Höflichkeitsformen im 19. Jahrhundert anhand von Georg Büchners "Woyzeck"


Hausarbeit, 2015

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Höflichkeitswandel durch die Jahrhunderte

3. Aktueller Stand der Höflichkeitsforschung
3.1. Das face- Modell nach BROWN/LEVINSON (1978)
3.2. Anredebestimmende Variablen

4. Was ist sprachliche Höflichkeit? Welche Höflichkeitsformen gibt es?
4.1. Partikeln als Höflichkeitsform
4.2. Anredepronomina im 19. Jahrhundert

5. Georg BÜCHNERS „Woyzeck“
5.1. Inhalt des Dramas
5.2. Linguistische Analyse
5.2.1. Subjektpronomina
5.2.2. Partikeln

6. Fazit

Anhang

Literaturverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung

Der Begriff Höflichkeit entwickelte sich aus dem mittelhochdeutschen hoflich oder hove- lich (höfisch, ritterlich, vornehm, fein, gesittet, geschickt) (HENNIG 2014: 159), das den Lebensstil am frühneuzeitlichen Hof bezeichnete (BRAUN 1993: 535). Höflichkeit spielt eine entscheidende Rolle in der menschlichen Gesellschaft, denn ohne sie ist ein soziales Miteinander ausgeschlossen. Mit ihr wird ein guter Umgangston und Zuvorkommenheit vorausgesetzt (BRAUN 1993: 535), die den Respekt vor dem Gegenüber zum Ausdruck bringen. Höflichkeit spielt in annähernd allen Lebensbereichen der heutigen Gesellschaft eine Rolle, sei es um einen guten Eindruck bei einem Bewerbungsgespräch zu hinterlassen oder um enge Freunde nicht zu verletzen. Höfliches Verhalten ist jedoch kein modernes Phänomen, sondern beschäftigt die Menschheit bereits seit hunderten von Jahren. Neben der soziologischen Betrachtungsweise kann man den Begriff der Höflichkeit auch auf linguistische Weise beleuchten. Die Frage, inwieweit sich diese gesellschaftlichen Normen im Laufe der Zeit veränderten, bildet den Ausgangspunkt dieser Arbeit.

Die folgende Hausarbeit konzentriert sich auf die angesprochene linguistische Sichtweise der Höflichkeit. Anredeformen gelten als die transparenteste Form der Respektmarkierung (SIMON 2003: 84) und stellen damit einen der Themenschwerpunkte dieser Arbeit dar. Partikeln unterstützen die fundamentalen Eigenschaften des anteilnehmenden und partner­schaftlichen Dialogs und haben daher in den meisten Fällen eine höfliche Wirkung (WEYDT 2003: 13).

Als historische Grundlage der Sprache im 19. Jahrhundert wird auf das Werk Woyzeck von Georg BÜCHNER zurückgegriffen, anhand dessen grammatikalische Auffälligkeiten analy­siert werden. Auszüge des Dramentextes entstammt der „EinFach Deutsch“-Ausgabe, die von Norbert SCHÄBLITZ durch Anmerkungen und Materialen ergänzt und 1999 von Johan­nes DIEKHANS im Schöningh-Verlag veröffentlicht wurde. In diesem Stück sind die Anredeformen besonders auffällig. Durch die Besonderheiten der Anredeformen wird folgende Forschungsfrage der präsentierten Arbeit zu Grunde gelegt: „Wie äußern sich Höflichkeitsnormen durch Modalpartikelngebrauch und Anredeformen am Beispiel von BÜCHNERS Woyzeck und stellen diese eine angemessene Repräsentation der Sprache im 19. Jahrhundert dar?“.

Zu Beginn dieser Arbeit wird die Entwicklung des Höflichkeitswandels grob skizziert. Um einen Überblick über die aktuelle Höflichkeitsforschung zu schaffen, wird anschließend auf das maßgebliche Werk von BROWN/LEVINSON (1987) Politeness. Some universals in Seite I 1 language usage eingegangen. Das darin beschriebene face- Modell dient in der heutigen Höflichkeitsforschung als Basis für gesellschaftliche Untersuchungen und fungiert auch in dieser Arbeit als Ausgangspunkt der Analyse. Anschließend wird der Begriff der Höflich­keit definiert sowie aufgezeigt, welche Höflichkeitsformen auftreten. Nachfolgend wird geklärt, wird eine Definition von Partikeln gegeben und untersucht, welche Bedeutung sie hinsichtlich der Kodierung von Höflichkeits- und Respektformen besitzen. Anknüpfend daran werden kurz die Zusammenhänge zwischen Höflichkeit und Anredepronomina beleuchtet. Es folgt eine grobe Darstellung des Dramas Woyzeck von Georg BÜCHNER, das als Untersuchungskorpus der anschließenden Analyse dient. Diese stellt somit einen entscheidenden Teil der Hausarbeit dar: Eine Betrachtung und Analyse BÜCHNERS Woy- zeck, hinsichtlich auftretender Höflichkeitsformen im Bereich der Personalpronomina und Partikeln im 19. Jahrhundert. Abschließend werden die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst und ein Gesamtfazit gezogen.

2. Höflichkeitswandel durch die Jahrhunderte

Das folgende Kapitel beschreibt in groben Zügen, in welchen Etappen sich der Höflich­keitswandel in den letzten 1000 Jahren vollzog.

Die Geschichte der Höflichkeit in Deutschland ist an vier Phasen, den großen aufeinander­folgenden Gesellschaftssystemen, orientiert. Dazu gehören zunächst die höfische Standes- kultur des Mittelalters, in der sich die „christliche[n] Tugenden und [die] gesellschaftli- che[n] Umgangsformen zu einer Einheit“ (ANKENBRAND 2013: 70) verbinden. Als zweites ist die Ständegesellschaft des Barock und der Alamodezeit zu nennen. Damals fungiert „die Höflichkeit vorrangig zur Kodierung der Hierarchie“ (ANKENBRAND 2013: 70). Ein höfli­ches Verhalten zählt somit zur Etikette und dient der Unterhaltung und Erbauung des Gesprächspartners im Rahmen gesellschaftlicher Konversationen. Die dritte Phase stellt das Bürgertum des 18. und 19. Jahrhunderts dar, auf das in der folgenden Arbeit der Fokus gelegt wird.

Das 18. Und 19. Jahrhundert sind geprägt durch ein selbstbewusstes Bürgertum, das seine Höf­lichkeit an dem von ihm gelebten ökonomischen Leistungsprinzip ausrichtet. Die Umgangsformen erfahren eine Versachlichung. Dieser Rationalisierungstendenz entgegen steht im Zeichen der Empfindsamkeit die Suche nach der ,echten‘, der von Herzen kommenden Höflichkeit. (Anken- BRAND 2013: 70)

Durch einen wachsenden bürgerlichen Arbeitsethos tritt der gesellschaftliche Umgang innerhalb der Strukturen zunehmend in den Hintergrund. Es findet eine Emanzipation des Bürgertums und ein damit verbundenes Ende der hierarchisch organisierten Ständegesell- schaft statt, die den Verlust der festen gesellschaftlichen Kommunikationsformen verursa­chen (ANKENBRAND 2013: 76).

Zuletzt ist die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zu nennen, in der die Gesellschaft unter dem ,Zeichen der Globalisierun‘“ steht. Auf der Ebene der Höflichkeit äußern sich diese internationalen Entwicklungen in einer zunehmenden Vereinheitlichung der Umgangsfor­men und Irrelevanz der Gesellschaftsstrukturen. Dabei tritt Höflichkeit als gesamteuropäi­sche Erscheinung in Form der traditionellen Distanzhöflichkeit auf. „[...] distance polite­ness has been characteristic of the middle and upper class in most of Europe for a very long time“ (LAKOFF 1990: 37, zitiert nach: ANKENBRAND 2013: 71).

3. Aktueller Stand der Höflichkeitsforschung

Die heutige Höflichkeitsforschung ist international angelegt. Es bestehen keine nennens­werten „soziokulturell isolierten Höflichkeitstheorien“ (ANKENBRAND 2013: 26), die sich lediglich auf eine nationale Ebene beziehen. Dennoch existiert eine unüberschaubare Menge an Ansätzen international ausgerichteter Höflichkeitsforschung, die in erster Linie auf interkulturell vergleichende Untersuchungen fokussiert sind. (ANKENBRAND 2013: 26) Eine führende Rolle nimmt dabei das 1978 entwickelte Höflichkeitskonzept von BROWN/LEVINSON ein. Letztlich sind sich, trotz dieses scheinbar gemeinsamen Basiskon­zepts, die meisten Forscher nach wie vor über den Umfang des Untersuchungsgegenstan­des sowie auch bezüglich der Terminologie uneinig. In den letzten Jahren wird zunehmend eine einheitliche Definition von Höflichkeit gefordert: „A main problem, we suggest, is the lack of agreement among investigators about how politeness should be defined as an object of study.“ (JANNEY/ARNDT 2005: 22, zitiert nach ANKENBRAND 2013: 26). Das folgende Kapitel bietet eine zusammenfassende Darstellung des Höflichkeitsmodells nach BROWN/LEVINSON und stellt die Grundlage der anschließenden Untersuchung dar.

3.1. Das face- Modell nach B ROWN/L EVINSON (1978)

Das angesprochene Höflichkeitskonzept von BROWN/LEVINSON (1978) bildet nach wie vor die Grundlage der heutigen Anredeforschung. Ausgehend von dem GOFFMANschen face - Begriff gehen die beiden Sprachwissenschaftler davon aus, dass es während eines Gesprä­ches nicht nur um einen effektiven Informationsaustausch geht, sondern auch um die Bemühungen, die eigene Identität während der Kommunikation zu wahren (BROWN/LEVINSON 1987: 61; ANKENBRAND 2003: 28). Der wichtigste Aspekt dieser Identitätsbildung ist das jeweilige face bzw. das „Gesicht“ (LÜGER 2002: 5). Dieses face definiert sich als den positiven sozialen Wert einer Person. Jeder Sprecher hat zwei ,Ge- sichter‘, die er von seinem Gesprächspartner respektiert und bestätigt bekommen möchte. LEVINSON und BROWN betonen, dass mit jeder Äußerung die Gefahr besteht, eines der beiden faces des Adressaten zu verletzen (BROWN/LEVINSON 1987: 61). Zum einen das positive face, das Selbstbild des Einzelnen, das die Anerkennung von Mitmenschen sucht. Dies kann beispielsweise in Form von Gemeinsamkeiten, eine „gemeinsame, empathische Basis“ (ANKENBRAND 2013: 29; BROWN/LEVINSON 1987: 66) entstehen. Positive Höflich­keitsstrategien dieser Art haben in der Regel einen „allgemein-solidaritätsstiftenden Charakter“ (SIMON 2003: 68). Durch positive Höflichkeit (positive politeness) stärkt man das positive Gesicht des Gesprächspartners. Das kann mithilfe von Komplimenten oder ähnlichen Zusprüchen vollzogen werden. (BROWN/LEVINSON 1987: 66, 70)

Das negative face versucht hingegen, die eigene persönliche Handlungsfreiheit vor gesell­schaftlichen Zwängen zu wahren. Negative Höflichkeit (negative politeness) basiert darauf, dass man die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit des Gesprächspartners respek­tiert und schützen möchte (BROWN/LEVINSON 1987: 70). Dies gelingt mithilfe Vermei­dungsstrategien, wie zum Beispiel Untertreibung, illokutiver Zurückhaltung oder indirekter Formulierungen. „Damn, I‘m out of cash, I forgot to go to the bank today. (BROWN/LEVINSON 1987: 69) soll eine indirekte Aufforderung sein, dass der Gegenüber dem Sprecher Geld leihen soll. Durch solche Formulierungen wird ein respektvoller Abstand geschaffen, ohne durch zu persönliche und direkte Äußerungen unverschämt oder verletzend zu wirken. Ein weiteres Beispiel einer solchen „Stachelschwein-Höflichkeit“ (BESCH 1998: 151f., zitiert nach NÜBLING et al. 2010: 160) ist die indirekt formulierte Kritik Die Musik ist ganz schön laut, womit indirekt ausgedrückt werden möchte Mach die Musik leiser. BROWN/LEVINSON bezeichnen die negative politeness als die prototypische Höflichkeitsform der westlichen Kultur und eine der häufigsten Faktoren von Sprachwan­del, denn solche indirekten Anredewege werden oft konventionalisiert und in die deutsche Sprache integriert (SIMON 2003: 70f.; BROWN/LEVINSON 1987: 69). „Höflichkeit besteht [letztlich] darin, in den Interaktionen gegenseitig das negative Gesicht des anderen zu schützen und das positive zu stützen.“ (NÜBLING et al. 2010: 160)

3.2. Anredebestimmende Variablen

Neben dem face -Konzept von BROWN/LEVINSON wirken sich auch die sogenannten anredebestimmenden Variablen nach BESCH (2003) prägend auf die Anredekonventionen des Deutschen und die Entwicklung des Höflichkeitssystems aus. In sozialen Interaktionen der Gesellschaft dienen verschiedene Faktoren ausschlaggebend der entsprechend zu gebrauchenden Anrede. BESCH unterscheidet dabei zwischen biologischen und sozialen Variablen, die die Wahl beeinflussen.

Zu den biologischen Variablen zählt als erstes das Alter des Gesprächspartners. Ein klassi­sches Beispiel stellt eine Konversation zwischen einem Kind und einem Erwachsenen dar: Das Kind nutzt das respektvolle Sie, während es selbst das Du erhält. Hierbei handelt es sich um eine Asymmetrie in der wechselseitigen Anrede (Nicht-Reziprozität) (BESCH 2003: 2601). Früher trat eine solche Asymmetrie auch in anderen Bereichen, wie bei­spielsweise zwischen Herrschaften und Untergebenen, auf. Heutzutage wird in unserer Kultur allerdings im Erwachsenenstadium keine Differenzierung mehr vorgenommen. Ausgenommen sind in der modernen Gesellschaft auch familiäre Beziehungen. Dort herrscht in der Regel über die verschiedenen Generationen das familiäre Du. Historisch betrachtet handelt es sich dabei um eine eher einfache Anredekonvention. Das Du stellt die ursprünglichste Form der Anrede dar. Es taucht „in einem der ältesten Textzeugen unserer Sprache, dem „Hildebrandslied“ (BESCH 1996: 89) Anfang des 9. Jahrhundert als erste und einzige Anredeform auf und wird dort selbst zwischen völlig Fremden gebraucht. Noch im 18. Jahrhundert war es allerdings im deutschsprachigen Raum üblich, dass Eltern und Großeltern von ihren Kindern gesiezt wurden (BESCH 2003: 2602). Grundsätzlich besteht jedoch bis heute noch zum Teil der konservative Grundsatz, dass der Ältere gesiezt wird und nur dieser das Du anbieten darf.

Der zweite Faktor der biologischen Variablen stellt, laut BESCH das Geschlecht dar. Diese Variable steht allerdings weniger im deutschsprachigen Raum im Fokus, sondern wirkt vielmehr in anderen Sprachen anredebestimmend. Vor allem der arabische Raum macht bei den Anredepronomina grammatikalisch geschlechterspezifische Unterschiede. Auch im Japanischen finden sich Differenzierungen dieser Art, da nicht alle der sechs Anredepro­nomina sowohl von Männern als auch von Frauen benutzt werden dürfen. „Die höflichste Form der Anrede wird [...] durch völlige Weglassung der Pronomen erreicht.“ (Besch 2003: 2603) Da Frauen in Japan verpflichtet sind, sich besonders respektvoll auszudrü­cken, wird die höfliche Stilebene auch als „Frauensprache“ bezeichnet. Im Deutschen wird der Variablen des , Geschlechts ‘ kein solch großer Wert zugetragen. Es gibt keine ge- schlechterspezifische Unterscheidung bei den Anredepronomina. BESCH nennt lediglich Nominalformeln wie Frau Präsidentin als Bespiel dieser Variablen (BESCH 2003: 1602).

Den biologischen Variablen stehen die sozialen und situativen Gegebenheiten gegenüber. Sie stehen in einer starken Wechselbeziehung zueinander. Als erste Variable ist die soziale Position zu nennen. Diese fordert eine Höflichkeitssteigerung gegenüber sozial höherran­gigen Personen. Dies geschieht beispielsweise durch pronominale und nominale Hochach­tung und Ehrfurcht. Eine solche Höflichkeitssteigerung kann auch durch die Eigendegra­dierung in Form von „Selbsterniedrigung“ oder der „Demonstration der eigenen notori­schen Unzulänglichkeit“ (BESCH 2003: 2603) stattfinden, sodass sich eine Aufwertung des Gegenübers ergibt. Ein Beispiel dafür ist die Abschiedsformel „Ihr sehr ergebener (POLENZ 1999: 386). Die soziale Variable steht in der Hierarchie höher als das Alter und das Geschlecht und setzt somit beide Gesetzmäßigkeiten außer Kraft. Rahmenbedingungen wie Zeit, Ort, Thema und Äußerungsmedium bilden ebenfalls eine wichtige Steuerung der Anrede. Darauf bezieht sich BESCHs Variable Situation, denn Anredeformen müssen stets der situativen Gegebenheit angepasst werden. Grundsätzlich gilt: Je formaler die Situation, desto förmlicher die Anrede (BESCH 2003: 2603f.).

4. Was ist sprachliche Höflichkeit? Welche Höflichkeitsformen gibt es?

Im folgenden Kapitel wird der Begriff der sprachlichen Höflichkeit dargestellt und defi­niert. Dabei wird ebenfalls ein Fokus auf die unterschiedlichen Höflichkeitsformen, wie z.B. Partikeln gelegt.

Im alltäglichen Leben kann sich ein höfliches Verhalten auf sprachlicher Ebene beispiels­weise durch die Verwendung von Partikeln zur Abmilderung sprachlicher Handlungen und Aufforderungen (LÜGER 2002: 17) oder durch respektmarkierende Anredeformen äußern. Diese geben BESCH zufolge Auskunft über zwischenmenschliche Beziehungsverhältnisse (BESCH 2003: 2599). Im Vergleich zur englischen Sprache (neutrales you), impliziert die deutsche Anrede (du / Sie) verschiedene Höflichkeitsgrade (SZECZEPANIAK 2011: 124). Um ein effizientes Sozialverhalten in Sprechergemeinschaften zu gewährleisten, ist die Kenntnis und Einhaltung von Anredekonventionen notwendig. Nicht-Einhalten kann hingegen störend auf das gesellschaftliche Miteinander einwirken (BESCH 2003: 2599).

4.1. Partikeln als Höflichkeitsform

Bei den angesprochenen Partikeln handelt es sich um unflektierte Wörter, die eine eigene Wortklasse bilden, ohne eine lexikalische oder deiktische Bedeutung zu besitzen, das heißt sie sind optional und können problemlos weggelassen werden (THURMAIR 1989: 2). Diese Arbeit legt ihren Fokus im Speziellen auf die Funktion von Modalpartikeln, bzw. Abtö­tungspartikeln. Dazu gehören Worte wie denn, doch, eben, ja, mal, aber oder schon. In erster Linie treten diese in der Umgangssprache auf (NÜBLING et al. 2010: 167). Sie zeichnen sich durch einen hohen Grad an Spontanität aus und kommen meist in Situatio­nen der Nähe und des Vertrauens zum Einsatz. THURMAIR beschreibt, dass eine Verbin­dung aus ja und eben vor allem in spontan gesprochenen Äußerungen vorkommt. „ Das ist ja eben das Doofe.“ (THURMAIR 1989: 210) In der förmlichen Sprache hingegen werden sie nur selten genutzt. Der Gebrauch von Modalpartikeln ist vielmehr typisch für ungezwungene, umgangssprachliche Gespräche. Nur in vertrauter Umgebung „fühlen Modalpartikeln sich wohl“ (ANKENBRAND 2006: 1; THURMAIR 1989: 3). Der Gebrauch und die Rezeption dieser Partikeln liegen Forschungen zufolge unterhalb der Bewusst­seinsschwelle des Sprechers (ANKENBRAND 2006: 1). Die Funktion dieser Wortart liegt darin, „eine Äußerung in den Interaktionszusammenhang einzubinden“ (THURMAIR 1989: 2) und die eigene und gemeinsame Haltung der Gesprächspartner zum Aussageinhalt deutlich zu machen (abhängig vom Vorwissen). NÜBLING verweist auf das Beispiel Die Mensa hat ja/doch/halt/eben heute Betriebsausflug zur Verdeutlichung unterschiedlicher Lesarten einer Aussage, aufgrund unterschiedlicher (gemeinsamer) Vorkenntnisse (NÜB- LING et al. 2010: 167).

Die Verbindung zwischen Modalpartikeln und Höflichkeit basiert auf dem Höflichkeits­konzept nach BROWN/LEVINSON. Wie bereits in Kapitel 3.1 detailliert beschrieben, liegt der Grundgedanke der beiden Forscher darin, dass Höflichkeit auf zwei Aspekten basiert: Zum einen auf der Distanz zum Gesprächspartner und zum anderen auf dem Konfliktpo­tenzial, das innerhalb jeder Kommunikation besteht. Der Einsatz von Höflichkeit dient als Mittel zur „Vermeidung und Abschwächung von face-theattening acts “ (ANKENBRAND 2006: 3), gesichtsgefährdenden Aussagen. Diese können BROWN/LEVINSON zufolge durch negative Höflichkeit (negative politeness) abgemildert werden. Erst in neueren For­schungsansätzen rückt positive Höflichkeit in den Fokus der gesichtswahrenden Methoden. Der Bereich dieser positive politeness ist der entscheidende Schnittpunkt zwischen Höf­lichkeit und Partikelngebrauch. Zur Strategie der positive politeness gehören Komplimente oder Schmeicheleien (ANKENBRAND 2006: 29; BROWN/LEVINSON 1987: 72), wodurch sich der Sprecher das Wohlwollen des Gesprächspartners sichert. Partikeln sind ein zentrales sprachliches Mittel von positiver Höflichkeit und gelten als wichtigster politeness- Marker. Sie schaffen eine gemeinsame soziale Kommunikations- und Kooperationsbasis zwischen den Gesprächspartnern und tragen zur gegenseitigen face -Wahrung bei (BROWN/LEVINSON 1987: 71f.).

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Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Höflichkeitsformen im 19. Jahrhundert anhand von Georg Büchners "Woyzeck"
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (Germanistisches Institut)
Veranstaltung
Grammatikalisierung
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
24
Katalognummer
V538147
ISBN (eBook)
9783346144898
ISBN (Buch)
9783346144904
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Woyzeck, Büchner, Höflichkeit, Anrede, Partikel, 19. Jahrhundert, Face-Modell, Brown/Levinson, Dramenanalyse, Pronomina, Linguistische Analyse
Arbeit zitieren
Sophie Hohmann (Autor:in), 2015, Höflichkeitsformen im 19. Jahrhundert anhand von Georg Büchners "Woyzeck", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/538147

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