Die Montessori-Therapie zwischen Montessori-Pädagogik und Heilpädagogik


Seminararbeit, 2004

41 Seiten, Note: Sehr Gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Die historischen Wurzeln der Montessori- Therapie
1.1.. Die Grundlagen und Prinzipien der Montessori- Pädagogik

2. Die Erschließung des therapeutischen Potenzials der Montessori- Pädagogik durch Prof. Hellbrügge
2.1.. Das Konzept der Entwicklungsrehabilitation im sozialpädiatrischen Kinderzentrum München
2.2.. Die Aufgaben der Sozialpädiatrie
2.3.. Was will Entwicklungsrehabilitation?
2.4.. Die Montessori- Heilpädagogik

3. Allgemeine Betrachtungen zur Montessori-Therapie und deren Einordnung
3.1.. Die Anwendung der Montessori- Therapie in der Praxis
3.2.. Aufgaben der Montessori- Therapie
3.3.. Für wen ist Montessori- Therapie geeignet?
3.4.. Diagnostik in der Montessori- Therapie
3.5.. Therapieziele
3.6.. Arten von Montessori- Therapie
3.7.. Die Abwandlung einiger Grundlagen Maria Montessoris für den Einsatz als Therapie
3.8.. Risiken der Einbeziehung der Eltern in die Montessori- Therapie

4. Zum gegenwärtigen Stand der Montessori-Therapie als eigen-ständigem Berufsfeld
4.1.. Einordnung der Montessori- Therapie aus medizinisch- therapeutischer und heilpädagogischer Sicht
4.2.. Die Bedeutung der Montessori- Therapie für den Heilpädagogen aus neurowissenschaftlicher Sicht
4.2.1 Ordnung, Wiederholung, Struktur
4.2.2 Neuroplastizität und der innere Bauplan
4.2.3 Die sensiblen Perioden und Dopamin
4.2.4 Heilpädagogische Schlussfolgerungen
4.3.. Heilpädagogik der Gegenwart und Montessori- Therapie

5. Vom Sinn der Montessori- Therapie- eine abschließende Betrachtung

6. Literaturverzeichnis

Einleitung

Im Rahmen der Prüfungsvorleistung für „Heilpädagogische Intervention“ entschloss ich mich dazu, über die Montessori- Therapie zu schreiben. Seit Mai 2004 nehme ich an einem Montessori-Diplom-Kurs teil. Es war mein Wunsch, mich über das bisher Gehörte und Gelesene hinaus, intensiver mit der Montessori- Pädagogik zu beschäftigen, um mir bei aller Euphorie, die oft im Zusammenhang mit der Montessori-Pädagogik verbreitet wird, ein eigenes Urteil bilden zu können.

In der Bibliothek der Hochschule stieß ich auf das Buch „Ein Weg für alle“ von Lore Anderlik, in dem ich von der Montessori/-Therapie und -Heilpädagogik nach Theodor Hellbrügge erfuhr. Nach umfangreichen Recherchen und dem Sammeln und Sichten von verwendbarer Literatur kam ich zu dem Entschluss, mich mit der Montessori- Therapie, ihrem Sinn und ihrer Bedeutung für die Heilpädagogik auseinander zu setzen. Die Montessori-Pädagogik wird von vielen Heilpädagogen genutzt. Sie ist eine Möglichkeit für den Heilpädagogen, sich dem Menschen, speziell dem Kind in einer erschwerten Lebenslage, zuzuwenden und ihm heilpädagogische Hilfe zu gewähren. Das macht es für mich zur Frage dieser Arbeit, was die Montessori-Therapie will, was sie kann und ob es gerechtfertigt ist, von einem neuen Berufsfeld zu sprechen.

Im Untertitel meiner Arbeit benutze ich den Begriff der „Ärztlichen Heilpädagogik“, der von H.-J. Schmutzler verwendet wurde (vgl. Schmutzler 2003, S. 3). Damit wird schon das Spannungsverhältnis von Medizin und Pädagogik angedeutet, auf das ich im Rahmen der Belegarbeit eingehen werde.

Weiterhin möchte ich klären, worin die Bedeutung dieser Therapieform und auch der Montessori-Pädagogik für den Heilpädagogen besteht. Hierbei gehe ich speziell auf die Bedeutung aus neurowissenschaftlicher Sicht ein.

Da eine Belegarbeit eine sehr theoretische Betrachtung ist und die Erkenntnisse Maria Montessoris vor allem von ihrer Umsetzung in der Praxis leben, möchte ich folgendes Zitat von Prof. Hellbrügge an das Ende der Einleitung und den Anfang der Belegarbeit stellen:

„Die Montessori-Pädagogik lässt sich - wie wir in der Praxis erlebt haben - auch nicht aus Büchern studieren, sie muß (sic!) vielmehr am Kinde erlebt werden“

(Th. Hellbrügge 1989, S.80).

1 Die historischen Wurzeln der Montessori-Therapie

Es gehört zu den Merkwürdigkeiten, daß (sic!) sich das von der italienischen Ärztin Maria Montessori geschaffene pädagogische System weltweit beinahe ausschließlich mit der Erziehung des gesunden Kindes beschäftigt und daß (sic!) die einzigartigen Möglichkeiten, welche die Montessori-Pädagogik auch bei der Hilfe des behinderten Kindes, und zwar des mehrfach und verschiedenartig behinderten Kindes bietet, praktisch neu entdeckt werden mußten (sic!) (Hellbrügge 1978, S. 9).

In diesem Zitat wird die Motivation Hellbrügges deutlich, die Montessori- Pädagogik aus der Sicht des behinderten Kindes neu bzw. wieder zu entdecken.

Die Wurzeln der Pädagogik Maria Montessoris liegen in ihrer Arbeit mit behinderten Kindern. Während ihrer Tätigkeit als Assistenzärztin an der Universitätsklinik in Rom interessierte sie sich „für im Irrenhaus untergebrachte idiotische Kinder“ (Montessori 1969, S. 25).

„Im Gegensatz zu meinen Kollegen hatte ich (...) die Eingebung, daß (sic!) das Problem der geistig Zurückgebliebenen eher überwiegend ein pädagogisches als überwiegend ein medizinisches war“ (Montessori 1969, S.26).

So begann Maria Montessori (1870 - 1952) in den Jahren 1898 - 1906, auf Grundlage der Erkenntnisse von Itard[1] und Seguin,[2] mit diesen Kindern zu arbeiten. Sie unterrichtete geistig zurückgebliebene Kinder und leitete deren Erzieherinnen an. Montessori ließ nach den Texten von Itard und Seguin Lehrmaterial erstellen. „Dieses Material (...) war ein hervorragendes Instrument in den Händen derer, die es zu benutzen verstanden, doch für sich allein blieb es bei den geistig Zurückgebliebenen unbeachtet“ (Montessori 1969 S. 31).

Maria Montessori erzielte bemerkenswerte Ergebnisse: „Es gelang mir, einigen geistig Zurückgebliebenen aus dem Irrenhaus Lesen und korrektes Schreiben in Schönschrift beizubringen. Diese Kinder konnten danach in einer öffentlichen Schule zusammen mit normalen Kindern eine Prüfung ablegen, die sie auch bestanden“ (Montessori 1969, S. 32).

Maria Montessori fragte sich daraufhin, was man erst bei „normalen“[3] Kindern erreichen könne, wenn man ihnen optimale kindgerechte Förderung zukommen ließe und wandte sich in den darauf folgenden Jahren den „normalen“ Kindern zu.

1906 begann Montessori in ihrem berühmten „Casa dei Bambini“ (Kinderhaus), mit drei- bis sechsjährigen Kindern zu arbeiten. Aus heutiger Sicht handelte es sich bei diesen Kindern um Kinder mit erhöhtem Förderbedarf oder von (seelischer) Behinderung bzw. Vernachlässigung bedrohte Kinder. Dort, wo das Kinderhaus entstand, lebten Flüchtlinge und arme Leute, Bettler, Arbeitslose, ehemalige Strafgefangene und Prostituierte, die meisten von ihnen Analphabeten, zusammengedrängt auf engstem Raum in Sozialwohnungen (vgl. Montessori 1969, S. 40 - 43).

Aufgrund der pädagogischen Erfolge in diesem Kinderhaus entstandenen in den folgenden Jahren weltweit weitere Kinderhäuser nach der wissenschaftlichen Pädagogik Maria Montessoris.

1.1 Die Grundlagen und Prinzipien der Montessori-Pädagogik

Wer sich mit der Montessori-Pädagogik auseinandersetzt, dem begegnen unweigerlich spezifische Begrifflichkeiten, welche die Grundlagen dieser Pädagogik kennzeichnen. Auf die wesentlichen Begriffe möchte ich im Folgenden kurz eingehen, da sie die Grundlage für die Montessori-Therapie bilden.

Maria Montessori beobachtete, als sich die Kinder mit dem Material beschäftigten, dass sich ihre Aufmerksamkeit so sehr auf ihre Tätigkeit richtete, dass sie alles um sich herum vergaßen. Sie schienen ganz in ihrer Arbeit aufzugehen, ohne sich von äußeren Einflüssen ablenken zu lassen. Wichtig für diese, von ihr Polarisation der Aufmerksamkeit genannte Beobachtung ist die entsprechend vorbereitete Umgebung. Sie muss die Bedürfnisse des Kindes erfüllen und gibt ihm damit Ordnung und Struktur.

„Das Kind weiß nicht, wie es sich diese Umgebung selbst schaffen soll. Nur der Erwachsene kann es tun, und das ist die einzige tatsächliche Hilfe, die man dem Kind geben kann“ (Montessori 1967, S. 39).

Die Rolle des Lehrers/ Erziehers nimmt bei Montessori eine zentrale Bedeutung ein.

Die Vorbereitung der Umgebung und die Vorbereitung des Lehrers sind das praktische Fundament unserer Erziehung. Immer muß (sic!) die Haltung des Lehrers die der Liebe bleiben. Dem Kind gehört der erste Platz, und der Lehrer folgt ihm und unterstützt es. Er muß (sic!) auf seine eigenen Aktivität zugunsten des Kindes verzichten. Er muß (sic!) passiv werden, damit das Kind aktiv werden kann. Er muß (sic!) dem Kind die Freiheit geben, sich äußern zu können; denn es gibt kein größeres Hindernis für die Entfaltung der kindlichen Persönlichkeit als einen Erwachsenen, der mit seiner ganzen überlegenen Kraft gegen das Kind steht (Montessori 1967, S. 40).

Hier wird deutlich, dass die Rolle des Pädagogen eine andere ist, als man ursprünglich von Kindereinrichtungen und Schulen gewohnt ist. Durch Erziehung bedingte Machtstrukturen, wie sie oft zwischen Erwachsenen und Kindern bestehen, haben in der Montessori-Pädagogik definitiv nichts zu suchen.

Jedes Kind durchläuft nach Maria Montessori so genannte sensible Perioden, in denen es sich für bestimmte Lerninhalte interessiert. Während dieser sensiblen Perioden ist das Kind besonders aufnahmebereit. Sein absorbierender Geist nimmt die Umgebung und die Tätigkeit unbewusst auf, er speichert und vertieft Lernprozesse.

„Die Eindrücke dringen nicht nur in seinen Geist ein, sondern formen ihn“ (Montessori 1967, S. 70).

Da es bei der Materialarbeit keine festgeschriebene Reihenfolge gibt, ist es wichtig, dass der Pädagoge die sensiblen Phasen des Kindes durch seine Beobachtungen entdeckt und ein Gespür dafür entwickelt, was das Kind interessiert.

Bei der Wahl des Materials gilt der Grundsatz der Freiheit des Kindes.

Die Freiheit ist dann erlangt, wenn das Kind sich seinen inneren Gesetzen nach, den Bedürfnissen seiner Entwicklung entsprechend, entfalten kann. Das Kind ist frei, wenn es von der erdrückenden Energie des Erwachsenen unabhängig geworden ist. Dieses Freiwerden ist weder eine Idee noch eine Utopie, sondern eine oft erfahrene Tatsache.(...) Wir schließen damit nicht die Notwendigkeit der Kulturübermittlung noch die notwendige Disziplin und auch nicht die Notwendigkeit des Erziehers aus. Der Unterschied ist allein der, daß (sic!) in dieser Freiheit die Kinder voll Freude arbeiten und sich die Kultur durch eigene Aktivität erwerben, daß (sic!) die Disziplin aus dem Kind selbst entsteht (Montessori 1967, S. 42).

Oft wird durch diese Freiheit der Eindruck erzeugt, das Kind könne machen, was es wolle und die Erziehung sei antiautoritär. Ein Vorwurf, den das vorangegangene Zitat widerlegt.

In der Schule ist der Grundsatz der Freiheit unter dem Begriff Freiarbeit bekannt geworden.

Übungen des praktischen Lebens beinhalten Gegenstände und Tätigkeiten, die aus dem Leben gegriffen sind und zu größerer Selbstständigkeit führen.

Sowohl im Kinderhaus als auch in der Montessori-Therapie werden dem Kind als Erstes die Übungen des praktischen Lebens angeboten. Sie sind leicht und überschaubar gestaltet, daher gut nachzuahmen und wurden auch schon oft bei der Mutter beobachtet, so dass sie dem Kind nicht fremd sind (vgl. Anderlik 1996, S. 27).

Diese Übungen legen den Grundstein für die Arbeit mit dem Sinnesmaterial, da sie die nötige Bewegungskoordination vermitteln. Das Material spricht folgende Sinne an: Gesichtssinn/visueller Sinn, Tastsinn, Barischer Sinn (Sinn für Schwere), Gehörsinn, Wärmesinn, Geschmackssinn und Geruchssinn.

Maria Montessori bezeichnet das Sinnesmaterial als „Schlüssel zur Welt“. Aufgabe dieses Materials ist es, Eigenschaften isoliert zu betrachten. Das Kind soll diese Eigenschaften bewusst wahrnehmen und begreifen, um sie dann in seiner Umwelt wiederzuentdecken (vgl. Anderlik 1996, S. 28).

Neben dem Sinnesmaterial gibt es Mathematikmaterial, Sprachmaterial und

Kosmisches Material.

Das Material beinhaltet immer eine direkte oder indirekte Fehlerkontrolle.

Die sachliche Fehlerkontrolle führt das Kind dazu, bei seinen Übungen überlegt, kritisch, mit einer an Genauigkeit immer stärker interessierten Aufmerksamkeit, mit einer verfeinerten Fähigkeit, kleine Unterschiede zu erkennen, zu verfahren. So wird das Bewußtsein (sic!) des Kindes auf die Kontrolle der Fehler vorbereitet, auch wenn diese nicht mehr stofflich oder sinnlich wahrnehmbar sind (Montessori 1969, S. 117).

Die Materialien und Übungen des praktischen Lebens sind so konstruiert und konzipiert, dass sie grundsätzlich zum Handeln auffordern und das Kind ganzheitlich ansprechen. Sie entsprechen den Bedürfnissen des Kindes, wie z.B. Ordnung, Klarheit, Struktur und Ästhetik. Dabei „sind alle Materialien so arrangiert, dass sie das Kind von einer leichten zu immer schwierigeren Übungen führen, von konkretem Material zur Abstraktion, also von einem niedrigeren zu einem anspruchsvolleren Level“ (Anderlik 1996, S. 35).

Grenzen der Montessori-Pädagogik bestehen aus meiner Sicht in der Anschaffung des recht teuren Materials. Die Schulung der Pädagogen im Umgang mit dem Material ist ebenso oftmals unzureichend. In vielen Kinderhäusern und Schulen wissen die Erzieherinnen bzw. Lehrerinnen (an Montessori-Einrichtungen!) nicht mit dem Material umzugehen - wie ein Großteil der Teilnehmerinnen meines Montessori-Diplomkurses berichtete.

Letztlich lebt das Fortbestehen der Pädagogik meiner Meinung nach vom einzelnen Pädagogen, von der Art und Weise, wie er die pädagogischen Erkenntnisse umsetzt und sein Verhalten zum Kind gestaltet. So können in jedem Kinderhaus Unterschiede auftreten. Trotz des Montessori-Diploms ist es schwierig, einen Standard herzustellen, weil auch jeder Erwachsene sehr individuelle Vorstellungen von der Pädagogik Maria Montessoris gewinnt und die Literatur für sich interpretiert.

2 Die Erschließung des therapeutischen Potenzials der Montessori- Pädagogik durch Prof. Hellbrügge

Prof. Theodor Hellbrügge, Kinderarzt und Gründer des Münchener Kinderzentrums für Sozialpädiatrie entdeckte die Montessori-Pädagogik für seine Arbeit als Kinderarzt und entwickelte sie zu einer Montessori- Heilpädagogik bzw. ärztlichen Heilpädagogik.

Ähnlich wie Maria Montessori damals die „Erleuchtung“ (vgl. Montessori 1969, S. 38) kam, ihre an so genannten geistig behinderten Kindern erprobten Methoden am „normalen“ Kind anzuwenden, begegnete Hellbrügge in einem Kindergarten zwei Kindern mit Down-Syndrom. Das bewog ihn umgekehrt dazu, die im Kindergarten angewandten Montessori-Methoden stärker für seine Arbeit als Kinderarzt in der Sozialpädiatrie zu nutzen (vgl. Hellbrügge in Anderlik1996, S. 9).

Seine Gedanken führten dazu,

die gemeinsame Erziehung gesunder mit mehrfach und verschiedenartig behinderten Kindern als heilpädagogische Aufgabe in die sozialpädiatrische Klinik zu integrieren, von der Vorstellung aus, daß (sic!) behinderte Kinder gesunden Kindern im täglichen Umgang die soziale Aufgabe des Helfens vermitteln sollten, womit ihrerseits die Erziehung zur Selbständigkeit (sic!) verstärkt werden sollte (Hellbrügge in Anderlik 1996, S. 9).

Damit war die Idee der Entwicklung einer Montessori-Heilpädagogik neu geboren, aus der sich dann die Montessori-Therapie, speziell für die Aufgaben im sozialpädiatrischen Zentrum, ableitete. Das zentrale Moment in der Montessori-Therapie liegt dabei weniger im Bereich der kognitiven Entwicklung, sondern verstärkt auf der Sozialentwicklung des (behinderten) Kindes (vgl. Die sozialpädiatrischen Zentren in Bayern 2003/04, S. 116).

2.1 Das Konzept der Entwicklungsrehabilitation im sozialpädiatrischen Kinderzentrum München

Die Entwicklungsrehabilitation stellt ein Konzept für die Frühförderung in den sozialpädiatrischen Zentren dar. Nach Hellbrügge nutzt die Entwicklungsrehabilitation „die einmaligen Chancen der hohen An- und Umpassungsfähigkeit in den frühkindlichen Entwicklungsstufen, um Kindern mit angeborenen oder früh erworbenen Störungen oder Schäden durch gezielte Behandlung so zu helfen, dass sie möglichst nicht behindert werden“ (Hellbrügge Grundelemente, S. 3).

2.2 Die Aufgaben der Sozialpädiatrie

Die Sozialpädiatrie versteht sich als Maßnahme der Kinderheilkunde im Sinne von Gesundheitsvor- und Fürsorge und besteht aus drei wesentlichen Bereichen:

der primären Prävention[4], der sekundären Prävention[5] sowie der tertiären Prävention[6] (vgl. Hellbrügge Grundelemente, S. 3).

Das Konzept der Entwicklungsrehabilitation nach Theodor Hellbrügge gehört in den Bereich der tertiären Prävention.

2.3 Was will Entwicklungsrehabilitation?

Für das Konzept seiner Entwicklungsrehabilitation stellte Hellbrügge 6 Thesen auf, die das Grundanliegen des Konzeptes verdeutlichen:

1. In der frühen Kindheit besteht eine einzigartige Chance, Kinder mit angeborenen oder früh erworbenen Schädigungen oder Störungen vor dem Schicksal des lebenslangen Behindertseins zu bewahren.
2. Entwicklungs-Rehabilitation bedeutet Früherkennung, Frühbehandlung und frühe soziale Eingliederung in Familie, Kindergarten und Schule wie auch immer gestörter, geschädigter und dadurch eventuell behinderter Kinder.
3. Die Eltern sind in der Früherkennung von Entwicklungsrückständen gleich welcher Art allen Profis, einschließlich Ärzten, Psychologen, Therapeuten etc., überlegen. Sie sind auch die besten Therapeuten.
4. In der Entwicklungs-Rehabilitation haben die verschiedensten Fachkräfte unter der Koordination eines Kinderarztes die Aufgabe, die Eltern in kleinsten Schritten durch ein für sie überschaubares Programm der Frühbehandlung so anzuleiten, dass sie es zu Hause durchführen können.
5. Jede Absonderung in Sonderschulen verstärkt Behinderung. Die gemeinsame Erziehung mehrfach und verschiedenartig behinderter - auch so genannter geistig behinderter - Kinder mit nichtbehinderten Kindern fördert die Sozial- und daran gekoppelt die Sprachentwicklung bei behinderten und nichtbehinderten Kindern.
6. Der Schlüssel für die Erfolge der gemeinsamen Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder liegt in dem Satz: „Nur wer hilft, wird selbständig und glücklich“ (Hellbrügge Grundelemente, letzte Umschlagseite).

Zur Behandlung behinderter oder von Behinderung bedrohter Kinder kommen verschiedene Programme zur Frühtherapie in Frage:

die Münchener Funktionelle Entwicklungstherapie (nach Hellbrügge), orofaziale Therapie (stimulierende Mundtherapie nach Castillo-Morales), Krankengymnastik (nach Bobath und Vojta), manuelle Fußtherapie (nach Zukunft-Huber), Manuelle Therapie, Orff-Musiktherapie, Therapie frühkindlicher Interaktionsstörungen (nach Papousek), Festhaltetherapie (nach Prekop), Verhaltenstherapie , Sensorische Integrationstherapie (nach Ayres), Therapien von Seh- und Hörstörungen, Genetische Diagnostik und Beratung und nicht zuletzt die Montessori-Heilpädagogik (vgl. Hellbrügge Grundelemente, S. 11-21).

[...]


[1] Jean Itard (1775-1838), Taubstummenlehrer und Arzt am Taubstummeninstitut in Paris: gezielter erster Versuch der Erziehung eines „schwachsinnigen“ Jungen: "Victor, das Wildkind von Aveyron"

[2] Edouard Seguin (1812-1880) Taubstummenlehrer und Arzt, seit 1839 Leiter einer „Idiotenschule“ in Paris: schrieb 1846 Lehrbuch über die Behandlung der Idiotie

„Die Idiotie und ihre Behandlung nach physiologischer Methode“, welches Grundlage für Maria Montessori wurde

[3] Meiner Ansicht nach kann Normalität nicht objektiv definiert werden. Er lässt keinen Raum für Individualität. Ich benutze den Begriff im Sinne des Leitsatzes der Lebenshilfe: Es ist normal, verschieden zu sein.

[4] Vorbeugende Maßnahmen wie Impfungen, Gesundheitserziehung, Hygienemaßnahmen etc.

[5] Früherkennung latent vorhandener oder entstehender Schädigungen durch Screening- und Vorsorgeuntersuchungen

[6] angeborene oder früh erworbene Schäden oder Störungen werden durch Frühbehandlung beseitigt bzw. therapeutisch oder psychosozial durch die Entwicklungsrehabilitation abgemildert

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Die Montessori-Therapie zwischen Montessori-Pädagogik und Heilpädagogik
Hochschule
Hochschule Zittau/Görlitz; Standort Görlitz
Veranstaltung
Heilpädagogische Intervention
Note
Sehr Gut
Autor
Jahr
2004
Seiten
41
Katalognummer
V54126
ISBN (eBook)
9783638493956
ISBN (Buch)
9783638724630
Dateigröße
618 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Montessori-Therapie, Montessori-Pädagogik, Heilpädagogik, Heilpädagogische, Intervention
Arbeit zitieren
Claudia Pöpping (Autor:in), 2004, Die Montessori-Therapie zwischen Montessori-Pädagogik und Heilpädagogik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54126

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