Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1 Theorie: Europäisierung
2.1.1 Definition
2.1.2 Politische Dimensionen
2.2 Empirie: qualitative Analyse der Europäisierungsdimensionen
2.2.1 Modernisierungsprozesse durch Kooperationsmaßnahmen
2.2.2 Politikentwicklung auf EU-Ebene
2.2.3 Anpassungen der nationalen Ebene durch Fokussierung auf nationale Politikfelder
2.2.4 Erkenntnisse aus den politischen Entwicklungen
2.2.5 Erkenntnisse der Europäisierungsdimensionen aus der Empirie
3. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Jahr 2019 ist für die Europäische Union (EU) und die Ukraine von hoher politischer Wichtigkeit: Bei der Wahl des Europäischen Parlaments sowie der Präsidentschaftswahl in der Ukraine, werden wichtige Weichen für die zukünftigen gegenseitigen Beziehungen gestellt.
In dieser Arbeit wird das Verhältnis zwischen der EU und der Ukraine genauer analysiert: Es wird der Frage nachgegangen, ob und wenn ja, inwiefern sich die Ukraine in Richtung EU bewegt. Zu Beginn wird der Begriff Europäisierung, als Teil der Theorie genauer untersucht. Hierbei werden Definitions- sowie Abgrenzungsversuche unternommen. Es folgen gegenwärtige Europäisierungsdimensionen, die im anschließenden Empirieteil mit Hilfe einer qualitativen Analyse auf die vergangenen und gegenwärtigen Beziehungen zwischen der EU und der Ukraine seit 1991 angewendet werden. Der Schluss beinhaltet die Beantwortung der Forschungsfrage und gibt einen groben Ausblick, welche Chancen und Perspektiven sich mit einem EU-Beitritt für die Ukraine und die EU ergeben.
Berücksichtigt werden die Sichtweise der Ukraine sowie die der EU. Auffassungen Dritter, insbesondere der Russischen Föderation (Russland), bleiben weitgehend unberücksichtigt. Stichtag ist der 30. März 2019. Danach stattfindende tagesaktuelle Geschehnisse werden nicht mehr erfasst. Lateinische und englische Fremdwörter sowie ausgeschriebene Fachbegriffe und Namen sind kursiv geschrieben.
2. Hauptteil
2.1 Theorie: Europäisierung
2.1.1 Definition
Der Begriff der Europäisierung lässt sich durch keine einheitliche Definition festmachen. Auch deren Definitionsanzahl variiert von Autor zu Autor. So erwähnen beispielsweise Harmsen und Wilson acht, Olsen hingegen kommt lediglich auf fünf (Sittermann 2006: 2 f.). Claudio Radaelli, als einer der wichtigsten Europäisierungsforscher, definiert die Europäisierung als einen multidimensionalen „Prozess der (a) Konstruktion, (b) Verbreitung und (c) Institutionalisierung von formellen und informellen Regelungen, Verfahren, Politikvorstellungen, Verhaltensweisen sowie von gemeinsam geteilten Überzeugungen und Normen, die ursprünglich im Rahmen von EU-Entscheidungsprozessen definiert und verankert wurden und dann in die Logik des innenpolitischen Diskurses, der nationalen Identitäten, politischen Strukturen und Politikbereiche aufgenommen worden sind“ (eigene Übersetzung nach: Radaelli 2003: 30). Kurz gesagt: Es geht hierbei um die Angleichung an EU-Normen und Standards, die nationalpolitische Veränderungen mit sich bringen (Große Hüttmann, Wehling 2013: 178).
Des Weiteren stellt sich die Frage, ob der Begriff der Europäisierung die EU oder den Kontinent Europa umfasst. Während Kohler-Koch von einer „EU-Europäisierung“ (Kohler-Koch 2000: 12) spricht, ergänzt Vink (2003: 65), dass das politische Europa nicht nur aus der EU besteht, sondern beispielsweise auch aus Institutionen wie dem Europarat (CoE), der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA). Für Große Hüttmann und Wehling (2013: 178) hingegen dient die Europäisierung als Konzept zur Analyse politikwissenschaftlicher EU-Forschung. Doch auch beide stellen fest, dass der Europäisierungsprozess auch außerhalb der EU zu beobachten ist. Er ist unabdingbar für Staaten, die eine langfristige EU-Mitgliedschaft anstreben (Große Hüttmann, Wehling 2013: 178).
Um den Begriff Europäisierung unmissverständlich nutzen zu können, ist des Weiteren eine Abgrenzung zur Europäischen Integration erforderlich. Nach Hix und Goetz (2001: 22) ist die Europäisierung ein Effekt bzw. eine Folge vorausgegangener europapolitischer Veränderungen. Die Europäische Integration hingegen, kann als Quelle bzw. Ursprung von Veränderungen aufgefasst werden. Sturm (2016: 61 f.) differenziert bei seinem Definitionsversuch nicht zwischen Europa und der EU, sondern spricht lediglich von Europa. Für ihn ist die Europäisierung als ein top-down Modell und somit als downloading zu verstehen. Hierbei handelt es sich um die Übertragung und Auswirkung europäischer Entscheidungsinhalte und -muster auf Drittstaaten, wohingegen die Europäische Integration einen Transfer von Nationalstaatskompetenzen in Richtung Europa (Sturm 2016: 61 f.), mit dem Ziel Europa mitzugestalten, bedeutet. Letztere ist als bottom-up Modell bzw. als uploading aufzufassen (Sturm 2016: 61 f.).
Zur Erklärung einer stattfindenden bzw. nicht stattfindenden Europäisierung kann das Misfit-Modell als Ordnungsschemata dienen. Hiermit wird der Adaptionsprozess der Europäisierung auf innerstaatliche Strukturen untersucht. Es wird zwischen einer politischen und einer institutionellen Fehlanpassung unterschieden: Eine politische Fehlanpassung besagt, dass eine Ungleichheit zwischen EU-Richtlinien/Regeln und nationalen Politiken bestehen. Bei einer institutionellen Fehlanpassung besteht eine Ungleichheit zw. EU-Anforderungen und nationalen Umsetzungsträgern (Falkner 2003: 4).
2.1.2 Politische Dimensionen
Bei der Untersuchung der Dimensionen der Europäisierung, werden drei große Teilbereiche sichtbar: So lassen sich die Europäisierungsdimensionen in historische, kulturelle und politische Dimensionen unterteilen (Sittermann 2006: 3). Im Folgenden werden ausschließlich die politischen Dimensionen untersucht.
Eine der wichtigsten Dimensionen der Europäisierung ist der Modernisierungsprozess. Er findet Anwendung bei Staaten, die wirtschaftlich schwächer sind und sich an den äußeren Grenzen Europas befinden. Durch den Modernisierungsprozess sollen diese Staaten verstärkt an die EU gebunden werden. Harmsen und Wilson (2000: 16) konzentrieren sich hierbei nur auf Staaten, die bereits Mitgliedsländer der EU sind. Für sie geht damit ein „Prozess der Assimilierung mit der EU als Zentrum einher“ (eigene Übersetzung nach: Harmsen, Wilson 2000: 16). Ein Beispiel hierfür ist der Struktur- und Kohäsionsfonds der EU. In der anschließend folgenden Empirie wird der Modernisierungsprozess mit Hilfe von Kooperationsmaßnahmen analysiert (siehe 2.2.1).
Als eine weitere Europäisierungsdimension ist eine Politikentwicklung auf EU-Ebene feststellbar. So sprechen Risse u.a. (2001: 3) von Politiknetzwerken, die verbindliche EU-Regularien schaffen. So liegen die Zuständigkeiten, z.B. bei Fragen der Europäischen Zollunion und den Wettbewerbsregeln des EU-Binnenmarktes, ausschließlich bei der EU (Europäische Kommission 2019b). Mair (2004: 340) spricht daher von einer Institutionalisierung eines deutlichen europäischen politischen Systems. Beispiele hierfür sind die gesetzgebenden Organe der EU: Die Europäische Kommission, das Europäische Parlament sowie der Rat der EU.
Eine weitere Dimension der Europäisierung ist die Anpassung von politischen Prozessen und institutionellen Einrichtungen auf nationaler Ebene aufgrund von EU-Einflüssen. Hiermit geht die Frage einher, wie und in welchem Umfang EU-Regularien in nationale Politiken übertragen werden müssen (Featherstone 2003: 7 und 9), ob dadurch ein Verlust von nationaler Souveränität einhergeht und wenn ja, in welchem Umfang. Harmsen und Wilson nennen die Europäisierung daher „als Problem und Möglichkeit für inländisches politisches Management“ (eigene Übersetzung nach: Harmsen, Wilson 2000: 15). Beabsichtigt ein Land ein Mitgliedstaat der EU zu werden, muss es sich mit Hilfe von Reformen an die EU-Standards angleichen und den gemeinsamen Besitzstand der EU (acquis communautaire) übernehmen. So beispielsweise die EU-Eisenbahnpolitik: Um diese Politik der EU zu erfüllen, sind lediglich Anpassungen innerhalb des nationalen Schienennetzes erforderlich, welche wiederum in der Regel ausschließlich nationale Auswirkungen haben (Knill, Lehmkuhl 2002: 258 f., 262, 271 f.).
Unter Europäisierung als EU-Vergrößerung, versteht man einen EU-Erweiterungsprozess als Abschluss eines vollendeten nationalen Transformationsprozesses (Harmsen, Wilson 2000: 16). Ein Beispiel hierfür ist der EU-Beitritt Kroatiens im Jahre 2013 (Delegation der Europäischen Union für die Ukraine 2016).
Tab. 1: Zusammenfassung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: eigene Darstellung. Datenbasis: siehe alle Quellenangaben unter 2.1.2.
2.2 Empirie: qualitative Analyse der Europäisierungsdimensionen
Abb. 1: EU und Ukraine. grüne Fläche: EU; orangene Fläche: Ukraine.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Solberg J. 2016.
2.2.1 Modernisierungsprozesse durch Kooperationsmaßnahmen
Die Modernisierungsprozesse sind unter anderem ein Mittel, um der Ukraine einen zukünftigen EU-Beitritt zu ermöglichen. Mit Hilfe von verstärkten gegenseitigen Kooperationsmaßnahmen soll die Situation in der Ukraine verbessert werden. Im Folgenden werden wichtige Meilensteine analysiert, die mit einer Umsetzung bzw. Einhaltung auf EU-Ebene sowie auf ukrainischer Ebene verbunden sind. Auf beide Ebenen wird im Laufe dieser Analyse gesondert eingegangen.
Bereits zwei Jahre nach der Gründung und Loslösung der heutigen Ukraine von der ehemaligen Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (Sowjetunion/UdSSR), wurden im Jahre 1993 Vereinbarungen im Bereich des textilen Handels zwischen der Europäischen Gemeinschaft (EG) und der Ukraine getroffen. Um die politische Zusammenarbeit zu intensivieren, wurde zwei Jahre später die Mission of Ukraine to the European Communities gegründet (Delegation der Europäischen Union für die Ukraine 2016).
Im Jahre 1997 folgte die Unterzeichnung einer Kooperationsvereinbarung für bestimmte Stahlprodukte zwischen der Ukraine und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) (Delegation der Europäischen Union für die Ukraine 2016).
Das ein Jahr später, im Jahr 1998, in Kraft getretene Partnerschafts- und Kooperationsabkommens (PKA) hatte zum Ziel, die Demokratie und die Wirtschaftsentwicklung durch politischen Dialog und eine verstärkte Zusammenarbeit zu sichern und zu fördern (EUR-Lex 2010). Es dient als Fundament für die wirtschaftliche Zusammenarbeit im Bereich des Dienstleistungsverkehrs und der Niederlassungsliberalisierung sowie bei der Kollaboration im Hinblick auf die soziale Sicherheit (Europäische Kommission 1998).
Die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) besteht seit 2004 (Große Hüttmann, Wehling 2013: 144). Innerhalb der ENP kooperiert die EU mit sechzehn Nachbarländern, darunter mit der Ukraine. Das Ziel der ENP, ist die Stärkung und Verbesserung der Friedens-, Stabilitäts- und Wohlstandssituation in den beteiligten Ländern. Die Politik der ENP basiert dabei auf den Werten der EU, welche die Kooperationsländer anerkennen müssen. Um die ENP zu erreichen, unterstützt die EU die teilnehmenden Staaten finanziell, politisch und technisch (Jongberg, Damen, Legrand 2018: 2). Die seit 2009 bestehende Östliche Partnerschaft (ÖP) (Jongberg, Damen, Legrand 2018: 3) ist als Teilprojekt der ENP aufzufassen und koordiniert die Beziehungen zu sechs östlichen Partnerländern der EU, mitunter jene zur Ukraine. Die ÖP mit der Ukraine baut dabei auf dem 2017 in Kraft getretenen Assoziierungsabkommen auf (Jongberg, Damen, Legrand 2018: 1 f.). Ihr Ziel ist die Verbesserung der wirtschaftlichen Beziehungen sowie die Beschleunigung von Assoziierungsprozessen. Kennzeichnend ist, dass eine verstärkte Zusammenarbeit erst nach erfolgreicher Umsetzung von demokratischen Reformprozessen stattfindet (Jongberg, Damen, Legrand 2018: 2 f.).
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