Leseprobe
Gliederung
1. Einleitung
2. Die politische und wirtschaftliche Ausgangssituation
3. Die Volkserhebung
4. Der Wendepunkt: Der Beginn der Revolution
5. Fazit
6. Literatur- und Quellenverzeichnis
1. Einleitung
„Nach 300 Jahren war die Herrschaft der Romanovs beendet: dramatisch, chaotisch und blutig in Petrograd, wo es mehrere hundert Tote und über tausend Verletzte gab, unblutig und undramatisch im übrigen Reich“.1
Die Russische Revolution im Februar 1917 ist eine Revolution der Hauptstadt. Im Verlauf der Auflehnung bis hin zur Revolution schließen sich Moskau und alle anderen Städte des Reiches an; allen voran auch die Front. Binnen weniger Tage bricht das ganze zaristische System zusammen. Am 2. März 1917 dankt der Zar Nikolaus II. ab.2 Russland befindet sich seit 1914 im Ersten Weltkrieg mit Deutschland und Österreich. In dieser Zeit erleidet Russland an der Front immer wieder verlustreiche Niederlagen, wodurch die Stimmung im Reich kippt und die Missstände im Land zu einem großen Problem für das Regime werden.3 Daraus resultiert die Frage: Kann der Krieg und seine sozialen Folgen als Ursache oder Anstoß für die Revolution gesehen werden?
In der nachfolgenden Arbeit werde ich die politische und wirtschaftliche Ausgangssituation bedingt durch den Krieg schildern. In diesem Kapitel wird neben der finanziellen Lage des Reiches und seine Folgen für die Gesellschaft auf die Versorgungskrise und die immer schlechter werdenden städtischen Lebensund Arbeitsbedingungen eingegangen. Als Nächstes werde ich auf die Ereignisse in der Zeitspanne vom 23. bis 26. Februar eingehen und somit den Verlauf der Volkserhebung veranschaulichen. Daraufhin werde ich in dem letzten Kapitel den Wendepunkt der Geschehnisse und somit den Umschwung zur Revolution darlegen.
Um meine Frage beantworten zu können dienen mir vor allem das Werk von Helmut Altrichter „Russland 1917. Ein Land auf der Suche nach sich selbst“, Orlando Figes „Die Tragödie eines Volkes - Die Epoche der russischen Revolution 1891 bis 1924“ und Manfred Hildermeier „Die Russische Revolution 1905 - 1921“ als geeignete Nachschlagewerke, um die tatsächliche Ursache oder den Anstoß benennen zu können. Augenzeugenberichte und Telegramme aus dem Buch „Die Russische Revolution in Augenzeugenberichten“, herausgegeben von Richard Kohn, helfenmir dabei eine detailliertere Sicht auf die Geschehnisse zu bekommen und dienen somit als historisch fundierte Untermalung.
2. Die politische und wirtschaftliche Ausgangssituation
Im Jahr 1917 befindet sich Russland bereits im dritten Kriegsjahr. Obwohl die russischen Truppen ein paar wenige Fortschritte erzielen können, werden sie immer wieder zurückgeworfen. Die Fronten sind festgefahren und sie erleiden eine Niederlage nach der anderen. Mit der Zeit wird deutlich, dass die Armee, die Gesellschaft, die Wirtschaft und nicht zuletzt das ganze politische System Russlands nicht bereit ist für eine Kriegssituation dieses Ausmaßes.4
Durch den Krieg verursacht, werden mehrere Probleme verzeichnet, die die Aufstände und den Sturm auf die Autokratie im Februar 1917 erklären können. Die Kriegsfinanzierung bringt für die Wirtschaft und Gesellschaft destabilisierende Folgen mit sich. Um kriegsbedingte finanzielle Schwierigkeiten zu beheben nutzt das Zarenreich die Druckerpressen und stürzt das Land 1915 in eine verheerende Inflation, welche bis 1921 andauert. Bedarfsgüter werden für das Volk immer unerreichbarer, da das Militär den Großteil davon in Anspruch nimmt und die Preise für diese immer mehr steigen.5 Durch die Umstellung der Industrien auf Kriegsproduktion kommt es dazu, dass nicht ausreichend Fertigprodukte für die Landwirtschaft produziert werden und die Preise für diese in die Höhe schießen, wobei das Geld, welches der Bauer für sein Getreide bekommt immer wertloser wird. Die Bauernschaft weigert sich den Markt mit einer ausreichenden Menge an Getreide zu beliefern.6 Hieraus resultiert eine Versorgungskrise. Besonders im Norden Russlands bricht eine enorme Lebensmittelknappheit aus und die Löhne halten mit dem Preisanstieg nicht mehr die Waage.7
Der Krieg verursacht nicht nur den Anstieg der Preise und den Wertverlust der Löhne, sondern verlangt auch mehr Einsatz und Leistung der Bevölkerung ab. Die ohnehin schon hohen Arbeitsstunden in Russland steigen durch kriegsbedingte Veränderungen in der Wirtschaft. In den Metallindustrien sind es11 bis 12 Stunden und in den Textil- und Lederindustrien teilweise sogar höher. Auch das Verbot der Nachtarbeit für Frauen und Kindern wird ab 1915 aufgehoben und Überstunden werden zum Normalfall. Durch die mangelhafte Ernährung und die hohe Belastung der Arbeiter kommt es immer mehr zu Erkrankungen in den Werkhallen. Unter diesen katastrophalen Arbeitsbedingungen verschlechtert sich die Sicherheit, Hygiene und Gesundheit in den Fabriken.8 Durch die verlustreichen Niederlagen Russlands im Frühjahr 1915 sind auf den Dörfern kaum noch Männer anzufinden. Hier verrichten Frauen und Kinder die Feldarbeiten. Auch in den städtischen Fabriken müssen sie die fehlenden männlichen Arbeitskräfte ersetzen. In den Textil- und Leichtindustrien steigt die Anzahl der Arbeiterinnen um mehr als 110% wie vor Kriegsbeginn.9
Die immer größer werdende Versorgungskrise stellt jedoch das größte Problem dar und ist später der entscheidende Anstoß der Unruhen.10 Der früh eintretende Winter im Oktober 1916 führt in den Städten ebenso zu einem Versorgungsproblem. Durch die schlechten Wetterverhältnisse gestaltet sich der Transport, welcher ohnehin nicht optimal funktioniert, noch viel schwieriger. Die Bäuerinnen weigern sich aufgrund der Kälte und der Transportprobleme die Lebensmittel in die Stadt zu fahren. Hierbei gilt es eine millionenköpfige Armee und ebenso die Millionenstadt Petrograd mit Nahrung und Heizmaterial zu versorgen. Auch die See- und Flussanbindungen sind durch den Weltkrieg gesperrt, wodurch sich der Transport umso schwieriger gestaltet.11 Ab dem Herbst 1916 steigt das Ernährungsproblem in den Großstädten an und für die einfache Bevölkerung werden lebensnotwendige Nahrungsmittel wie Brot, Salz und Zucker immer teurer. Die Schlangen vor den Bäckereien werden immer länger und Streiks und Arbeitsniederlegungen fast schon zur Tagesordnung.12 Das Warenangebot in den Städten wird also zum Teil durch die Teuerung und zum anderen durch die Transportprobleme knapper. Aber auch das Fehlen der männlichen Arbeiter auf dem Acker und der Zugkraft, durch die Beschlagnahme der Pferde und der Männer für die Armee, trägt dazu bei, dass die Erträge zurückgehen. Im Februar 1917 ist es soweit, dass die Tagesration Brot pro Person auf ein Pfund reduziert werden muss.13
Ein weiteres Problem stellt die Mobilisierung der Millionenarmee Russlands dar. Hierfür werden vor allem die Bauern als Soldaten an die Front gerufen, welche unter schlechten Bedingungen, ohne jegliche bürgerliche Rechte und mit miserabler Ausrüstung dort in den Tod geschickt werden. Auch Männer über 40, die bereits ihren Dienst dem Militär gegenüber geleistet haben müssen Ende 1916 erneut an die Front. Auch hier steigt der Ärger in der Bevölkerung, da viele junge Männer sich aus dem Militärdienst durch ihre besondere Stellung problemlos entziehen können.14 Die Armee Russlands besteht hauptsächlich aus Bauern, die indie Rolle von Soldaten gesteckt und von Adligen angeführt werden. Aufgrund der vielen Niederlagen und der Unfähigkeit der zaristischen Verwaltung müssen Millionen von Bauern in den ersten Kriegsjahren mit ihrem Leben bezahlen. Dass die Begeisterung und die patriotische Einstellung des Volkes im dritten Kriegsjahr nicht mehr präsent ist und man sich ein baldiges Ende des Krieges wünscht ist nicht mehr zu übersehen.15
Durch die Abwesenheit des Zaren vom Zentrum des Geschehens, leidet die Zarenherrschaft an einem erheblichen und folgenreichen Vertrauensverlust. Dieser entscheidet sich die militärische Befehlsmacht vollständig zu übernehmen, erzielt dabei jedoch keinen Erfolg und schwächt somit seine Position. Auch im Winter 1916/17 ist kein Ende des Krieges in Sicht. Im Reich kommt es währenddessen zu immer wechselnden Ministerpositionen, welches die Beständigkeit und somit die Glaubwürdigkeit der Regierung ebenso in Frage stellt. Die Lage an der Front verhärtet sich, die wirtschaftlichen Probleme im Innern werden immer größer.16
Bereits in dem Jahr 1916 ist durch mehrere Vorfälle zu erkennen, dass die Stimmung im Land kippt und die Stabilität des Reiches an wichtigen Stellen große Schäden erleidet. Unter dem Volk ist eine antidynastische Stimmung zu verkennen und laut Polizeiberichten wird deutlich, dass schon im Oktober 1916 ein kritischerer Zustand auf den Straßen herrscht als in der Revolution 1905.17
3. Die Volkserhebung
Es kommt zu immer mehr Streiks, verursacht durch das Misstrauen in die Politik, durch fehlende Beständigkeit und aufgrund der wirtschaftlichen Lage, welche zu Existenzverlust und Hungersnot führt.
Anfang 1917 hat sich die Versorgungslage drastisch zugespitzt. Viele Läden müssen schließen, da sie nicht mehr beliefert werden können. Zudem steigen die Lebensmittelpreise bis zu 100 Prozent an. Am 9. Januar 1917, dem Jahrestag des „Blutsonntags“, kommt es zu ersten Massendemonstrationen. Mehr als 40 Prozent der Petrograder Arbeiterschaft beteiligt sich daran. Dieses Ausmaß gleicht in manchen Stadtteilen einem Generalstreik. Die hohe Anteilnahme führt zur Planung weiterer Demonstrationen. Am 14. Februar erhofft man sich durch einen Aufstand die Abgeordneten der Duma davon zu überzeugen sich gegen die Autokratie zu stellen, um somit die vorherrschenden Missstände wieder zu beheben. Hoffend dadurch eine Massendemonstration zu verhindern, zerschlägt die Autokratie diese Pläne bereits Ende Januar durch die Festnahme der involvierten Arbeitergruppe. Tatsächlich kommt es dennoch zu einer Demonstration mit rund 84.000 Arbeitern, welche sich aus 52 Fabriken und Werkstätten zusammenschließen. Obwohl die Polizei in der Lage ist die Gegend um die Duma abzuriegeln und zu sichern, setzt die Bevölkerung ein Zeichen. Es wird deutlich, wie einfach sich mehrere tausende Bürger zusammenfinden und sich gegen die Autokratie öffentlich auflehnen wollen. Von diesem Moment an kommt es fortlaufend zu immer weiteren Demonstrationen. Am 15. Februar der Streik der Arbeiter des Izora-Rüstungsbetriebs, am 16. Februar streikt das Metallwerk Ajvaz, am 17. Februar beginnt der Streik der Putilov-Werke; dem größten Rüstungsbetrieb der ganzen Stadt.18
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1 Bonwetsch, Bernd: Die Russische Revolution 1917. S.123.
2 Vgl. ebd. S. 120.
3 Vgl. Hildermeier, Manfred: Die Russische Revolution 1905-1921. S.118f.
4 Vgl. Altrichter, Helmut: Russland 1917. Ein Land auf der Suche nach sich selbst. S.101.
5 Vgl. Aust, Martin: Die Russische Revolution. Vom Zarenreich zum Sowjetimperium. S.89.
6 Vgl.Schröder, Alfred: Das Revolutionsjahr 1917. S.11.
7 Vgl. Aust, Martin. S. 90.
8 Vgl. Hildermeier, Mannfred. S.120.
9 Vgl. ebd. S.118.
10 Vgl. ebd. S.120.
11 Vgl. Schröder, Alfred. S.9f.
12 Vgl. ebd. S.11.
13 Vgl. Hildermeier, Mannfred. S.120f.
14 Vgl. Schröder, Alfred. S.11f.
15 Vgl. ebd. S.15.
16 Vgl. Altrichter, Helmut. S.107.
17 Vgl. Aust, Martin. S.90.
18 Vgl. Altrichter, Helmut. S.111f.