Welche Auswirkungen hat sexueller Missbrauch auf die Entwicklung von Kleinkindern? Die Bindungstheorie nach John Bowlby


Hausarbeit, 2018

31 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Grundlagen der Bindungstheorie
2.1 Bindungsqualitäten
2.2 sexueller Kindesmissbrauch (Definition und Arten)

3 Auswirkungen
3.1 psychische Auswirkungen
3.2 physische und psychosomatische Auswirkungen
3.3 soziale Auffälligkeiten
3.4 Sexualverhalten
3.5 Auswirkungen auf die Partnerschaft
3.6 Auswirkungen hinsichtlich des Bindungsaufbaus zu eigenen Kindern

4 Fazit

5 Literaturverzeichnis

6 Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung

Die Thematik des sexuellen Kindesmissbrauchs war bereits in der Antike präsent. Einen Hinweis darauf gibt die etwa 5000 Jahre alte Tontafel der Sumerer (Deegener, 1998, S.40): ´„(Der Gott) Enlil sprach zur (Göttin) Ninlil von Beischlaf. Sie will nicht. Meine Vagina ist zu klein. Sie versteht den Beischlaf nicht. Meine Lippen sind zu klein. Sie verstehen nicht zu küssen“ ` (Ebenda, S.40). Zu dieser Zeit wurde sexueller Missbrauch kaum als Straftat betrachtet. Sexuelle Beziehungen zwischen Männern und Jungen ab dem 12. Lebensjahr, die sogenannte „Knabenliebe“, waren legal. Der sexuelle Missbrauch eines Mädchens galt als Diebstahl des Eigentums ihres Vaters, da der Verlust der Jungfräulichkeit den Brautpreis minderte. Eine Bestrafung erfolgte demnach ausschließlich aufgrund des Missbrauchs der Eigentumsrechte des Vaters und nicht aufgrund der dem Opfer zugefügten seelischen und körperlichen Schmerzen (Rush, 1985; Wirtz, 1989, zitiert nach Bange & Deegener, 1996, S.12). Erst zum 19. Jahrhundert fand sexueller Missbrauch mehr und mehr Beachtung und wurde als unmoralisch betrachtet. Die Kindheit müsste geschützt werden. Sexuelle Übergriffe galten als sündhaft und wurden zunehmend bestraft (deMause, 1980, zitiert nach Bange & Deegener, 1996, S.16). 1982 wandten sich betroffene Frauen erstmals an die Öffentlichkeit. In der Folge wurde dem Thema und der dahinterstehenden Problematik immer mehr Beachtung in der Öffentlichkeit geschenkt (Gardiner- Sirtl, 1983, zitiert nach Bange & Deegener, 1996, S. 36f.). Dies geschah nicht zuletzt durch Initiativen wie z.B. „Zartbitter“, die sich gegen sexuellen Missbrauch einsetzen, präventiv durch beispielsweise Hörspiele, Broschüren und Workshops handeln und zudem als Kontakt- und Informationsstelle dienen (Enders, o.J.).

Dennoch wurden im Jahre 2016 laut polizeilicher Kriminalstatistik 12.019 Anzeigen wegen Kindesmissbrauchs in Deutschland gemeldet. Die Dunkelziffer aufgrund nicht gemeldeter Fälle scheint jedoch erheblich höher zu sein. Die Weltgesundheitsorganisation vermutet ca. eine Millionen Mädchen und Jungen mit Missbrauchserfahrungen in Deutschland, was ein bis zwei betroffene Kinder pro Schulklasse bedeuten würde (Rörig, o.J.). Über derartige Berichte in den Medien tritt meist Aufregung und Empörung in der Gesellschaft auf, über die Folgen für die Kinder ist sich jedoch kaum jemand bewusst. Aufgrund dessen verfolgt diese Hausarbeit das Ziel, die Auswirkungen von sexuellem Kindesmissbrauch zu erarbeiten. Dies geschieht unter Einbezug der Bindungstheorie, indem zunächst ein Einblick in diese geboten wird. Die verschiedenen Bindungsmuster, die Kinder in den ersten zwei Jahren zu ihren Bezugspersonen entwickeln, werden in Betracht genommen, woraufhin das Augenmerk auf die weitere Entwicklung- je nach Bindungsmuster - gelegt wird. Daraufhin wird der Bezug zu sexuell missbrauchten Kindern und deren jeweiliger Bindung dargestellt, woraufhin nach einer Einführung in das Thema „sexueller Kindesmissbrauch“ die Langzeitauswirkungen von Kindesmissbrauch thematisiert werden. Das übergeordnete Ziel dieser Hausarbeit stellt die Prävention sexuellen Kindesmissbrauchs dar, indem die neu gewonnenen Erkenntnisse in Zukunft positiv dazu beitragen, potenzielle Missbrauchsopfer zu erkennen und bestehende Wissensdefizite auszubauen, indem dieses gewonnene Wissen weitergetragen wird.

2 Grundlagen der Bindungstheorie

John Bowlby (1907- 1990), ein britischer Kinderpsychiater und Psychoanalytiker, beschreibt in seiner Bindungstheorie die wichtige Bedeutung des nicht sichtbaren, emotionalen Band, das ein Kind mit seiner Mutter, bzw. mit seiner jeweiligen Bindungssperson verbindet. Dieses Band ist stets präsent, besteht demnach über Raum und Zeit hinweg und prägt die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes (K. Grossmann & K. Grossmann, 2012, zitiert nach Kirschke & Hörmann, 2014).

Der Säugling beginnt sofort nach der Geburt, Bindungsverhaltensweisen einzusetzen, um den Kontakt zur Mutter - und damit verbunden Schutz und Nähe einzufordern. Diese Verhaltensweisen äußern sich u.a. im Weinen, Festklammern und dem Suchen nach der Bindungsperson. Sollte sich der Säugling bedroht fühlen, Schmerz verspüren oder von der Bindungsperson getrennt werden, so wird dieses Verhalten eingesetzt. Die Aufgabe der Mutter besteht nun darin, feinfühlig auf das Kind einzugehen, Sicherheit zu vermitteln und die Bedürfnisse zu befriedigen (Bowlby, 1995, zitiert nach Stegmaier, o.J.). Sollte diese Aufgabe erfüllt werden und das Kind erlebt, dass seine Bedürfnisse befriedigt werden, so wird es diese Verhaltensweisen in bindungsrelevanten Situationen wiederholen, da unbewusst davon ausgegangen wird, erneut eine Bedürfnisbefriedigung zu erfahren. Wiederholen sich diese Interaktionen fortwährend, so entsteht eine Beziehung geprägt von Vertrauen und die Mutter bzw. die Eltern werden zu sicheren Bindungspersonen (Bethke, Braukhane & Knobeloch, 2011, zitiert nach Kirschke & Hörmann, 2014).

Im Jahre 1960 entwickelte Mary Ainsworth die „fremde Situation“, eine standardisierte Laborsituation, in der Mutter und Kind zweimal voneinander getrennt und wiedervereint werden. Beabsichtigt wurde, die Verunsicherung des Kindes zu erhöhen.

Ausschlaggebend bei der Auswertung war die Reaktion des Kindes auf die Trennung von der Mutter, sowie die Reaktion bei erneuter Zusammenkunft mit ihr. Verschiedene Verhaltensweisen unter zunehmendem Trennungsstress stellten sich heraus. Aufgrund dessen differenzierte Ainsworth drei verschiedene Bindungsverhaltensstrategien - „sicher“, „unsicher- vermeidend“, „unsicher-ambivalent“ - die einige Jahre später um eine weitere Strategie, „desorganisiert“, erweitert wurden (K. Grossmann & K. Grossmann, 2004, zitiert nach Egle, Joraschky, Lampe, Seiffge- Krenke & Cierpka, 2016, S. 106). Im Folgenden werden die vier daraus entstandenen Bindungsqualitäten erläutert.

2.1 Bindungsqualitäten

In der „Fremden Situation“ reagiert ein Kind, das eine sichere Bindung aufweist und von der Mutter verlassen wird, meist mit Protest und ist auch nicht von einer anderen Person zu beruhigen. Sobald die Mutter zurückkehrt, wird diese sofort fröhlich empfangen und erhält die ungeteilte Aufmerksamkeit des Kindes, das ihre Körpernähe sucht. Danach erst kann beim Kind Entspannung eintreten. Die sichere Bindung entsteht durch das adäquate und feinfühlige Eingehen auf die Bedürfnisse des Kindes durch die Bindungssperson. Dieses konsequente Erleben von Fürsorglichkeit sorgt dafür, dass ein Kind mit sicherer Bindung in die Menschen in seinem Umfeld und auch in sich selbst vertrauen kann. Seine Selbstwirksamkeit und sein Selbstwertgefühl können sich positiv entwickeln. Die Autonomie wird gestärkt und zudem zeigen diese Kinder im Vergleich zu unsicher gebundenen Kindern weniger Aggressionen (Bethke et al., 2009, zitiert nach Kirschke & Hörmann, 2014). „Der solide Rückzugspunkt der Eltern ermöglicht dem Kind, Grenzen auszutesten und Kompetenzen zu erweitern“ (Becker- Stoll, 2007, zitiert nach Kirschke & Hörmann, 2014). Im Erwachsenenalter zeichnet sich die sichere Bindung durch einen autonomen Lebensstil aus. Vorherrschend ist ein positives Selbstbild, Optimismus, das Vertrauen in Bezugspersonen und die Fähigkeit zur Selbstreflexion (Egle et al., 2016, S. 107).

Eine unsicher- vermeidende Bindung zeichnet sich in der „Fremden Situation“ durch das ungestörte Spielen des Kindes aus. Dieses schenkt der Mutter kaum Beachtung und sowohl die Trennung, als auch die Rückkehr der Mutter scheinen nicht das Interesse des Kindes zu wecken. Ein derartiges Verhalten des Kindes lässt sich dadurch erklären, dass dessen Eltern nicht adäquat auf seine Bedürfnisse eingegangen sind. Eventuell wurde auf das Bindungsverhalten des Kindes sogar strafend reagiert, sodass das Kind seine Bedürfnisse für sich behält und nicht die Nähe der Eltern sucht, um diese zu befriedigen. Präventiv versucht das Kind somit, eine Zurückweisung zu vermeiden (Strüber & Roth, 2001, zitiert nach Kirschke & Hörmann, 2014). Langfristig kann aus einer unsicher- vermeidenden Bindung ein negatives Selbst- und Weltbild entstehen. Erwachsene mit einer derartigen Bindung haben meist Probleme darin, Emotionen zu zeigen und angemessen mit Rückschlägen umzugehen (Egle et al., 2016, S. 107).

Als dritte Bindungsqualität ließ sich in der „Fremden Situation“ die „unsicher- ambivalente“ herausfinden, aufgrund des ängstlichen und klammernden Verhaltens, welches das Kind nach der Trennung von der Bindungsperson zeigt. Eine Wiedervereinigung mit der Mutter führt meist nicht sofort zur Beruhigung des Kindes, sondern ist mit Verwirrung und Verzweiflung gekennzeichnet. Einerseits sucht das Kind die Nähe der Bindungsperson, andererseits wendet es sich von der Bindungsperson ab. Dieses Verhalten bzw. diese Bindung kann entstehen, wenn die Bindungsperson manchmal feinfühlig auf die Bedürfnisse des Kindes einging, manchmal allerdings auch eher abweisend darauf reagiert hat, sodass das Kind keine beständigen Handlungsmuster kennenlernen konnte. Dieses unvorhersehbare Verhalten der Bindungsperson führt zu einer großen Verunsicherung beim Kind (Kirschke & Hörmann, 2014). „Die Ambivalenz, nicht zu wissen, wie die Bindungsperson reagieren wird, kann zu dauerhaftem Inkrafttreten des Bindungssystems führen“ (Ebenda). Um diese Situation der Unwissenheit zu vermeiden, wendet das Kind übermäßiges Bindungsverhalten an, z.B. in Form von Festklammern an der Bindungsperson (Ebenda). Folgen einer unsicher- ambivalenten Bindung können im Erwachsenenalter widersprüchliche Erzählungen von Beziehungserfahrungen sein, beispielsweise sind diese Erzählungen in sich ungeordnet, verwirrend und weisen keinerlei Struktur auf (Egle et al., 2016, S. 107).

Als letzte Bindungsqualität ist die „unsicher- desorganisierte“ zu nennen, die sich durch widersprüchliches Verhalten des Kindes kennzeichnet. Bei der Wiedervereinigung mit der Bindungsperson kann ein plötzlicher Stimmungswechsel auftreten, das Kind agiert durcheinander und scheint verwirrt. Beispielsweise führt es Rückwärtsbewegungen in Richtung Bindungsperson aus, oder bleibt plötzlich stehen, ohne Gesicht und Körper zu bewegen. Zudem kann ein aggressives Verhalten gegenüber der Bindungsperson auftreten (Bethke et al., 2009, zitiert nach Kirschke & Hörmann, 2014). Ein derartiges Verhalten des Kindes resultiert aus dem gehemmten Verhalten der Bindungsperson, als Folge unverarbeiteter traumatischer Erlebnisse. Durch die Interaktion mit dem Kind werden diese unverarbeiteten Erlebnisse reaktiviert. Das Kind spürt, dass seine Bindungsperson zwar körperlich anwesend ist, emotional ist diese jedoch abwesend.

Bei Kindern, die selbst in der Kindheit misshandelt oder sexuell missbraucht werden, ist die Wahrscheinlichkeit besonders hoch, dass sie eine desorganisierte Bindung aufbauen (Main & Solomon, 1990, zitiert nach Stegmaier, o.J.). Langfristige Folgen einer desorganisierten Bindung können verwirrende Erzählungen von traumatischen Erlebnissen sein, sowie Defizite im Sprachgebrauch (Egle et al., 2016, S. 107).

2.2 sexueller Kindesmissbrauch (Definition und Arten)

Laut §177 des Strafgesetzbuches liegt ein sexueller Übergriff, eine sexuelle Nötigung, bzw. eine Vergewaltigung eines Erwachsenen vor, sofern an diesem sexuelle Handlungen gegen seinen Willen vollzogen werden (o.V., 2016). Kinder sind allerdings aufgrund ihrer Unerfahrenheit und ihrer Entwicklungsstufe nicht in der Lage, sexuellen Handlungen wissentlich zuzustimmen (Deegener, 1998, S. 20). Zudem sind sie in vielfältiger Weise von Erwachsenen abhängig und auf deren Zuneigung und Liebe angewiesen. Der Täter/ die Täterin (Anmerkung des Verfassers: im Folgenden nur in männlicher Form benannt) nutzt also seine Autoritätsposition gegenüber dem Kind aus, um seine eigenen sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen (Bange & Deegener, 1996, S. 96f.). Diese Bedürfnisbefriedigung lässt sich in drei Bereiche unterteilen. Zum einen sind eindeutige Formen sexueller Handlungen zu definieren, wie Hand-, Oral- und Analverkehr, bis hin zum Eindringen in die Scheide mittels Fingern, Gegenständen oder des Glieds. Weitere Formen sexuellen Missbrauchs, die ebenfalls der Befriedigung des Täters dienen, sind die Manipulation des Kindes, die eigenen -bzw. die Genitalien des Täters zu berühren, sich selbst zu befriedigen, oder der Selbstbefriedigung des Täters zuzuschauen. Hierzu gehört ebenso die sexuelle Stimulation des Täters mittels der Reibung seines Glieds am Körper des Kindes, oder das Zeigen pornographischer Materialien. Zuletzt sind Formen zu nennen, die nicht sofort als sexuelle Handlungen zur Bedürfnisbefriedigung gedeutet werden können. Diese reichen von Hygienebehandlungen (z.B. Wickelsituationen), über Küsse, Zärtlichkeiten, bis hin zu exhibitionistischen Handlungen und einer altersunangemessenen Sexualaufklärung (Saller, 1987, zitiert nach Friedrich, 2001, S. 16). Laut Deegener (1998) sind letztere Formen hinsichtlich der Beweggründe des Täters nur schwer festzustellen, da Kinder auf die körperliche Nähe eines Erwachsenen angewiesen sind (S. 21f.). Frei nennt weitere Beispiele für Missbrauchshandlungen, wie das gezielte Beobachten des Kindes beim Umziehen, Waschen oder während des Toilettengangs. Ebenso versuchen Missbrauchstäter ihre Handlungen zu tarnen, indem sie vorgeben, das Kind im Intimbereich auf Krankheiten untersuchen zu müssen. Auch das Hauen auf den nackten Po des Kindes, das der Täter als Bestrafung rechtfertigt, dient eigentlich seiner sexuellen Erregung. Als letzten Aspekt nennt Frei Handlungen, die spielerisch getarnt werden (1997, S. 12f.): ´“Schau mal, in meiner Hose ist ein Zauberer. Der ist zuerst klein. Wenn du ihn berührst, schaut er plötzlich hoch und wird ganz groß“´ (Ebenda, S. 12f.). Häufig lässt sich eine Entwicklung hinsichtlich der Vorgehensweise der Täter von weniger intimen Formen bis hin zum sexuellen Missbrauch feststellen (Deegener, 1998, S. 21).

Zur Thematik des sexuellen Kindesmissbrauchs sind verschiedene Definitionen von diversen Autoren zu finden (Wipplinger & Amann, 1998; Engfer, 2008, zitiert nach Egle et al., 2016, S. 14). Alle Definitionen stimmen jedoch in zwei Punkten überein. Zum einen geschieht der Missbrauch in der Regel ohne die willentliche Zustimmung des Kindes und zum anderen nutzt der Täter seine Machtposition aus, womit er dem Kind hinsichtlich des Alters und der Reife überlegen ist (Egle et al., 2016, S. 14).

Zusammenfassend lässt sich jede vollzogene Handlung am Kind, die der Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse des Täters dient, als sexuellen Missbrauch bezeichnen (Friedrich, 2001, S. 12). Diese Handlungen geschehen ohne Zustimmung und ohne den Willen des Kindes, da dieses aufgrund seiner physischen und psychischen Unterlegenheit nicht in der Lage ist, die Situation zu begreifen und wissentlich zuzustimmen. Der Täter bedient sich seiner Autorität gegenüber des Kindes, um seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen (Bange & Deegener, 1996, S. 105).

3 Auswirkungen

„Mit dem Geheimnis des Mißbrauchs [sic] zu leben, erfordert nicht nur Strategien, dem alltäglichen Terror zu begegnen, sondern gräbt sich tief ein in Bewußtsein [sic] und Verhalten, hinterläßt [sic] z.T. lebenslange Spuren“ (Kavemann & Lohstöter, 1984, S. 64). Der Schweregrad dieser Folgen eines Missbrauchs hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zum einen spielt das Alter des Kindes eine Rolle. Je jünger dieses ist, desto folgenschwerer ist der Missbrauch. Ebenso sind der Altersunterschied und der Verwandtschaftsgrad zwischen Täter und Kind von Bedeutung. Je größer der Altersunterschied und je näher der Verwandtschaftsgrad, desto schädlicher ist der Missbrauch für das Kind. Zudem spielen die Art des Missbrauchs, die Häufigkeit und die Dauer eine Rolle. Häufig findet der Missbrauch über Jahre hinweg statt. Möglich ist jedoch auch ein einmaliger Missbrauch, der weniger Auswirkungen auf das Kind hätte.

Des Weiteren nehmen die Folgen bei einem eher schüchternen Kind mit wenig Selbstwertgefühl einen höheren Grad an, als bei einem selbstbewussten Kind, welches sich gegen den Missbrauch wehrt. Die Hilflosigkeit und das Schamgefühl sind stark präsent und zudem fühlt sich das Kind mitverantwortlich, da es sich nicht zu wehren weiß. Zudem stellen die familiären Verhältnisse einen entscheidenden Faktor dar. Lebt das Kind in einer Familie, in der mit den Themen „Sex“ und „Aggressionen“ offen umgegangen werden, so fällt der Druck zur Geheimhaltung wesentlich geringer aus als in einer Familie, in der diese Themen tabuisiert werden. Als letztes sind Drohungen und Erpressungen des Täters zu nennen, die das Kind dazu bringen sollen, nicht über den Missbrauch zu sprechen (Rensen, 1992, S. 130.): ´“[….] wenn du etwas erzählst, dann mache ich Schluß [sic]; wenn du etwas erzählst, dann mache ich dich tot, dann ermorde ich deine Mutter“`(Ebenda, S. 130f.). Je nach Ausmaß und Häufigkeit dieser Drohungen sind diese oftmals schädlicher als der Missbrauch selbst (Ebenda, S. 131).

Auch wenn Kinder sich nach dem erlebten Missbrauch keiner Person anvertrauen möchten, hinterlässt dieser dennoch Spuren und Auswirkungen auf die Kinder, die als versteckte Hilferufe zu interpretieren sind (Frei, 1997, S. 41).

In den nachfolgenden Kapiteln wird nun auf diese konkreten Auswirkungen sexuellen Kindesmissbrauchs eingegangen und unter Einbezug der Bindungstheorie thematisiert.

3.1 psychische Auswirkungen

Kinder mit Missbrauchserfahrungen weisen im Nachhinein häufig ein geringes Selbstwertgefühl auf, resultierend aus den aufgrund des Missbrauchs entstandenen Scham- und Schuldgefühlen (Deegener, 1998, S. 92). Sie fühlen sich gedemütigt und wertlos, da sie nicht in der Lage waren, sich gegen den Täter zu wehren (Bange, 1992, S. 40). Aufgrund dessen machen sie sich selbst für den Missbrauch verantwortlich (Linder & Thießenhusen, 2007, S. 22). Besonders intensive Schuldgefühle entstehen, wenn das Kind den Missbrauch teilweise genossen hat, beispielsweise durch die erhaltene Zuwendung und Aufmerksamkeit, oder durch das Erlangen einer gewissen körperlichen Befriedigung (Enders, 2001, zitiert nach Linder & Thießenhusen, 2007, S. 22). Das Verständnis dafür aufzubringen, keine Schuld am Missbrauch zu haben, bedarf eines langwierigen Prozesses (Linder & Thießenhusen, 2007, S. 23). Weiterhin treten bei vielen Kindern als Folge des Missbrauchs bestimmte Ängste auf. Hierzu gehören die Angst eines erneuten Missbrauchs, Ängste vor den Drohungen der Täter und die Angst, bei einer Offenbarung des Erlebten auf Unglauben zu stoßen und verhöhnt zu werden.

Oftmals wird Angst vor bestimmten Menschen entwickelt, die beispielsweise durch ihren Geruch, ihre Stimme, oder äußerliche Merkmale wie einen Bart an den Täter erinnern (Bange, 1992, S. 42). Ebenso können diverse Phobien entstehen, z.B. gegen Joghurt, da dieser mit Sperma assoziiert wird, oder gegen rote Autos, sollte der Täter eines besessen haben (Rensen, 1992, S. 132).

Eine weitere psychische Auswirkung des sexuellen Missbrauchs können Depressionen sein, die aus der Hoffnungs- und Hilflosigkeit der Kinder resultieren (Deegener, 1998, S. 91). „Bei jahrelangem Missbrauch trauern sie um ihre verlorene Kindheit und Jugend“ (Ebenda, S.91). Zudem entsteht diese Trauer aus der Tatsache, dass ihnen ein nahestehender und wichtiger Mensch diesen Schmerz bereitet hat (Ebenda, S. 91). Bei Jungen äußern sich Depressionen meist durch Aggressionen, wobei depressive Mädchen sich eher stark zurückziehen. Dies führt häufig dazu, dass Depressionen nicht aufgedeckt werden, da Lehrkräfte und Eltern ein derart ruhiges und unauffälliges Verhalten gutheißen. Oftmals kommen erst in der Pubertät die Aggressionen bei Mädchen zum Vorschein (Rensen, 1992, S. 134).

Des Weiteren können Betroffene des sexuellen Missbrauchs an bestimmten Zwängen leiden, wodurch sie präventiv versuchen, einem Ereignis, das eintreffen und ihnen schaden könnte, aus dem Weg zu gehen. Meist werden Zwangshandlungen als quälend und sinnlos erlebt und treten begleitet von Angst auf. Diese verstärkt sich, sollten die Zwangshandlungen unterdrückt werden (B. Krollner & D.M. Krollner, 2018a). Missbrauchsopfer können beispielsweise einen Waschzwang entwickeln, um sich vom Schmutz, den sie durch den Missbrauch verspüren, zu reinigen. Auch ein Ordnungszwang kann auftreten, der unbewusst dazu dient, ihre Gefühle zu ordnen (Deegener, 1998, S. 102).

Zudem ist die Ausbildung von perfektionistischem Verhalten möglich, aus Angst, die Kontrolle über etwas zu verlieren. Dies äußert sich beispielsweise in detailreichen Planungen des Alltags, oder übermäßigem Lernen für die Schule und den Beruf (Bass & Davis, 2001, zitiert nach Linder & Thießenhusen, 2007, S. 42). Letzteres dient zudem dazu, ein positives Selbstbild zu schaffen und durch Erfolge in der Schule eine schnelle finanzielle Unabhängigkeit von den Eltern zu erlangen (Enders, 2003, S. 169).

Als eine weitere psychische Auswirkung ist die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) zu nennen, die in der Regel innerhalb des ersten halben Jahres nach dem Missbrauch auftritt und mindestens einen Monat andauert. Durch die intensiven Angstzustände aufgrund des Missbrauchs spielt sich dieser immer wieder in Form von Bildern, Gedanken und Träumen ab. Dadurch wird versucht, jegliche Aktivitäten, Orte, Gedanken und Gespräche, die an den Missbrauch erinnern könnten, zu vermeiden, wodurch wiederum soziale Isolation resultiert. Betroffene mit einer posttraumatischen Belastungsstörung sind meist nicht in der Lage, über das Erlebte und ihre Gefühle diesbezüglich zu sprechen. Zu den allgemeinen Symptomen gehören neben Persönlichkeitsveränderungen und Depressionen auch suizidales Verhalten, Aggressionen, Autoaggressionen, Suchtverhalten und sexuelle Schwierigkeiten (Schaarschmidt, o.J.), worauf in den Punkten 4.2. – 4.5. u.a. näher eingegangen wird.

Weiterhin kann sich „in der frühkindlichen Bindungs- und Lösungsphase“ (Rensen, 1992, S. 137) eine Borderline- Persönlichkeitsstörung als Folge von Traumata wie sexuellem Missbrauch entwickeln. 60 % der Menschen, die an einer derartigen Störung leiden, sind in jungen Jahren sexuell missbraucht worden (Ebenda, S. 137). Die Störung weist sowohl neurotische, als auch psychotische Eigenschaften auf. Die Betroffenen leiden an innerlicher Unruhe und Anspannung, resultierend aus deren extremen Stimmungsschwankungen. Um die Anspannung zu lösen, wenden viele Betroffene Autoaggressionen an, beispielsweise durch die Einnahme von Drogen oder Selbstverletzungen, was schnell in einem Suchtproblem endet. Allgemein herrscht eine gestörte Selbstwahrnehmung (Herpertz, o.J.). Weitere Folge können diverse Ängste, Phobien, Depressionen und der Verlust ihrer Impulskontrolle sein (Rensen, 1992, S. 137).

Als letzte psychische Auswirkung eines sexuellen Missbrauchs sind die Abwehrmechanismen „Regression“ und „Dissoziation“ zu nennen. Die Regression beschreibt das Zurückfallen in kindliche Verhaltensweisen, bzw. in einen vorherigen Entwicklungszeitraum (Linder & Thießenhusen, 2007, S. 43f.). Dieser Rückgriff auf kindliche Verhaltensmuster dient dazu, den ständig wachsenden Anforderungen des Erwachsenwerdens zu entweichen und somit möglichen Überforderungen und Bedrohlichem aus dem Weg zu gehen. Zeitweise tritt somit eine gewisse Entlastung ein (Boessmann, 2016). Beispiele für regressive Verhaltensweisen sind weinen und festklammern an anderen Personen. Zudem kann die Angst vor dem Schlafen in Dunkelheit ebenso als Regression gedeutet werden (David, 1995, zitiert nach Linder & Thießenhusen, 2007, S. 44).

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Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Welche Auswirkungen hat sexueller Missbrauch auf die Entwicklung von Kleinkindern? Die Bindungstheorie nach John Bowlby
Hochschule
Fachhochschule der Diakonie GmbH
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
31
Katalognummer
V541286
ISBN (eBook)
9783346149114
ISBN (Buch)
9783346149121
Sprache
Deutsch
Schlagworte
welche, auswirkungen, missbrauch, entwicklung, kleinkindern, bindungstheorie, john, bowlby
Arbeit zitieren
Julia Kretek (Autor:in), 2018, Welche Auswirkungen hat sexueller Missbrauch auf die Entwicklung von Kleinkindern? Die Bindungstheorie nach John Bowlby, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/541286

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