Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsherleitung und -klärung - „Konzentrationslager“
3. Kontexte der kolonialen und nationalsozialistischen Lager
3.1. Der Krieg in Deutsch-Südwestafrika (1904 bis 1908)
3.2. Kontext und grundlegender Wandel der Lager im Nationalsozialismus(1933-1945)
4. Die Zwecke der Lager im Vergleich
4.1. Militärischer Zweck der Lager
4.2. Verhältnis von Erziehung und Arbeit
4.3. ÖkonomischerZweckderZwangsarbeit
4.4. Vernichtungsintention in den Lagerkontexten
5. Fazit
Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Der Nationalsozialismus (im Folgenden mit NS abgekürzt) und seine Verbrechen besitzen nach wie vor Präsenz im kollektiven Gedächtnis der deutschen Gesellschaft. Als die Institution des Staatsterrors wurden die Konzentrationslager in der Zeit von 1933 bis 1945 zu einem regelrechten Netz ausgebildet. So blieb kaum eine Region im deutschen Herrschaftsgebiet von einem dem KZ-System zugehörigen Lager verschont, (vgl. Kotek; Rigoulot, 2001, S.271). Unter den Bezeichnungen wie Arbeitserziehungslager, Sonderlager, Polizeihaftlager, Zwangsarbeitslager, Jugendschutzlager, Ghetto oder eben Konzentrationslager geführt, verband sie dieselbe Funktionslogik und stehen stellvertretend für die „Unterdrückung, Misshandlung, Ausbeutung und Vernichtung“ (vgl. Benz; Distel, 2005 S.7) unter nationalsozialistischer Herrschaft. Doch sind die Konzentrationslager keine „Erfindung“ der Nationalsozialisten gewesen. Vielmehr entstammen sie einer weitverbreiteten Praxis kolonialer Kriegsführung. Nicht einmal drei Jahrzehnte vor der Machtergreifung Hitlers wurden Konzentrationslager im deutschen „Schutzgebiet“ Deutsch-Südwestafrika (im Folgenden mit DSWA abgekürzt) errichtet. Die im Kontext des Herero-Aufstandes von 1904 entstandenen und unter selbigem Namen geführten Lager werfen die Frage auf, inwieweit die beiden Lagersysteme ähnliche Zwecke verfolgten und ob sich hinsichtlich dieser, eine Kontinuitätslinie aus dem kaiserlichen Konzentrations-Lagersystem in der „Schutzzone“ Deutsch-Südwestafrika kurz nach der Jahrhundertwende in den Nationalsozialismus hineinführen lässt beziehungsweise welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede auszumachen sind.
Inwieweit gleichen sich die mit den Lagern in Deutsch-Südwestafrika und im Nationalsozialismus verfolgten Zwecke?
Die beiden Lagersysteme werden im Folgenden kurz im Lichte ihrer Zeit kontextualisiert, bevor sie hinsichtlich ihrer „Zweckmäßigkeiten“ beziehungsweise der dahinterstehenden Intentionen kontrastiert werden.
Bereits kurz nach dem Ende des Nationalsozialismus bemühten prominente Zeitgenossen wie Aimé Césaire, W.E.B. DuBois und Hannah Arendt die Verknüpfung von Kolonialismus und Faschismus, dennoch blieb eine wissenschaftliche Einigkeit in der Frage, ob eine direkte Kontinuitätslinie „von Windhuk nach Auschwitz“ (Zimmerer, 2011, S.1) führt aus. Der entstandene Diskurs hat trotz vielzähliger Beiträge, überwiegend aus dem deutschen, britischen, französischen und amerikanischen Raum stammend, keineswegs zum Konsens in dieser Frage geführt. Doch nicht nur der Historiker Jürgen Zimmerer, der als wohl als prominentester Vertreter der Debatte zu nennen ist, konstatiert in Deutsch-Südwestafrika „bereits Anfänge einer bürokratischen Form der Vernichtung im Lager“ und somit eine „Form des Massenmordes, wie sie für den Holocaust als kennzeichnend betrachtet wird“(Zimmerer, 2016, S.63).
Der US-Amerikaner Benjamin Madley erkennt im wohl bekanntesten Lager DeutschSüdwestafrikas auf der Haifischinsel, gar ein „grobes Modell für die spätere NaziVernichtungslager [...] wie Treblinka und Auschwitz, deren primärer Zweck die Ermordung war“ (Madley, 2005, S. 446). Gegen die These stellt sich Jonas Kreienbaum, der insbesondere eben jenen „Vergleich zu den nationalsozialistischen Vernichtungslagern zurückzuweisen“
(Kreienbaum,2015, S. 294) bemüht. Auch Birthe Kundrus erklärt „bei näherem Besehen wie aus zeitlicher Distanz“ einen Zusammenhang zwischen den Gewalttaten als „nicht unmittelbar evident“ (Kundrus, 2005,S.82). Der Diskurs spaltet sich vor allem entlang der Bruchlinie der Vernichtungsintention.
Die Untersuchung der Vernichtungsintention wird daher ebenso wie das Verhältnis von Erziehung und Arbeit und die mit der Zwangsarbeit verfolgten, ökonomischen Zwecke den Kern der Arbeit bilden. Der Ausdifferenzierung der Heterogenität des Begriffes „Konzentrationslager“ wird mit Blick auf die Zweckmäßigkeit der Lager nachgekommen. Die Auseinandersetzung damit soll final untersuchen, ob mit der sprachlichen Gleichsetzung der Konzentrationslager in Deutsch-Südwestafrika und der im Nationalsozialismus eine Kontinuitätslinie verfolgt werden kann oder die assoziative Gleichheit eine problematische ist.
2. Begriffsherleitung und -klärung - „Konzentrationslager“
Als zentraler Begriff dieser Arbeit fungiert der des „Konzentrationslagers“. Entsprechend soll dieser im Folgenden kurz hergeleitet und anschließend definiert werden, bevor er im Weiteren Anwendung findet. Während fachfremd mit den Konzentrationslagern häufig all jene Einrichtungen assoziiert werden, die im Nationalsozialismus in der Zeit von 1933 - 1945 der konzentrierten Inhaftierung, Erziehung und Ermordung der politischen Feinde dienten, wird der Begriff des Konzentrationslagers beziehungsweise der des concentraron camps bereits in der Kolonialzeit geläufig.
Als begrifflicher Wegbereiter kann der spanische General Valeriano Weyler y Nicolau verstanden werden. Zu Beginn des Jahres 1896 zum Generalkapitän des seit dem frühen 16. Jahrhundert sich im spanischen Kolonialbesitzes befindlichen Kubas beordert, wurde es ihm zum Ziel gesetzt, den ausgebrochenen Unabhängigkeitskrieg niederzuschlagen. Weyler sprach kurz nach Amtsantritt einen „Konzentrationsbefehl“ aus, mit welchem er die Landbevölkerung zwang, binnen acht Tagen Zuflucht in den Städten zu suchen, um nicht selbst Opfer des Anti-Guerillakampfes zu werden. Die Maßnahme der „Konzentrierung“ der Zivilbevölkerung in den Städten verfolgte das militärische Ziel, die Grundlage der Kriegsführung, das freiwillige oder unfreiwillige Überlassen von Nahrung, Informationen und anderen Hilfeleistungen an die Guerillakämpfer, zu unterbinden. Da in den Städten die Versorgung der bis 1897 auf 400.000 reconcentrados angestiegenen Masse an (Zwangs-)Umgesiedelten durch die unzureichend angelegten Anbauzonen in unmittelbarer Nähe der 80 Rekonzentrationszentren nicht ausreichte, führte das folgliche Dahinsterben in den hoffnungslos überfüllten Städten nicht nur zur Abkommandierung Weylers aus Madrid, sondern auch zur „humanitären Intervention“ (Kreienbaum, 2015, S.30) der US-Truppen und anschließend zur Übernahme Kubas durch eben jene. Doch besonders in den nach dem spanisch-amerikanischen Krieg ebenfalls übernommenen Philippinen wurde die Konzentrationspolitik als militärische Problemlösungs-Schablone für Konflikte mit Aufständischen adaptiert und angewandt, (vgl. Kreienbaum, 2015, S.27ff)
In Abgrenzung zur Unterbringung oder Einquartierung in Ortschaften entwickelten die Briten in ihren kolonialen Herrschaftsgebieten, insbesondere in Südafrika, eigene camps zur provisorischen und behelfsmäßigen Unterbringung von Internierte, die entlegen der Städte zumeist im Freien errichtet wurden. Schließlich erhielt der Begriff auch in der noch jungen deutschen Kolonialpolitik und -spräche, erstmalige Explikation durch Bernhard von Bülow im Jahre 1905, Einhalt und wurde aus dem Englischen in Übersetzung und in grundlegender Funktionsweise adaptiert, (vgl. Kreienbaum, 2015, S.24f)
Da die Begrifflichkeit „Konzentrationslager“ den Niedergang des Deutschen Kaiserreiches überdauerte und auch im Nationalsozialismus für die in diesem betriebene Lager Anwendung findet, ist er, um mit der Suggestion einer Gleichsetzung zu brechen, methodologisch zunächst auf einen Kern zu reduzieren.
Somit ist im Folgenden, nah an der wörtlichen Übersetzung aus dem Englischen „concentration camp“ , mit der Verwendung des Terminus „Konzentrationslager“ zunächst einzig die „konzentrierte“ und zwanghafte Internierung von Menschen in zweckmäßig eigens dafür errichteten Lagern gemeint.
3. Kontexte der kolonialen und nationalsozialistischen Lager
Die mit den Lagerkomplexen verfolgten Zwecke lassen sich nur verstehen, wenn sie im Lichte ihrer Zeit kontextualisiert werden. So gilt es zunächst zu klären, welche Auseinandersetzung mit den Herero und Nama zur Errichtung der Lager und Internierung dieser führte und welchen Wandel die nationalsozialistischen Lager konstituieren.
3.1. Der Krieg in Deutsch-Südwestafrika (1904 bis 1908)
Das Deutsche Kaiserreich war vergleichsweise spät (1884) in den Kreis der Kolonialmächte gerückt. Erste deutsche private Handelsniederlassungen in Togo, Kamerun und Südwestafrika schlossen Schutzverträge mit einheimischen Herrschern. Da sowohl die administrativen und ökonomischen als auch die exekutiven und judikativen Herausforderungen für die Händlerniederlassungen nicht zu bewältigen waren, entwickelte sich eine immer stärkere aus Berlin geführte Kolonialbürokratie. Hierbei federführend war die eigens dafür eingerichtete Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes, (vgl. Benz, 2006, S.30f)
In Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, trieb der imperialistische Drang auch die Herero, ein Volk von etwa 80.000 Halbnomaden, und die 20.000 Menschen umfassenden Nama entgegen ihrer Widerstände (vgl. Kreienbaum, 2015, S.57ff) in Schutzverträge mit dem Kaiserreich. Während die in DSWA aktive Rheinische Missionsgesellschaft den „soziokulturellen Wandel“, langsam vorantreiben wollte, forcierte die Regierung in Person von Gouverneur Leutwein Landnahmepolitik beziehungsweise Enteignungspolitik, sowie willkürliche in der Sprachregelung der Kolonialherren als „väterliche Züchtigung“ (Benz, 2006, S.34) ausgewiesene Prügelstrafen, zur Durchsetzung ihrer imperialistischen Ziele. Der Ausbau des Bahnnetzes durch verbliebenes Stammesland und die Forderung nach unentgeltlicher Abtretung von Land- und Wasserrechten erschöpfte bei den Herero und Nama jedwede Hoffnung auf Besserung, (vgl. Benz, 2006, S.35ff)
Ökonomisch ausgebeutet und gedemütigt erhoben sich die Herero im Januar 1904. Ein Kolonialkrieg mit verlustreichen und blutigen Kämpfen begann. Der im Juni des selbigen Jahres nach Deutsch-Südwestafrika kommandierte Nachfolger Leutweins, Generalleutnant Lothar von Trotha, setzte nach dem Ausrufen des Kriegszustandes die völlige Unterwerfung und Expropriation der Herero zum Ziel. Der Krieg gipfelte in der Schlacht um den Waterberg am11. August 1904, aus welcher die eingekesselten Herero-Krieger in die Omaheke-Wüste fliehen konnten. Die Verfolgung der Herero wurde im Oktober abgebrochen und von Trotha erließ am 2. Oktober 1904 im Namen des „Rassenkrieges“ (zit. n. Zimmerer, 2011, S.272) seinen berüchtigten „Vernichtungsbefehl“, der in der Debatte maßgeblich und häufig als Genozid-Befehl interpretiert wird. Weiter: „Die wasserlose Omaheke sollte vollenden, was die deutschen Waffen begonnen hatten, die Vernichtung des Hererovolkes.“ (Generalstab 1904,zit. n. Kreienbaum, 2015, S.69). Eine Intervention des
Reichskanzler Bernhard von Bülow als Folge einer kritischen Presse und Debatten im Reichstag verordnete eine sofortige Beendigung der Verfolgung und Vernichtung des Herero-Volkes an, an deren Stelle traten fortan die zu diesem Zweck neuerrichtete Konzentrationslager, die das Leben aller Herero fortan bestimmten und dem Sterben kein Ende bereiteten.
Das sich aus vielen Fraktionen zusammensetzende Nama-Volk schloss sich unter ihrem Führer Witboi am 3. Oktober 1904 dem „Aufstand“ an. Im Gegensatz zum Krieg gegen die Herero wurde gegen die Nama keine Vernichtungspolitik angewandt. (vgl. Kreienbaum, 2015, S. 81) Die Nama leisteten 2,5 Jahre erfolgreich Widerstand, ehe mit den bis dahin noch nicht internierten Fraktionen ein Friedensvertrag geschlossen wurde, wodurch all jene, welche bis dahin noch nicht in Lager(-haft) gebracht wurden, von einer Internierung verschont blieben, (vgl. Kreienbaum, 2015, S. 81ff)
Der damit beendete Krieg in Deutsch-Südwestafrika kostete nach Schätzungen bis zu 80 Prozent der 80.000 Herero und bis zu 50 Prozent der 20.000 Nama das Leben. „Ein substanzieller Anteil davon starb in den sogenannten Konzentrationslagern“ (Kreienbaum, 2015, S.85), welche in den Ortschaften Swakopmund, Karibib, Omaruru und Windhuk, sowie auf der Haifischinsel nahe Lüderitzbucht eigens für die Internierung der Herero und Nama errichtet wurden.
3.2 Kontext und grundlegender Wandel der Lager im Nationalsozialismus (1933-1945)
Mit der Machtergreifung Hitlers 1933 und dem Willen zur schnellen und rücksichtslosen Durchsetzung machtpolitscher Ambitionen bildete sich das Lagersystem im Nationalsozialismus (NS) schnell zu einer tragenden Säule im Herrschaftssystem aus, welche im Bestehen einem erheblichen Wandel hinsichtlich Funktion und Gestalt unterzogen wurde.
Eine Periodisierung der Lager-Geschichte im NS wird in der Wissenschaft verschiedenartig vorgenommen. Orth zieht zur chronologischen Unterscheidung der Lager eine Trennlinie entlang der Funktionen der Lager. Kotek und Rigoulot hingegen unterscheiden unter Berücksichtigung der Häftlingsgruppen zwischen der nationalen Phase (1933 - 1938) und der mit Kriegsbeginn eintretenden Internationalisierung der Lager (1938 -1945).
Den Grundstein für die willkürliche Instrumentalisierung von Haftanstalten im Allgemeinen und den immensen Ausbau des Lager-Systems unter dem Hakenkreuz legten die Nationalsozialisten infolge des Reichstagsbrandes vom 27. Februar 1933. Schon am Tag darauf bewegte Hitler Reichspräsident Hindenburg dazu, eine „Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat“ nach Artikel 48, Absatz 2 der Weimarer Reichsverfassung zu erlassen. Diese verfolgte „die Absicht, einen rechtlichen Rahmen für Internierungen ohne objektiven und triftigen Grund zu schaffen, und das Ziel jede beliebige Person ohne Richterspruch [...] hinter Stacheldraht verschwinden lassen zu können“ (Kotek; Rigoulot, 2001, S.271).
In der beginnenden nationalen Phase wurden nunmehr politische Feinde, zunächst Kommunisten später auch Sozialisten und Anhänger religiöser Glaubensgemeinschaften überwiegend schon präventiv in „Schutzhaft“ genommen und Massen in erste Lager verfrachtet, welche in Eile errichtet in allen Regionen Deutschlands entstanden und zunächst fast ausschließlich Deutsche gefangen hielten, (vgl. Kotek; Rigoulot, 2001,S.271) Die ersten Konzentrationslager waren in dieser Zeit „Schutzhaftabteilungen“ der Polizei - und Justizgefängnissen. Eine angestrebte Vereinheitlichung der Lagerkomplexe brachte der folgenschwere Entschluss Hitlers, die Konzentrationslager unter Herrschaft von Heinrich Himmler und der ihm unterstellten Schutzstaffel (SS) auszubauen (1935). Diese Vereinheitlichung wurde am KZ-Vorbild Dachau vollzogen, bevor mit der Eröffnung Sachsenhausens (1936), dieser auf Dauer angelegte Lagertypus für alle ihm folgenden als Muster diente, (vgl. Benz/Distel, 2005, S.30ff)
In der internationalen Phase beginnend mit dem Einmarsch der Deutschen in Österreich (1938) und der Tschechoslowakei (1939) wurden neben den Regimegegnern nun auch Millionen Männer und Frauen aus den besetzten Gebieten Europas in Lager interniert. Kennzeichnend für die internationale Phase sind neben einer massiven Vergrößerung und Erweiterung des Kreises der Häftlingsgruppen „zur Durchsetzung einer rassistischen Bevölkerungspolitik“ (Orth, 1999, S.100) vor allem die Tatsache, dass mit dem länger als erwartet andauernden Kriege die Häftlinge produktive Arbeit zu leisten hatten und fortan nicht mehr damit rechnen konnten aus den Lagern entlassen zu werden, (vgl. Orth, 1999, S.106f) Der Anteil der in den nationalsozialistischen Lagern internierten Deutschen sank bis zur Befreiung durch die Alliierten in den Frühlingsmonaten 1945 auf fünf bis zehn Prozent, (vgl. Kundrus, 2006, S.58)
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