Die historische Bedingtheit des Nordirlandkonflikts


Hausarbeit, 2019

14 Seiten, Note: 1,0

Fabian Grams (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Der koloniale Eingriff Englands

III. Die konfessionelle Spaltung
3.1 Englands Bruch mit Rom
3.2 Die Errichtung der protestantischen Hegemonie

IV. Die politische Spaltung
4.1 Der Kampf um Selbstbestimmung
4.2 Die Errichtung zweier Staaten

V. Geschichte als Ideologie

VI. Fazit

VII. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

„Was die Briten nicht einsehen, noch immer nicht: Sie kämpfen gegen 800 Jahre irische Geschichte, (…).“1

Jenes Zitat aus einem 1972 veröffentlichten Spiegel Interview mit dem ehemaligen Oberkommandierenden der IRA Belfast-Brigade Seamus Twomey steht stellvertretend für einen Konflikt, dessen Hintergründe aus längst vergangenen Zeiten stammen. Der Nordirlandkonflikt, welcher von 1969 bis 1998 ca. 3600 Menschenleben kostete, ist aufgrund seines tief verwurzelten historischen Charakters in der jüngeren europäischen Geschichte einzigartig. Seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 und der Einigung der Konfliktparteien friedlich nach einer Lösung zu suchen, nahmen die Gewalttaten deutlich ab. 21 Jahre später gewinnt der Nordirlandkonflikt jedoch zunehmend an Aktualität und droht wieder aufzuflammen. Essentielle Voraussetzungen, die zu einer Einigung und zum Karfreitagsabkommen führten, wie beispielsweise der freie Waren- und Personenverkehr, könnten durch den nahenden Brexit wieder aufgehoben werden. Eine mögliche ‚harte Grenze‘ zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland könnten alte Wunden aufreißen und die Frage nach Identität und Zugehörigkeit aus den Tiefen der Vergangenheit wieder in den Vordergrund rücken.

Warum sich Protestanten und Katholiken in Nordirland in derart antagonistischer Beziehung entwickelten und sich bewaffnete Gruppen gewaltsam bekämpften, ist nur schwer zu begreifen, wenn nicht die besondere Bedeutung ihrer gemeinsamen Geschichte betrachtet wird. Einerseits prägten die politischen und sozialen Folgen bereits Jahrhunderte zurückliegender Ereignisse und Vorgänge die Bedingungen, die 1969 zur Eskalation der Gewalt führten. Andererseits nimmt die Geschichte in der Identität der nordirischen Bevölkerung eine zentrale Rolle ein.

Ziel dieser Arbeit wird sein, die historischen Ursachen der strukturellen Bedingungen des Konflikts zu untersuchen. Dabei soll vor allem folgende Frage beantwortet werden: „Inwiefern hatten historische Entwicklungen Einfluss auf die strukturellen Bedingungen, die zur Spaltung der nordirischen Gesellschaft führten?“ Zunächst möchte ich mich mit der Expansion Englands nach Irland beschäftigen und erörtern wie es dazu kam, welche Interessen dabei eine Rolle spielten und welche Folgen daraus resultierten. Anschließend werde ich die Ursachen der konfessionellen Komponente des Konflikts und die Gründe ihrer andauernden gesellschaftlichen Spaltung herausarbeiten. Im nächsten Kapitel möchte ich mein Augenmerk auf die politische Kontroverse unter den Bevölkerungsgruppen richten, indem ich mich mit den verschiedenen Interessen und der Teilung der Insel in zwei Staaten separate Staaten beschäftige. Abschließend möchte ich einen Gegenwartsbezug herstellen und den ideologischen Stellenwert der Geschichte für die jeweiligen Konfliktparteien einschätzen.

II. Der koloniale Eingriff Englands

Die Auseinandersetzungen auf der irischen Insel können bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgt werden. Die englische Krone kolonialisierte unter Heinrich II. ab 1171 den Osten und später immer größere Teile Irlands.2 Zuvor war ‚Strongbow‘, ein Lehensmann des englischen Königs 1169 dem Hilfegesuch eines irischen Clan-Häuptlings gefolgt, welcher sich mit anderen Clans um die Herrschaft in Irland stritt und ihm als Gegenleistung dessen Thronfolge in Irland versprach.3 Zwar hatte ‚Strongbow‘ die Erlaubnis des englischen Königs erhalten in den inneririschen Konflikt einzugreifen, doch schon kurze Zeit später intervenierte Heinrich II. ebenfalls in Irland.4 Es ging Heinrich II. in erster Linie nicht darum Irland zu beherrschen.5 Wichtiger war es sicherzustellen, dass ‚Strongbow‘ sich der englischen Krone unterwirft und kein „separates feindliches normannisches Königreich“ in Reichweite der englischen Insel entsteht.6 ‚Strongbow‘ konnte Heinrich II. jedoch von dessen Treue überzeugen, was ihm ermöglichte, als Vasall Heinrichs, über die Region Leinster zu herrschen.7 Da die irischen Clans den englischen Streitkräften weit unterlegen waren, erkannten auch sie schon bald Heinrich II. als ‚Lord of Ireland‘ an.8 Außerdem glaubten sie, nur Heinrich II. habe die Mittel die Expansion von ‚Strongbows‘ Machtbereich zu verhindern und somit ihre Gebietsansprüche gegen die Normannen verteidigen zu können.9 Irland geriet nach der normannischen Eroberung so nicht nur unter normannischen Einfluss, sondern durch die dadurch entstandene Bedrohungslage in koloniale Abhängigkeit von England. Der „Eintritt der Normannen in die Geschichte Irlands“ stellte, so Breuer: „den wohl folgenreichsten Einschnitt in der politischen, sozialen und kulturellen Entwicklung der Insel“ dar.10 Es war der Beginn der britischen Einflussnahme und der Grundstein der bis heute andauernden Konfrontation. Da der englische König, der den irischen Häuptlingen zuvor Autonomie und Schutz versprochen hatte, weiteres irisches Land an Normannen verlieh, führte dies zu einer Reihe von Kriegen und zu einem nachhaltigen Vertrauensbruch.11 England nutzte infolge der Konfrontation mit den irischen Clans die Uneinigkeit unter ihnen aus und sicherte sich so große Teile Irlands.12 Auseinandersetzungen in Wales, Schottland und Frankreich verhinderten jedoch die vollständige Eroberung der Insel.13 Gegen Ende des 14. Jahrhundert gingen deshalb viele Gebiete wieder an die Iren verloren.14

In den alten Gebieten gliederten sich die ehemaligen normannischen Eroberer, auch die ‚Old English‘ genannt, in die irische Herrschaftsschicht ein und lösten sich immer mehr vom Einfluss Englands.15 Dies stellte für die englische Krone eine derartige Bedrohung ihrer Autorität dar, sodass es für Iren und Anglo-Iren künftig unter Strafe gestellt wurde „familiäre, wirtschaftliche und kulturelle Verbindungen“ einzugehen.16 Weil es der Krone kaum gelang außerhalb des Gebiets, welches sich unter englischer Gewalt befand, die englische Obrigkeit durchzusetzen, kam es wiederholt zu Versuchen mit der Entsendung von Truppen ihren Herrschaftsbereich auszudehnen.17 Erst nach der Niederlage des gälisch-irischen Clanoberhaupts Hugh O‘Neill 1603 im Neunjährigen Krieg gegen Elisabeth I. und der ‚Flucht der Grafen‘ auf den Kontinent 1607, erlangte England zum ersten Mal die vollständige Kontrolle über die Insel.

III. Die konfessionelle Spaltung

3.1 Englands Bruch mit Rom

Der jahrhundertelange Konflikt erhielt seine „konfessionelle Komponente“ 1534, nach Heinrichs VIII. Bruch mit Rom und der nicht gelungenen Ausweitung der Reformation auf Irland.18 Um Englands Handeln gegenüber den katholischen Iren zu verstehen, muss die damalige geopolitische Lage ins Auge gefasst werden.19 England fürchtete, dass das katholische Spanien, welches sich in „Wettstreit und Gegnerschaft“ mit England befand, sich mit den Iren zusammentun würde und von Irland aus Angriffe auf die Nachbarinsel starten könnte.20

1604 äußerte der Lord Deputy of Ireland Arthur Chichester, „dass die langfristige Sicherheit der englischen Vorherrschaft in Irland von der Konvertierung der Bevölkerung zum Protestantismus abhänge“, da Katholiken als Diener des Papstes und des Königs zugleich, „niemals verlässliche Untertanen“ seien.21 Trotz zahlreicher Maßnahmen die sich gegen den Katholizismus, ihrer Anhänger und Institutionen richtete, blieb die Bevölkerung Irlands fast ausschließlich katholisch und entwickelte zunehmend eine ablehnende Haltung gegenüber der Fremdherrschaft.22 Der Bruch der anglikanischen Kirche mit Rom wurde zum unüberwindbaren Gegensatz zwischen den katholischen Iren und dem Königreich England. Dieser wirkte sich fortwährend bis in die Gegenwart aus und kennzeichnet die heutige Spaltung in der nordirischen Gesellschaft.

3.2 Die Errichtung der protestantischen Hegemonie

Im Norden um die Region Ulster wurden ab 1608 mit der sogenannten ‚Plantation of Ulster‘ protestantische, der englischen Krone loyale, Schotten und Engländer angesiedelt. Um die englische Autorität zu stärken sollte so eine protestantische Mehrheit in den „strategisch wichtigen und wirtschaftlich interessanten“ Grafschaften Ulsters geschaffen werden.23 Das Konzept der Plantation sah eine „strikte Trennung von Einheimischen und Kolonisten“ und der „Säuberung ganzer Landstriche“ zu Gunsten der protestantischen Siedler vor.24 Auch wenn das Konzept nicht vollständig erfüllt werden konnte,25 war die ‚Plantation‘, wie Breuer formuliert, die „Basis“ für die bis heute in Nordirland im Vergleich zum Rest der Insel „andersartige Bevölkerungsstruktur“.26

Als Karl II. 1685 verstarb und sein Bruder Jakob II., welcher sich offen zum Katholizismus bekannte, König von England wurde, versuchte er die protestantische Hegemonie in Irland abzubauen.27 Auf Bitten der Protestanten intervenierte Wilhelm von Oranien und übernahm nach der ‚Glorious Revolution‘ den englischen Thron.28 Mit der Unterstützung Frankreichs versuchte Jakob II. vergebens auf den englischen Thron zurückzukehren. Er verlor 1690 die bedeutende ‚Schlacht am Boyne‘ und setzte sich kurz darauf nach Frankreich ab.29 Um jegliches Aufbegehren seitens der katholischen Bevölkerung zu verhindern wurden sie mit den 1695 erlassenen ‚Penal Laws‘ weitreichend ihrer Rechte beraubt. Katholiken durften fortan weder wählen gehen noch gewählt werden, keine öffentlichen Ämter belegen und keine Waffen tragen.30 Was sich am schwerwiegendsten und langfristigsten auswirkte, war die Einschränkung Land zu kaufen und zu vererben. Dies hatte zur Folge, dass sich bis 1776 nur noch 5% des irischen Grund und Bodens in katholischer Hand befand, während 95% im Besitz von ca. 5000 protestantischer Grundbesitzer war.31 Seit der ‚Plantation of Ulster’ und der gesellschaftlichen Umstrukturierung durch die ‚Penal Laws‘ erhält der Konflikt seine sozio-ökonomische Komponente. Bis heute prägt die Entrechtung und Enteignung der katholischen Bevölkerung wesentlich die Sozialstruktur der nordirischen Gesellschaft.

[...]


1 Der Spiegel, (1972): „Hüte dich vor dem Gestank der Engländer“. Spiegel-Interview mit dem IRA-Befehlshaber Twomey über die Bürgerkriegssituation in Nordirland. In: Der Spiegel. Nr. 30/1972.

2 Vgl. Otto, Frank (2014): Der Nordirlandkonflikt. Ursprung, Verlauf, Perspektiven. 3. Aufl. München: Verlag C.H. Beck oHG. S.11.

3 Vgl. Kandel, Johannes (2005): Der Nordirland-Konflikt. Von seinen historischen Wurzeln bis zur Gegenwart. 1. Aufl. Bonn: J. H. W. Dietz Nachf. GmbH. S.33.

4 Vgl. Tieger, Manfred (1985): Nordirland. Geschichte und Gegenwart. 1. Aufl. Basel: Birkhäuser Verlag. S. 21.

5 Vgl. ebd.

6 Bottigheimer, Karl S. (1985): Geschichte Irlands. 1. Aufl. Stuttgart, u.a.: Verlag W. Kohlhammer. S. 43.

7 Vgl. ebd.

8 Kandel, S.33.

9 Tieger, S.21-22.

10 Breuer, Rolf (2003): Irland. Eine Einführung in seine Geschichte, Literatur und Kultur. 1.Aufl. München: Wilhelm Fink Verlag GmbH & Co. KG. S.39.

11 Vgl. Bottigheimer, S.44.

12 Vgl. ebd., S.44-46.

13 Gallenmüller, Dagmar (1997): Die „irische Frage“. Eine historische Studie zu einem gegenwärtigen Konflikt. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Peter Lang GmbH Europäischer Verlag der Wissenschaften. S.23.

14 Vgl. Tieger, S. 22.

15 Ebd.

16 Gallenmüller, S.24.

17 Vgl. Bottigheimer, S. 60.

18 Hermle, Reinhard (1979): Der Konflikt in Nordirland. Ursachen, Ausbruch und Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung des Zeitraums 1963.1972. Eine Fallstudie zum Problem innergesellschaftlicher politischer Gewalt. 1. Aufl. München: Kaiser Verlag, Mainz: Matthias Grünewald Verlag. S.51.

19 Vgl. Breuer, S.51.

20 Ebd.

21 Otto, S.13.

22 Gallenmüller, S.25.

23 Hermle, S.51.

24 Gallenmüller, S.28-29.

25 Vgl. Otto, S. 15.

26 Breuer, S.61.

27 Gallenmüller, S.31.

28 Ebd.

29 Bottigheimer, S.103.

30 Vgl. Tieger, S. 31.

31 Otto, S. 25.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Die historische Bedingtheit des Nordirlandkonflikts
Hochschule
Pädagogische Hochschule Ludwigsburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2019
Seiten
14
Katalognummer
V537659
ISBN (eBook)
9783346131157
ISBN (Buch)
9783346131164
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nordirlandkonflikt, Nordirland, Irland, Sinn Fein, IRA, Katholiken, Protestanten, Belfast, Bürgerkrieg, Großbritannien, Brexit, 2020
Arbeit zitieren
Fabian Grams (Autor:in), 2019, Die historische Bedingtheit des Nordirlandkonflikts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/537659

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