Die Konzeption von Ritter und Held in der mittelhochdeutschen Literatur. Hartmann von Aues "Erec" und das "Nibelungenlied" im Vergleich


Hausarbeit (Hauptseminar), 2016

13 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Konzeption des Ritters
2.1 Der Ritter Erec

3. Die Konzeption des Helden
3.1 Die Helden Hagen und Siegfried

4. Gegenüberstellung

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In der mittelhochdeutschen Literatur finden sich zwei bedeutende Epengattungen: Die Artus- und die Heldenepik. Ihre jeweiligen Repräsentanten sind Ritter und Held, zwei Konzepte die sich gegenüberstehen. Während die Artusromane mit ihren Erzählungen rund um die Ritter der Tafelrunde gesellschaftsstabilisierend wirken sollen, schildern die Heldensagen gesellschaftsdestruierende Handlungen einer archaischen Vorzeit. Dementsprechend verhalten sich auch die Protagonisten der jeweiligen Gattung.

Im Folgenden sollen beide Konzepte an konkreten literarischen Beispielen genauer erläutert werden. Für den Ritter dient als Beispiel Hartmanns von Aue Erec und für den Held das anonym überlieferte Nibelungelied. Danach werden beide einander noch einmal gegenüber gestellt.

2. Die Konzeption des Ritters

Da der Ritter nicht nur ein literarisches, sondern auch ein historisches Phänomen ist, kann über dessen Gesinnung und Gesinnungswandel im Laufe der Geschichte einiges mehr gesagt werden, als zum Helden. Zu Beginn des Mittelalters dient noch das lateinische Wort miles als Bezeichnung für den Ritter. Bei den Römern stand der Begriff für „Soldat, Krieger“ und nur für Fußsoldaten, wobei die Komponente der Dienstbarkeit bereits dort wichtig war. Diese Bedeutung verschob sich im Laufe des 10. und 11. Jahrhunderts, als mit miles nur noch adlige Vasallen und vor allem die schwergewappneten Reiter gemeint waren. „Für die Ausbildung des höfischen Ritterbegriffs war es von großer Bedeutung, daß [sic!] das Wort miles im 12. Jahrhundert [...] vereinzelt auf Mitglieder des hohen und höchsten Adels angewandt wurde.“1 Gleichzeitig steht der Begriff in Wechselwirkung mit dem französischen chevalier und dem deutschen ritter, bzw. rîter. Für beide Ausdrücke gilt, dass sie zunächst aus einer sozial niedrigen Sphäre stammen, aber einen Aufstieg erleben. Beide sind fast ausschließlich in poetischen Texten zu finden und betonen vor allem die militärische Bedeutung und den Dienstbarkeitsgedanken. Erst durch die Werke Chrétiens de Troyes wurde der chevalier zum Zentralbegriff des neuen höfischen Gesellschaftsideals. Der ritter erlebte diesen Aufstieg kurze Zeit später mit der Rezeption Chrétiens im deutschsprachigen Raum.

Die religiöse Ausprägung des Ritterbegriffs zeigt sich zum ersten Mal im 11. Jahrhundert mit der Bezeichnung milites Christi für weltliche Ritter und Herren im Dienste des christlichen Glaubens. Diese war vorher den Aposteln, Missionaren, Märtyrern, Asketen und Mönchen vorbehalten gewesen. Bereits im 10. Jahrhundert wurden erste Dokumente einer Laienethik verfasst, die dem weltlichen Adel zum Vorbild dienen soll. Abt Odo von Cluny schreibt die Vita des Grafen Gerald von Aurillac nieder. Dieser wird charakterisiert als „eine Stütze der Bedürftigen“, „ein Ernährer der Waisen”, „ein Schutz Witwen”, „ein Trost der Betrübten”.2 Diese Begriffe sollten später immer wieder gebraucht werden, um von den religiösen Pflichten des Ritters zu sprechen. Ein weiteres Beispiel aus dem deutschsprachigen Raum ist der Versroman Ruodlieb aus dem 11. Jahrhundert. Hier wird ein selbstloser Diener dargestellt, der auf Rache verzichtet und sich für den Frieden einsetzt. Nach Johannes von Salisbury, einem englischen Theologen des 12. Jahrhunderts, sind die Aufgaben des Ritters der Schutz der Kirche, die Bekämpfung der Treulosigkeit, die Ehrung des Priesteramts, die Beseitigung der Ungerechtigkeit gegenüber den Armen und die Befriedung des Landes.

In volkssprachlichen Zeugnissen schildern die höfischen Dichter oft die Schwertleite und stellen auch hier die religiösen Aspekte in den Vordergrund:

beschirme die armen, daz ist ritterschaft, sprich ihr wort, daz ist tugenthaft: so bist du vor Got wert: dar umbe segnent man dir daz swert.3

Gleichzeitig versuchen aber auch viele höfische Dichter das religiöse Ideal des Ritters mit den höfisch-weltlichen Motiven, wie dem Frauendienst, zu vereinen. Zu sehen ist dies u.a. in Wolframs von Eschenbach Willehalm, der vor der Schlacht sagt:

[...] swer rîterschaft wil rehte pflegen, der sol witwen und weisen beschirmen von ir vreisen: daz wirt sîn endelôs gewin. er mac sîn herze ouch kêren hin ûf dienst nâch der wîbe lôn, dâ man lernet sölhen dôn, wie sper durch schilde krachen, wie diu wîp dar umbe lachen, wie vriundîn vriunts unsemftekeit semft. zwei lôn uns sint bereit, der himel und werder wîbe gruoz.4

Eine komplette höfische Tugendlehre – sofern sie jemals komplett sein kann – wird fast nur in poetischer Form vorgetragen. Die Grundlage bildet ein Fundus christlicher Gebote, von denen das oberste die Demut ist. Demut bedeutet zum einen die „Erkenntnis, daß [sic!] die eigene Tüchtigkeit nichts vermochte, ohne den Segen Gottes.“5 Gegenüber den Menschen bedeutet sie aber zum anderen Mitleid und Barmherzigkeit. Dies äußert sich z. B. in der Schonung von Feinden und dem Schutz Hilfsbedürftiger. Die Vortrefflichkeit des Ritters wird oft hervorgehoben durch Prädikate wie biderbe, vrum, lobesam, tiure, wert, ûz erwelt und andere. Schame und kiusche bezeichnen „Reinheit und Lauterkeit des sittlichen Empfindens“.6 Die triuwe hat eine sehr weite Bedeutung. Speziell für den Ritter bedeutet sie die Einhaltung sittlicher Verpflichtungen. Auch die Kardinaltugenden Weisheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit und Mäßigung sind von großer Wichtigkeit. Vor allem staete und mâze werden hervorgehoben. Dabei ist staete vor allem als das feste Beharren (bezüglich des Frauendiensts) und als Festhalten am Guten zu verstehen und mâze als die Mitte zwischen zwei Extremen.

Der wohl unverzichtbarste Teil des Ritterideals ist die hövescheit. Sie beschreibt die Beherrschung der feinen Sitten des Hofes, der Regeln des Anstands und der Etikette und der richtigen Umgangsformen vor allem gegenüber den Damen. Der provenzalische Dichter Garin le Brun definiert hövescheit so:

Cortesia ist [...] von solcher Art: wer gut zu reden und zu handeln weiß und sich dadurch beliebt macht und wer sich vor Ungehörigkeiten hütet [...] Höfisches Wesen zeigt sich in der Kleidung und im schönen Empfang. Höfischheit zeigt sich im Verehren und im feinen Reden. Höfischheit zeigt sich in der angenehmen Geselligkeit.7

Dazu kommt zu guter Letzt die êre, das gesellschaftliche Ansehen, welches sich der Ritter durch höfische Vorbildlichkeit erarbeiten muss. Für die höfischen Dichter ist die êre ein zentraler Wert und sie fassen in dem Begriff alles zusammen, was den Ritter in der Welt auszeichnet. All diese religiösen und weltlichen Forderungen müssen natürlich ausgeglichen werden. Dieses Bemühen bezeichnet Gottfried von Straßburg als morâliteit.8

2.1 Der Ritter Erec

Hartmanns von Aue Versroman Erec beschreibt die Odyssee des gleichnamigen Ritters, der den Artushof verlässt, um in verschiedenen âventiuren êre zu erlangen. Dabei legt er viele Tugenden an den Tag, die das Ritterideal verlangt.

Ein sehr gegenwärtiger Aspekt des Romans ist die Religiosität. Im Lauf der Erzählung werden immer wieder Bezüge zu Christentum und Gottesgläubigkeit hergestellt. So findet man z. B. mehrmals die Wendung „ob got will“9, die darauf abzielt, dass der Mensch sein Handeln in Übereinstimmung mit Gottes Willen bringen soll, möchte er erfolgreich sein. Hier zeigt sich also die Demut Erecs. Bei seinem Kampf gegen die Riesen vergleicht der Erzähler diesen mit dem Kampf Davids gegen Goliath und lädt die Begebenheit damit ebenfalls religiös auf. Gott steht dem Ritter in dieser Auseinandersetzung bei und hilft ihm so, ihn zu gewinnen.10 Genauso kann Erec bei der zweiten Konfrontation mit Guivreiz den Sieg erringen, da Gottes Gnade auf seiner Seite ist: „nû hete in an der genâden sant / ûz kumbers ünden gesant / got und sîn vrümekeit“.11

Hilfsbedürftig, barmherzig und mitleidig verhält sich Erec ebenfalls an mehreren Stellen des Romans. Zunächst zeigt dies sich in der Riesen- âventiure, als sowohl das Klagen der Frau als auch die Leiden Cadocs ihn zu Tränen rühren und diese Tränen ihn dazu bringen, den beiden in ihrer Not zu helfen.12 Größeres Ausmaß nimmt das Mitleidsmotiv in der âventiure Joie de la Curt an. Erec schlüpft hier in die Befreier- & Erlöserrolle – nimmt also wiederum christlich-religiöse Werte zum Vorbild – und bringt die achtzig Witwen am Hof Mabonagrins zum Artushof, wo sich ihre Trauer in vreude verwandeln kann.13 Die allerhöchste vreude wird im Roman in drei Stufen erreicht: Zunächst besiegt Erec Mabonagrin auf Brandigan, dann erlöst er in tätigem Mitleid die achtzig Witwen und schließlich endet alles in der ewigen Friedensherrschaft in Karnant.14

Den weltlichen Wert des Frauendiensts radikalisiert Erec in dem Turnier am Artushof. Als seine Schar in Bedrängnis gerät reitet er „wâfen blôz“15 in den Kampf und besiegt die Gegner. Damit hebt der Erzähler seine ritterliche Überlegenheit deutlich hervor.

Die triuwe kann Erec nicht von Anfang an voll erfüllen, denn er verligt sich nach der Hochzeit mit Enite und vernachlässigt seine sittlichen Verpflichtungen als Herrscher. Er erkennt diesen Fehler aber und will ihn beheben. Mit der späteren Aussage „bî den liuten ist sô guot“16 zeigt er, dass er die Gesellschaft schätzt und auch bereit ist, ihr gegenüber wieder Verpflichtungen wahrzunehmen. Auch um die Einhaltung von mâze muss sich Erec im Laufe der Handlung erst bemühen. Hier spielt ebenfalls die verligen -Problematik die entscheidende Rolle, denn er widmet seiner Liebe zu Enite mehr Aufmerksamkeit als dem Herrschen. Zum Schluss jedoch findet er das rechte Maß zwischen Liebe und Herrschertum, was schließlich zum glücklichen Ende und zur ewigen Friedensherrschaft in Karnant führt. Die staete hingegen kann er gegenüber seiner Frau von Anfang an aufrechterhalten. Auch wenn er Enite zunächst nicht hauptsächlich aus Liebe heiratet, so steht er doch die ganze Zeit über treu und beständig zu ihr.

Erec ist keineswegs von Anfang an der ideale Ritter. Er ist sehr jung – die Königin bezeichnet ihn als „alsô junger“17 – und so wird er von Ider zu Beginn wegen seines „kintlîchen strît“18 verspottet. Durch die âventiuren wächst er aber sozusagen in seine Rolle hinein und es endet damit, „daz er genant wære / Êrec der wunder æ re.“19

3. Die Konzeption des Helden

Anders als der Ritter ist der Held kein reales, sozialgeschichtliches Phänomen. Daher sind die Werte, die einen Helden charakterisieren auch nur über literarische Werke zu entschlüsseln und nachzuvollziehen. Wie eingangs bereits erwähnt schildert die Heldendichtung Handlungen einer archaisch geprägten Vorzeit. Dementsprechend verhalten sich auch die in ihr dargestellten Protagonisten. Ungezügelte Affekte und das Recht des Stärkeren stehen beim Helden im Vordergrund. Ehre und Treue spielen hier zwar genauso wie beim Rittertum eine Rolle, jedoch dienen sie dem Helden zur Legitimation von Rache und Gewalt. Seine körperlichen Fähigkeiten muss er immer wieder im Kampf propagieren und wird dabei oft von übermuote geleitet. Kurz: „[E]r ist [...] ein durch seine Emotionen Getriebener, energetisch geladen, kampfgierig, rachedurstig und in selbstberühmendem Narzissmus, jederzeit kränkbar und reizbar.”20

[...]


1 Joachim Bumke: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, München 2002, S. 65.

2 Zitiert nach: ebd., S. 400.

3 “Beschirme die Armen: das ist Ritterschaft: Sprich für sie: das ist tugendhaft; so wirst du vor Gott erkannt. Deswegen hat man dir das Schwert gesegnet.“ Zitiert nach: ebd., S. 415.

4 “ [...] Wer Ritterschaft so ausüben will, wie es richtig ist, der soll Witwen und Waisen vor den Gefahren schützen, die ihnen drohen. Dafür erwartet ihn ewiger Lohn. Er kann sein Herz aber auch dahin wenden, wo man Frauen um ihren Lohn dient und wo man andere Töne hört: wie die Lanzen durch die Schilde krachen, wie die Frauen sich darüber freuen, wie die Freundin den Kummer des Freundes stillt. Ein zweifacher Lohn winkt uns: der Himmel und die Gunst der Frauen.” Zitiert nach: ebd. S. 415.

5 Ebd., S. 417.

6 Ebd., S. 418.

7 Zitiert nach: ebd., S. 425f.

8 Vgl. ebd., S. 429.

9 Hartmann von Aue: Erec. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch, Hg. Volker Mertens, Stuttgart 2008, V. 5527, 5637 u. a.

10 Vgl. ebd. V. 5560ff.

11 Ebd. V. 7070ff.

12 Vgl. ebd. V. 5335ff und 5429ff.

13 Vgl. ebd. V. 9826ff.

14 Vgl. Bumke, Joachim: Der „Erec“ Hartmanns von Aue. Eine Einführung, Berlin, New York, 2006, S. 70.

15 Hartmann von Aue: Erec. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch, Hg. Volker Mertens, Stuttgart 2008, V. 2505.

16 Ebd. V. 9438.

17 Ebd. V. 145.

18 Ebd. V. 711.

19 Ebd. V. 10043f.

20 Sieburg, Heinz: unveröffentlichtes Manuskript, S. 13.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Die Konzeption von Ritter und Held in der mittelhochdeutschen Literatur. Hartmann von Aues "Erec" und das "Nibelungenlied" im Vergleich
Hochschule
Université du Luxembourg
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
13
Katalognummer
V537357
ISBN (eBook)
9783346145611
ISBN (Buch)
9783346145628
Sprache
Deutsch
Schlagworte
konzeption, ritter, held, literatur, hartmann, aues, erec, nibelungenlied, vergleich
Arbeit zitieren
Anika Maßmann (Autor:in), 2016, Die Konzeption von Ritter und Held in der mittelhochdeutschen Literatur. Hartmann von Aues "Erec" und das "Nibelungenlied" im Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/537357

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