"They don’t do this in America. They do this in Europe". Die Darstellung des 'Eigenen' und 'Fremden' in der Stand-Up-Comedy anhand von Gad Elmalehs "Gad Gone Wild" und "American Dream"


Bachelorarbeit, 2019

37 Seiten, Note: 1,1


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

BILDAUSSCHNITTSVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG

2 BESONDERHEITEN DER STAND-UP-COMEDY
2.1 ZUM GENRE
2.2 STAND-UP ALS INTERAKTION

3 KONSTRUKTION DES ,EIGENEN‘ UND ,FREMDEN‘
3.1 „C'EST TELLEMENT DIFFERENT DE CE QUI SE PASSE EN EUROPE“ ABGRENZUNG DES ‘FREMDEN' VOM ‘EIGENEN'
3.1.1 VERBALE, PARAVERBALE UND NONVERBALE ABGRENZUNG
3.1.2 KULTURELLE BEZUGSGRÖSSEN
3.2 „AMERICANS ARE LIKE. AND FRENCH ARE LIKE." ZUSCHREIBUNG VON EIGENSCHAFTEN
3.2.1 ZUSCHREIBUNGEN
3.2.2 VORURTEILE ODER REALE UNTERSCHIEDE?

4 FUNKTION VON HUMOR, KOMIK UND LACHEN IN DER DARSTELLUNG DES ,EIGENEN‘ UND ,FREMDEN‘
4.1 LACHEN ÜBER DAS ,EIGENE‘
4.2 LACHEN ÜBER DAS ,FREMDE‘
4.3 GEMEINSAMES LACHEN

5 FAZIT

6 QUELLENVERZEICHNIS
6.1 FILMMATERIAL
6.2 MONOGRAPHIEN, SAMMELBÄNDE UND LEXIKA
6.3 PRINT- SOWIE ONLINEZEITUNGS- UND ZEITSCHRIFTENARTIKEL

7 ANHANG
7.1 ABBILDUNGEN

BILDAUSSCHNITTSVERZEICHNIS

Bildausschnitt 1: ,Der Franzose' 1 in American Dream [00:20:01] 13

Bildausschnitt 2: ,Der Amerikaner' 1 in American Dream [00:02:01] 13

Bildausschnitt 3: ,Der Franzose' 2 in Gad Gone Wild [00:26:36] 20

Bildausschnitt 4: ,Der Franzose' 3 In Gad Gone Wild [00:29:04] 20

Bildausschnitt 5: ,Der Amerikaner' 2 In Gad Gone Wild [00:05:14] 20

Bildausschnitt 6: ,Der Amerikaner' 3 In American Dream [00:34:59] 20

Bildausschnitt 7: Unverständnis 1, Gad Gone Wild [00:04:29] 30

Bildausschnitt 8: Unverständnis 2, Gad Gone Wild [00:04:33] 30

1 EINLEITUNG

In Frankreich längst prominent, füllt der „superstar stand-up"1 Gad Elmaleh heute mit seinen Shows Hallen rund um den Globus. In nordamerikanischen Medien ist er bereits als „[t]he French Jerry Seinfeld ”2 bekannt, seit er in den USA mit seiner ersten englisch­sprachigen Stand-Up-Tour Oh my Gad erfolgreich seine US-amerikanische Karriere be­gann. Geboren und aufgewachsen in Casablanca, ging er mit 17 Jahren für sein Studium der Politikwissenschaft nach Montreal, zog später nach Paris, um dort Schauspiel an der Cours Florent zu studieren, wo er sich als Regisseur, Schauspieler und schließlich Stand­Up-Comedian einen Namen machte. Heute ist er sogar im Besitz aller drei Staatsbürger­schaften.3

Trotz seines Erfolges in Frankreich entschied er sich 2015 schließlich für einen Neu­anfang auf dem nordamerikanischen Kontinent, wo er bis dahin nur vereinzelt in Filmen wie Midnight in Paris (2011)4, The Adventures of Tintin: The Secret of the Unicorn (2011)5 oder Jack and Jill (2011)6 auftrat, als Stand-Up-Comedian allerdings kaum bekannt war. Seine Erfahrungen als Neuankömmling, als „immigré"7 in den USA verarbeitet er in sei­nen beiden neueren Stand-Up-Shows Gad Gone Wild 8 , aufgeführt 2017 auf Französisch in Montreal, und American Dream 9 , aufgeführt 2018 auf Englisch in New York. Er schil­dert seine Probleme mit der englischen Sprache, wundert sich über ,Food Contests' und ,All you can eat‘, den überfreundlichen Service und Baseball. „[O]n est fasciné par l'Amérique. Il faut être honnête. On aime l'Amérique, on est fasciné“10, wie der Comedian zugibt. So wird also neben seinem Unverständnis auch seine Begeisterung für die US-amerikanischen Eigenheiten in den Shows auf humoristische Weise präsen­tiert. Dennoch sind nicht nur die USA Thema, sondern auch der Comedian selbst, die Pariser, die Europäer, die Marokkaner oder auch die Quebecer werden zu Zielen seines Humors.11

Hierbei bedient er sich unterschiedlichster verbaler, paraverbaler und nonverbaler Mittel, um die Konfrontation zwischen dem, was er als das ,Eigene‘, das ihm Bekannte, und dem, was er als ,fremd‘ konstruiert, in seinen Shows umsetzt. Was genau er als das ,Eigene‘ und was als das ,Fremde‘ betrachtet ist keinesfalls stabil. Zwar sind es haupt­sächlich die US-Amerikaner, die für ihn das ,Fremde‘, das ,Andere‘ bedeuten, dennoch werden dabei immer wieder die Grenzen verschoben. Stärker noch geschieht dies mit dem Abstraktum des ,Eigenen‘, das zwischen Individuum und Kollektiv schwankt und damit noch weniger auf einer Konstante zu basieren scheint. Auf ebendiese differieren­den Konstruktionen wird sich die Untersuchung dieser Arbeit fokussieren.

Obgleich die beiden Shows bezüglich der Themen größtenteils übereinstimmen, gibt es deutliche Unterschiede in der Darstellung seiner Beobachtungen und Erlebnisse. So kann American Dream als Adaptation12 von Gad Gone Wild angesehen werden, wobei „die Integration des importierten Kulturgutes in den kulturellen bzw. den Bildungshorizont des individuellen Rezipienten[, hier in erster Linie des jeweiligen Live-Publikums,] not­wendig zu Veränderungen in der Struktur [führt]“13. Die Frage nach dem Einfluss des Publikums auf den Inhalt und die ,Performance‘ des Comedians spielt dabei also keine marginale Rolle.

Hierzu sollen zunächst die Besonderheiten der Stand-Up-Comedy im Vergleich zu anderen Comedy-Formaten wie Theater- oder Filmkomödien erläutert werden sowie die besondere Beziehung zwischen dem Stand-Up-Comedian und seinem Publikum. Daraufhin folgt der Hauptteil der Untersuchung, der in zwei Kapitel untergliedert ist. Das erste dieser beiden Kapitel umfasst die Betrachtung der Mittel und Vorgehensweise Gad Elmalehs zur Konstruktion des .Eigenen' und ,Fremden‘. Dabei stehen die Verfah­ren der ,Abgrenzung‘ und ,Zuschreibung‘ im Vordergrund. Im zweiten Kapitel werden darauf aufbauend die Funktionen von Komik, Humor und Lachen anhand bekannter Humortheorien sowie weiterer Ansätze der Humorforschung bei der Konstruktion ana­lysiert.

2 BESONDERHEITEN DER STAND-UP-COMEDY

2.1 Zum Genre

Bei der Stand-Up-Comedy, kurz Stand-Up, als Subgenre der humoristischen Unterhal­tung, tritt in der Regel eine einzige Person vor einem Live-Publikum auf, wobei der Auf­tritt aus einer „succession of funny stories, one-liners or short jokes, and anecdotes“14 besteht „which are often called ‘bits', in order to make their audience laugh”15. In den Anfängen noch auf den Live-Auftritt selbst begrenzt, begann mit der zunehmenden glo­balen Mediatisierung und dem Aufstieg des Stand-Ups in den 1960ern auch die Über­tragung über Medien wie Hörfunk und Fernsehen, bis die Stand-Up-Comedy schließlich zu einem der verbreitetsten humoristischen Formen der öffentlichen Unterhaltungs­branche wurde.16

Inhaltlich reicht der Stand-Up heute von der gesellschaftskritischen Satire bis hin zum sogenannten Shit Talk, dessen Ziel allein auf das Evozieren von Lachen begrenzt ist. Den­noch sind alle Stand-Up-Shows, unabhängig der Seriosität ihrer Themen, geprägt von Informalität und - zumindest augenscheinlich - Planlosigkeit und Spontanität. Ele­mente, die offensichtlicher Vorbereitung bedürfen, wie musikalische Begleitung, Kos­tüme, Requisiten oder gebundene Sprechweisen, z.B. Reime17, fehlen hier normalerweise oder sind auf ein Minimum reduziert. Stattdessen ist die Sprache weitestgehend betont natürlich, Stottern, Sprechpausen, Füllwörter und falsche Satzanfänge werden zum Teil sogar absichtlich eingesetzt, um eine Improvisation zu suggerieren, wenngleich sich der Zuschauer durchaus bewusst ist, dass es sich nicht um eine solche handelt.18

Ebenso besonders ist die Gegebenheit des Stand-Up-Comedians alleiniger Performer, der mehrere Rollen gleichzeitig übernehmen muss, ohne dabei auf besondere Hilfsmittel zurückgreifen zu können. Charakterisierungen erfolgen ausschließlich über Mimik, Ges­tik, Stimmveränderungen usw., nicht aber etwa durch Make-Up, Kostüme oder Gegen­stände, wie es beispielsweise beim Theater üblich ist. Entsprechend normal fällt die Klei­dung des Comedians aus, sodass dieser leicht in andere Rollen übergehen kann, und auch das Bühnenbild ist möglichst unspezifisch, um den ständig wechselnden Orten der Erzählungen eine neutrale Grundlage zu bieten. In manchen Fällen wird dem Comedian lediglich ein Stuhl oder ein Tisch bereitgestellt, sonst steht auf der Bühne nichts bis auf ein Mikrophon, das dadurch sogar zum repräsentativsten Symbol für die Stand-Up-Co­medy wurde.19

2.2 Stand-Up als Interaktion

Eines der wichtigsten Merkmale der Stand-Up-Comedy - insbesondere vor dem Hinter­grund der in dieser Arbeit erfolgenden Analyse - ist das besondere Verhältnis zwischen Comedian und Publikum. Trotz räumlicher Distanz - der Comedian stehend auf der Bühne, sein Publikum sitzend davor - sowie des theoretischen Redemonopols des Co­medians, gibt es einen erkennbaren Austausch zwischen den beiden Parteien, den Bro­die gar als „Dialog“20 bezeichnet. Das Publikum kann auf den scheinbaren Monolog mit Applaus, Buhrufen, Zwischenrufen und vor allem mit Lachen reagieren. Dieses Feed­back hat einen unmittelbaren Einfluss auf die Show des Comedians, der darauf spontan antworten oder zumindest seinen vorbereiteten Text anpassen kann. Hierin besteht ein deutlicher Unterschied zu Film- oder auch Theaterkomödien, die zwar bei ihrer Adap­tation ebenso an das vorgesehene, nicht aber an das tatsächlich anwesende Publikum angepasst werden können. Diese Flexibilität und Spontanität ist ein maßgebendes Ele­ment der Stand-Up-Comedy und wird verstärkt durch die Möglichkeit des Comedians mit einzelnen Personen aus dem Publikum zu interagieren, mit ihnen sogar eine richtige Unterhaltung zu führen, die dann von echter Improvisation zeugt.

Insbesondere Letzteres dient der Stiftung von Intimität, von Vertrautheit zwischen beiden, indem der Comedian sich als nahbar, als ,einer von ihnen' inszeniert. Unterstützt wird diese Vertrautheit auch durch die bereits genannten Aspekte wie der lockeren, um­gangssprachlichen Ausdrucksweise, aber auch der unauffälligen Kleidung, durch die er sich nicht einmal optisch von seinem Publikum unterscheidet. Wichtiger noch für die Vertrautheit ist jedoch „the creation of a persona and a performed autobiography that helps situate the performer in relation to the audience and thus establish rapport despite sociocultural distances“21 unterstützt durch „quickly establishing a perspective and re­lating that perspective to that of the audience”22. Dies kann durch das Erzählen von all­täglichen Erlebnissen geschehen, die für alle nachvollziehbar, vorstellbar sind oder den eigenen Erfahrungen vielleicht sogar entsprechen. Um solch einen gemeinsamen Rah­men zu entwickeln ist die Themenwahl und die Art und Weise der Stellungnahme zu den ausgewählten Themen auf die Wünsche, Gewohnheiten, auf die Mode sowie auf wichtige politische und gesellschaftliche Ereignisse des Publikums abgestimmt.

Solche Methoden sind auch von anderen Ausdrucksformen bekannt. Rutter benutzt daher zur Beschreibung dieses beidseitigen Einflusses von Comedian und Publikum auf die letztendliche Performance den Begriff der „collaborative production“23, ein Begriff aus der Konversationsanalyse, und knüpft damit an Brodies Betrachtungsweise des Stand-Ups als Dialog an. Umgekehrt kann hier Goffmans Werk The presentation of self in everyday life herangezogen werden, in welchem er jede alltägliche Interaktion als eine „performance“24 behandelt und knapp formuliert: „[w]e all are a role“.25 Demzufolge kann eine Stand-Up-Show in Teilen wie eine alltägliche Unterhaltung untersucht und in ihnen ähnliche Verhaltensmuster erkannt werden. In Bezug auf die Anpassung des Sprechers an die ihm gegenüberstehende Gruppe zitiert Goffman William James wie folgt: „[...] we may practically say that he has as many different social selves as there are distinct groups of persons about whose opinion he cares. He generally shows a different side of himself to each of these different groups.”26 Inwiefern sich diese „different [...] selves“ bei Gad Elmaleh zeigen, wird neben der Analyse der generellen Darstellung des ,Eigenen' und ,Fremden' Thema der nun folgenden Kapitel sein.

3 KONSTRUKTION DES ,EIGENEN‘ UND JREMDEN'

Der oder das ‘Fremde' ist ein Phänomen, das die Menschen wohl seit je beschäftigt, das immer wieder zu unterschiedlichen Reaktionen des ,Eigenen', sei es als Indivi­duum oder im Kollektiv, geführt hat.27

Dabei sind die Ausdrücke ,Eigenes‘ und ,Fremdes‘ zunächst abstrakte Vorstellungen, deren Umfang nur situativ erfasst werden kann. Sie werden häufig umschrieben mit Gegensatzpaaren wie dem gekannten' und ,Unbekannten', dem ,Ich‘ und ,Du‘, dem ,Wir' und ,Die‘, dem ,Gleichen‘ und dem ,Anderen‘ oder mit den deutlich weitumfas­senderen Begriffsfeldern von ,Identität‘ und ,Alterität'.28 Die Begegnung mit dem ,Frem- den', ,Anderen‘ ist immer durch den Vergleich mit dem Bekannten, dem ,Eigenen‘ ge­prägt, es kann zur Stärkung, aber auch zur Infragestellung dessen führen, zu Abgren­zung, aber auch zur Verschiebung der Grenzen, zu Auseinandersetzung und Annähe­rung. Die Betrachtung des ,Fremden‘ bewegt sich dabei zwischen dem „l'Autre, l'in- connu“, „l'Autre fascinant“ und „l'Autre ennemi“29, denn „[l]'Autre c'est d'abord ce qui est différent, ce qui est inconnu. Mais dans la langue commune, l'Autre c'est aussi le voisin, celui avec qui l'on entre le plus souvent en conflit, le premier étranger auquel on pense pour donner un visage à l'altérité“30, „ [l]'Autre, c'est aussi celui qui nous fascine et dont la différence peut être valorisée“31, „ [m]ais l'Autre c'est surtout l'ennemi, celui que l'on combat et que l'on cherche à atteindre au travers des mots.“32

Selbst in der humoristischen Darstellung kann dieses gesamte Spektrum abgedeckt werden. So gilt es nun auch bei Gad Elmalehs Shows Gad Gone Wild und American Dream die heterogene Konstruktion vom ,Eigenen' und ,Fremden' - das weit über das ,Ich' des Comedians versus das ,Die' der US-Amerikaner hinausgeht - unter Berücksichtigung der jeweiligen Intention der Aussage zu erörtern.

3.1 „C'est tellement différent de ce qui se passe en Europe“ Abgrenzung des ‘Fremden' vom ‘Eigenen'

Das ,Fremde' wird stets als etwas betrachtet, das sich vom .Eigenen' unterscheidet, bei seiner Konstruktion liegt der Fokus also immerzu auf der Andersartigkeit. Parallel dazu umfasst das Eigene all jenes, was sich durch Gemeinsamkeiten verbinden lässt. Die Kon­struktion gründet demnach in erster Linie auf ständiger Grenzziehung. In der Stand-Up­Comedy macht der Comedian zur Demonstration von Andersartigkeit oder Gemein­samkeit - ebenso wie es in nahezu jeder direkten face-à-face Kommunikation der Fall ist - von einem breiten „expressive equipment“33 Gebrauch. So wird unter Verwendung sowohl verbaler, paraverbaler34 als auch nonverbaler35 Ausdrucksmittel das ,Eigene' vom ,Fremden' wiederholt und auf verschiedene Weise abgegrenzt und dabei gleichzei­tig beide Seiten eingegrenzt.

3.1.1 Verbale, paraverbale und nonverbale Abgrenzung

Wie zu Beginn dieses Kapitels erläutert geschieht Abgrenzung am einfachsten durch Gegenüberstellung, durch Vergleichen der Dinge oder Personen, die sich in einem oder mehreren Punkten unterscheiden. Häufig wird dabei zwischen zwei Seiten differenziert, die sich wie Antagonisten gegenüberstehen. Analog zu den genannten Gegensatzpaaren ,eigen‘ und fremd', ,gleich‘ und ,anders‘ erklärt Gad Elmaleh beispielsweise „En Eu­rope, y'a le système métrique. Hum^ Aux États-Unis, y'a le Starbucks Unit of mea­surement [.. ,]"36 oder „Americans are like: ‘Who are these people?' And French are like: 'Shit, the show is in English.”37 Weitere solche Antagonistenpaare sind “French” und "English”,38 „immigrants” und „Americans”,39 „Méditerranéens" und „Américains",40 „there"41 und „here",42 „francophones"43 versus „anglophones"44 oder auch weniger gleiche Größen wie „one part of the world" und „New York City".45 Auch außerhalb der Darstellung des ,Eigenen‘ und ,Fremden‘ zeugen Formulierungen wie „Parce qu'il y a deux écoles. Y'a: ,Écoute, tu ne dois pas faire ça. [...].' Et y'a ..."46 oder „Les aéroports, c'est • soit t'as cinq minutes, tu crois que tu vas rater ton avion. Tu cours. Soit t'as cinq heures. T'as envie de te tuer."47 von der stark dualistischen Darstellungsweise des Co­medians.

Dieser Dualismus wird lediglich aufgebrochen, wenn Gad Elmaleh einen multinatio­nalen Vergleich anstrebt wie beispielsweise in der folgenden Szene:

Après, ça dépend des villes, ça dépend des pays, tu vois. Ce qui est cool à New York, tu lèves la main, le taxi s'arrête. C'est génial. Montréal, c'est compliqué. Paris, c'est encore plus fou. Il est libre, il t'a vu. Il s'arrête pas, c'est un concept. Le Maroc, c' est encore plus délirant. Il est pas libre. Et il s'arrête.48

Ähnlich auch: „In America, they tip. [•] French people don't like to tip. [•] Moroccans tip. [•] They tip, and then they get mad.”49 Im Gegensatz zu den dualistischen Aussa­gen, die meistens eindeutig als ,eigen‘ oder fremd' gekennzeichnet sind wie bei „We don't have this. It's not a Mediterranean thing."50, nimmt Gad Elmaleh bei seinen multinationalen Vergleichen eine neutralere Perspektive ein, indem er offen lässt, zu welcher der genannten Gruppen er sich selbst zählt. Da es sich bei den anderen Gruppen neben den USA in der Regel um Frankreich, Marokko oder Kanada handelt, wo er je­weils mehrere Jahre gelebt hat, ist das Fehlen einer eindeutigen Zuordnung nicht ver­wunderlich. Diese Kreise werden dennoch klar voneinander abgegrenzt und in Form einer Klimax bzw. Antiklimax miteinander in Vergleich gesetzt. Wie auf einer Skala wer­den sie im Hinblick auf ein bestimmtes Merkmal positioniert, scheinbar ohne sich dabei zu treffen oder sich in irgendeiner Weise eine Position zu teilen Im Gegensatz dazu scheint es für den Comedian sehr einfach sich im dualistischen Vergleich zu den USA klar zu positionieren und das Eigene stets als das Nicht-Amerikanische herauszustellen.

Etwas komplexer noch verhält es sich diesbezüglich bei der Verwendung von Prono­mina anstelle der Gruppenbenennungen. Betrachtet man die pronominale Verwendung in der Show Gad Gone Wild, tritt neben dem „je“ bzw. „moi“ vor allem das „nous“ bzw. „on“ als Bezeichnung für das ,Eigene‘ auf, das dem „ils“ gegenübersteht wie im Beispiel: „De temps en temps, si t'as pas le bon accent, ils t'aident pas. Nous, on les aide.“,51 wobei auch hier der Dualismus deutlich wird. Diesem Beispiel entsprechend meint Gad El- maleh mit „nous“ oder „on“, also mit Pronomen die eindeutig das ,Eigene‘ bezeichnen, zumeist die Frankophonen (siehe 3.1.2) und mit „ils“, die ,Anderen‘, nämlich die US- Amerikaner. Doch im Vergleich zu den Gruppenbezeichnungen kann sich die Bedeu­tung der Pronomina durchaus verschieben. Teilweise beschreibt „nous“ oder „on“ die französische Gesellschaft,52 an anderen Stellen alle Stand-Up-Comedians53 oder gar keine spezifische Gruppe sondern Menschen im Allgemeinen.54 Dasselbe gilt für „ils“, das zum Beispiel auch für die französischen Bürger stehen kann,55 oder für marokkanische Taxifahrer,56 die beide zumindest für das Quebecer Publikum das ,Fremde‘ darstellen. Erstaunlicherweise verwendet der Comedian selbst vor seinem New Yorker Publikum das Pronomen „they“ zur Bezeichnung der US-Amerikaner:

Apparently, it's when a guy and a girl in America are friends, and they have sex.

Oh... In Paris, we call them friends. And even when they get married, they still have, like, organization labels names, and. They go on a ,date night'.57

Nur selten spricht Gad Elmaleh von „you“, das eigentlich zu erwarten wäre, richtet er sich in Montreal doch durch das inkludierende „nous“ bzw. „on“ an die dortigen Zu­schauer. Stattdessen wird auch hier vor allem der Gegensatz „I“ bzw. „we“ versus „they“ geschaffen, wenngleich es immer wieder Abweichungen gibt.58 Festzustellen ist also eine größere und stabilere Distanz zwischen Gad Elmaleh und seinem US-amerika­nischen Publikum als es bei dem Quebecer Publikum der Fall ist. Eine Erklärung dafür bietet der Folgeabschnitt 3.1.2.

Neben geographischen Bezeichnungen und Pronomina für die verbale Darstellung vom ,Eigenen‘ und ,Fremden‘ werden in beiden Shows zudem bestimmte ,Prototypen‘ eingesetzt, die als Stellvertreter einer jeweiligen Gruppe fungieren. Durch diverse Anek­doten werden vermeintlich beispielhafte Situationen geschaffen, wodurch sich das 'Ei­gene' oder das ,Fremde‘ in Form einer stereotypen Person manifestiert. Ein solcher ,Pro- totyp' ist in Gad Gone Wild beispielsweise „John“: „Et à chaque fois tu demandes à des Américains de t'aider, tu vois, t'es encore plus confus. John, do you say 'had been' or 'have been'?' Ils te disent toujours: ,Oh, eitherway.' Parce qu'ils savent pas!“59. Hierbei unterstützt Gad Elmaleh den Eindruck eines prototypischen US-Amerikaners nicht nur durch die Wahl eines dort weit verbreiteten Namens, sondern auch durch die Imitation des amerikanischen Akzents in der direkten Rede sowie durch die anschließende Ver­wendung des Plurals „ils“. Das französische Pendant zu John ist „Bruno“:

Les Français, en France, ils n'aiment pas la police. Mais dès qu'ils arrivent à New York: „Bruno, NYPD, c'est génial, non?“ „Putain c'est top.“ Je ne pense pas que les Américains, quand ils arrivent à Paris, ils demandent des t-shirts Police nationale. Je ne pense pas.60

Zur Darstellung des fiktiven Brunos spricht Gad Elmaleh erkennbar schneller als zuvor, sodass hier eine deutliche Trennung zwischen dem Comedian als Beobachter und dem typischen Franzosen durch Veränderung der Sprechweise erzeugt wird. Ebenso ge­schieht eine Abgrenzung mittels paraverbaler Modifikationen, wenn er in der englisch­sprachigen Show mit einem starken französischen Akzent spricht, sobald er eine franzö­sischsprachige Person imitiert,61 obgleich er selbst als Frankophoner einen solchen Ak­zent nicht besitzt. Oder wenn er umgekehrt „à l'américaine“62 spricht, d.h. bei Gad El- maleh mit tiefer, langsamer Stimme. In ähnlicher Weise wird der Taxifahrer in Marokko mit einem eigenen Akzent versehen63 und bei der Darstellung einer Frau spricht der Co­median mit einer sehr nasalen Stimme.64 Doch die Unterscheidung geschieht nicht nur auditiv, sondern ebenso visuell. Durch ausschweifende Mimik, Gestik, Körperhaltung und -bewegung gestaltet er die verschiedenen Figuren für die er jeweils markante sicht­bare Charakteristika entwirft, die sich erkennbar voneinander unterscheiden lassen, wie die Bildausschnitte 1, zur Darstellung des ,Franzosen', und 2, zur Darstellung des ,Ame- rikaners‘, zeigen.

[...]


1 O.V.: Gad Elmaleh. Meet the superstar stand-up turned actor who packed in a successful career in France to conquer America - and came up trumps. In: France Today Online vom 28.08.2018. URL: https://www.francetoday.com/culture/cinema-film/profile-of-gad-elmaleh/.

2 Blake, Meredith: The ,French Jerry Seinfeld' sets himself up for big things in the U.S. with 'Oh my Gad'. In: Los Angeles Times Online vom 27.02.2016. URL: https://www.latimes.com/enter- tainment/arts/la-ca-cm-gad-elmaleh-20160228-story.html. Oder auch: Sandberg, Bryn Elise: Meet the “Jerry Seinfeld of France,” Nor with a Netflix Comedy Series. In: The Hollywood Reporter vom 09.04.2019. URL: https://www.hollywoodreporter.com/news/french-comedian-gad- elmaleh-netflix-comedy-series-huge-france-1198794.

3 Vgl. O.V.: Gad Elmaleh. Meet the superstar stand-up [...].

4 Vgl. O.V.: Besetzung & Stab: Midnight in Paris. URL: http://www.film- starts.de/kritiken/178300/castcrew.html.

5 Vgl. O.V.: Besetzung & Stab: Die Abenteuer von Tim und Struppi. Das Geheimnis der „Ein­horn“. URL: http://www.filmstarts.de/kritiken/49757.html.

6 Vgl. O.V.: Besetzung & Stab: Jack und Jill. URL: http://www.filmstarts.de/kritiken/106905.html.

7 Elmaleh, Gad. Gad Gone Wild . Canada. Netflix: 24.01.2017 (Film), [00:12:54-00:12:55].

8 Gad Gone Wild. Der französische Titel dieser Show ist Gad part en live.

9 Elmaleh, Gad. American Dream. USA. Netflix: 06.03.2018 (Film).

10 Gad Gone Wild [00:07:03-00:07:05]

11 Für einen vereinfachten Lesefluss wird in dieser Arbeit das generische Maskulinum verbes­sert.

12 Begriff nach Hans-Jürgen Lüsebrink, wobei Adaptation „die kulturellen Veränderungen von Diskursen, Texten, Praktiken und Institutionen im Hinblick auf Spezifika der Zielkultur, etwas bezüglich differenter Wertvorstellungen, Identifikationsmuster sowie ästhetischer Register“ be­trifft. Lüsebrink, Hans-Jürgen: Interkulturelle Kommunikation. Stuttgart: J.B. Metzler, 2016. S. 148.

13 Kortländer, Bernd: Begrenzung - Entgrenzung. Kultur- und Wissenstransfer in Europa. In: Jor­dan, Lothar/Kortländer, Bernd (Hrsg.): Nationale Grenzen und internationaler Austausch. Stu­dien zum Kultur- und Wissenstransfer in Europa. Tübingen: Niemeyer, 1995. S. 8.

14 Schwarz, Jeannine: Linguistic aspects of verbal humor in stand-up comedy. Göttingen: Sierke, 2010 (Diss.). S. 17.

15 Ebd., S. 17.

16 Vgl. Brodie, Ian: Stand-Up Comedy. In: Attardo Salvatore (Hrsg.): Encyclopedia of humor stud­ies. Los Angeles: SAGE Reference, 2014. S. 734-735.

17 Als Beispiel gebundener Sprache in künstlerischen Performances kann an dieser Stelle der Po­etry Slam genannt werden. Zumindest in seiner ursprünglichen Form galten dabei Formulierun­gen in Versen und Reimen als grundsätzlich.

18 Vgl. Brodie, 2014. S. 734.

19 Vgl. ebd., S. 734.

20 Ebd., S. 733f.

21 Ebd., S. 734.

22 Ebd., S. 736.

23 Vgl. Rutter, Jason: Stand-up as interaction: performance and audience in comedy venues . Sal­ford: University of Salford, 1997 (Diss.). S. 95. Der Begriff ist ursprünglich aus: Atkinson, Max/Cuff, E.C./ Lee, J.R.E.: The Recommencement of a Meeting as a Member's Accomplishment, In: Schenkein, Jim (Hrsg.): Studies in the Organization of Conversational Interaction. New York: Academic Press, 1978. S.136.

24 Goffman, Erving: The presentation of self in everyday life. Harmondsworth [u.a.]: Penguin Books, 1976. S. 32.

25 Ebd., S. 30.

26 Zitiert nach Goffman, 1976. S. 57.

27 Näpel, Oliver: Das Fremde als Argument. Identität und Alterität durch Fremdbilder und Ge­schichtsstereotype von der Antike bis zum Holocaust und 9/11 im Comic. In: Eva Hahn/Hans Henning Hahn (Hrsg.): Die Deutschen und das östliche Europa. Band 7. Frankfurt am Main/Ber- lin/Bern [u.a.]: Lang, 2011. S. 1

28 Die Begriffe ,Identität' und ,Alterität' sollen in dieser Arbeit trotz ihrer Prominenz in der ge­genwärtigen Forschungsliteratur aufgrund ihrer Komplexität und ihres umstrittenen Gebrauchs nicht verwendet werden. Dennoch werden vereinzelt Zitate herangezogen, die diese Bezeichnun­gen enthalten können, sofern es sich sinngemäß um Synonyme zu ,Eigenes' bzw. ,Fremdes' han­delt.

29 Soubrier, Jean: On se moque toujours de l'Autre. Le rapport à l'Altérité dans le lexique. In: Écarts d'identité. Nr. 97: Immigration, mon humour., 2001. S. 31 f.

30 Ebd., S. 31.

31 Ebd., S. 32.

32 Ebd., S. 32.

33 Goffman, 1976. S. 32.

34 Zu den paraverbalen Mittel zählen z.B. Lautstärke, Intonation, Tonfall oder Sprechtempo. Siehe Lüsebrink, 2016, S. 60.

35 Die nonverbalen Faktoren umfassen Gestik, Mimik und Proxemik. Siehe ebd., S. 61.

36 Gad Gone Wild [00:17:52-00:17:58].

37 American Dream [00:03:19-00:03:25].

38 Z.B. Ebd. [00:08:22-00:08:25].

39 Z.B. Ebd. [00:44:39-00:44:46].

40 Z.B. Gad Gone Wild [00:30:51-00:30:52].

41 Z.B. American Dream [00:02:22-00:02:23]

42 Z.B. Ebd. [00:01:45-00:01:46]

43 Z.B. Gad Gone Wild [00:09:11-00:09:13]

44 Z.B. Ebd. [00:11:59-00:12:02]

45 American Dream [00:12:50-00:12:58]

46 Gad Gone Wild [00:49:50-00:49:57]

47 Ebd. [00:51:57-00:52:03]

48 Ebd. [00:16:14-00:16:36]

49 American Dream [00:19:38-00:29:33].

50 Ebd. [00:33:46-00:33:50].

51 Gad Gone Wild [00:10:53-00:10:55].

52 Z.B. „On n'a même pas single check là-bas. En France, le gars te dirait : Je l'a pas, à moins que je me mette à chercher.'“ Gad Gone Wild [00:21 :11-00 :21 :18]

53 „C'est un accord, c'est un contrat entre vous et nous, tu vois.“ Gad Gone Wild [00:40:09­00:40:12].

54 „On peut pas, on peut pas connecter avec des choses qui nous arrivent pas, tu vois.“ Gad Gone Wild [00:29:39-00:29:43].

55 Z.B. „En France, les gens, ils attendent en ... Gad Gone Wild [00:19:47-00:19:49].

56 Z.B. „C'est au Maroc, c'est des chauffeurs de taxi, c'est normal, ils connaissent tout! L'autre jour, je lui ai donné une adresse, il m'a dit : « Ah, chez ton oncle, yallah !" Gad Gone Wild [00:17:22­00:17:27]

57 American Dream [00:34:32-00:34:55].

58 Z.B. „Hum, I'm sure you've heard this story so many times.” Ebd. [00:01:10-00:01:14].

59 Gad Gone Wild [00:10:32-00:10:41]

60 Ebd. [00:07:17-00:07:30].

61 Z.B. „[stammering] ,Alors, euh,...Okay, alors... [French accent] Okay, wait, euh Okay. Fif­teen? Eh, oh, Fifteen percent? I have to check here. No, no, no. Eh, oh. What, 20? 20 percent? Oh, bah, non, euh. Twenty? [groans] Hm.. mmm. Uh. It was not that good, non, uh...'”American Dream [00:19:54-00:00:20:23].

62 Gad Gone Wild [00:05:10-00:05:13].

63 Z.B. Ebd. [00:17:07-00:17:18].

64 Z.B. American Dream [00:02:35-00:02:48].

Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
"They don’t do this in America. They do this in Europe". Die Darstellung des 'Eigenen' und 'Fremden' in der Stand-Up-Comedy anhand von Gad Elmalehs "Gad Gone Wild" und "American Dream"
Hochschule
Universität des Saarlandes  (Romanistik)
Note
1,1
Autor
Jahr
2019
Seiten
37
Katalognummer
V540120
ISBN (eBook)
9783346155801
ISBN (Buch)
9783346155818
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gad Elmaleh, Frankreich, Französisch, Englisch, USA, Kanada, Quebec, Stand-Up, Stand Up, Comédie, Comedy, Netflix, American Dream, Show
Arbeit zitieren
Sophie-Eileen Gierend (Autor:in), 2019, "They don’t do this in America. They do this in Europe". Die Darstellung des 'Eigenen' und 'Fremden' in der Stand-Up-Comedy anhand von Gad Elmalehs "Gad Gone Wild" und "American Dream", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/540120

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