Musizieren in der Kindheit - Stand der Forschung, Ansätze in der Pädagogik und musikalische Förderung Fuldaer Grundschüler


Diplomarbeit, 2006

89 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

A Musik in der Wirkungsforschung – Einfluss von Musizieren auf die kindliche Entwicklung
1 Langzeitstudie: Musik(erziehung) und ihre Wirkung – ein Überblick
2 Ergebnisse der Basisdiagnostik
2.1 Statistische Zahlen
2.2 Musik und Musizieren der Kinder im Urteil ihrer Eltern
2.3 Die Stichprobe im Lehrerurteil
2.4 Ergebnisse erster Musikalitätstests: Musikalische Begabung Sechs- und Siebenjähriger
2.5 Zusammenhänge verschiedener Variablen
2.6 Zusammenhang zwischen musikalischer Begabung und Intelligenz
2.7 Kritik an den Ergebnissen
3 Ergebnisse der Studie
3.1 Einfluss von Musikerziehung auf die Intelligenz
3.1.1 Das Problem der Definition von „Intelligenz“
3.1.2 Vergleich der Entwicklung von Modell- und Kontrollgruppe
3.1.3 Entwicklung von Kindern mit unterdurchschnittlichen IQ-Werten
(CFT-IQ ≤ 90)
3.1.4 Entwicklung von Kindern mit überdurchschnittlichen IQ-Werten
(CFT-IQ ≥ 110)
3.1.5 Zur Problematik der Intelligenzwertbestimmung
3.2 Einfluss von Musikerziehung auf die soziale Kompetenz
3.2.1 Gewalt versus soziale Kompetenz
3.2.2 Sympathie und Antipathie gegenüber Mitschülern
3.2.3 Soziale Reflexionsfähigkeit
3.2.4 Soziale, emotionale und leistungsmotivationale Integration
3.2.5 Soziales Verhalten im Urteil der Eltern und der Lehrer
3.2.6 Zur Problematik der Monokausalität
3.3 Einfluss von Musikerziehung auf die Konzentration
3.4 Einfluss von Musikerziehung auf das Angsterleben
3.4.1 Ergebnisse der Schülertests: Selbsteinschätzung der Kinder
3.4.2 Einschätzung der Angst durch die Lehrer
3.4.3 Einschätzungen der Ängstlichkeit durch die Eltern
3.5 Einfluss von Musikerziehung auf schulische Leistungen
3.6 Einfluss von Musikerziehung auf die Kreativität
3.6.1 Musikalische Kreativität
3.6.2 Schöpferisches Denken
3.7 Einfluss von Musikerziehung auf die Musikalität
3.7.1 Reproduktionsleistungen in den Kategorien Singen, Rhythmus, Metrum
3.7.2 Dimensionen der Singfähigkeit
3.7.3 Wahrnehmungsleistung: sensorische Kompetenz
3.8 Zusammenfassung

B Musik in der Pädagogik
1 Einführung
2 Musik an Freien Waldorfschulen
2.1 Grundsätzliches zur Waldorfpädagogik
2.2 Die Rolle der Musik in der Waldorfpädagogik
2.2.1 Grundzüge des Musikunterrichts
2.2.2 Hauptunterricht
2.2.3 Konstitutive Aspekte
2.2.4 Fazit
3 Musik in der Pädagogik Maria Montessoris
3.1 Entstehung der Montessoripädagogik
3.2 Grundsätzliches zur Montessoripädagogik
3.3 Die Rolle der Musik in der Montessoripädagogik
3.3.1 Die Bedeutung der Musik für Maria Montessori
3.3.2 Die musikalische Erziehung
3.3.3 Bewegung und Musik
3.3.4 Hören und Musik
3.3.5 Fazit
4 Übertragbarkeit auf Regelschulen

C Musikerziehung in der Praxis – am Beispiel Fuldaer Grundschüler
1 Zur Motivation für die Befragung
2 Die Schulen
2.1 Adolf-von-Dalberg-Schule (DaS)
2.2 Domschule (DoS)
2.3 Grundschule Lehnerz (GSL)
2.4 Astrid-Lindgren-Schule (ALS)
2.5 Marquardschule (MS)
3 Die Stichprobe im Überblick
4 Ergebnisse
4.1 Wissenstand der Eltern über Angebote zur musikalischen Förderung in Fulda
4.2 Musizierverhalten in Abhängigkeit vom Geschlecht
4.3 Musizierverhalten in Abhängigkeit von Geschwistern
4.4 Musizierverhalten in Abhängigkeit vom Bildungsgrad der Eltern
4.5 Die Art der musikalischen Förderung
4.6 Einschätzung der Eltern bzgl. der Preise an Fuldaer Musikschulen
4.7 Zahlungsbereitschaft der Eltern
4.8 Gründe für das Nicht-Musizieren der Kinder
4.9 Gründe für das Musizieren der Kinder
4.10 Zwei Schlussbemerkungen

D Schlussbetrachtung

E Literaturverzeichnis

F Eidesstattliche Erklärung

Anhang

Einleitung

"Im Musikunterricht lernen wir nicht nur Musik. Das Singen fördert die Konzentration, die Aufmerksamkeit, verbessert die psychosomatische Disposition, erzieht zur Arbeit, macht Kräfte im Menschen lebendig, gibt Mut, befreit ihn von Hemmungen, erzieht zur Gemeinschaft, bewegt den ganzen Menschen nicht nur partiell und macht die Schule anziehender. Der Musikunterricht fördert die in jedem Menschen vorhandene Musikalität, damit legt er die Grundlage der musikalischen Bildung, wodurch seine Lebensqualität erhöht wird.“

(Zoltán Kodály 1956, zit. n. Bastian 2000: 11)

Ziel dieser Arbeit ist das Herausstellen der Bedeutung musikalischer Förderung im Kindesalter. Es soll gezeigt werden, welche Bedeutung Musik in den Wissenschaften Wirkungsforschung und Pädagogik hat und welche Rolle sie für diese spielt. Außerdem wird anhand einer statistischen Datenerhebung durch eine Befragung der Eltern von Grundschulkindern in Fulda dargestellt, wie die Umsetzung von Förderung im musischen Bereich in der Praxis stattfindet.

Im ersten Teil dieser Arbeit wird der aktuelle Stand der Wirkungsforschung dokumentiert. In umfangreichen sozialpädagogisch und bildungspolitisch relevanten Studien wurde belegt, dass musikalische Förderung bei Kindern positive Auswirkungen auf deren kognitive, motorische und soziale Fähigkeiten hat. In der Langzeitstudie von Hans Günther Bastian an Berliner Grundschulen wurden einschlägige Erkenntnisse über den positiven Einfluss von Musik auf die (Persönlichkeits-)Entwicklung von Grundschulkindern erlangt. Daraus ergeben sich Forderungen an Bildungspolitik und Sozialpädagogik, die dringender Umsetzung bedürfen.

Im zweiten Teil wird darauf eingegangen, welche Rolle Musik in den Reformpädagogiken spielt. Im gängigen staatlichen Schulunterricht wird der Musik mit maximal zwei Schulstunden wöchentlich keine weitereichende Bedeutung zuerkannt. Aus meinen Erfahrungen, die ich während meiner vierjährigen Anstellung bei den Chören am Dom in Fulda zur musikalischen Leitung verschiedener Singklassen im Grund- und Vorschulalter gesammelt habe, weiß ich, dass Kinder im Grundschulalter weitaus mehr Verständnis für musikalische Zusammenhänge haben, als ihnen im Schulunterricht einer allgemein bildenden Regelschule zugetraut wird. Daher werde ich im zweiten Kapitel dieser Arbeit einen Einblick in die „alternativen“ Pädagogiken Waldorf und Montessori geben und herausstellen, inwieweit diese Pädagogiken der musikalischen Förderung einen höheren Stellenwert zuerkennen.

Für den dritten und letzten Teil dieser Arbeit habe ich untersucht, inwieweit musikalische Förderung in der Praxis in Fulda tatsächlich stattfindet. Hierzu habe ich eine Umfrage an fünf Fuldaer Grundschulen durchgeführt, durch die ich zu interessanten Ergebnissen und Thesen gelangt bin. Diese Ergebnisse stelle ich anhand der Auswertung der Fragebögen dar.

Wenn ich grammatisch männliche Personenbezeichnungen verwende, sind auch weibliche Personen/Menschen gemeint.

AMusik in der Wirkungsforschung – Einfluss von Musizieren auf die kindliche Entwicklung

1 Langzeitstudie: Musik(erziehung) und ihre Wirkung – ein Überblick

Unter der Leitung von Prof. Dr. Hans Günther Bastian, einem Frankfurter Musikpädagogen, wurde von 1992 bis 1998 an sieben Berliner Grundschulen während einer Grundschulzeit von sechs Jahren eine Langzeitstudie zur Wirkung von musikalischer Förderung auf verschiedene Entwicklungsbereiche von Kindern im Grundschulalter durchgeführt. Hierbei wurde, wie bei einer Langzeitstudie üblich, „eine identische Personen-Stichprobe über einen bestimmten Zeitraum hinweg auf ausgewählte Merkmale hin untersucht“ (Bastian 2000: 32).

Bis zu dieser Untersuchung waren empirisch nachweisbare Transfereffekte von Musikerziehung kaum untersucht worden. Alltagspsychologisch wusste jeder „aus persönlichen Erfahrungen Erfreuliches zu berichten, doch es blieb der Makel des Subjektiven, es fehlte die Evidenz des Objektiven“ (Bastian 2003: 101). Ziel des Forschungsprojektes war daher das Erforschen eines (positiven) Einflusses von Musikerziehung auf

- soziale Kompetenz,
- schulische Leistungen,
- Intelligenz,
- Konzentrationsfähigkeit,
- Kreativität,
- musikalisches Können sowie
- die emotionale Befindlichkeit (Angsterleben etc.) u.a.m von Grund-schulkindern.

Zu Beginn der Studie wurde bzgl. des zu untersuchenden Personenkreises eine Basisdiagnostik erstellt. Hierzu wurden Daten ermittelt zu den Kindern (Alter, Geschlecht, Schichtzugehörigkeit, etc.), ihren Eltern (Sozialstatus, Verhalten gegenüber Musik, etc.) und den Schulen (Sozialmilieu, Ausländeranteil, etc.). Außerdem wurden Tests durchgeführt zur musikalischen Begabung der Kinder vor der Einschulung. Mit den Ergebnissen der Basisdiagnostik konnten spätere Testergebnisse verglichen und Veränderungen festgestellt werden (vgl. Bastian 2000: 190ff).

Von den sieben Grundschulen gehörten fünf den Modellschulen[1] an. Die Kinder, die nach der Basisdiagnostik in eine dieser Grundschulen mit musikbetonten Zügen eingeschult wurden, erhielten dort eine erweiterte Musikerziehung im Rahmen ihres Lehrplans. Diese Kinder werden im Folgenden als Modellgruppe bezeichnet. Zur Kontrollgruppe gehören die Kinder, die die Vergleichsschulen ohne zusätzliche musikalische Förderung besuchten.

2 Ergebnisse der Basisdiagnostik

Zu Projektbeginn, d.h. zu Schuljahresbeginn und somit vor dem Start der erweiterten schulischen Musikerziehung, wurde ein umfangreicher Eltern-Frage-bogen ausgewertet, um die Stichprobe basisdiagnostisch zu beschreiben. Die Ergebnisse der Basisdiagnostik sind im Hinblick auf drei Aspekte interessant:

Sie sind von pädagogischem Interesse – Durch sie erlangte man Daten zu Präferenzen und Neigungen der Schulanfänger, ihren Hobbys, (musikalischen) Interessen und Vorkenntnissen, ihrem familiären und sozialen Umfeld etc.

Die Auswertungen der Basisdiagnostik waren notwendig, um sie mit Ergebnissen aus späteren Tests und Fragebögen zu vergleichen und somit Entwicklungen feststellen zu können.

Nicht zuletzt hat man durch die basisdiagnostische Untersuchung einschlägige Erkenntnisse zur musikalischen Begabung Sechs- und Siebenjähriger erwerben sowie bestimmte Zusammenhänge, Abhängigkeiten und Einflüsse verschiedener Variablen herausarbeiten können. Denn die Forscher „gehen von einer Vernetzung und Rückkoppelung intervenierender Variablen aus, die Einfluss auf die Entwicklung des Kindes haben. Je mehr Variablen […] wir a priori erfassen und beschreiben, […] desto eher sind wir in der Lage, komplexen und komplizierten Zusammenhän-

gen von Variablen auf die Spur zu kommen und mögliche (Kausal-) Zusammenhänge zu identifizieren“ (Bastian 2000: 190).

2.1 Statistische Zahlen

Die Gesamtstichprobe umfasste 170 Kinder. Davon waren 123 Kinder Schüler in einer der fünf Modellschulen mit musikbetonten Zügen und 47 Kinder besuchten eine der beiden Vergleichsschulen.

Geschlecht

48% der Kinder waren Jungen, 52% Mädchen. Auf Modell- und Kontrollgruppe verteilte sich das Geschlecht folgendermaßen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Geschlechterverteilung in Modell- und Kontrollgruppe

(vgl. Bastian 2000: 191f)

Alter

Mit einer Altersspanne von 5 Jahren, 11 Monaten bis 7 Jahre und älter war die Altersstruktur der Stichprobe typisch für Erstklässler und zeigte keine Auffälligkeiten: Für Modell- und Kontrollgruppe ergab sich folgende Verteilung:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Verteilung der Altersgruppen in Modell- und Kontrollgruppe

(vgl. Bastian 2000: 192f)

Ausländeranteil

Die Feststellung des Ausländerkinderanteils war besonders für die Modellgruppe von Interesse, da die Forscher herausfinden wollten, „ob über eine erweiter-

te Musikerziehung die Integration von Ausländerkindern in die Klassen- und Schulgemeinschaft gefördert und erleichtert werden kann“ (Bastian 2000: 193). Die Gesamtstichprobe hatte einen Ausländeranteil von 16%, der sich aber äußerst ungleichmäßig auf die einzelnen Schulen verteilte. Bei den Modellschulen variierte der Ausländeranteil der Erstklässler von 0 - 83%, die beiden Vergleichsschulen hatten jeweils einen Ausländerkinderanteil von 8% bzw. 12% (vgl. Bastian 2000: 193).

Vorschulische Erfahrungen

Fast alle Kinder der Stichprobe (89%) hatten vor ihrer Einschulung eine pädagogische Einrichtung (Vorschule oder Kindergarten bzw. Hort) besucht. Bei Modell- und Kontrollgruppe ergab sich eine Ungleichverteilung bzgl. der Art der besuchten Einrichtung: 64,3% der Kinder der Modellgruppe hatten vor ihrer Einschulung Erfahrungen in Kindergärten gesammelt, während 61,7% der Kinder der Kontrollgruppe eine Vorschule besucht hatten (vgl. Bastian 2000: 194).

Soziale Herkunft

Die Schichtzugehörigkeit der Kinder in Abhängigkeit von Beruf und Sozialstatus der beiden Eltern wurde ermittelt, um zu untersuchen,

- welche (Entwicklungs-)Vorteile Kinder aus der Ober- und Mittelschicht gegenüber den Unterschichtkindern der Stichprobe bereits zur Einschulung mitgebracht haben;
- ob eventuelle Defizite von sozial unterprivilegierten Kindern in der Schule ausgeglichen werden könnten und wenn ja, in welchem zeitlichen Rahmen;
- ob die einsetzende erweiterte Musikerziehung auf die Kompensation schichtbedingter Entwicklungsdefizite direkt oder indirekt Einfluss nehmen könnte;
- ob die Musikerziehung an den Modellschulen für die sozial benachteiligten Kinder besonders positive Effekte zeigen könnte.

(vgl. Bastian 2000: 196f)

Die Schichtzuordnung der Kinder fiel unterschiedlich aus, je nachdem ob man den Beruf des Vaters oder den der Mutter als Anhaltspunkt nahm. Auch wenn Bildungsstatistiker oft den Beruf des Vaters für die Schichtzugehörigkeit als maßgebend ansehen, darf man die Rolle der Mutter für das Grundschulkind nicht unterschätzen. Sie ist oftmals primäre Orientierungshilfe und Schub- und Motivationskraft für die Kinder (vgl. Bastian 2000: 198).

Die Schichtzugehörigkeit in Abhängigkeit vom Sozialstatus des Vaters verteilte sich folgendermaßen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 3: Schichtzugehörigkeit in Abhängigkeit vom Sozialstatus des Vaters

(vgl. Bastian 2000: 196)

Die Schichtzugehörigkeit in Abhängigkeit vom Sozialstatus der Mutter ergab folgende Verteilung:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 4: Schichtzugehörigkeit in Abhängigkeit vom Sozialstatus der Mutter

(vgl. Bastian 2000: 199)

Vergleicht man die beiden Tabellen, ist zu erkennen, dass sich unter zusätzlicher Berücksichtigung des Sozialstatus der Mutter das Milieu der Modellgruppenkinder als sozial vorteilhafter erwiesen hat. Die Zugehörigkeit zu einer Schicht sollte aber aufgrund der sozialen Dynamik unserer Gesellschaft sowie des individuellen Lebens- und Kulturcharakters nicht zu voreiligen schichtabhängigen Interpretationen führen (vgl. Bastian 2000: 197f).

Elterliches Musizieren

52% der Eltern derjenigen Kinder, die eine Modellschule besuchten, spielten ein Instrument. Von der Kontrollgruppe hingegen waren es nur 36% der Eltern. Vergleicht man dies mit der Schichtzuordnung, ergibt sich hier ein eindeutiger Zusammenhang: Musizieren steht in Abhängigkeit zum Sozialstatus. „Dies bedeutet, dass trotz aller bildungspolitischen Aufklärungskampagnen und Reformen in den 70er und 80er Jahren, dass trotz eines gestiegenen allgemeinen Wohlstandes das Lernen eines Instrumentes an der Schwelle zum dritten Jahrtausend noch immer ein Privileg gehobener Schichten ist.“ (Bastian 2000: 200) Grund hierfür ist nicht etwa die finanzielle Benachteiligung der unteren Schichten, sondern ein festsitzendes „Anti-Bewusstsein“ dieser Bevölkerungsschichten gegenüber dem Musizieren und seinem Bildungspotential (vgl. Bastian 2000: 200).

2.2 Musik und Musizieren der Kinder im Urteil ihrer Eltern

Die Musik spielte für Eltern der Modellgruppenkinder eine signifikant bedeutendere Rolle als für die der Kontrollengruppenkinder. Dies zeigen eindeutig folgende Ergebnisse, die daher ohne weitere Erklärungen tabellarisch aufgelistet werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 5: Musik und Musizieren der Kinder im Urteil der Eltern

(vgl. Bastian 2000: 201ff)

2.3 Die Stichprobe im Lehrerurteil

In einem Lehrerfragebogen zur Schülerbeurteilung (LSB) wurde die Stichprobe bzgl. kognitiver, motivationaler und sozialer Faktoren von den jeweiligen Lehrern beurteilt. In der subjektiven Lehrereinschätzung schnitten Modell- und Kontrollgruppe in vielen Bereichen bis auf wenige Differenzen gleich ab. Einzig in drei Eigenschaften gab es zwischen Modell- und Kontrollgruppe Unterschiede: Die Schüler der Kontrollgruppe neigten eher zu Schüchternheit (15,2%), Tagträumerei (19,6%) und Albernheiten (19,6%), als die der Modellgruppe (6,1%; 8,7% und 8,7%) (vgl. Bastian 2000: 210ff). „Ob die Musik zu mehr Extraversion, zu mehr Realitätssinn und zu mehr Ernsthaftigkeit beitragen kann, wird im Verlauf der Studie zu beobachten und zu prüfen sein.“ (Bastian 2000: 212)
Die Kinder der beiden Gruppen wurden bzgl. ihres körperlichen Entwicklungsstandes, ihrer Leistungen in den Kategorien Lesen, Schreiben und Rechnen, ihrer Intelligenz und ihres Sozialverhaltens ohne große Unterschiede oder Auffälligkeiten bewertet (vgl. Bastian 2000: 211). Folglich stand das Sozialverhalten laut Lehrereinschätzung weder in einem Zusammenhang mit Gruppen- noch mit sozialer Schichtzugehörigkeit. Dennoch ist auffällig, dass Mädchen von ihren Lehrern in diesem Bereich signifikant höhere Werte erhielten als Jungen, d.h. sie wurden als sozial kompetenter eingestuft (vgl. Bastian 2000: 214f).

2.4 Ergebnisse erster Musikalitätstests: Musikalische Begabung Sechs- und Siebenjähriger

“Den musikalischen Fähigkeiten haben wir im Verlaufe der Langzeitstudie unsere besondere Aufmerksamkeit gewidmet, denn in diesem Fähigkeits- und Begabungsbereich werden wir die wohl auffälligsten Wirkungen einer erweiterten Musikerziehung erwarten dürfen.“ (Bastian 2000: 222) In den Tests wurde überprüft, in wie weit ein Zusammenhang besteht zwischen musikalischen Fähigkeiten und dem Geschlecht, dem Sozialmilieu und der Gruppenzugehörigkeit (Modell- oder Kontrollgruppe).

Um den Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht zu sprengen, werden die gut durchdachten Tests und deren Durchführungen nicht näher beschrieben. Es wird sich auf eine Sammlung der wichtigsten Ergebnisse beschränkt.

Singfähigkeit

Bei diesem vokalen Reproduktionstest (Nachsingen von 1-2taktigen Melodien) wurden drei zu bewertende Parameter kombiniert: Melodie, Rhythmus und Tonhöhe. Die insgesamt erfreulichen Leistungen lassen sich wie folgt staffeln:

- 55% aller getesteten Kinder zeigten überdurchschnittliche bis weitüberdurchschnittliche Leistungen[3].
- 37% zeigten durchschnittliche Leistungen[4].
- nur 13% zeigten unterdurchschnittliche Fähigkeiten[5].

(vgl. Bastian 2000: 222f)

Die Kinder hatten mit der korrekten Wiedergabe des Rhythmus die wenigsten Probleme. Schlechter hingegen schnitten sie im Nachsingen der richtigen Melodie ab. Die größten Schwierigkeiten bereitete das Aufnehmen des vorgegebenen Anfangstons (vgl. Bastian 2000: 224 f).

Leistungsunterschiede waren zum einen in Abhängigkeit von der Schulzugehörigkeit und zum anderen von der Schichtzugehörigkeit zu erkennen: Die Kinder einer Modellschule mit dem Schwerpunkt Chorsingen erbrachten zu 81% überdurchschnittliche und weit überdurchschnittliche Leistungen. Erste stimmliche Erfahrungen durch die Teilnahme im Vorchor haben sicherlich zu diesem herausragenden Ergebnis beigetragen. Die sängerischen Fähigkeiten der Kinder einer Schule mit einem sozial benachteiligten Einzugsbereich waren hingegen eher unterdurchschnittlich ausgeprägt. Deutliche Unterschiede zwischen Kontroll- und Modellgruppe gab es zu Beginn des Forschungsprojektes noch nicht (vgl. Bastian 2000: 223).

In einem weiteren Test wurde den Kindern ein viertaktiges Lied zur Reproduktion als Aufgabe gegeben. Dieser Test konnte (aufgrund des höheren Schwierigkeitsgrades) die insgesamt positiven Ergebnisse des ersten Tests bzgl. des Haltens der Melodie nicht bestätigen: „Ein Lied relativ spontan melodisch richtig und intonatorisch sauber nachzusingen, fällt vielen Kindern dieses Alters

schwer (Melodie: 71%, Intonation 89% schwache Leistungen)“ (Bastian 2000: 228). Bzgl. der rhythmischen Kompetenz hingegen schnitten die Kinder auch in diesem Test gut ab (64% zufrieden stellende Leistungen). Den Anfangston nahmen die Kinder in diesem Test sogar besser ab (51% richtig), was auf die bequemere Stimmlage zurückzuführen ist (vgl. Bastian 2000: 227ff).

Durch diesen zweiten Test wurde auch eine geschlechtsspezifische Differenz ermittelt: Mädchen singen besser als Jungen, in der Studie waren sie den Jungen in den Bereichen Melodie, Rhythmus, Intonation und Metrum signifikant überlegen (vgl. Bastian 2000: 230ff).

Wahrnehmungsleistung: sensorische Kompetenz

In diesem Test wurde die sensorische Kompetenz der Schulanfänger überprüft. Hierzu mussten sie durch Hören Melodien, Tonhöhen, rhythmische Figuren, Tonlängen und Metren vergleichen, ggf. Unterschiede feststellen und die Abweichung auf einem Arbeitsblatt und der richtigen Stelle markieren (vgl. Bastian 2000: 232f).

1. Beim Melodienvergleich waren bis auf 4% nur durchschnittliche (52%) und unterdurchschnittliche Leistungen (44%) zu verzeichnen. „Diese quasi vierfache und simultane Aufgabenstellung (Hören – Vergleichen – Zählen und Identifizieren) bereitet Sechs- bis Siebenjährigen offensichtlich Probleme.“ (Bastian 2000: 233) Differenzen der Ergebnisse waren weder in Schichtabhängigkeit, noch in Schul- oder Geschlechterabhängigkeit festzustellen (vgl. Bastian 2000: 233).
2. In der Tonhöhendifferenzierung großer Intervalle schnitten die Kinder zur Hälfte mit durchschnittlichen Leistungen und jeweils zu einem Viertel mit unter- und überdurchschnittlichen Leistungen ab. Es gab wieder keine Unterschiede bzgl. Schicht-, Geschlecht- und Schulzugehörigkeit. In der Tonhöhendifferenzierung kleiner Intervalle hingegen zeigten sich erste Differenzen: a) Die Kinder der Modellgruppe waren denen der Kontrollgruppe signifikant überlegen (da die Schüler, die durch Singen im Vorchor einer der Modellschulen ihre musikalische Wahrnehmungsdifferenzierung bereits sensibilisiert hatten, besser abschnitten).
b) Die Leistungen wurden mit steigendem Sozialmilieu besser.
(vgl. Bastian 2000: 234)
Diese beiden Ergebnisse bedingen sich gegenseitig, denn die Kinder der Modellgruppe gehörten gleichzeitig zu einem größeren Anteil einer höheren Schicht an.
3. Auch dieser Test bestätigt, dass die Kinder mit dem Parameter Rhythmus die wenigsten Schwierigkeiten hatten. Dennoch fiel das Testergebnis hier weniger positiv aus als bei vorhergehenden Tests: 57% leisteten Durchschnittliches, 33% Unterdurchschnittliches und nur 10% Überdurchschnittliches. Dies lässt sich erneut auf die vierfache Aufgabenstellung Hören – Vergleichen – Identifizieren – Markieren zurückführen, die in der Kombination – wie bereits festgestellt – den Sechs- und Siebenjährigen Probleme bereitete (vgl. Bastian 2000: 234).
4. Die Differenzierung verschiedener Tonlängen fiel den meisten Kindern nicht sehr schwer: 37% schnitten sehr gut, 44% durchschnittlich und nur 18% schwach ab. Bei diesem Test ließ sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen Ergebnis und Schicht- bzw. Gruppenzugehörigkeit feststellen:
„Je höher das Sozialmilieu der Kinder desto besser ihre Tonlängendifferenzierung.
Kinder der Modellgruppe (zu 40%) sind denen aus der Kontrollgruppe (zu 34%) signifikant […] überlegen in der Wahrnehmung des Parameters Tondauer.“ (Bastian 2000: 235)
Ähnlich wie bei der Tonhöhendifferenzierung stehen diese beiden Ergebnisse in engem Zusammenhang und hängen voneinander ab.
5.Über die Hälfte aller Kinder erbrachten durchschnittliche Leistungen beim Vergleichen zweier Metren (verschieden oder gleich), jeweils etwa ein Viertel zeigte sehr gute bzw. schwache Leistungen. Diese Testergebnisse Test standen in keinerlei Abhängigkeit zu Geschlecht-, Schicht- oder Gruppenzugehörigkeit (vgl. Bastian 2000: 235).

Insgesamt waren die Leistungen der Kinder in diesem musikalischen Begabungstest relativ homogen. Weit überdurchschnittliche (0%) und weit unterdurchschnittliche Leistungen (1%) gab es kaum. Die Kinder schnitten zu 55% mit durchschnittlichen, zu 26% mit unterdurchschnittlichen und zu 18% mit überdurchschnittlichen Leistungen ab. In dem Test als Ganzes gesehen gab es keine signifikanten schicht- und geschlechtsabhängigen Differenzen; die Modellgruppe schnitt insgesamt besser ab als die Kontrollgruppe (vgl. Bastian 2000: 235ff).

2.5 Zusammenhänge verschiedener Variablen

In Korrelationstests wurde überprüft, in wie weit verschiedene Variablen aufeinander einwirkten. Hierbei wurde insbesondere der Einfluss unabhängiger Variablen (Schichtzugehörigkeit, elterliches Musizieren, Geschlecht, Schulzugehörigkeit und elterliche Einschätzung ‚Mein Kind ist musikalisch begabt’) auf abhängige Variablen (Intelligenz, Konzentration, Verfügen über Medien, DVET[6], Angsterleben, schöpferisches Denken, Melodien nachsingen und musikalische Begabung) untersucht. Aber auch innerhalb der abhängigen Variablen zeigten sich interessante Zusammenhänge. Die wichtigsten Ergebnisse werden im Folgenden zusammengefasst:

Bedeutsame schichtabhängige Korrelationen:

1. Lebenspartner (hier: Vater und Mutter) gehörten häufig der gleichen sozialen Schicht an.
2. Der Sozialstatus des Vaters stand in Zusammenhang mit der Intelligenz des Kindes.
3. Das Sozialmilieu der Eltern beeinflusste die kreativen Fähigkeiten ihres Kindes: je höher der Sozialstatus der Eltern, desto größer die kreativen Fähigkeiten des Kindes.
4. Der Sozialstatus der Mutter korrelierte mit reproduktiven, aber nicht mit auditiven musikalischen Leistungen des Kindes.
(vgl. Bastian 2000: 243ff)
Einfluss des elterlichen Musizierens:
5. Das Musizieren im Elternhaus wirkte sich positiv auf die kognitive, musikalische und kreative Entwicklung des Kindes aus: Kinder, deren Eltern ein Instrument spielen, schnitten im Intelligenztest, in Musikalitätstests und in einem Test zum schöpferischen Denken besser ab.
(vgl. Bastian 2000: 250ff)
Einfluss des Geschlechts:
6. „Sechs- bis siebenjährige Mädchen sind gleichaltrigen Jungen in musikalischen Reproduktionsleistungen signifikant überlegen.“
(vgl. Bastian 2000: 253)
Einfluss der Gruppenzugehörigkeit:
7. Die Kinder der Modellgruppe hatten deutlich höhere Werte in einem Test, mit dem das Angsterleben überprüft wurde. Für andere Variablen ergaben sich keine wesentlichen Unterschiede zwischen Modell- und Kontrollgruppe.
(vgl. Bastian 2000: 253)
Einfluss der Elterneinschätzung „Mein Kind ist musikalisch begabt!“:
8. Kinder, die von ihren Eltern für musikalisch begabt gehalten werden, erzielten im Intelligenztest und in den musikalischen Reproduktionstest zur Singfähigkeit höhere Werte.
(vgl. Bastian 2000: 254)
Zusammenhänge von verschiedenen Fähigkeiten der Kinder:
9. Ergebnisse aus Intelligenztests korrespondierten mit Werten aus dem DVET.
10. Die Intelligenz hatte Einfluss auf die Konzentrationsfähigkeit.
11. Die Leistungen im musikalischen reproduktiven Test waren in einem Zusammenhang zu sehen mit denen im auditiven Test.
12. Der Intelligenzquotient korrelierte mit den Leistungen im musikalischen Test zur Hörfähigkeit.

(vgl. Bastian 2000: 245f)

Bei allen Zusammenhängen muss beachtet werden, dass nicht unbedingt ein Faktor allein auf einen anderen wirkt, sondern dass es oft mehrere Faktoren sind, die aufeinander Einfluss haben (= multiple Korrelation). Ich habe hier die Beziehungen dargestellt, für die die Korrelationsrate am höchsten war. Eine multiple Korrelationsanalyse ist von dem Forschungsteam um H.G. Bastian ebenfalls durchgeführt worden und in dem Buch „Musik(erziehung) und ihre Wirkung“ auf den Seiten 255 – 259 dokumentiert.

Für alle beschriebenen Zusammenhänge lassen sich bei H. G. Bastian die einzelnen Werte und Interpretationen nachlesen. Aus Raumgründen wurde auf tiefer gehende Ausführungen verzichtet. Für These Nummer 12 jedoch möchte ich aus zwei Gründen eine genauere Erläuterung anfügen, denn

1. sie erscheint mir für meine Arbeit als überaus wichtig;
2. ich möchte die in den Medien oft (nicht korrekt) propagierte, monokausale Interpretation „Musik macht intelligent“ relativieren.

2.6 Zusammenhang zwischen musikalischer Begabung und Intelligenz

Das Forschungsteam um Hans Günther Bastian konnte mit seinen Forschungsergebnissen solche bestätigen, die einen Zusammenhang vom Musikalität und Intelligenz nachweisen (vgl. hierzu auch Behne 1986: 53ff). Die ermittelten Werte zu Intelligenz und Musikalität ergeben folgende Graphik:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(vgl. Bastian 2000: 249)

Abbildung 1: Zusammenhang zwischen Intelligenz und musikalischer Begabung

Es ist zu erkennen, dass sich für steigende Werte des Intelligenzquotienten auch monoton steigende Werte im Test zur musikalischen Begabung ergaben. Die Korrelation war zwar niedrig, aber immer positiv (vgl. Bastian 2000: 248f). In der Frage nach möglichen Beziehungen zwischen Intelligenz und Musikalität ist lediglich ein Korrelationsschluss erlaubt, aber kein einseitiges Einflussverhältnis von Musik auf Intelligenz (= Musik macht Intelligent). Solch eine Monokausalität lässt aber das Motto „Intelligent mit Musik“ einer Aktion des „Dachverbandes Musikwirtschaft und Veranstaltungstechnik (DVMV) e.V.“ vermuten (vgl. Bastian 2001: 8). Doch die Intelligenz hat ebenso einen Einfluss auf das Musizieren: „Wir können die Hypothese bestätigen, dass ein erfolgreiches Musizieren nicht ohne ein bestimmtes Ausmaß an Intelligenz möglich ist“ (Bastian 2000: 247). Sergeant und Thatcher haben diesen wechselseitigen Einfluss mit einem Zusammenspiel von Umweltbedingungen treffend formuliert:

„Der Schluss ist möglich, dass musikalische Fähigkeiten das Resultat des wechselseitigen Einflusses eines mit Intelligenz ausgestatteten Individuums und einer angemessenen, günstigen Umwelt sind. Intelligenz muss deshalb als integraler Bestandteil musikalischer Fähigkeiten angesehen werden. Weder kann eine günstige Umwelt das Fehlen eines bestimmten Intelligenzmaßes, das für musikalisches Denken und Wahrnehmen notwendig ist, ausgleichen, noch genügt Intelligenz allein für die Entwicklung von Musikalität.“

(Sergeant und Thatcher, zit. n. Nauck-Börner 1983: 24)

2.7 Kritik an den Ergebnissen

Die Ergebnisse der durchgeführten Basisdiagnostik lassen Zweifel aufkommen, ob die Gesamtergebnisse der Studie überhaupt als repräsentativ gelten können. Denn die Anfangsstatistik zeigt verschiedene Charakteristika auf, die den Schluss zulassen können, dass die Modellgruppe so gewählt wurde, dass sie von vornherein einen Vorteil gegenüber der Kontrollgruppe hatte und fast schon erwartungsgemäß besser abschneiden musste.

So zum Beispiel bei der Geschlechterverteilung: In der Modellgruppe waren die Mädchen zu einem prozentual höheren Anteil (56,9%) im Vergleich zu Jungen (43,1%) vertreten, wobei es bei der Kontrollgruppe genau umgekehrt war – 59,6% Jungen und 40,4% Mädchen (vgl. hierzu S. 9). Es wurde schon oft festgestellt, dass Mädchen sich im Altersvergleich früher entwickeln als Jungen und auch in ihren kognitiven Fähigkeiten den Jungen im gleichen Alter meist überlegen sind. Dies wurde von Bastian gleich zu Beginn seiner Studie untermauert: „Sechs- bis siebenjährige Mädchen sind den altersgleichen Jungen in allen reproduktiven Leistungen signifikant überlegen“ (Bastian 2000: 230). Auch bezüglich der musikalischen Fähigkeiten stellt Bastian weiter fest: „Mädchen haben im Vergleich zu ihren männlichen Altersgenossen im richtigen Nachsingen einer Melodie, im Erfassen des Rhythmus und in der tonsauberen Wiedergabe signifikant bessere Werte. Demnach können wir Mädchen als musikalisch reifer einstufen, sie sind den Jungen in der musikalischen Entwicklung voraus […]“ (Bastian 2000: 230).

Ein weiterer Punkt ist das elterliche Musizieren. Bastian selbst stellt fest: „Ein bildungsstimulierendes Elternhaus kann bereits die (Persönlichkeits-)Entwick-lung der Kinder so vorteilhaft beeinflusst haben […], dass […] auch eine ‚erweiterte Musikerziehung’ mögliche Vorteile […] nicht kompensieren kann“ (Bastian 2000: 191). Wenn man also davon ausgeht, dass das Musizieren der Eltern nicht nur auf das musische Verhalten oder die musischen Fähigkeiten der Kinder, sondern auch auf andere Bereiche der Persönlichkeitsentwicklung einen positiven Einfluss hat, dann hatte auch in diesem Aspekt die Modellgruppe einen Vorteil: Denn hier spielten 52% der Eltern ein Instrument, in der Kontrollgruppe waren es nur 36% (vgl. hierzu S. 12).

Auch was das Alter angeht, kann man einen Vorteil für die Modellgruppe vermuten. Die Kinder der Modellgruppe waren zu Beginn des 1. Schuljahres älter als die der Kontrollgruppe: 32,2% der Modellgruppe waren älter als sieben Jahre, bei der Kontrollgruppe waren es nur 29,8% (vgl. hierzu S. 9). Denn im Allgemeinen kann man sagen: Je älter ein Kind ist, desto besser sind seine Konzentrationsfähigkeit, seine Aufnahmefähigkeit und seine Lernbereitschaft.

Nicht außer Acht zu lassen ist auch der Sozialstatus der Kinder und ihrer Familien. Die Kinder der Modellgruppe kamen zu einem größeren Anteil aus einer sozial besser gestellten Schicht (vgl. hierzu S. 11): „Als sozial vorteilhafter erweist sich das Milieu der Modellschulkinder […]“ (Bastian 2000: 198). Im Hinblick auf den Einfluss der Schichtzugehörigkeit schreibt Bastian u.a.: „Das Erlernen eines Instrumentes und das Musizieren bleibt […] weitgehend ein Sozial-privileg“ (Bastian 2000: 195).

Des Weiteren sind die Ergebnisse der ersten Datenerhebungen bzgl. der Persönlichkeitsmerkmale „Sozialverhalten“ und „Musikalität“ auffällig: Die Kinder der Modellgruppe zeigten von vornherein weniger sozial auffälliges Verhalten (vgl. hierzu S. 13) und schnitten bei den ersten Musikalitätstests gleich gut oder besser (aber niemals schlechter!) als die Kontrollgruppe ab (vgl. hierzu S. 14ff). Dass sie sich nach jahrelanger erweiterter Musikerziehung weiter verbessern würden, war nahezu unausweichlich.

War es unter Berücksichtigung all dieser Punkte nicht zu erwarten, dass die Kinder der Modellgruppe bei den Tests besser abschneiden würden?

Als Gründe für die o.g. Ungleichverteilungen zwischen Modell- und Kontrollgruppe vermute ich folgende:

1. Der Stichprobenumfang war mit insgesamt 170 Schülern relativ gering, dies kann eventuell einen Einfluss auf die Validität der Ergebnisse haben.
2. Die Modellgruppe bestand aus Schülern von fünf Schulen und die Kontrollgruppe setzte sich aus Schülern von nur zwei Schulen zusammen. Wären Modell- und Kontrollgruppe gleich groß gewesen, wäre eine Annäherung der Ausgangswerte denkbar.

[...]


[1]Grundschulen mit musikbetonten Zügen leisten einen besonderen Beitrag zur musikalischen Bildung und Erziehung, indem sie Schülern Gelegenheit geben, in der Schule ein Musikinstrument zu erlernen.“ (Bastian 2000: 216) Hinzu kommen der wöchentliche Fachunterricht in Musik mit zwei Schulstunden, das Singen im Chor und das Musizieren im Ensemble. Durch aktiven Umgang mit Musik im Instrumentalunterricht und in Musikarbeitsgemeinschaften (Chor und Ensemble) wird den Kindern eine intensive Förderung (=erweiterte Musikerziehung) ermöglicht.

[2] OO – Oberschicht, OM – obere Mittelschicht, MM – Mittelschicht UM – untere Mittelschicht OU – obere Unterschicht, UU – Unterschicht

[3] entspricht 61-100% richtiger Lösungen der Aufgaben

[4] entspricht 41-60% richtiger Lösungen der Aufgaben

[5] entsprich bis 40% richtiger Lösungen der Aufgaben

[6] Der Duisburger Vorschul- und Einschulungstest (DVET) ist normiert und ermöglicht die Feststellung grundschulrelevanter kognitiver Fähigkeiten und feinmotorischer Fertigkeiten. Er kann angewendet werden bei Kindern im Alter von vier bis sieben Jahren. Mit dem DVET können in allen Altersgruppen allgemeine und spezielle Schwächen erkannt werden, so dass früh mit individuellen kompensatorischen Maßnahmen begonnen werden kann. Auch kann der Lehrplan nach dem Lerntempo der einzelnen Kinder ausgerichtet werden (vgl. Hogrefe Verlag Testzentrale: http://www.testzentrale.de/?mod=detail&id=62).

Ende der Leseprobe aus 89 Seiten

Details

Titel
Musizieren in der Kindheit - Stand der Forschung, Ansätze in der Pädagogik und musikalische Förderung Fuldaer Grundschüler
Hochschule
Hochschule Fulda
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
89
Katalognummer
V53795
ISBN (eBook)
9783638491433
ISBN (Buch)
9783656791850
Dateigröße
1318 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Musizieren, Kindheit, Stand, Forschung, Ansätze, Pädagogik, Förderung, Fuldaer, Grundschüler
Arbeit zitieren
Dipl. Sozialpädagogin Petra Herr (Autor:in), 2006, Musizieren in der Kindheit - Stand der Forschung, Ansätze in der Pädagogik und musikalische Förderung Fuldaer Grundschüler, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53795

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