte Gesetz innerhalb von sechs Monaten zu verabschieden. Ist dies der Fall, ist das Verfahren damit beendet. Macht der Bundestag von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch, so findet ein Volksentscheid statt. Hierbei haben alle Stimmberechtigten die Möglichkeit, über den Gesetzesentwurf der Initiative abzustimmen. Gleichzeitig ist es aber dem Bundestag ermöglicht seinerseits einen entsprechenden Entwurf zur Abstimmung zu stellen. Ein Gesetz ist dann zustande gekommen, wenn ihm die Mehrheit der Abstimmenden zugestimmt hat und sich mindestens 20 Prozent der Stimmberechtigten an dem Volksentscheid beteiligt haben (sog. Beteiligungsquorum). Im Falle einer Verfassungsänderung wäre ein erhöhtes Beteiligungsquorum von 40 Prozent der Stimmberechtigten erforderlich. Des weiteren müsste hierbei nicht nur die einfache, sondern die Zweidrittelmehrheit zustimmen.

Bei Verfassungsänderungen und bei sog. Zustimmungsgesetzen werden die abgegebenen Stimmen doppelt gezählt und das Ergebnis in einem Land als die Abgabe seiner Bundesratsstimmen gezählt. Es muss hierbei bei Zustimmungsgesetzen die Mehrheit der Abstimmenden in so vielen Ländern dem Gesetzesentwurf zustimmen, dass die Stimmen dieser Länder der Mehrheit im Bundesrat entsprechen, bei Verfassungsänderungen muss sich derart eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat ergeben.

Grundsätzlich kann jeder Regelungsbereich Gegenstand der Volksgesetzgebung werden. Sie ist auch „nicht unter einen allgemeinen Finanzvorbehalt gestellt, da andernfalls weite Regelungsbereiche ausgeschlossen wären“. Ausgenommen bleiben allerdings Abstimmungen über das Haushaltsgesetz selbst, über Abgaben-, also Steuer- und Zollgesetze, über die Wiedereinführung der Todesstrafe, über die Rechtsstellung der Abgeordneten des Bundestags sowie über die „Alimentationsleistungen des Staates gegenüber seinen Beamten“ (also deren Besoldung).

[...]


[1] vgl. Grundsatzprogramm der SPD, S. 50

[2] vgl. Bachmann 1999, S. 77ff

[3] ebd., S. 80

[4] vgl. Arnold 2003, S. 226

[5] Bachmann 1999, S. 84

[6] Jung 2002, S. 267

[7] Bundestagsdrucksache 12/3826 (25.11.1992), S.1; vgl. hierzu auch die „Begründung“, ebd., S. 7ff

[8] Joseph Fischer, zit. n. Jung 2002, S. 267

[9] Aufbruch und Erneuerung – Deutschlands Weg ins 21. Jahrhundert. Koalitionsvereinbarung zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und Bündnis 90 / Die Grünen, Bonn 1998, S. 38

[10] Bundestagsdrucksache 13/10261 (24.03.1998)

[11] für die Konzepte von SPD und Grünen in Kurzfassung siehe Jung 2002, S. 268ff

[12] vgl. Jung 2002, S. 274

[13] vgl. Jung 2002, S. 275;Dieses Desinteresse wurde offenbar von der Grünen-Basis nicht geteilt, denn bei einer Mitgliederumfrage, die die Grünen 2001 durchgeführt hatten, rangierte die direkte Demokratie in der Priorität ganz oben (vgl. Jung 2002, S. 283, dort Fußnote 76)

[14] vgl. SPD-Mitgliederbefragung 2002, veröffentlicht am 11. März 2002.

[15] Vgl. Arnold 2003, S. 226

[16] vgl. Pressemitteilung von Bündnis 90 / Die Grünen vom 18.03.2002: „Grüner Durchbruch in Sachen Demokratie“

[17] Bundestagsdrucksache 14/8503 (13.3.2002)

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Wer hat Angst vorm bösen Volk? Die direkte Demokratie in der Sicht der Parteien (SPD, Grüne, CSU, DVU)
Hochschule
Technische Universität Darmstadt  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Direkte Demokratie
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
26
Katalognummer
V53729
ISBN (eBook)
9783638490986
ISBN (Buch)
9783656803966
Dateigröße
452 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Behandelt die Direkte Demokratie aus Sicht der Bundetagsparteien.
Schlagworte
Angst, Volk, Demokratie, Sicht, Parteien, Grüne, DVU), Direkte, Demokratie
Arbeit zitieren
Vincent Steinfeld (Autor:in), 2005, Wer hat Angst vorm bösen Volk? Die direkte Demokratie in der Sicht der Parteien (SPD, Grüne, CSU, DVU), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53729

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