Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2 Was ist ein Skandal?
2.1 Definition und Merkmale des klassischen Skandals
2.2 Skandaldynamik: Am Beispiel Wulff und Guttenberg
3 Historische Skandale
3.1 Entwicklung des Skandalbegriffs
3.2 Entwicklung des Skandalaufkommens
3.3 Chancen historischer Skandalforschung
3.4 Medienhistorische Perspektive
3.5 Probleme historischer Skandalforschung
4. Die Rolle des Journalismus bei Skandalen
4.1 Journalismus in der Bundesrepublik der 60er Jahre
5. Starfighter-Affäre
5.1 Ablaufi
5.2 Medienberichterstattung
5.3 Skandaldynamik imFall Starfighter
6. Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
1. Einleitung
Als Medienkonsument wird man in der heutigen Zeit ständig mit Skandalen konfrontiert. Ob in Form des durch die klassischen Medien aufgedeckten Skandals, des durch vorrangig soziale Medien hervorgebrachten entfesselten Skandals oder im Speziellen in Form des Shitstorms. Skandale sind überall. Das zeigten zuletzt etwa der Skandal um die Manipulation von Abgaswerten des Autoherstellers VW oder die Plagiatsaufdeckung in der Doktorarbeit des ehemaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg.
Obgleich der Omnipräsenz und der scheinbaren Zunahme von Skandalen in den letzten Jahren, handelt es sich hierbei um kein neues Phänomen. Tatsächlich findet sich der Begriff Skandal bereits in der Antike wieder. Im Laufe der Zeit entwickelte sich der Skandal, insbesondere aus Sicht des Journalismus, zu einem wirkungsvollen Korrekturinstrument, aber auch zu einem Mittel der Aufmerksamkeitserregung.
Das Ziel der vorliegende Arbeit liegt zum einen darin, die Entwicklung des Skandalbegriffs darzustellen. Zum anderen sollen Chancen und Probleme von vergangenen Skandalen aus historischer, aber insbesondere aus medienhistorischer Perspektive beleuchtet werden. Was verraten uns zurückliegende Skandale etwa über gesellschaftliche Normen, was verraten sie uns über die Funktionsweise der Medien zu einer bestimmten Zeit? Vor allem stellt sich aus einem medienhistorischen Blickwinkel die Frage der Skandaldynamik und ob diese vor 40 oder 50 Jahren eine andere war als heute. Beispielhaft soll hier im zweiten Teil der Arbeit Bezug auf die sog. Starfighter-ÄSäXQ genommen werden, die vornehmlich den Jahren 1965 und 1966 zugeordnet werden kann. Ein starker Fokus liegt hier auch auf der Darstellung der medialen Berichterstattung in den 50er und 60er Jahren.
Als Grundlage des Themenfelds werden in Kapitel 2 der Arbeit eine Bestimmung des Skandalbegriffs vorgenommen und Kernaspekte des klassischen Skandals erläutert. Zudem wird auf den typischen Ablauf (Dynamik) von Skandalen am Beispiel des Guttenberg-Skandals und der Wulff-Affäre eingegangen. Kapitel 3 beschäftigt sich mit der Entwicklung des Skandalbegriffs und dem Skandal als historischen Gegenstand. Zudem werden die Chancen und Probleme der historischen und medienhistorischen Skandalforschung genauer betrachtet. Kapitel 4 stellt den Übergang vom Theorieteil der Arbeit zur Analyse der Starfighter-Affäre dar. Hier soll die Entwicklung des journalistischen Selbstverständnisses in der Bundesrepublik der 60er Jahre aufgearbeitet und somit eine folgende historische Einordnung der Starfighter-Affäre ermöglicht werden. Zudem wird im fünften Kapitel der Ablauf ebendieser Affäre geschildert. In Kapitel 5.2 findet anhand konkreter Beispiele eine Analyse der damaligen Medienberichterstattung zum Starfighter-Skandal statt. Kapitel 5.3 geht konkret auf die einzelnen Entwicklungen innerhalb des Skandals ein und setzt diese in Kontrast zur heutigen Skandaldynamik. Das Fazit fasst die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit in knapper Form zusammen.
2. Was ist ein Skandal?
2.1 Definition und Merkmale des klassischen Skandals
Was genau ist ein Skandal? Der klassische, durch die Massenmedien induzierte Skandal setzt sich grundsätzlich aus verschiedenen Elementen bzw. Phasen zusammen. Am Anfang steht immer eine Verfehlung, eine Normverletzung. Entweder von einer Einzelperson oder einer Institution. Danach folgt die Enthüllung dieser Normverletzung durch Journalisten und dann ggf. der „Aufschrei, die kollektive Empörung des Publikums“ (Pörksen/Detel 2012: 20). Die Zuschreibung einer Handlung als negativ wird im Allgemeinen als Skandalisierung bezeichnet. Steffen Burkhardt versteht unter dem Begriff einen Kommunikationsprozess, der „durch einen postulierten Verstoß gegen den Leitcode des sozialen Referenzsystems öffentliche Empörung auslöst“ (Burkhardt 2011: 131).
Das bedeutet auch, dass Normverletzungen nicht durch die bloße Verfehlung zu Skandalen werden, sondern über die „Zuschreibung als Skandal durch viele Menschen“ (Bösch 2011a: 30). Deshalb findet in einem vierten Schritt die öffentliche Aufarbeitung des Verstoßes in den Medien statt. Am Ende eines Skandals steht schließlich eine unterschiedlich geartete Reaktion des Beschuldigten. „Manche der Beschuldigten rechtfertigen sich oder streiten alles ab. Sie bitten öffentlich um Entschuldigung und gestehen ihre Schuld“ (Pörksen/Detel 2012: 21).
Die meisten Skandale weisen ein ähnliches Muster auf, das sich auch, nachdem der Höhepunkt der Empörung erreicht wurde, fortsetzt. Die Medienberichterstattung lässt langsam nach, die Schlagzeilen werden weniger drastisch bis ein Skandal schließlich aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwindet. „Was bleibt, sind allenfalls Erinnerungsfetzen, gefühlte Wahrheiten“ (Pörksen/Detel 2012: 21). Dieser Vorgang dauert oft nur sechs bis acht Wochen (vgl. Pörksen/Detel 2012: 21).
Wenngleich mit einem Skandal bestimmte Nachrichtenwerte verbunden sind und er auch die Schadenfreude des Publikums bedient, so kommt ihm auf positiver Seite auch eine Art Wächterfunktion zu. Denn gesellschaftlich festgelegte Grenzen werden durch die Grenzüberschreitung selbst wieder erkennbar und vorgegebene Normen werden bekräftigt. Das Publikum diskutiert über geltende Werte oder handelt diese neu aus (vgl. Pörksen/Detel 2012: 21).
2.2 Skandaldynamik: Am Beispiel Wulff und Guttenberg
Am 25. Oktober 2008 erhält Christian Wulff, damals niedersächsischer Ministerpräsident, von der Frau eines Unternehmers einen Privatkredit über 500.000 Euro zum Kauf eines Hauses. Im Februar 2010 verschweigt er jenen Kredit auf Anfrage vom niedersächsischen Landtag. Ein Skandal beginnt (vgl. o.V. 2014). Die /-///¿/-Zeitung berichtet am 13. Dezember 2011 über die Finanzierung, Wulff hatte dem Bild-Chefredakteur zuvor mit Konsequenzen gedroht, sollte die Geschichte erscheinen. Der Bild kommt in der Affäre also eine zentrale Rolle zu.
Am 15. Dezember drückt Wulff in einer schriftlichen Mitteilung sein Bedauern aus, den Kredit vor dem Landtag nicht erwähnt zu haben. Wenige Tage später, am 22. Dezember 2011, entschuldigt Wulff sich öffentlich für den Vorfall. Nur knapp zwei Monate später beantragt die Staatsanwaltschaft Hannover die Aufhebung von Wulffs Immunität, um Ermittlungen einleiten zu können. Der mediale Druck wird zu groß: Wulff erklärt nur einen Tag später seinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten (vgl. o.V. 2014).
Im Laufe der nächsten Monate werden neue Vorwürfe bekannt und am 14. November 2013 beginnt der Prozess gegen Wulff. Ein Filmproduzent soll dem ehemaligen Bundespräsidenten zwei Sylt-Urlaube und einen Oktoberfest-Besuch bezahlt haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Vorteilsnahme, teilweise auch wegen Bestechlichkeit. Am 27. Februar 2014 wird das Urteil verkündet und Wulff freigesprochen (vgl. o.V. 2014). Doch seine politische Karriere ist vorbei.
Ein anderer Fall: Die Affäre Guttenberg. Am 16. Februar 2011 berichtet die Süddeutsche Zeitung von einer Textstelle, die Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ohne Angabe einer Quelle in seiner Doktorarbeit kopiert haben soll. Am 18. Februar entschuldigt sich Guttenberg für ,,,eventuelle Fehler“‘ (dpa 2011) in der Arbeit. Er kündigt in der Presse an, den Doktortitel vorerst niederzulegen. Zudem habe er ,,,zu keinem Zeitpunkt bewusst getäuscht oder bewusst die Urheberschaft nicht kenntlich gemacht[4]“ (dpa 2011).
In den folgenden Tagen werden immer weitere kopierte Textstellen bekannt. Auf der Webseite Guttenplag Wiki werden die kopierten Zeilen von Internet-Nutzern gesammelt (siehe Abb. 1 im Anhang; vgl. o.V. 2011). Am 21. Februar erklärt Guttenberg, seinen Doktortitel dauerhaft ablegen zu wollen, er habe bei nochmaligem Durchsehen gravierende Fehler in seiner Arbeit entdeckt. Am 23. Februar stellt sich Guttenberg „einer Fragestunde [...] im Bundestag“ und bezeichnet die Vorwürfe als „Rufmord“ (dpa 2011). Noch am selben Abend entzieht ihm die Universität Bayreuth den Doktortitel. Am 01. März beugt er sich, wie auch Wulff, dem Druck von Gesellschaft und Medien und erklärt seinen Rücktritt. Guttenberg sagt, er habe „die Grenzen“ seiner Kräfte erreicht (vgl. dpa 2011).
Die gerade beschriebenen Skandale haben augenscheinlich einiges gemeinsam. So handelt es sich sowohl im Fall Guttenberg als auch bei der Wulff-Affäre um einen politische Skandal. Hochrangige Politiker, deren Ämter auf fest verankerten moralischen Grundsätzen basieren, sind involviert. Zu tun haben die angeprangerten Normverstöße mit Politik jedoch wenig. Sie haben keinen direkten Einfluss auf die politische Arbeit von Wulff und Guttenberg. Auffällig ist zudem, dass in beiden Fällen die Aufdeckung einer ersten Normverletzung die Aufdeckung weiterer Verstöße nach sich zieht.
Des Weiteren werden beide Skandale sowohl von den Medien als auch einer breiten Öffentlichkeit energisch diskutiert. Guttenberg sowie Wulff stehen unter einem enormen medialen Druck. Fast täglich wird über die Fälle berichtet. Im Nachhinein zeichnet sich, zumindest im Fall Wulff und seines Freispruchs, ab: „Schuld und Verantwortung“ (Geis 2013) liegen nicht alleine auf Seite des ehemaligen Bundespräsidenten. „Wulffs Fehlverhalten und die Unerbittlichkeit der Medien“ (Geis 2013) entwickeln eine Dynamik, der sich Wulff „am Ende geschlagen geben muss“ (Geis 2013). Man könnte sagen, Wulff ist Opfer einer „einhel- lige[n] medialefn] Front“ (Geis 2013) geworden. In dieser Allmacht von Öffentlichkeit und Medien findet sich auch die von Bösch zuvor deklarierte Zuschreibung einer Handlung als ein Skandal durch viele Menschen wieder.
Insbesondere der Fall Guttenberg verdeutlicht überdies auch die Entkopplung des klassischen an die Logik der Massenmedien gebundenen Skandals und eine „allgegenwärtige Neigung zur Empörung“ (Pörksen/Detel 2012: 23). Es wird eine neue „Evolutions- und Eskalationsstufe“ erreicht (Pörksen/Detel 2012: 23). Durch soziale Medien wie Facebook, Twitter und Weblogs sind dem Skandal und der Empörung keine physischen, räumlichen oder zeitlichen Grenzen mehr gesetzt. Nicht mehr nur klassische Themen, fast jede Handlung kann skandalisiert werden, denn der sog. „entfesselte Skandal“ erweitert das inhaltliche Spektrum von Skandalen (vgl. Pörksen/Detel 2012: 23).
Derjedoch wohl entscheidende Faktor, den die Skandale um Guttenberg und Wulff gemeinsam haben, ist nicht nur die mediale Härte der Berichterstattung, sondern auch die damit einhergehende Rasanz und die hohe Geschwindigkeit. Von der Enthüllung der begangenen Normverletzung bis hin zur Auflösung der Misstrauenssituationen durch den Rücktritt vom Amt vergehen nur wenige Monate, im Fall Guttenberg sogar nur wenige Wochen. Diese Verlaufsmuster passen zu der von Pörksen und Detel beschriebenen geringen Halbwertszeit moderner Skandale.
Die gerade formulierten Merkmale von modernen Polit-Skandalen werden in der späteren Analyse der Starfighter-Affäre wieder aufgegriffen, um mögliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Skandaldynamik auszumachen.
3. Historische Skandale
3.1 Entwicklung des Skandalbegriffs
Der Historiker Frank Bösch stellt treffend fest, dass „Skandale so alt wie die öffentliche Kommunikation selbst“ sind (Bösch 2014: 5). Tatsächlich findet sich der Skandalbegriff bereits in der Zeit der Antike wieder. Hier verwies das sog. Skandalon auf Stellholz in einer Tierfalle, an dem die Lockspeise befestigt wurde (vgl. Bösch 2009: 8). In der Bibel fand der Begriff dann schon Verwendung im übertragenden Sinne und stand in etwa für die Verführung. Bis in die Zeit der Aufklärung bezeichnete der Begriff vor allem schwere religiöse Normbrüche (vgl. Bösch 2014: 6). Im Großbritannien des 17. Jahrhunderts löste sich der Begriff aber zunehmend von seinem religiösen Bezug und verwies auf „Missstände und Gerüchte“ (Bösch 2009: 8), welche die Reputation einer Person beeinträchtigten. In Deutschland wurde das Wort Skandal erst ab dem 18. Jahrhundert ohne einen religiösen Bezug verwendet und hatte negative Konnotationen wie Schande oder öffentlicher Ehrverlust (vgl. Bösch 2009: 8).
Im Sprachgebrauch des ausgehenden 19. Jahrhunderts glich sich der Begriff und seine semantische Verwendung in Deutschland und Großbritannien an. In beiden Ländern verstand man unter einem Skandal nun schwere Missstände, die zudem als Sensationen empfunden und sogar als solche angepriesen wurden (vgl Bösch 2009: 8). Insgesamt hatte der Begriff eine äußerst negative Konnotation. So wurde er etwa als^eV ofsociety bezeichnet, der „durch Übertreibungen Männern die Reputation raube und sie ins Verderben stürze“ (Bösch 2009: 8).
Generell bezog sich der Skandalbegriff um 1900 somit auf zweierlei: Zum einen auf das anstoßerregende Ereignis selbst, aber auch auf den Vorgang der Erregung, das heißt, die Reaktion des Publikums (vgl. Bösch 2009: 8). Frank Bösch merkt in diesem Kontext aber an, dass bereits zur damaligen Zeit keine trennscharfe Verwendung des Begriffs stattfand. „Insbesondere wurde er, wie auch heute üblich, oft synonym mit dem Begriff „Affäre“ benutzt“ (Bösch 2009: 8).
3.2 Entwicklung des Skandalaufkommens
Betrachtet man die Zahl der Skandale ab Ende des 18. Jahrhunderts, so fällt auf, dass deren Häufigkeit kontinuierlich ansteigt und dann um 1900 ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Eine quantitative Untersuchung in der Times etwa belegt, dass das Wort scandal besonders häufig in dieser Zeit Verwendung fand. Insbesondere im Zeitraum von 1886 bis 1895 taucht der Begriff häufig auf. Insgesamt wurde er 2578 mal erfasst (siehe Abb. 2 im Anhang). Diese selbe Intensität wurde danach erst wieder in den 70er Jahren erreicht. Aber auch qualitativ lassen lassen sich wirkungsmächtige Skandale im ausgehenden 19. Jahrhundert beobachten (vgl. Bösch 2011a: 32; vgl. Bösch 2014: 6 f.).
Erklären lässt sich das verstärkte Aufkommen einerseits vermutlich durch eine einsetzende Medialisierung des Politischen. Denn genau in diesem Zeitraum entstand in ganz Westeuropa erstmalig eine auflagenstarke Massenpresse. Diese war zudem nun professionalisiert und reaktionsschnell (vgl. Bösch 2009: 3). „Boulevardblätter und Genrealanzeiger, Parteizeitungen und Illustrierte erlebten [...] einen steilen Auflagenanstieg und Bedeutungsgewinn (Bösch 2014: 7). Andererseits förderte auch eine „Fundamentalpolitisierung“ und eine schrittweise Demokratisierung der Gesellschaft das Aufkommen von Skandalen. Bösch geht zudem davon aus, dass eine sich entfaltende öffentliche Kommunikation eine breite und wirkungsmächtige Empörung überhaupt erst ermöglichte (vgl. Bösch 2014: 7). Festzuhalten ist also, dass sowohl die Etablierung neuer Medien als auch eine Politisierung der Gesellschaft das Skandalaufkommen beeinflusst.
Danach ließ die Häufigkeit von Skandalen erst einmal nach. Es ist davon auszugehen, dass insbesondere die beiden Weltkriege für diese Abnahme verantwortlich sein dürften. Denn zur Wahrung der nationalen Einheit ließ die Empörung über Normverstöße entsprechend nach. „Das Empörungspotenzial richtete sich vielmehr gegen die Handlungen des Kriegsgegners“ (Bösch 2014: 9). Auch in den Nachkriegsjahren kommt es zu vergleichsweise wenigen Skandalen, da wohl ein gewisser Nachkriegskonsens bestand, eine sich im Wiederaufbau befindliche Gesellschaft nicht anzugreifen (vgl. Bösch 2014: 10).
Doch mit Beginn der 60er Jahre lässt sich eine erneute Skandalwelle identifizieren. Wie bereits in den Jahren um 1900 geht diese mit einer „Politisierung, Demokratisierung und Polarisierung“ (Bösch 2014: 11), aber auch einer Liberalisierung der Gesellschaft einher. Abermals zeichnet sich das verstärkte Skandalaufkommen zudem durch die Etablierung eines neuen Mediums aus. Diesmal war es das Fernsehen, das insbesondere die „Visualität des Politischen“ (Bösch2014: ll)verstärkte.
Ohnehin scheint eine breite Visualisierung der Politik die Wirkungsmacht von Skandalen deutlich zu steigern. Schon um 1900 druckten die Zeitungen immer mehr auch Bilder, spöttische Karikaturen und später auch Fotos ab, was die „Imaginationen über das Fehlverhalten der Politiker und Staatsrepräsentanten“ (Bösch 2014: 8) verfestigte. Das Fernsehen fügte diesem Mechanismus in den 60er Jahren eine neue Ebene hinzu.
Zuletzt erscheint wichtig, dass Skandale seit den 60er Jahren hauptsächlich von den Medien hervorgebracht werden. Außerdem nehmen sie im Gegensatz zu früher, insbesondere in Deutschland, eine demokratische Kontrollfunktion durch die Öffentlichkeit ein und bedienen eher weniger die Schadenfreude eines voyeuristischen Publikums (vgl. Bösch 2014: 11 f.; vgl. Pörksen/Detel 2012: 22).
Zusammenfassend ist also mitnichten von einer kontinuierlichen Zunahme von Skandalen zu sprechen. Vielmehr lässt sich ein wellenartiges Muster ausmachen. Das heißt, Skandale treten seit dem späten 18. Jahrhundert immer wieder mal mehr und mal weniger auf (vgl. Bösch 2014: 6).
3.3 Chancen historischer Skandalforschung
Aus historischer Perspektive erscheint eine Analyse von vergangenen Skandalen aus mehrfacher Sicht lohnenswert. Denn genau wie andere historische Ereignisse, geben auch Skandale Aufschluss über bestimmte Aspekte einer Zeit und bieten damit Ansatzpunkte für eine genauere Analyse.
Allem voran zeigen Skandale auf verdichtete Art und Weise, welche Normen zu einer bestimmten Zeit in einer Gesellschaft gelten. In vielen Fällen sind es auch Skandale, die überhaupt erst aushandeln, ob ein Normbruch vorliegt oder nicht. Denn was in einem bestimmten Jahrzehnt als empörenswert gilt, muss in einem anderen Jahrzehnt nicht zwangsläufig zu einem Skandal führen (vgl. Bösch 2014: 6).
Weiterhin ermöglichen Skandale auch den Vergleich der Instanzen Medien, Öffentlichkeit und Politik und in welchem Zusammenhang diese zueinander stehen. Voraussetzung für die Entstehung von Skandalen ist nämlich eine gewisse Freiheit der Öffentlichkeit und eine konkurrenzorientierte Politik. Skandale eröffnen also Erkenntnisse über die mediale und politische Kommunikation einer Zeit (vgl. Bösch 2009: 3).
Interessant bei einer historischen Betrachtung ist aber nicht nur die Tatsache, dass Skandale uns sozusagen ein Fenster zur Vergangenheit eröffnen, welches uns einen Einblick auf die Entwicklungen einer Zeit gibt. Vielmehr sind Skandale auch als „dynamische Ereignisse“ (vgl. Bösch 2009: 4) zu verstehen, die selbst als ein kulturhistorischer Vorgang bestimmte Entwicklungen vorantreibten. Das heißt, Skandale sind, so die Grundannahme, zugleich „Ausdruck und Motor“ (Bösch 2009: 4) dieser Veränderungen.
Zusammenfassend lassen sich in erster Linie drei Bereiche der historischen Skandalforschung identifizieren: Der Wandel von Normen und Denkmustern, der Formenwandel der Politik, der Medien und der Öffentlichkeit und der Wandel der Empörung (vgl. Bösch 2009: 5).
Michael Neu hebt zudem die zeitliche Distanz zum Geschehen als positiv hervor. Er erkennt darin die Chance, einen „vergangenen Kontext“ und das „politische Handeln in diesem Kontext“ fundierter zu bewerten „als es zeitgenössischen Beobachtern möglich war“ (Neu 2004: 66).
3.4 Medienhistorische Perspektive
Aus medienwissenschaftlicher Sicht bietet sich die Chance, die Funktions- und Arbeitsweisen der Medien in einer bestimmen Zeit besser nachzuvollziehen. Entscheidend ist diese Betrachtungsweise vor allem deshalb, da bei Skandalen nicht selten die Vorstellung eines investigativen Journalismus, der die Verfehlungen der Mächtigen aufdeckt, im Vordergrund steht. Auch aufgrund dieser wichtigen Rolle der Medien wird oft von Medienskandalen gesprochen (vgl. Bösch 2011a: 29).
Generell stellt die Geschichte der Medien ein Forschungsfeld dar, das gut über Skandale erschlossen werden kann. Sie zeigen nicht nur oberflächlich die Funktionslogiken auf, sondern ermöglichen tatsächlich recht detaillierte Blicke in das Innenleben der Medien (vgl. Bösch 2011a: 36). Einerseits weil die Darstellung eines Skandals in den Medien gewisse Arbeitsweisen und Abläufe relativ deutlich impliziert, aber auch, weil Arbeitspraktiken konkret beschrieben werden. „Denn in Skandalen wird vielfach die Recherchetechnik der Publizisten reflektiert - sei es vor Gericht oder in der journalistischen Selbstlegitimierung im Zuge der Enthüllungen“ (Bösch 2011a: 36). So stellen Skandale also einen akteursbezogenen Zugang zur Mediengeschichte da und ermöglichen eine „Geschichte medialer Praktiken“ (Bösch 2011a: 36).
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- Arbeit zitieren
- Marcel Wolf (Autor:in), 2016, Skandale in medienhistorischer Perspektive. Chancen, Probleme und Skandaldynamik anhand der Starfighter-Affäre, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/541433
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