Immer noch ist die Lage der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in Brasilien verheerend: Das Vorgehen der Polizei ist brutal und oft rücksichtslos, Folter dient als Ermittlungsmethode, die Haftbedingungen sind desolat, die Rechte von Landarbeitern und Indios werden mit Füßen getreten. Die Justiz gilt als korruptionsanfällig, ineffizient, für sozial schwache Gesellschaftsschichten schwer zugänglich und gegenüber den Mächtigen der Gesellschaft allzu nachsichtig. Kurzum: Die Ansprüche eines Rechtsstaates werden in Brasilien ganz und gar nicht erfüllt, auch wenn die heute geltende Verfassung von 1988 formal als eine der fortschrittlichsten der Welt gilt. Diese Arbeit geht der Frage nach, warum der Rechtsstaat in Brasilien nicht funktioniert und fokussiert exemplarisch das Problem der Straflosigkeit vor der Justiz. Abschließend geht diese Arbeit auf innovative Ansätze ein, die für die Lösung der vielen Probleme entworfen worden sind.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Rahmenbedingungen eines Rechtsstaats
III. Rechtsstaat in Brasilien
3.1. Rechtsstaatliche Normen in der Verfassung von 1988
3.2. Situation der Rechtsstaatlichkeit heute
3.3. Historische Ursachen für das Nichtfunktionieren des Rechtsstaats
3.4. Problembeispiel: Straflosigkeit
IV. Innovative Ansätze für mehr Rechtsstaatlichkeit
V. Schlussbemerkung
VI. Quellenverzeichnis
I. Einleitung
Auch nach der zwanzigjährigen Militärdiktatur und der darauf folgenden Transition vom autoritären zum demokratischen System, ist die Lage der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in Brasilien verheerend: Das Vorgehen der Polizei ist brutal und oft rücksichtslos, noch immer dient Folter als Ermittlungsmethode, die Haftbedingungen sind desolat, die Rechte von Landarbeitern und Indios werden mit Füßen getreten. Die Justiz gilt als korruptionsanfällig, ineffizient, für sozial schwache Gesellschaftsschichten schwer zugänglich und gegenüber den Mächtigen der Gesellschaft allzu nachsichtig. Kurzum: Die Ansprüche eines Rechtsstaates werden in Brasilien ganz und gar nicht erfüllt, auch wenn die heute geltende Verfassung von 1988 formal als eine der fortschrittlichsten der Welt gilt. In dieser Hausarbeit möchte ich der Frage nachgehen, warum der Rechtsstaat in Brasilien nicht funktioniert und als Problembeispiel die Straflosigkeit vor der Justiz heranziehen. Abschließend möchte ich aufzeigen, welche innovativen Ansätze es zur Lösung der vielen Probleme gibt.
II. Rahmenbedingungen eines Rechtsstaats
Ideengeschichtlicher Ausgangspunkt des Rechtsstaats ist der Autonomieanspruch des Individuums, das aus seiner Rolle als unmündiger Untertan austreten und Bürger sein will. Das Konzept des Rechtsstaats wurde entwickelt, um die Staatsmacht in die Schranken zu weisen und willkürliche Eingriffe in die gesellschaftlichen Prozesse zu unterbinden, es basierte auf dem Ruf nach Freiheit und Sicherheit. Um diese Ansprüche zu erfüllen, müssen in einem Rechtsstaat unter anderem die folgenden Bedingungen erfüllt sein: erstens muss das Prinzip der Gewaltenteilung gelten, zweitens muss die Staatsgewalt an Recht und Gesetz gebunden sein und drittens muss es eine Schutzgarantie für die Schutz- und Freiheitsrechte der Bürger geben (Waldmann 2002: 82).
Die Verfassung ist die Basis für den Aufbau eines Rechtsstaats, da sie den Grundkonsens der Bürger, die in ihrem Schutz leben, widerspiegelt. In ihr sollen die fundamentalen Werte der Gesellschaft festgehalten werden, die staatlichen Institutionen zur Gestaltung des öffentlichen Lebens geschaffen, und letztlich die Verfahren zur Entscheidungsfindung innerhalb des Staates geregelt werden.
III. Rechstaat in Brasilien
3.1. Rechtsstaatliche Normen in der Verfassung von 1988
Die brasilianische Verfassung gilt formal im weltweiten Vergleich als eine der fortschrittlichsten. Artikel 3 bestimmt die vier fundamentalen Staatsziele der Bundesrepublik Brasilien: 1. der Aufbau einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft; 2. die Garantie nationaler Entwicklung; 3. die Beseitigung von Armut und unterdurchschnittlichen Lebensbedingungen und die Minderung von sozialen und regionalen Unterschieden, sowie 4. die Förderung des Gemeinwohls ohne Vorurteilnahme gegenüber Herkunft, Rasse, Geschlecht, Hautfarbe und Alter.
Die brasilianische Verfassung, die sich aus neun so genannten Titeln zusammensetzt, enthält in ihrem II. Titel „Dos direitos e garantias fundamentais“ einen äußerst umfangreichen Grundrechtskatalog. Dieser II. Titel besteht aus zwei Abschnitten: Im ersten werden die „bürgerlichen Grundrechte und -pflichten“ bestimmt, im zweiten die „sozialen Rechte“.
Artikel 5, der die bürgerlichen Grundrechte und -pflichten normiert, umfasst siebenundsiebzig Bestimmungen – im Vergleich zum deutschen Grundgesetz, das lediglich neunzehn Grundrechte kennt, eine beträchtliche Anzahl. Zu den wichtigsten Normen in Artikel 5 zählen unter anderem die Gleichheit von Mann und Frau (Ziffer 1), das Verbot von Folter (Ziffer 3), die Meinungsfreiheit (Ziffer 4), die Religionsfreiheit (Ziffer 6), das Rassismus-Verbot (Ziffer 42) und die Abschaffung der Todesstrafe in Friedenszeiten (Ziffer 47).
3.2. Situation der Rechtsstaatlichkeit heute
Siebzehn Jahre nach Verabschiedung der Verfassung herrscht immer noch eine sehr große Diskrepanz zwischen dem Anspruch der Verfassung, die aus ihren Bestimmungen hervorgeht, und der Wirklichkeit, nämlich der Umsetzung der Bestimmungen in der Praxis. Viele Verfassungsvorschriften, die Grundrechte gewährleisten sollen, sind noch nicht verwirklicht (Wöhlcke 1994: 53).
Das förmliche Recht ist weit davon entfernt, einen verlässlichen Rahmen für das Alltagshandeln der Menschen bereitzustellen. Die Gesetze werden oft nur partikularistisch angewandt, Rechtsverstöße und Rechtsmissbrauch durch Angehörige der oberen gesellschaftlichen Schicht werden nur selten verfolgt und geahndet.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts bildet die brasilianische Bevölkerung eine gesellschaftliche Pyramide: An ihrer Spitze stehen Unternehmer, Großgrundbesitzer, Bankiers, Politiker und hohe Beamte. Die untere Schicht besteht aus Einkommensschwachen wie Hausangestellten, Landarbeitern und sozialen Randgruppen. Während die obere Schicht über dem Gesetz steht, d.h. sie wird für ihre gesetzeswidrigen Aktivitäten fast ausnahmslos nie zur Rechenschaft gezogen, werden den Armen Rechtsansprüche verweigert (Justiça Global 2004: 12). Im Folgenden möchte ich mögliche historische Ursachen für die großen Defizite im Rechtsstaat untersuchen.
3.3. Historische Ursachen für das Nichtfunktionieren des Rechtsstaats
Während der Kolonialzeit (1500 bis 1822) war Brasilien in zahlreiche Mikrogesellschaften unterteilt, in denen die Großgrundbesitzer despotisch ihre Macht über die Masse von rechtlosen Sklaven und eine Arbeiterschicht ausübten. Schön während der Monarchie im 19. Jahrhundert gab es wie heute eine starke Diskrepanz zwischen progressiven Normen in der Verfassung und ihrer praktischen Umsetzung. Die vom König erlassene liberale Verfassung, die bürgerliche Freiheitsrechte, die Unabhängigkeit der Justiz und das Folterverbot enthielt, stand im krassen Widerspruch zu den zum damaligen Zeitpunkt aufrechterhaltenden feudalen Strukturen, denn die Nutznießer der neuen bürgerlichen Rechte waren nur eine kleine Elite – die Existenz von Millionen von Sklaven wurde in der Verfassung verleugnet, man deklassierte sie damit zu Nicht-Bürgern. Die Einführung der Republik mit der ersten republikanischen Verfassung 1981 brachte zwar einige bürgerliche und politische Reformen, die bestimmende gesellschaftliche Macht der Agrar-Oligarchen blieb erhalten. Hauptursache war also damals die unveränderte Spaltung der brasilianische Gesellschaft in viele heterogene Bevölkerungsschichten und dem äußerst mangelnden Bewusstsein, dass alle Brasilianier mit gleichen und unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind. Und da der Staat Investitionen in die schulische Bildung lange Zeit zurückhielt, konnte sich im Bürgertum kein kritisches Bewusstsein gegenüber dem Staat entwickeln (Justiça Global 2004: 7 – 10).
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- Christian Kreß (Author), 2005, Rechtsstaatlichkeit in Brasilien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53855
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